Farsi für die Freiheit: Lars Eidinger in „Persischstunden“. Filmstart und Trailer - WELT
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Kultur „Persischstunden“

Farsi für die Freiheit

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PERSISCHSTUNDEN - mit Lars Eidinger

Im von Deutschland besetzten Frankreich wird 1942 Gilles zusammen mit anderen Juden von der SS gefangen genommen und nach Deutschland in ein Konzentrationslager geschickt. Um dem Tod zu entgehen, behilft sich der Belgier mit einem Trick.

Quelle: Alamode

Autoplay
Die Kinotragikomödie „Persischstunden“ erzählt die wahre Geschichte einer erfundenen Sprache, die ein Leben rettet und an 2000 verlorene Leben erinnert. Mit Lars Eidinger als Herrenmensch mit schöner Seele.

Ein Koch, er heißt Klaus Koch, möchte sich verändern. Ein Restaurant in Teheran, das ist sein Traum. Und dafür nimmt er Persischstunden. Denn leider hat er sich 1932 falsch entschieden und ist in die NSDAP eingetreten. Sein Bruder, welcher mit der neuen Politik haderte, ist jetzt in Teheran. Und er, Klaus Koch? Ist selbst gefangen in seinem Schicksal als Chef der Küchenabteilung in einem Durchreiselager irgendwo in Deutschland, wo die jüdischen Häftlinge schwerst arbeiten müssen, bevor sie nach Osten ins Gas geschickt werden.

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Manche werden auch gleich auf dem Transport ins Lager erschossen. So geht es den Leidensgenossen von Gilles, einem Juden aus Belgien. Gilles hat sich fallen lassen und tot gestellt. Das hat der schießende Soldat bemerkt, dem schreit Gilles jetzt, bevor der Schütze noch einmal abdrücken kann, in seiner Todesangst ein „Ich bin Perser, nicht Jude!“ entgegen.

Weil er kurz vorher noch – gegen einen christlichen Laib Brot – ein kostbares Buch in Farsi eingetauscht hat. Das rettet ihm das Leben. Vorerst. Denn eben jener Klaus Koch, SS-Hauptsturmführer, hat Fleischkonserven versprochen, wenn man ihm einen Perser aufspüre. Damit er die Sprache lernen kann. Zunächst vier Wörter am Tag. Der Deutsche ist gründlich.

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Gilles kann kein Persisch, also denkt er es sich aus. Koch ist misstrauisch, sein Rottenführer, der sagt, er könne „Juden riechen“, noch mehr. In dieser angespannten Atmosphäre der Angst, nur tröstlich durch das Köcheln der Töpfe, beginnt jetzt ein brandgefährlicher Tanz auf dem Seil der Hoffnung.

Gilles erfindet sein eigenes Persisch, er muss seine Fantasiesprache freilich selbst erlernen und behalten, damit der lustvoll und entspannt diese neuen, fremden Kauderwelschsilben im Mund formende Koch, der Peiniger und Beschützer gleichzeitig ist, nicht stutzig wird. Das funktioniert erstaunlich gut.

Wie auch als Film, den Vadim Perelman als Regisseur seit Jahren drehen wollte. Die literarische Vorlage – angeblich auf Basis wahrer Begebenheiten – lieferte die Erzählung „Erfindung einer Sprache“ des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase, berühmt für Defa-Klassiker wie „Solo Sunny“ und Kinogeschichten wie „Sommer vorm Balkon“.

Das hätte, begrenzt auf wenige Schauplätze und zugespitzt auf ein paar Personen, auch einer mehr von vielen Nazifilmen über Opfer und Täter werden können. Doch die trotzdem abwechslungsreich aufbereitete, mal schreckliche, mal komische, meist groteske, selten anrührende Eulenspiegeliade fesselt über zwei atmosphärisch dichte Spielstunden.

Um den falschen Reza, wie sich Gilles als Perser nennt, und den gutgläubigen Koch herumführen in dieser russisch-deutsch-belarussischen Koproduktion bereits bestens mit zeitgeschichtlichen Stoffen erprobte Schauspieler wie Jonas Nay als tückischer Rottenführer, Leonie Benesch, Alexander Beyer und Luisa-Céline Gaffron ein bitteralbernes NS-Lagerleben vor.

Als unmittelbar von der Sittenkomödie in die brutale Tragödie umkippendes Dasein. Im Terror zwischen Eifersüchteleien, Intrigen, vergeblichen Träumen und angeblich kleinen Geschlechtsteilen lauert immer ein wenig „Sein oder Nichtsein“ von Lubitsch und eine Prise „Das Leben ist schön“ von Benigni. Man muss befreit lachen, um das Grauen auszuhalten, auch wenn es den Handelnden gar nicht danach ist.

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Das liegt vor allem am Können und der souverän dosierten Ausstrahlungskraft der beiden Hauptdarsteller, die wirklich ein besonders seltsames Paar sind. Im Zentrum dieser wunderbar einfachen, dabei sorgfältigen und nie kitschigen „Persischstunden“ stehen der großäugig-verzweifelt blickende, polyglotte argentinische Schauspieler Nahuel Pérez Biscayart als schlottriger, aber zäher Gilles beziehungsweise Reza und der deutsche Superstar Lars Eidinger, der hier höchst subtil seine überreichen Mittel variiert und seine Darstellungskunst wie unter der Lupe minimiert. Der kalte Herrenmensch mit der schönen Seele. Als Duo sind sie untrennbar verbunden durch eine Mission, durch Angst und Angeekeltsein, aber auch durch unerwartete Zärtlichkeit und Fürsorge.

Eidinger kann brutal durchgreifen und prügeln, wenn er sich verraten sieht, aber er entwickelt – sind wir eben doch ein Land der Dichter und Denker? – Empathie für die Sprache und ihren Vermittler, den er immer wieder vor allen Todesgefahren rettet.

Wie köstliche Speisen lässt er die abstrus erdachten Wörter auf seinen Nazilippen zergehen. Diese Laute, das kommt noch hinzu, sind Extrakte jüdischer Namen aus den Todeslisten, die Gilles/Reza ebenfalls wegen seiner schönen Schrift zu führen hat, und die er nutzt, um sich so für die falsche Notlügensprache ein linguistisches System zu entwickeln.

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Am Ende – dass Gilles wohl überleben wird, sehen wir schon am Anfang, als er über einen Waldweg dem Lager entflieht, in das er dann für die folgende Geschichte zurückgezoomt wird – ermöglicht ihm seine Sprache die Erinnerung an fast 2000, genau 1962, mit den verbrannten Lagerregistraturlisten verschollene, ermordete Juden.

Vor staunenden englischen Militärbefragern spult er ihre Namen präzise ab, genauso viele Wörter nämlich hat er Klaus Koch beigebracht. Dem sie nichts genützt haben. Er, der zusammen mit Gilles geflohen ist und ihm dann die Freiheit geschenkt hat, fliegt mit seinem falschen Farsi als lächerlicher Tarnung in Teheran sofort auf. Die „Persischstunden“ aber haben ein Leben gerettet und die Erinnerung an 2000 Tote wachgehalten. Kann man von einer erfundenen Sprache mehr verlangen?

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: Welt am Sonntag

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