Otto Nagel, der Maler aus dem Roten Wedding

Otto Nagel, der Maler aus dem Roten Wedding

Das Museum Eberswalde erinnert an den „Menschensucher“ aus der frühen DDR.

Vor Otto Nagels „Selbstporträt“ zu Zeit des NS-Malverbots, links Nagels Frau „Walli“
Vor Otto Nagels „Selbstporträt“ zu Zeit des NS-Malverbots, links Nagels Frau „Walli“Lars Wiedemann

Ein belesener, ein nachdenklicher Mann, mit dem man ein Bier trinken und ein Kippe rauchen konnte – so ein Typ war der Präsident der DDR-Akademie der Künste Ende der Fünfzigerjahre. Kein Apparatschik der Ulbricht-Zeit. Ein Menschenmaler. Einer, der sich gegen die Formalismus-Debatte der Stalinisten wehrte und trotzdem glaubte, dieses neue, andere Ostdeutschland stehe für eine bessere, menschlichere Welt.

Der Berliner Maler Otto Nagel (1894–1967) war ein hagerer Typ mit wachem Blick, Nickelbrille, einem dichten, struppigen Oberlippenbart. Er macht den Eindruck eines Mannes, dem das Einfache immer gut genug war für seine alltäglichen Ansprüche. Das abgetragene Jackett sagt alles: Dieser Maler, Akademiepräsident (1956–1962), AdK-Lehrer unter anderem des jungen Malers Harald Metzkes, war geerdet.

Der Tischlersohn aus dem Roten Wedding war sozialisiert im Milieu der kleinen Leute, der Sozis, ein gelernter Glasmaler, der lieber Menschen aus dem Kiez porträtierte, sie in sprödem, erdigen Stil kunstwürdig machte: den Briefträger, die Waschfrau, den Kohleträger, den Budiker von der Ecke, die dreckigen hungrigen Kinder, die Bordsteinschwalbe vom Nettelbeckplatz, den Kriegskrüppel. Diese Bilder gehören zum Großteil der Nationalgalerie. Zu sehen sind sie seit Jahrzehnten kaum. Selbst in der späten DDR waren sie im Schubkasten „proletarisch-revolutionäre Kunst“ eher im Otto-Nagel-Haus an der Wallstraße separiert denn gewürdigt.

Blick in die Ausstellung mit Otto Nagels Gemälden in der Kleinen Galerie Eberswalde.
Blick in die Ausstellung mit Otto Nagels Gemälden in der Kleinen Galerie Eberswalde.Lars Wiedemann

Nagel, befreundet mit Käthe Kollwitz und Heinrich Zille, war 20, als der Erste Weltkrieg begann. Er verweigerte den Kriegsdienst, kam ins Straflager. 1918 trat er in die KPD ein. Sein Malstil war der Sozialkritik Hans Baluscheks verwandt. Dafür hassten ihn die Nazis. Otto Nagel, der linke Maler, Buchautor und Eulenspiegel- Herausgeber, wurde nach 1933 zum „Entarteten“, kam ins KZ Sachsenhausen. Wieder draußen, verlegte er sich auf unpolitische Häusermotive – Metaphern der inneren Emigration – zugleich wurde er Chronist einer Architektur, die 1944/45 im Bombenhagel verging.

Diesem Maler widmet das Museum Eberswalde gerade eine Ausstellung. Kenntnisreich kuratiert vom aus Karlsruhe stammenden Kunsthistoriker und ausgewiesenen DDR-Kunst-Kenner Eckhart Gillen. Otto Nagel sei zu Unrecht fast vergessen, sagt Gillen und versammelt 19 Bilder aus allen Lebensphasen des Malers, darunter das beredte Selbstporträt aus der NS-Zeit, zwischen Widerstand und Anpassung. Gefühle, die sich wiederholten in der frühen stalinistischen DDR, als man Nagel nötigte, „sozialistische Helden“ darzustellen, er aber weiter lieber die Mühseligen und Beladenen malte.

Eberswalde, Museum, Kleine Galerie, Steinstr. 3, bis 2. April 2023, Di–So 10–13/14–17 Uhr. Der Katalog „Otto Nagel. Menschensucher und Sozialist“ zur Ausstellung mit einem Essay von Eckhart Gillen und Nagels Hauptwerken kostet 10 Euro.