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Wie der BND von der Affäre Otto John profitierte

Im Sommer 1954 erlebte die Bundesrepublik ihren ersten Agentenskandal: Der Chef des Verfassungsschutzes war in die DDR gewechselt. Mitgemischt hatten die Konkurrenten von der Organisation Gehlen.
Der Verfassungsschutzchef Otto John wechselte im Sommer 1954 die Seiten – wohl als Folge des Dauerkonfliktes zwischen verschiedenen Nachrichtendiensten Der Verfassungsschutzchef Otto John wechselte im Sommer 1954 die Seiten – wohl als Folge des Dauerkonfliktes zwischen verschiedenen Nachrichtendiensten
Der Verfassungsschutzchef Otto John wechselte im Sommer 1954 die Seiten – wohl als Folge des Dauerkonfliktes zwischen verschiedenen Nachrichtendiensten
Quelle: picture-alliance/dpa

Freunde bespitzelt man nicht, ist gegenwärtig dauernd zu hören. Nach der hysterischen Aufregung über die NSA, die angeblich oder tatsächlich Angela Merkels Handy abgehört hat, muss sich jetzt der Bundesnachrichtendienst Vorhaltungen gefallen lassen, weil die Auslandsagenten ihren Job gemacht und in der Türkei Informationen gesammelt haben.

Dabei gehört derlei schon immer zur Aufgabe von Geheimdiensten. Manchmal treiben es solche Organisationen sogar noch wilder und bekämpfen Schwesterinstitutionen im eigenen Land.

Sommer 1954: Die Organisation Gehlen (OG), Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, hatte Otto John, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, seit Monaten unter Druck gesetzt. Dem Bundeskanzleramt etwa wurden Misserfolge der Kölner Kollegen genüsslich vorgerechnet.

Ein Verräter?

Mutmaßlicher Grund für die scharfe Konkurrenz: John hatte im Zweiten Weltkrieg in Kontakt zum militärischen Widerstand gestanden und nach dem Scheitern des 20. Juli 1944 gerade noch flüchten können. Deshalb hielten ehemalige Nachrichtendienstler der Wehrmacht in der OG ihn für einen „Verräter“.

Auf Wunsch der britischen Besatzungsmacht war John dennoch Chef des bundesdeutschen Inlandsnachrichtendienstes geworden. Die Amerikaner dagegen machten den ehemaligen Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen, zum Leiter eines gegen die DDR und die Sowjetunion gerichteten Geheimdienstes.

Intern flogen die Fetzen. Otto John, ein Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung, sah die Basis seiner Vertrauensstellung schwinden. Vermutlich deshalb entschloss er sich zu einem radikalen Schritt.

Ungewohnt emotional

Am 19. Juli 1954 flog John mit seiner Frau von Köln nach West-Berlin, um an den offiziellen Gedenkfeiern für die Opfer des gescheiterten Staatsstreichs gegen Hitler teilzunehmen. Doch er wirkte fahrig, ungewohnt emotional – irgendetwas war los.

Am Abend des 20. Juli verließ John gegen 19.40 Uhr sein Hotel; bei sich hatte er nur einen Ausweis auf einen falschen Namen und immerhin 750 Mark Bargeld. Zu seiner Frau, die sich nicht wohl fühlte, hatte er zuvor nur gesagt, er wolle sich noch mit Bekannten treffen.

Tatsächlich war er verabredet mit zwei britischen Offizieren, doch er erschien zu dem Termin nicht. Als die beiden Nachrichtendienstler begannen, sich ernsthafte Sorgen zu machen und bei Frau John im Hotel anriefen, konnte sie ihnen auch nicht mehr mitteilen, als dass ihr Mann einen „Bekannten aus der Sowjetzone“ habe treffen wollen.

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In Wirklichkeit suchte der Verfassungsschutzchef offenbar in der Uhlandstraße seinen alten Freund Wolfgang Wohlgemuth auf, einen Gynäkologen und Chirurgen, den er fast immer zu besuchen pflegte, wenn er in West-Berlin war. Doch an diesem Abend machten die beiden einen ungewöhnlichen Ausflug.

Nach Ost-Berlin

Kurz nach 21 Uhr passierten Wohlgemuth und John an der Invalidenstraße die Sektorengrenze. Der diensthabende West-Berliner Zöllner machte die beiden Autoinsassen, die auf ihn ganz normal wirkten, routinemäßig aufmerksam, dass sie jetzt in den Sowjetsektor führen. „Ja, da wollen wir auch hin. Wir müssen zur Charité“, bekam er aus dem Wagen zur Antwort.

