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Kultur Von Hindenburg zu Hitler

"Der Reichspräsident war nie eine Marionette"

Leitender Redakteur Geschichte
Quelle: pa/dpa
Paul von Hindenburg hat Adolf Hitler 1933 zur Macht verholfen. Gemeinhin gilt diese Entscheidung des Reichspräsidenten als ein Zeichen von Alterssenilität und Fremdbestimmung. Der Historiker Wolfram Pyta widerspricht im Interview mit WELT ONLINE: Hindenburg habe Hitler bewusst zum Reichskanzler gemacht.

Zu den besten Kennern der Weimarer Republik gehört Wolfram Pyta. Der 1960 in Dortmund geborene Historiker hat den Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Stuttgart inne und leitet das Forschungszentrum Ludwigsburg, das die Akten der Zentralstelle der Staatsanwaltschaften zu NS-Verbrechen auswertet. Pyta hat neben seiner soeben erschienenen Hindenburg-Biografie zahlreiche Beiträge zur deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert vorgelegt.

WELT ONLINE: Herr Pyta, warum ernannte Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler?

Wolfram Pyta: Das ist die Kardinalfrage. Die Reichsverfassung zwang den Reichspräsidenten keineswegs, den Chef der stärksten Partei im Reichstag zum Kanzler zu machen; die Weimarer Republik war nie ein rein parlamentarisches Staatswesen, sondern hatte stets starke präsidiale Elemente. Hindenburg war frei in der Auswahl „seines“ Kanzlers. Allerdings hatten die beiden Reichskanzler vor Hitler, Franz von Papen und Kurt von Schleicher, den nationalsozialistisch dominierten Reichstag gegen sich aufgebracht. Hindenburg musste eine Grundsatzentscheidung treffen: Eine Regierungsbildung, die auf den Reichstag Rücksicht nahm, war nur denkbar mit einem Kanzler Hitler. Jeder andere Kandidat hätte gegen das Parlament regieren müssen. Auch diese Möglichkeit ist Hindenburg offeriert worden; sie hätte seine Bereitschaft erfordert, notfalls einzelne Verfassungsbestimmungen zu umgehen.


WELT ONLINE: Aber nur wenige Tage vor dem 30. Januar hatte Hindenburg dem General Kurt von Hammerstein-Equord noch versichert, den „österreichischen Gefreiten“ keinesfalls zum „Wehrminister oder Reichskanzler“ zu machen. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Pyta: Schon seit dem Oktober 1931 wird Hitler in den Augen Hindenburgs zunehmend ministrabel, und ab November 1932 hält ihn der Reichspräsident sogar für geeignet für die Kanzlerschaft – aber natürlich nur zu den Bedingungen Hindenburgs. Damals gab Hitler zu erkennen, dass er bereit sei, diese Bedingungen zu akzeptieren. Damit rückte die Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels näher, das man als das „Projekt Volksgemeinschaft“ umschreiben kann: die innere Einigung des deutschen Volkes, wie sie scheinbar im August 1914 bereits einmal gelungen war. Hindenburg fühlte sich als der politische Treuhänder dieser Volksgemeinschaft, die bei ihm mit der Ausschaltung aller internationalistisch ausgerichteten Kräfte verbunden war. Er wollte die völlig zerstrittene politische Rechte zusammenführen – das ging in seinen Augen nur mit einem Kanzler Hitler. Was das angeführte Zitat angeht: Hindenburg wischte damit eine als unerbetene Einmischung empfundene politische Warnung des nicht sehr geschätzten Hammerstein beiseite. Das sollte man nicht zu hoch bewerten.

WELT ONLINE: Welche Rolle spielte, dass die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 eine herbe Schlappe erlitten hatte?

Pyta: Strategisch hatte sich für die NSDAP durch den Dämpfer der Novemberwahl nichts verändert. Weiterhin waren die Nationalsozialisten mit den Kommunisten in der Lage, den Reichstag zu blockieren. Es gibt keinen einzigen Beleg, dass sich aus Sicht Hindenburgs dadurch irgendetwas geändert hätte. Hindenburg war bereit, einen Kanzler Hitler zu akzeptieren, wenn er selbst als Regisseur im Hintergrund die Zusammensetzung eines Kabinetts der politischen Rechten bestimmen und die entscheidenden Direktiven erteilen konnte.

WELT ONLINE: Was war Hitlers wesentliches Versprechen an Hindenburg?

Pyta: Den Reichspräsidenten von der als lästig empfundenen Praxis des Regierens mit Notverordnungen zu befreien. Das sollte über letztmalige Neuwahlen und dann ein vom neuen Parlament mit verfassungsändernder Mehrheit verabschiedetes Ermächtigungsgesetz erfolgen, das den Reichstag formal völlig legal entmachtete. Hindenburg hatte übrigens schon einmal während der Regierung Brüning mit dem Gedanken an ein solches Gesetz gespielt.

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WELT ONLINE: Der Hindenburg-Vertraute Papen soll Ende Januar 1933 gesagt haben: „In sechs Wochen haben wir Hitler so in die Ecke gedrängt, dass er quietscht.“ Ihrer Ansicht nach teilte der Reichspräsident diese Auffassung nicht?

