Sommereggers Klassikwelt 192: Der unverwüstliche Dirigent Otto Klemperer prägte eine ganze Ära

Sommereggers Klassikwelt 192: Der unverwüstliche Dirigent Otto Klemperer prägte eine ganze Ära

Foto: de.wikipedia.org

In dieser Woche sind es 50 Jahre, dass der bedeutende Dirigent Otto Klemperer in seinem Alterswohnsitz Zürich starb. Sein 88 Jahre dauerndes Leben ist ein Spiegelbild der ungeheuren Umwälzungen in dieser Zeit. Voll von politischen und persönlichen Katastrophen erscheint Klemperer in der Rückschau wie ein Monolith, der allen Stürmen widerstanden hat.

 

von Peter Sommeregger

Geboren 1885 in Breslau in eine jüdische Familie, studierte er am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt, später am Stern’schen Konservatorium in Berlin Klavier und Komposition. 1905 begegnete er erstmals Gustav Mahler, als er als Assistent Oskar Frieds bei einer Aufführung von Mahlers 2. Symphonie das Fernorchester dirigierte. Mahler empfahl ihn später Angelo Neumann als Chorleiter und Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag. Als in München 1910 Mahlers monumentale
8. Symphonie, die „Symphonie der Tausend“ uraufgeführt wurde, amtierte Klemperer als Mahlers Assistent. Klemperer wurde in späteren Jahren zum glühenden Verfechter von Mahlers Werk, dessen endgültige Durchsetzung nicht zuletzt auch ihm zu danken ist.

Nach seiner Tätigkeit in Prag wirkte Klemperer an den Stadttheatern von Hamburg, Barmen und Straßburg, wo er Assistent Hans Pfitzners war. Von 1917 bis 1924 bekleidete Klemperer das Amt des Generalsmusikdirektors des Opernhauses Köln, wo er neben dem Kernrepertoire auch zeitgenössische Werke aufführte. Hier lernte er auch die Sängerin Johanna Geisler kennen, die er 1919 heiratete. Im gleichen Jahr ließ sich Klemperer katholisch taufen, die jüdische Glaubensgemeinschaft hatte er bereits 1910 verlassen.

Nach drei Jahren als GMD in Wiesbaden wurde Klemperer schließlich 1931 zum Leiter der so genannten Krolloper in Berlin bestellt. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 realisierte er an diesem Haus eine Reihe aufsehenerregender Produktionen von Opern Strawinskys, Janáčeks und Schönbergs. Das klassische Repertoire präsentierte er in wegweisenden modernen Bühnenbildern und Inszenierungen.

Schon im Frühjahr 1933 wurde er von den neuen Machthabern mit einem Aufführungsverbot belegt, löste seine Berliner Wohnung auf und verlegte seinen Wohnsitz mit Ehefrau und mittlerweile Sohn und Tochter ins schweizerische Zürich. Europa war für Otto Klemperer unsicher geworden, er nahm eine Stellung als Music Director beim Los Angeles Philharmonic Orchestra an, die er bis 1939 ausübte. Anfangs pendelte Klemperer noch zwischen den USA und Europa, da seine Familie vorübergehend in Wien lebte. 1935 übersiedelte aber auch Klemperers Frau mit den Kindern in die USA.

Nach dem zweiten Weltkrieg begann Klemperer wieder in Europa zu konzertieren und pendelte zeitweise zwischen den Kontinenten. 1947 übernahm er die Leitung des Budapester Opernhauses, die er bis 1950 behielt. Seinen Wohnsitz nahm Klemperer ab 1954 endgültig in Zürich.

Der Schallplatten-Produzent Walter Legge bot Klemperer 1959 die Position des Chefdirigenten auf Lebenszeit beim Philharmonia Orchestra London an. Mit dem ab 1964 als New Philharmonia Orchestra auftretenden Klangkörper realisierte der Dirigent eine kaum überschaubare Zahl von Einspielungen, die von Mozart-Opern über Wagners „Fliegenden Holländer“, von Beethoven-Symphonien und Bach’schen Werken bis Bruckner, Hindemith und Richard Strauss reichten. Mit diesen altersweisen, trotzdem teilweise kontrovers aufgenommenen Dokumenten festigte Klemperer seinen Ruf als einem der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

Nach dem Tod seiner Ehefrau übernahm seine Tochter Lotte die Rolle der Begleiterin und Sekretärin. Seinem Sohn Werner glückte in den USA eine erfolgreiche Karriere als Schauspieler. Um das Jahr 1967 verließ Klemperer wieder die katholische Kirche und „kehrte zum Glauben der Väter zurück“. Konsequenterweise wurde er auch auf dem jüdischen Friedhof von Zürich bestattet.

Gesundheitlich hatte der groß gewachsene Mann mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Nach der Entfernung eines Gehirntumors blieben ihm Lähmungserscheinungen der rechten Körperhälfte bis zum Ende seines Lebens erhalten. Ich erinnere mich an zwei Konzerte, die Klemperer 1969 in München mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gab. Mendelssohns Sommernachtstraum-Musik habe ich nie wieder so tief ausgelotet wie von ihm gehört, dabei war seine Zeichengebung minimalistisch, aber die Aura des gebeugten alten Mannes war eindrucksvoll im Saal zu spüren.

Otto Klemperer war auch Komponist, er schrieb mehrere Symphonien, zahlreiche Lieder und sogar eine nie aufgeführte Oper. Vielleicht findet sich ja eines Tages eine Gelegenheit, sie zur Aufführung zu bringen.

Als einer der großen Pultstars des 20. Jahrhunderts wirkt sein Ruhm bis heute nach, seine Schallplatten erleben permanent Neuauflagen. Man kann sie fast ausnahmslos empfehlen!

Peter Sommeregger, 4. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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