Rainer Eppelmann: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ - WELT
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Geschichte Rainer Eppelmann wird 80

Sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ brachte Erich Honecker in Rage

Luther war zu viel für die DDR-Staatssicherheit: Im Februar 1982 forderte der evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann die SED-Diktatur mit dem „Berliner Appell“ heraus. Wegen „antisowjetischer Hetze“ wurde er festgenommen – und überraschend wieder freigelassen.
Leitender Redakteur Geschichte
Der Regimekritiker Prof. Robert Havemann liegt schwerkrank in seinem Bett in seinem Haus in Grünheide. DDR Pfarrer Rainer Eppelmann besucht ihn noch kurz vor dessen Tod. März 1982 Der Regimekritiker Prof. Robert Havemann liegt schwerkrank in seinem Bett in seinem Haus in Grünheide. DDR Pfarrer Rainer Eppelmann besucht ihn noch kurz vor dessen Tod. März 1982
Der todkranke DDR-Regimekritiker Robert Havemann und Pfarrer Rainer Eppelmann (r.) im März 1982
Quelle: Harald Schmitt Photo / Bundesstiftung Aufarbeitung

Für Erich Honecker war es wohl furchtbar: Der Staats- und Parteichef der DDR wähnte sich Anfang 1982 in der „Zange der Konterrevolution“. Aus der Sicht des Apparatschiks an der Spitze der SED-Diktatur musste es so wirken, hatten sich doch zwei Gegner verbündet, das poststalinistische Regime herauszufordern: ein idealistischer Kommunist und ein protestantischer Christ.

Gemeinsam hatten die beiden so unterschiedlichen Männer – der Chemiker und Dissident Robert Havemann (1910 bis 1982) sowie der Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann, der am 12. Februar 2023 seinen 80. Geburtstag begeht – einen „Berliner Appell“ verfasst und in Kreisen von DDR-Kritikern verteilt. Der Text dieses Appells zerfiel in zwei Hälften, so unterschiedlich wie seine beiden Autoren. Von Havemann stammten die ersten drei Absätze mit weltpolitisch-strategischer Stoßrichtung, von Eppelmann die konkreten Forderungen in den längeren Absätzen vier und fünf.

Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung, Vorlass Rainer Eppelmann, Akte 2 - Berliner Appell-2-1
Ausschnitt aus dem "Berliner Appell"
Quelle: Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung

So erstaunt es nicht, dass der „Appell“ disparat war. Unter der gemeinsamen Überschrift „Frieden schaffen ohne Waffen“ hieß es zunächst: „Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den Atomkrieg. Die in Ost und West angehäuften Waffen werden uns nicht schützen, sondern vernichten.“ Europa müsse eine atomwaffenfreie Zone werden: „Wenn wir leben wollen, fort mit den Waffen!“ Diese Abschnitte des „Berliner Appells“ orientierten sich an dem von der DDR-Staatssicherheit mitgeschriebenen „Krefelder Appell“ von 1980, dem Gründungsdokument der westdeutschen Friedensbewegung.

Ganz anders der Teil, der mit dem vierten Absatz begann: „Wir schlagen vor, in einer Atmosphäre der Toleranz und der Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung die große Aussprache über die Fragen des Friedens zu führen und jede spontane Bekundung des Friedenswillens in der Öffentlichkeit zu billigen und zu fördern.“ Das war ungefähr das Gegenteil dessen, was die SED anstrebte: Wie jede kommunistische Staatspartei scheute sie den offenen Diskurs mit den Menschen und unterdrückte Demonstrationen zugunsten inszenierter Aufmärsche.