Pyta: Papen war kein Seelenverwandter Hindenburgs, auch wenn er sich das vielleicht eingebildet hat. Schleicher hatte ihn ja im Juni 1932 als Notlösung aus dem Hut gezaubert; Hindenburg kannte den neuen Reichskanzler bis dahin gar nicht. Ein Vertrauensverhältnis gab es nur insoweit, als der Reichspräsident später, im Dezember 1932 und im Januar 1933, Papen mit der diffizilen Aufgabe betraute, hinter dem Rücken Schleichers endlich eine Koalition der nationalen Rechten zustande zu bringen. Aber mehr als eine politische Zweckpartnerschaft mit einem Gehilfen war das nicht.

WELT ONLINE: Gemeinhin gilt der Hindenburg des Jahres 1933 als seniler tumber Tor, gesteuert von einer Kamarilla um Papen, den Staatssekretär Otto Meißner und den „in der Verfassung nicht vorgesehenen“ Sohn Oskar von Hindenburg.

Pyta: Der Reichspräsident war nie eine Marionette in den Händen seiner Berater. Im Gegenteil hat der Charismatiker Hindenburg schon im Ersten Weltkrieg stärker als Politiker denn als Militär gewirkt, damals noch ohne ein politisches Mandat. Er hatte stets einen sicheren Instinkt für Macht, für Herrschaft, übrigens auch für Geschichtspolitik, und er war auch Anfang 1933 keineswegs altersschwach. Zwar körperlich etwas eingeschränkt, aber geistig stets auf der Höhe, wusste er immer, was er tat. Hinter Hitlers Ernennung steckte eine rationale Entscheidung Hindenburgs: Er sah die Chance, statt einer allein auf die präsidiale Macht gestützten autoritären Regierung seine Vision von der „Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen.

WELT ONLINE: Hindenburg hatte Hitler am 30. Januar 1933 eine große Machtfülle übertragen, doch die nahezu vollständige Macht über Deutschland eroberte sich die NSDAP erst in den folgenden Monaten. Welche Rolle spielte der Reichspräsident während der Monate, in denen die Diktatur errichtet wurde?

Pyta: Hindenburg ließ Hitler gewähren. Seit dem Tag von Potsdam war er überzeugt, dass er seine Aufsichtsbefugnisse ruhen lassen könne. Dieser 21. März 1933 war der Beginn einer vertieften Beziehung zwischen Präsident und Kanzler. Hitler gab Hindenburg die Möglichkeit, sich auf die Rolle des verehrten Feldmarschalls, des Symbols für die Einheit der Nation zurückzuziehen. Hindenburg verzichtete fortan darauf, seine präsidialen Rechte zu nutzen. Natürlich war Hitlers Regime schon 1933 eine Diktatur, aber wir dürfen nicht vergessen: Der größte Teil des deutschen Volkes entledigte sich freiwillig seiner politischen Freiheitsrechte.

WELT ONLINE: Bis heute verschollen ist ein vertraulicher Brief an Hitler, den Hindenburg am 11. Mai 1934 geschrieben hat und der sein politisches Testament ergänzen sollte. Hitler hat nie über den Inhalt dieses Schreibens gesprochen. Was, glauben Sie, hat darin gestanden?

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Pyta: Da kann ich nur spekulieren. In dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Teil des Vermächtnisses legte Hindenburg Rechenschaft ab, die in der Aussage mündet, dass die Ernennung Hitlers die richtige Entscheidung gewesen sei. Es liegt nahe, in dem persönlichen Schreiben an den Reichskanzler eine Art „Wunschliste“ Hindenburgs zu vermuten – dabei könnte es sich um die Empfehlung gehandelt haben, die Monarchie in Deutschland zu restaurieren. Wenn es so gewesen sein sollte, wäre das aber gewiss eine politisch unverbindliche Empfehlung gewesen. Genau wissen werden wir das wohl nie, weil es nach dem Sommer 1934 keinen einzigen Hinweis mehr gibt, was aus diesem Schreiben geworden ist.

WELT ONLINE: Sie haben eine mehr als tausendseitige Biografie über Hindenburg geschrieben. Was macht gerade ihn so spannend, dass Sie acht Jahre Forschertätigkeit auf ihn verwendet haben?

Pyta : Zwei Umstände sorgen dafür, dass man so viel Zeit ohne jede Langeweile mit Hindenburg zubringen kann. Erstens, dass er grundlegende Entscheidungen in der wahrscheinlich turbulentesten Zeit der deutschen Politik im 20. Jahrhundert getroffen hat. Kein Politiker hat in den zwei Jahrzehnten von 1914 bis 1934 mehr Einfluss gehabt als er. Zweitens lässt sich an Hindenburg geradezu idealtypisch zeigen, wie die einer Person zugeschriebene symbolische Kraft zu politischer Herrschaft werden kann. Hier verschränken sich Kultur- und Politikgeschichte besonders eng. Das hat mich methodisch fasziniert.

*Wolfram Pyta: Hindenburg. Siedler, Berlin. 1117 S., 49,95 Euro

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