Struwwelpeters unbekannte revolutionäre Wurzeln
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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Struwwelpeters unbekannte revolutionäre Wurzeln

Politische Original-Karikaturen aus der Paulskirchen-Zeit um 1848

von Karl-Heinz Stier

(15.05.2023) In der Revolutionszeit von 1848 tauchten die Figuren aus dem 1845 erschienenen „Struwwelpeter“ erstmals im politischen Kontext auf. Die rebellischen Charaktere trafen den Nerv der Zeit. Im Mai 2023 jährt sich der Zusammentritt des Paulskirchen-Parlaments in Frankfurt am Main zum 175. Mal.

Bildergalerie
Henry Ritter: Der politische Struwwelpeter , Düsseldorf 1849.
Foto: Struwwelpetermuseum
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Struwwelpeter als Radikaler. Abbildung aus der Satire „Struwwelpeter als Radikaler
Foto: Struwwelpetermuseum
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Struwweluzzer , Ausstellungssignet 2023 von Michael Apitz
Foto: Struwwelpetermuseum
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Grund für das Museum in der neuen Altstadt, eine Ausstellung über Struwwelpeters unbekannte revolutionäre Wurzeln mit vielen seltenen Originalkarikaturen und Satiren zusammenzustellen.

Da steht der Struwwelpeter als langhaariger Revolutionär, der Suppen-Kaspar scheitert als Paulskirchen-Parlamentarier am Nein-Sagen und der badische Republikaner Friedrich Hecker wird zum bösen Friederich. Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann selbst präsentierte seine Figur 1848 als „Peter Struwwel, Demagog“ im satirischen „Handbüchlein für Wühler“. Die historischen Momentaufnahmen illustrieren den Verlauf der Revolution von Ende 1847 bis 1849.

Der Struwwelpeter erschien in einer widersprüchlichen Epoche: Denen nach politischen und sozialen Veränderungen strebenden liberalen Bürgerinnen und Bürgern standen die konservativen „Biedermeier“ gegenüber, die sich mit dem Zustand politischer Unmündigkeit abgefunden hatten. Die Ambivalenz des Struwwelpeter zwischen Aufbegehren und der Warnung davor spiegelt die Widersprüchlichkeit der Zeit zwischen Revolution und Restauration.

Heinrich Hoffmann engagierte sich selbst in der politischen Umbruchzeit von 1848. Er gehörte dem Vorparlament an, das im Frühjahr 1848 die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche vorbereitete. Der 38-jährige Familienvater hatte seiner Begeisterung für die Revolution poetisch Ausdruck verliehen: „Horch auf, mein Volk!“ beginnt sein in den Märztagen verfasstes Gedicht, das in der Vertonung seines Freundes Wilhelm Speyer zu einer viel gesungenen Hymne der Paulskirchen-Zeit wurde. Das ab dem 18. Mai 1848 tagende Parlament besuchte Hoffmann nur als aufmerksamer und bald enttäuschter Zuschauer. Er war kein politischer Mensch, schon gar kein Revolutionär wie sein Freund Friedrich Hecker, dem er seit der Heidelberger Studentenzeit verbunden blieb. Als bürgerlicher Intellektueller hatte er seine Opposition zur alten Ständegesellschaft mit satirischen Nadelstichen gezeigt, eingestreut in Festreden und literarischen Werken.

Hoffmanns politisches Ziel war die deutsche Einheit mit einer konstitutionellen Monarchie als Staatsform. Seine Erfahrungen mit dem Verlauf der Revolution verarbeitete er in zwei Satiren. Im Sommer 1848 erschien unter dem Pseudonym „Peter Struwwel“ das „Handbüchlein für Wühler“. Hier zielte sein Spott auf die linken Republikaner. Genauso opportunistisch und ohne Kompromissbereitschaft waren seiner Meinung nach auch die Erzkonservativen. Ihnen widmete er mit dem „Heulerspiegel“ eine zweite bitterböse Satire, die als Abgesang auf die Revolution im Frühjahr 1849 erschien.

Wahrgenommen wurde Hoffmann in der Öffentlichkeit schon damals durch seinen 1844 für den dreijährigen Sohn gedichteten und gezeichneten „Struwwelpeter“, der im Herbst 1845 in einem linken Frankfurter Literaturverlag erschienen war. Nur zwei Jahre später diente dieses erste erzählende Bilderbuch und Vorläufer der Comics als Folie für politische Satiren.

Hoffmann engagierte sich nach 1848/49 nicht mehr in der Politik. Sein kurzes Engagement als Redakteur eines politischen Bauernkalenders hängte er 1850 an den Nagel. Seine Lebensaufgabe fand Hoffmann im Jahr 1851 mit der ärztlichen Leitung der Frankfurter „Anstalt für Irre und Epileptische“. Seine sozialpolitisch bedeutsame Aufgabe war die Verwirklichung einer menschenwürdigen Psychiatrie in Frankfurt.

Die Ausstellung präsentiert mit Texten und Bildern sowie mit über 30 seltenen Originalen aus einer Freiburger Privatsammlung und aus dem Museumsbestand einen einzigartigen Blick auf die Zeit von 1848/49. Der Ausstellungsabschnitt „Revolution? Struwwelution!“ richtet sich mit Mitmach-Möglichkeiten an junge Museumsbesucher. Extra für die Ausstellung stellte Comiczeichner Michael Apitz den rebellischen Struwwelpeter als „Struwweluzzer“ bildlich auf die Barrikaden. Auf die „Fliegende Blätter-Wand können Kinder und Jugendliche eigene Forderungen posten und ihr Votum zu aktuellen, immer wieder wechselnden Fragen abgeben.

Begleitprogramm:
Ausstellungseröffnung war zur Nacht der Museen mit Revolutionsliedern, vorgetragen vom Männerchor Praunheim

Programm zum Paulskirchen-Fest: Donnerstag, 18.05.22, 16:00: Vortrag von Museumsleiterin Beate Zekorn-von Bebenburg: Horch auf, mein Volk! Heinrich Hoffmann und die Revolution von 1848.

Hoffmanns Beteiligung an den politischen Ereignissen sowie seine literarischen und künstlerischen Kommentare aus dieser Zeit eröffnen eine besondere Perspektive auf das Geschehen nicht nur in Frankfurt.

Ausstellungsführungen zur Revolution 1848/49
Donnerstag, 18.5.23, 12:00; 14:00; Freitag, 19.5.23, 14:00; 15:00; 16:00, Samstag, 20.5.23, 14:00; 15:00; 16:00, Sonntag, 21.5.23, 14:00; 15:00; 16:00.

Sonntag, 21.5.23, 11:00 Ort: Bühne am Main : Das Struwwelpeter Museum präsentiert „Horch auf, mein Volk! Lieder von Freiheit und Revolution mit dem Männerchor Praunheim“. Der 1878 gegründete Männerchor Praunheim trägt Lieder der Revolutionszeit von 1848 vor. Auf dem Programm steht auch die in der Paulskirchen-Zeit häufig gesungene Hymne „Horch auf, mein Volk!“, die Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann voller Begeisterung für die Revolution im März 1848 dichtete. Die Leiterin des Struwwelpeter-Museums führt ins Programm ein.