Noch in derselben Nacht kam Wohlgemuth allein zurück, parkte gegen Mitternacht in der Uhlandstraße und brach schon um fünf Uhr morgens wieder auf. Seine Sprechstundenhilfe fand an diesem Morgen, als sie wie gewohnt zur Arbeit kam, eine rätselhafte Notiz vor.

„Ein bestimmter Vorfall, der eventuell einen falschen Verdacht auf mich lenken könnte, veranlasst mich, heute in die Charité zu gehen“, hieß es da: „Es handelt sich darum, dass Herr John nicht mehr nach dem Westsektor zurückkehren will. Nun könnte ich dadurch in Verdacht geraten, ich hätte ihn beeinflusst. Bis zur Klärung werde ich abwarten.“

Schon wenige Stunden nach Johns Verschwinden glaubte bei der West-Berliner Polizei niemand mehr an eine Entführung des Verfassungsschützers nach Ost-Berlin. Seine Dienstbezüge wurden noch am Abend des 21. Juli 1954 ausgesetzt, und am nächsten Morgen informierten die Ermittler die Bundesregierung.

Protest gegen Adenauer?

Bald meldete der DDR-Hörfunk eine Sensation: „Der Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes, Herr Dr. Otto John, hat am 20. Juli mit verantwortlichen Persönlichkeiten der DDR eine Aussprache im demokratischen Sektor geführt. Herr Dr. John entschloss sich, sich aus politischen Erwägungen den Behörden der DDR zur Verfügung zu stellen.“

Der Verfassungsschutzchef protestiere damit gegen die Reaktivierung von Nationalsozialisten im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik. Er vollziehe den Übertritt in die DDR jetzt, weil absehbar sei, dass Konrad Adenauers Politik sich verschärfen werde.

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Mitte August 1954 trat Otto John höchstpersönlich in Ost-Berlin vor die Presse und wiederholte in etwa das, was in einer unter seinem Namen veröffentlichten Erklärung vom 22. Juli gestanden hatte. „Ich habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, in die DDR zu gehen und hier zu bleiben, weil ich hier die besten Möglichkeiten sehe, für die Wiedervereinigung Deutschlands und gegen die Bedrohung durch einen neuen Krieg tätig zu sein.

Getrieben von den ungeliebten Kollegen von der Organisation Gehlen, war Otto John auf ein diskret vorgetragenes Gesprächsangebot des KGB eingegangen. In Ost-Berlin wollte er möglicherweise mit Vertretern der Sowjetunion eine Initiative für die Wiedervereinigung besprechen, die John in der Bundesrepublik erhebliches politisches Gewicht verschaffen würde –in der Auseinandersetzung mit der Pullacher Konkurrenz.

Der Plan der Sowjets

Doch der KGB hatte anderes vor: „Wir wollten ihn überreden, nicht nach Westdeutschland zurückzukehren, sondern offen mit Adenauer zu brechen und eine entsprechende politische Erklärung abzugeben“, berichtete Jahrzehnte später Sergei Kondraschow, der auf sowjetischer Seite an der Operation beteiligt war.

Als Otto John klar wurde, dass sein Plan eine Illusion gewesen war und er zum Spielzeug im Geheimdienstkrieg werden sollte, weigerte er sich, weiter mitzumachen. Er wurde am 24. August 1954 nach Moskau gebracht und dort verhört.

Nach der Rückkehr in die DDR im Dezember 1954 stand er unter dauernder Stasi-Bewachung. Erst ein Jahr später, Ende 1955, konnte er sich mit Hilfe eines dänischen Journalisten wieder in den Westen absetzen.

Doch in der Bundesrepublik war John nicht willkommen. Die Organisation Gehlen, inzwischen kurz vor der offiziellen Umbenennung in Bundesnachrichtendienst, munitionierte offenbar Ermittler und Öffentlichkeit mit Informationen über Johns 510 Tage im Ostblock. Die Gewichte der bundesdeutschen Nachrichtendienste hatten sich erheblich zugunsten der OG verschoben.

Der ehemalige Verfassungsschutzchef wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Bis zu seinem Tod 1997 mühte sich Otto John um eine Rehabilitierung – doch erfolglos. Sein seltsamer Seitenwechsel und bewusst gestreute Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit wirkten fort.

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