Reine Nervensache
Pate Robert De Niro legt sich beim Psychiater Billy Crystal auf die Couch.
Originaltitel
Analyze This
Regie
Dauer
103 Min.
Kinostart
20.05.1999
DVD-Start
19.11.1999
Genre
FSK
12
Produktionsland
Cast & Crew
Paul Vitti
Dr. Ben Sobol
Laura MacNamara
Jelly
Primo Sindone
Dr. Isaac Sobel
Cathy Moriarty-Gentile
Patti LoPresti
Michael
Redaktionskritik
Ein Mann sucht die Hilfe eines Psychiaters. Das
tun viele, vor allem in New York. Doch der neue Patient auf Billy Crystals Couch heißt Robert De Niro – und ist der übelste Mafioso der Stadt
Ben Sobol ist professioneller Zuhörer. Seinen Gehörgang kann man mieten – milde Ratschläge, geheucheltes oder echtes Verständnis inklusive. Ben
Sobol ist Psychoanalytiker. Und jetzt steht der Therapeut selbst am Rande des Nervenzusammenbruchs, denn sein neuer Patient übertrifft alle, die sich bisher auf Sobols Couch ausjammerten: Paul Vitti ist kein Geringerer als New Yorks gefürchtetster Mafioso. Schon dessen "Bitte" um einen Gesprächstermin macht klar, wie sehr sich Sobols Leben durch den neuen Klienten verändern wird: Vitti läßt seinen Gorilla in die Praxis stapfen, einen gerade vor sich hinwinselnden Patienten vor die Tür setzen und betritt erst dann selbst den Raum. "Wissen Sie, wer ich bin?" fragt der stadtbekannte Killer den Seelendoktor. "Ja, weiß ich", stammelt Sobol. "Nein, wissen Sie nicht", droht Vitti. "Okay, okay, weiß ich nicht", bestätigt der zitternde Doc.
Soviel zu den Aufnahmeformalitäten. Es folgt die erschütternde Diagnose: Unter
Vittis harter Gangsterschale verbirgt sich ein weicher Kern, er hat Erektionsprobleme, keine rechte Lust mehr am Töten, klagt über Schwindelanfälle und Herzrasen. Armer
Killer? Angesichts der Umstände, unter denen der Psychiater seinen neuen Privatpatienten behandeln muß, fragt man sich bald, wer von den beiden mehr zu bedauern ist.<p>
Okay, aufregend neu ist die Konstellation dieses Films nicht. Schon in
"Ein Mann – ein Mord" von 1997 drängte Berufskiller John Cusack mit gewaltsamen Methoden auf die Therapie-Couch von Alan Arkin. Und wie irre ein Patient seinen Psychiater machen kann, zeigten Bill Murray und Richard Dreyfuss in "Was ist mit Bob?" (1991). Was "Reine Nervensache" jedoch über diese Filme hinaushebt, sind die Hauptdarsteller: ein
glänzend aufgelegter Robert De Niro als Mobster und ein ebenso großartiger Billy Crystal als Therapeut wider Willen. Das Dialog-Feuerwerk, das die beiden entzünden,
erinnert an das Team Jack Lemmon und
Walter Matthau in seinen besten Tagen.
Robert De Niro muß gewußt haben, daß in diesem Stoff ein potentieller Hit schlummert. Bereits vor acht Jahren sicherte er sich die Rechte, ließ das Drehbuch aber in der Schublade, weil er befürchtete, danach werde er in einer Macho-Rolle nie wieder ernstgenommen. Nicht ganz unbegründet, denn wer beobachtet, wie er sich und alle seine Mafia-Rollen selbst parodiert, in einer Szene sogar hemmungslos losflennt, der sieht ihn danach selbst in "Taxi Driver" mit anderen Augen. Tatsächlich entdeckt De Niro gerade den Komödianten in sich, legt demnächst mit "Flawless" und "Rocky & Bullwinkle" gleich zwei Komödien nach – auch, um seine Produktionsfirma Tribeca Films aus den roten Zahlen zu holen. Und auch sein neuer Britpop-Haarschnitt, den der 56jährige erstmals bei den Oscars präsentierte, sah verdächtig nach Imagewechsel aus.<p>
Den betreibt De Niro, wie alles in seiner Karriere, sehr gründlich. Beim Engagement von Harold Ramis ("Und täglich grüßt das Murmeltier") schwor er den Regisseur ein, auf eine Botschaft und jeden Ansatz von Moral zu verzichten. Was der Komik eindeutig zugute kommt. Denn so wird nicht lange rumgeschwafelt, daß Menschen umbringen eigentlich sehr böse ist (das bestreitet der Film auch nicht). Dennoch erscheint Mafioso Paul Vitti als Mensch wie du und ich, dessen Beruf auch nicht schlimmer ist als, sagen wir mal, der von Gebrauchtwagenhändlern oder Programmchefs beim Privatfernsehen. Nein, man würde sich für Vitti wirklich freuen, wenn’s mit der Erektion mal wieder klappen würde. Auch wenn er sich bei irgendwelchen Luxushuren austobt, anstatt bei seiner Ehefrau – was er in einem der besten Gags des Films sehr einleuchtend rechtfertigt.<p>
So verfolgt das Publikum den äußerst vergnüglichen Prozeß, wie ein notorischer Killer, Kidnapper und Erpresser seine frühkindlichen Traumata und grundlegenden Selbst- täuschungen verarbeitet. Dazu gibt es bei der Heilung des müden Mafioso auch noch Störungen von außen: das lästige FBI, konkurrierende Gangster und allerlei unerwartete Tote. Ganz zu schweigen davon, daß Vitti seinen Doktor 24 Stunden am Tag beansprucht, ihn gar direkt während dessen Trauung vom Altar entführt, sein Haus okkupiert und all seinen anderen Patienten "kündigt". Psychiater Sobol, der diesen Job nur zeitgleich mit seinem Leben abgeben könnte, hat reichlich zu tun, sein aus dem Ruder laufendes Privatleben zusammenzuhalten, seine Verlobte Laura (Lisa Kudrow) am Weglaufen zu hindern und die Polizei davon zu überzeugen, daß er nicht der neueste Zugang in Vittis Mordfirma ist.<p>
Die letzte Viertelstunde des Films ist dann nur noch gut, nicht mehr hinreißend. Hauptsächlich, weil hier allerlei Handlungsstränge zusammengeführt werden und die beiden Hauptdarsteller deswegen nicht mehr so wüst aufeinander einreden können. Denn diese Wortduelle sind es, die den Reiz des Films ausmachen. Da spult zum Beispiel der Psychiater bei einer von Vittis Lebensbeichten einen freudianischen Allgemeinplatz ab, der selbst einer Bärbel Schäfer beim Nachmittags-Talk dämmern könnte, und Vitti staunt, als hätte sein Therapeut gerade das Rad neu erfunden: "Sie sind verdammt gut", stellt er fest. "Ach, ich...", will Sobol beschwichtigen. "Nein! Sie! Sind! Gut!" wiederholt Vitti. "Ja, ich bin gut", beugt sich Sobol dem Mafia-Befehl. Und Recht hat er! <p><i>Gernot Gricksch</i><p><b>Dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie
"Ein Mann – ein Mord" und "Was ist mit Bob?" mochten.</b>
tun viele, vor allem in New York. Doch der neue Patient auf Billy Crystals Couch heißt Robert De Niro – und ist der übelste Mafioso der Stadt
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