Doch der „Appell“ wurde noch schmerzhafter für Honecker und Genossen: „Wir wenden uns an die Öffentlichkeit und an unsere Regierung, über die folgenden Fragen zu beraten und zu entscheiden: Sollten wir nicht auf Produktion, Verkauf und Einfuhr von sogenanntem Kriegsspielzeug verzichten? Sollten wir nicht anstelle des Wehrkundeunterrichts an unseren Schulen einen Unterricht über Fragen des Friedens einführen? ... Sollten wir nicht auf alle Demonstrationen militärischer Machtmittel in der Öffentlichkeit verzichten und unsere staatlichen Feiern stattdessen dazu benutzen, den Friedenswillen des Volkes kundzutun?“

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Das war ein offener Angriff auf die SED, besonders auf Margot Honecker, die Frau des Generalsekretärs. Denn seit 1978 war der paramilitärische „Wehrunterricht“ ein reguläres Fach an allen DDR-Schulen, betrieben von der gefürchteten Volksbildungministerin – eben der wegen ihrer eigenwilligen Haartönung „lila Hexe“ geschimpften „First Lady“ der DDR. Und an jedem Staatsfeiertag ließ die Staats- und Parteiführung ihre „Nationale Volksarmee“ mit Panzern, Raketenwerfern und sonstigem Kriegsgerät auffahren – in der Bundesrepublik waren solche martialischen Paraden der Bundeswehr undenkbar.

Rainer Eppelmann, aufgenommen am 09.01.2023 in Berlin. Rainer Eppelmann ist ein deutscher evangelischer Pfarrer, ehemaliger DDR-Buergerrechtler und Politiker. Nachdem er innerhalb der DDR Bekanntheit als Oppositioneller erlangt hatte, war er 1990 Minister fuer Abruestung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. (Siehe epd-Gespraech vom 05.02.2023)
Rainer Eppelmann setzt sich auch mit 80 Jahren immer noch intensiv für die Aufarbeitung des SED-Unrechtsstaates ein
Quelle: picture alliance / epd-bild

So disparat wie der Text des „Berliner Appells“, war die Freundschaft der beiden Autoren unwahrscheinlich. Havemann war seit fast zwei Jahrzehnten der prominenteste innere Kritiker der SED-Diktatur. Seit 1964 hatte er sich offen gegen das Ost-Berliner Regime gestellt. Alle seine Ehrungen, Posten und Privilegien wurden ihm aberkannt, ein Berufsverbot verhängt. Doch er kritisierte weiter, nun eben auf dem Umweg über westdeutsche Medien.

Die SED scheute, den Dissidenten hinter Gitter zu schicken, weil er schon 1943 bis 1945 inhaftiert gewesen, sogar zum Tode verurteilt worden war, und die Vollstreckung nur wegen seiner „kriegswirtschaftlich“ wichtigen wissenschaftlichen Expertise als Chemiker aufgeschobenen wurde. Also verhängte man eine „unbefristete Aufenthaltsbeschränkung“, faktisch einen Hausarrest; außerdem wurde Havemann unter enge Stasi-Bewachung gestellt.

Eppelmann hatte einen völlig anderen Lebensweg hinter sich. 1943 in Berlin als Sohn eines SS-Mannes und zeitweisen KZ-Wärters geboren, zog er aus der Verstrickung seines Vaters die Lehre, keinem Menschen je totalen Gehorsam zu schwören. Also verweigerte er 1966 den Treueeid in der Nationalen Volksarmee und nahm die acht Monate Haft dafür in Kauf. Ein Gegner der SED-Diktatur war er zu dieser Zeit schon, denn wegen des Mauerbaus hatte er 1961 sein West-Berliner Gymnasium verlassen müssen; in der DDR aber durfte er kein Abitur machen.

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Nach der Haft studierte Eppelmann in Ost-Berlin Theologie – das war auch ohne staatliches Abitur möglich. Nach seinem Abschluss 1974 ging er zur Samaritergemeinde nach Friedrichshain; der Innenstadtbezirk war geprägt von nie sanierten Altbauten. Ab 1979 veranstaltete er als Kreisjugendpfarrer hier Bluesmessen, zu denen junge Leute bald geradezu pilgerten. In den bewusst als Gottesdiensten deklarierten Konzerten drückte sich die Ablehnung der Kontrolle des öffentlichen Lebens durch SED und FDJ aus. Nur die Kirche, als einzige relativ eigenständige Institution im Staat, konnte so einen Freiraum anbieten. So wurden die Bluesmessen bald Keimzellen einer Friedensbewegung und damit einer breiten Opposition in Ostdeutschland.

