Schulkinowochen an Ricarda-Huch-Schule in Dreieich
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Nur anfangs zitterten die Hände

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Produzent Wolfgang Richter (mit Schultüte) diskutierte im Anschluss an den Film „Das radikal Böse“ mit Schülern des Abiturjahrgangs der Ricarda-Huch-Schule.
Produzent Wolfgang Richter (mit Schultüte) diskutierte im Anschluss an den Film „Das radikal Böse“ mit Schülern des Abiturjahrgangs der Ricarda-Huch-Schule. © Richter

Dreieich - Die Oberstufenschüler der RHS sehen den beklemmenden Dokumentarfilm „Das radikal Böse“. Von Harald H. Richter

Anderthalb Stunden ist es auffallend still im Zuschauerraum, keine Colaflasche kullert durch den Kinosaal, kein Popcorn-Geraschel stört, während „Das radikal Böse“ von Stefan Ruzowitzky über die Leinwand flimmert. Wenige Tage vor den schriftlichen Abiturprüfungen verfolgen zwei Dutzend Oberstufenschüler der Ricarda-Huch-Schule mit Lehrer Jens Hoffmann im Rahmen der neunten Hessischen Schulkinowochen diesen beklemmenden Dokumentarstreifen und diskutieren mit Produzent Wolfgang Richter aus Darmstadt.

Noch vor der massenhaften Vernichtung in Konzentrationslagern wurden im Nationalsozialismus zwei Millionen Juden Opfer des Genozids. Was empfanden die Soldaten der Erschießungskommandos? Darauf gibt der Dokumentarfilm Antworten. Die deutsch-österreichische Produktion konzentriert sich auf die Vollstreckung durch Einsatztruppen in Osteuropa, stützt sich auf authentisches Material verstorbener Soldaten. Tagebucheinträge sind darunter und Auszüge aus Gerichtsprotokollen mit der Besonderheit, dass Schauspieler wie Benno Fürmann, Alexander Fehling und Devid Striesow die Textpassagen eingesprochen haben.

Beeindruckte Gymnasiasten

Die Gymnasiasten sind beeindruckt von der breiten Palette dramaturgischer und ästhetischer Mittel, denen sich die Macher des Films bedient haben. „Das radikal Böse“ versuche weniger, historische Tatsachen mit filmischen Mitteln aufzubereiten, betont der Produzent. Vielmehr habe man den Nährboden recherchiert, auf dem Menschen inhuman werden. Es sind offene, sympathische Gesichter mit dem Finger am Abzug, in die man blickt. „Menschen wie du und ich als Teil einer Massenmord-Maschinerie“ – so lautet die Botschaft. In Briefen an Angehörige schildern die Soldaten – kaum älter als die Schüler, die den Film verfolgen – den Alltag des Mordens, berichten vom Säubern der Waffen und von der Notwendigkeit, die Erschießungen vor dem Wintereinbruch hinter sich zu bringen, weil sich im gefrorenen Boden kaum Gräber ausheben lassen. „Bei den ersten hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe. Aber man gewöhnt sich an das“, wird ein Soldat zitiert. „Später zielte ich ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge.“

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Dokumentiert ist auch manche Rechtfertigung, etwa die, dass die Kleinkinder ohne Eltern ohnehin nicht hätten überleben können. „Beklemmend“, kommentiert eine Schülerin das Gehörte. Im Film kommen Augenzeugen aus einem Dorf nahe des damaligen Lemberg (heute: Lviv/Ukraine), einem der Schauplätze der Massaker, zu Wort. Darauf bezieht sich Jan-Philipp Kulcke mit seiner Frage, wie man diese Menschen nach so langer Zeit noch hat aufspüren können. „Mitunter spielte der Zufall mit“, erklärt der Produzent. Ein anderer Schüler vermisst die Konfrontation möglicherweise noch lebender Täter mit ihren damaligen Erklärungen. „Das war nicht unsere Absicht. Für uns stand ganz bewusst das Erzählerische im Vordergrund.“ Die Authentizität der Einlassungen freilich ist belegt, unter anderem durch Material aus dem Hessischen Staatsarchiv. Gegenüber gestellt sind Statements führender Holocaust-Forscher. Der Kinovormittag endet für die Schüler mit einer bitteren Erkenntnis. Um einen Menschen zum Unmenschen zu machen, genügt die Legitimation: „Du darfst töten.“

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