In der Sendung von Sandra Maischberger hat der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den Kurs des Kanzlers im Ukraine-Krieg weitestgehend verteidigt. Altkanzler Schröder habe sich jedoch "für die Geschichtsbücher zerstört", urteilt Steinbrück- Einen EU-Beitritt der Ukraine sieht er skeptisch - dieser würde nur aus Empathie zustande kommen.
Das waren die Gäste von Sandra Maischberger:
Zu Beginn der Sendung muss der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert erst einmal erklären, was die neue Wortschöpfung "Scholzen" überhaupt meint. "Scholzen folgt auf Merkeln und bedeutet, ganz emotionslos politische Entscheidungen zu erklären", kommentiert der. Direkt feuert er hinterher: "Scholzen ist übrigens das Gegenteil von Habecken", und impliziert damit die gewohnt emotionalen Ansprachen von Bundeswirtschaftsminister Habeck seit Beginn des Ukraine-Kriegs.
Der Kanzler müsse jetzt "Scholzen in Taten, nicht nur in Worten", ergänzt Michael Bröcker, Chefredakteur von "The Pioneer". Die Kiew-Reise des Kanzlers habe dafür den ersten Schritt gelegt, glaubt er. Bislang sei er enttäuscht von der Bundesregierung, besonders mit Blick auf die zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. "Es gibt viel mehr Möglichkeiten, als Scholz zulässt."
Deutschland sei und müsse weiterhin gemeinsam mit Frankreich eine europäische Führungskraft im Ukraine-Krieg, sagt Wickert, und stimmt damit einer Rede von SPD-Chef Lars Klingbeil zu. Neben ihm regt sich deutlicher Widerspruch: "taz"-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Herrmann findet nicht, dass Deutschland diese Verantwortung auf sich ziehen solle. Stattdessen sollen alle Europäer gemeinsam mit den Amerikanern einheitlich agieren. "Ich finde es aberwitzig, dass die SPD jetzt eine Führungsrolle will," kommentiert sie mit Blick auf die zurückhaltende Außen- und Sicherheitspolitik der Partei in der Vergangenheit.
Bröcker, der dritte in der Journalistenrunde, teilt eine ganz andere Meinung. Klingbeils Ansprache zur deutschen Führungsposition sei die logische Nachfolge-Rede auf Scholz‘ Zeitenwende. Die europäischen Nachbarn würden diese Führung auch verlangen und Deutschland müsse endlich seiner ökonomischen Rolle auch sicherheitspolitisch nachkommen. Die SPD würde nun nach einem neuen außenpolitischen Kurs suchen, sagt er.
Der Begriff Zeitenwende sei richtig gewesen, sagt Scholz-Freund und der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), den Maischberger als Interviewgast in ihre Sendung eingeladen hat. "Doch politisch wurde diese Zeitenwende nicht ausreichend erklärt," kritisiert er Scholz im nächsten Satz. Scholz müsse der Gesellschaft einerseits die zusammengebrochene Hoffnung in die europäische Sicherheitspolitik, andererseits aber auch die steigende Inflation und den Weg "hin zu einer stärkeren Deglobalisierung" vermitteln.
Wie bereits einige seiner Parteikollegen, gesteht sich Steinbrück Fehler in der vorangegangenen Russlandpolitik ein. "Wir sind ins politische Koma geraten und davon wachen wir jetzt auf", sagt er. Seine eigene Verantwortung als damaliger Vizekanzler in der Merkel-Regierung rechtfertigt er aber damit, dass es in der politischen Öffentlichkeit überhaupt keinen Widerstand gegen die Minsker-Abkommen und die wirtschaftliche Verflechtungen mit Russland gab.
Altkanzler Gerhard Schröder beschreibt Steinbrück als ein besonderes Kapitel der Partei. Schröder habe sich laut Steinbrück "für die Geschichtsbücher derartig zerstört." Vom Parteiausschluss hält er dennoch nichts, Konsequenzen müssten selbstständig gezogen werden. Anders als Scholz äußert sich Steinbrück skeptisch über einen EU-Beitritt der Ukraine, da er nur aus "Empathie" von seitens der EU befürwortet werde. "Diese Entscheidung wurde basierend auf den Geschehnissen des Krieges und nicht wegen der Voraussetzungen der Ukraine vor dem 23. Februar getroffen", sagt er. Als besonders bedeutend nennt Steinbrück die noch immer stark verbreitete Korruption im Land.
Für den weiteren Kriegsverlauf sind Steinbrücks Prognosen alles andere als optimistisch. Es werde Putin nicht gelingen eine Marionettenregierung in der Ukraine zu etablieren. Jedoch seien die ukrainischen Truppen nicht in der Lage militärisch zu gewinnen. "Putin wird weiterhin eine Konstante sein", sagt er. Alles andere sei Wunschdenken. Die Ukraine würde vom Westen Garantien für ihre nationale und territoriale Souveränität erwarten, wie auch immer diese aussehen. "Maximalpositionen" der Ukraine zu fordern, würden aber eine weitere Eskalation riskieren, warnt er.
Seit zwei Jahren sei die finanzielle Entwicklung und der Inflationsanstieg ein drohendes Risiko, sagt Steinbrück. Nicht allein der Krieg sei Schuld, sondern auch die extrem liquide Geldpolitik der EZB. "Wir werden raue Zeiten erleben", schlussfolgert Steinbrück. Das Wohlstandsmodell, das man in Deutschland gewohnt sei, stehe auf der Kippe. Der Druck auf Staatsfinanzen werde steigen und die Regierung müsse sich dauerhaft die Frage der Priorisierung – von Außen- und Sicherheitspolitik, den Folgen der Corona-Pandemie, der Digitalisierung, bezahlbarem Wohnen und einem Wiederaufbauplan für die Ukraine – stellen.
Der ehemalige US-Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat dem Westen unterstellt, Putins Krieg mit den Energieimporten mitzufinanzieren. Das sei zwar leicht gesagt, kommentiert Wickert, betont aber auch, dass Deutsche in einem extremen Wohlstand leben, und angesichts eines Krieges auch lernen müssten, zu verzichten. Zum Schluss der Sendung sagt Moderatorin Barbara Schöneberger, das sie ihr Haus auch auf 17 Grad runter kühlen würde. Dann richtet sie eine wichtige Erinnerung an das Publikum: Unterhaltung ist wichtig, besonders in Krisenzeiten, und alle, die das nicht wollen, "können ja zum Glück umschalten".