Natürlich überwachte die Stasi den Pfarrer, versuchte ihn zu „zersetzen“, sogar für Mordanschläge gibt es Indizien. Doch der „Berliner Appell“, von dem die SED-Geheimpolizei über Spitzel in Havemanns Umfeld vorab Bescheid wusste (inwieweit der spätere Star der PDS-Linkspartei Gregor Gysi dabei eine Rolle spielte, konnte nie abschließend geklärt werden) wurde so etwas wie die Kriegserklärung der beiden Pazifisten an das Regime.

Weil Havemann schon schwer krank war (und am 9. April 1982 starb), konzentrierte sich die Stasi auf Eppelmann. Am 4. Februar 1982, noch kursierte der „Berliner Appell“ lediglich in kaum mehr als einem Dutzend Exemplaren unter der Hand bei DDR-kritischen Bürgern, schlug die MfS-Hauptabteilung XX „Maßnahmen zur Einschränkung und Unterbindung von Aktivitäten durch Eppelmann und Havemann zur Verbreitung des ,Berliner Appells’“ vor.

Um den Aufruf „offensiv zurückzudrängen“, wollten die Stasi-Offiziere alle Exemplare des Aufrufs beschlagnahmen und durch inoffizielle Mitarbeiter in „kirchenleitenden Organen“ – also Spitzel – Eppelmann „von seinen Aktivitäten möglichst abbringen“; ferner sollte die Postkontrolle verschärft und der Berliner Generalsuperintendent unter Druck gesetzt werden. Diese Vorschläge reichte Paul Verner, Mitglied des SED-Politbüros und dort für „Sicherheitsfragen“ zuständig, schon am 5. Februar an Honecker weiter, der sich einverstanden erklärte.

Rainer Eppelmann, aufgenommen am 09.01.2023 in Berlin. Rainer Eppelmann ist ein deutscher evangelischer Pfarrer, ehemaliger DDR-Buergerrechtler und Politiker. Nachdem er innerhalb der DDR Bekanntheit als Oppositioneller erlangt hatte, war er 1990 Minister fuer Abruestung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. (Siehe epd-Gespraech vom 05.02.2023)
Rainer Eppelmann mit dem Logo der Bundesstiftung Aufarbeitung, der er seit deren Gründung 1999 vorsitzt
Quelle: picture alliance / epd-bild

Eppelmann erfuhr zunächst nichts davon, dass die mächtigsten Männer der DDR sich mit ihm beschäftigen. Beim Gottesdienst am Sonntag, dem 7. Februar 1982, kündigte er in der Samariterkirche an, im Anschluss im Gemeindesaal einen nicht näher bezeichneten Appell verlesen zu wollen. Damit wurde der Text von Eppelmann und Havemann öffentlich. Mehrere Dutzend Zuhörer unterschrieben demonstrativ. Am Dienstag erschien der Text in der „Frankfurter Rundschau“.

Honecker schäumte: „In der heutigen Westpresse wird ein Aufruf von einigen DDR-Bürgern veröffentlicht, in dem versucht wird, unter dem Deckmantel einer Friedensbewegung in der DDR unter Umgehung von Gesetzen der DDR eine illegale Organisation zu entwickeln. Durch die zuständigen Organe wird der Rädelsführer, ein gewisser Eppelmann, festgenommen.“

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Die Stasi setzte die Weisung umgehend um: Auf einer Konfirmandenfreizeit bei Berlin wurde Eppelmann um 12:45 Uhr verhaftet und verhört, ohne Anwalt und ohne die Möglichkeit, wenigstens seine Frau anzurufen. Vorgeworfen wurde ihm „1. Organisierung einer Unterschriftensammlung; 2. Schaffung einer illegalen Organisation; 3. Zusammenarbeit mit DDR-feindlichen Kräften im Ausland; 4. DDR-feindliche Hetze im Ausland; 5. antisowjetische Hetze.“

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Doch der Stasi-Vernehmer war mit Eppelmanns protestantischer Standhaftigkeit nach dem Luther zugeschriebenen Prinzip „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ überfordert. Das blieb dem in Marxismus-Leninismus geschulten Offizier unverständlich. Hinzu kam die Sorge vor der Reaktion des Westens. Überraschend gab die Stasi Eppelmann schon am 11. Februar 1982 wieder frei, einen Tag vor seinem 39. Geburtstag.

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