Rescue Dawn | Kritik | Film | critic.de

Rescue Dawn – Kritik

Werner Herzog beschäftigt sich wieder mit dem Kampf Mensch gegen Natur. Für den amerikanischen Piloten Dieter Dengler (Christian Bale) wird nicht nur ein Rebellenlager in Laos, sondern vielmehr der Dschungel selbst zum Gefängnis.

Mit Rescue Dawn knüpft Werner Herzog an seinen ZDF-Dokumentarfilm Flucht aus Laos (Little Dieter needs to fly, 1997) über den im Schwarzwald geborenen Dieter Dengler an, der nach seinem Abschuss über Laos zunächst in einem Kriegsgefangenenlager kommunistischer Milizen und dann auf seiner Flucht im Urwald von Indochina um sein Überleben kämpfen muss. Der Abenteurer Herzog kehrt damit zurück in den Dschungel, den Ort an dem er schon seine vielleicht größten Erfolge mit Klaus Kinski, Aguirre, der Zorn Gottes (1972) und Fitzcarraldo (1982), spielen ließ. Beide handeln davon, wie der Mensch versucht, die Natur zu bezwingen, tief in sie vorzustoßen. Rescue Dawn kehrt dieses Verhältnis von Mensch und Natur in gewisser Weise um. Christian Bale als Dieter Dengler will nicht als Abenteurer in den Dschungel eindringen, sondern versucht sich als Ausbrecher aus seinem natürlichen Gefängnis zu befreien.

Dieter, der im Alter von 18 Jahren in die USA emigriert, um Pilot zu werden, wird im Zuge des Vietnamkriegs auf einen Flugzeugträger im Südpazifik versetzt. Bereits bei seinem ersten Kampfeinsatz wird er über dem neutralen Laos abgeschossen, nach kurzer Flucht von einer laotischen Rebellengruppe gefangen genommen und schließlich in einem Lager im südostasiatischen Dschungel interniert. Seinen Mitgefangenen hat die zum Teil jahrelange Haft schon schwer zugesetzt. Aus Duane (Steve Zahn), Eugene (Jeremy Davies) und den drei anderen Insassen sind psychische und seelische Wracks geworden. Während Eugene sozial vollkommen verroht ist und die Kohäsion der Gruppe mit seiner Egomanie mehrfach auf die Probe stellt, zieht Duane sich in seine eigenen Ängste zurück und kann der Gefangenschaft nur mit Hilflosigkeit begegnen. Nicht einmal im Traum kann er seine Furcht ablegen und macht sich, wenn die Gefangenen nachts nebeneinander zusammengekettet sind, regelmäßig im Schlaf in die Hose.

Schmutz, Fäkalien, Hunger und Schmerz sind im Lager allgegenwärtig. Herzog drückt das durch eine extreme optische Verwahrlosung der Figuren aus und erzeugt so eine sehr intensive Körperlichkeit. Jedes Gramm, das die Schauspieler für ihre Rollen verlieren mussten – bei Christian Bale nimmt die Gewichtsabnahme Dimensionen seiner Rolle als Trevor Reznik in Der Maschinist (The Machinist, 2004) an – hungert der Zuschauer förmlich mit und kann so umso besser nachvollziehen, wie gierig Dieter die Würmer und Käfer verschlingt, die ihm die Aufseher statt Reis vorsetzen. Die Häftlinge sind ständig dem perfiden Sadismus der Rebellen ausgesetzt, die der Krieg und die ständige Bedrohung entdeckt zu werden mindestens ebenso verrückt gemacht hat wie die Gefangenen.

Schon seit Beginn seiner Haft denkt Dieter an die Flucht. Seine Pläne nehmen jedoch erst nach und nach Gestalt an. Die anderen Häftlinge sind zwar interessiert, anfangs jedoch skeptisch. Als die drei vietnamesischen Mitgefangenenen ein Gespräch der Rebellen belauschen, in dem diese die Hinrichtung aller Inhaftierten diskutieren, bleibt aber nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken. Die Häftlinge überwältigen ihre bewaffneten Aufseher und fliehen in den Dschungel. Aber schon am vereinbarten Treffpunkt bricht die Gruppe auseinander und Dieter muss sich allein mit dem labilen Duane in den Dschungel schlagen.

Doch Duane hat schon früher geahnt, dass der Ausbruch aus dem Lager nur die erste Etappe der Flucht ist: „The Jungle is the prison! Don’t you get it?!“. Sie fliehen nicht vor menschlichen Verfolgern, ihre Gewehre werfen sie während der Flucht in den Fluss, denn gegen ihren Gegner können sie sich nicht mit Waffen verteidigen. Sie versuchen der Gewalt der Natur zu entkommen. Es entsteht der Eindruck, der Dschungel selbst versuche die Flucht zu vereiteln und die Gefangenen nicht aus seinem Griff entkommen zu lassen. Er lässt ihren Reisvorrat in einer Schlammlawine versinken und stößt beide beinahe einen Wasserfall hinunter in den sicheren Tod. Der Dschungel, das ist für Herzog keine Safari-Romantik. Der Dschungel sind hohe bewucherte Felswände, die die Flüchtenden wie Gefängnismauern einsperren und dichte Baumkronen, die eine Entdeckung durch die stetig auftauchenden amerikanischen Suchtrupps unmöglich machen.

Das Lager ist als unwirkliche, surreale Parallelwelt in gewisser Weise von diesem Kampf entkoppelt. Herzog schildert hier die subjektive Erfahrung eines Überlebenden. Die Geiselnehmer bleiben für ihn Fremde, deren Sprache, Humor und Emotionen Dieter nicht verstehen kann. Herzog deutet die Ängste an, die auf beiden Seiten unterschiedlich vorhanden sind und in unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. So skizziert er nebenbei auch eine Art Psychogramm des Lagers.

Bei seiner Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München 2007 von den Veranstaltern zwar fälschlich und vollmundig als „60 Millionen Dollar teure Hollywood-Produktion“ angekündigt, ist Rescue Dawn jedoch weit davon entfernt Blockbusterkino zu sein. Die Erzählung braucht keinen Aktionismus und die Bildsprache kommt fast vollkommen ohne überflüssige Special-Effects aus. Herzog bleibt beim Autorenfilm und setzt sein Werk auch inhaltlich konsequent fort. Er zeigt die Flucht als Kampf: Mensch gegen Natur.

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