Markus Lanz im ZDF: Militärexpertin vergleicht Ukraine-Krieg mit Fernsehserie
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„Enorme Versorgungsproblematik“: Lambsdorff bei Lanz pessimistisch zur Gas-Lage inmitten Ukraine-Krieg

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Die Gäste bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 22.06.2022.
Die Gäste bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 22.06.2022. © Cornelia Lehmann/ZDF

Bei Markus Lanz spricht FDP-Politiker Lambsdorff von einer „enormen Versorgungsproblematik“ mit Blick auf Gas. Talk-Gast Gaub vergleicht den Ukraine-Krieg mit einer Fernsehserie.

Hamburg – „Es wird ungemütlich in Deutschland“, sagt Markus Lanz zum Auftakt seiner Sendung. Notfallpläne, Industrie ohne Strom und Gas, Menschen frieren in ihren Häusern - das alles stehe uns bevor. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff pflichtet ihm bei: „Wir haben eine enorme Versorgungsproblematik.“

Doch wie kann man der Krise begegnen? Darüber ist die Runde uneins. Energiesparen? Überteuertes Flüssiggas aus den USA per Schiff heranschaffen? Oder es lieber gleich per umweltschädlichem Fracking aus dem deutschen Boden pressen? Russland an den Verhandlungstisch bringen, um einen Frieden in der Ukraine und damit auch Gaslieferungen sicherzustellen?

Markus Lanz piekst Lambsdorff an: „Haben Sie mal gewarnt?“

Lambsdorff schießt eine Breitseite gegen die Altkanzlerin: „Was wir nicht geschafft haben in 16 Jahren Merkel, ist, ein einziges Flüssiggasterminal zu bauen in Deutschland.“ Doch sein Angriff misslingt. Lanz dreht die Lanze des FDP-Manns um: „Vier Jahre waren sie ja da auch dabei als FDP. Haben Sie da mal laut gewarnt? Ich hab das nicht im Kopf.“

Dem kann Lambsdorff nicht viel entgegensetzen. Energieökonomin Claudia Kemfert setzt noch einen drauf: Sie kritisiert, dass man damals in Deutschland sogar noch eine zweite Pipeline nach Russland bauen wollte, um die Abhängigkeit von russischem Gas weiter zu erhöhen. „Nordstream 2 noch zu planen in einer Zeit, wo Russland schon Krieg führt“, sagt Kemfert, „und die Abhängigkeit nochmal zu erhöhen auf über 50 Prozent“ – das sei damals „der totale Wahnsinn“ gewesen.

Markus Lanz: Publizist Weimer warnt - „Die größte Rezession, die wir je hatten“

Um die jetzige Krise zu meistern, empfehlen Kemfert und Lambsdorff sogenannte Auktionsmodelle. Unternehmen sollen sich gegenseitig überbieten, und der Sieger bekommt das Gas. Ob das alles schnell genug funktioniert, bleibt offen. Publizist Wolfram Weimer warnt vor dem 11. Juli, wenn die Russenröhre komplett abgeschaltet wird wegen Wartungsarbeiten. „Da tickt ‘ne Uhr“, sagt Lanz.

Kemfert beschreibt den Status Quo: „Jetzt kaufen wir den Asiaten das Gas weg, und das zu horrenden Preisen. Da zahlen wir einen hohen Preis.“ Militärexpertin Florence Gaub hingegen sieht Russlands Machthaber Wladimir Putin nur als Spieler. Nicht ihr einziger, seltsamer Vergleich, sie wird sich später noch erheblich steigern. „Wenn er mit der Atombombe droht, das ist alles so eine Art Theater. Ich habe es als PR-Gag bezeichnet. Es ist politisches Theater“, sagt Gaub. „Das ist das, was er gekonnt einsetzt. Die Strippen, die er an uns dran hat, die zieht er sehr gekonnt.“ Weimer hingegen sieht es eher nüchtern: „Es kommt die größte Rezession auf uns zu, die wir je hatten.“

Lambsdorff freut sich über die Geschlossenheit des Westens: „Wir haben jetzt den EU-Gipfel vor uns, den Nato-Gipfel und den G7-Gipfel. Da kommen die großen Nationen der Welt zusammen und haben eine sehr, sehr klare Ansage, dass sie die Art und Weise nicht akzeptieren, wie Putin hier versucht, die Grenzen in Europa zu verschieben. Ich glaube, dass die Einigkeit der Nationen des Westens Putin überrascht hat.“

Markus Lanz: Publizist Weimar sieht westliche Niederlage beim „globalen Machtkampf“

Diese Gäste diskutierten mit Markus Lanz:

  • Wolfram Weimer (Publizist)
  • Florence Gaub (Sicherheits- und Militärexpertin, Zukunftsforscherin)
  • Alexander Graf Lambsdorff (FDP-Politiker)
  • Claudia Kemfert (Energieökonomin)

„Global stimmt das natürlich nicht“, sagt Weimer und lenkt das Augenmerk in die andere Richtung auf dem Globus. „Die Chinesen springen ihm bei, da wird einem ja schaurig. Den asiatischen Raum haben wir nicht gewonnen.“ Niemand außerhalb der kleinen sogenannten „westlichen Welt“ spreche von einem Angriffskrieg. Weimer erklärt: „Den globalen Machtkampf, Russland zu isolieren, haben wir, wenn wir ehrlich sind, verloren.“ Gaub pflichtet ihm bei: „Viele arabische Staaten, afrikanische Staaten, die wollen eigentlich am liebsten neutral bleiben.“

Markus Lanz: Nebenkosten als sozialer Sprengstoff - „Aber sowas von“

Die Konsequenzen der Sanktionen muss nicht Russland tragen, sondern der Westen selbst, macht Lanz klar. „Wir haben jetzt ein veritables Inflationsproblem.“ Die Nebenkostenabrechnung werde für viele Verbraucher in Deutschland „bis zu viermal höher ausfallen“. Sozialen Sprengstoff nennt Claudia Kemfert das Ergebnis. „Aber sowas von“, sagt Lanz.

Wie sehr die Sanktionen des Westens nach hinten losgehen, macht Lanz mit einer kleinen Situationsbeschreibung deutlich: „Auf den Weltmeeren sind reihenweise Schiffe unterwegs, die das GPS ausschalten, nicht mehr getrackt werden können. Russische Schiffe oder Schiffe im Auftrag Russlands, die Öl beispielsweise nach Indien schaffen. Die Inder verarbeiten in einer unglaublichen Menge Erdöl und verkaufen es dann für teures Geld zurück zu uns. Deutsche Steuerzahler bezahlen das. Das ist Wahnsinn.“

Markus Lanz: Weimer zweifelt an „Sanktionspolitik“ - „funktioniert in Wahrheit nicht.“

Auch Weimer stellt der deutschen Politik ein schlechtes Zeugnis aus: „Die Hoffnung, dass unsere Sanktionspolitik in Russland etwas bewirkt, die verliere ich zusehends. Der erzeugt einen Krieg, eine Verknappung, die Preise steigen und er profitiert am Ende noch davon. In Wahrheit funktioniert unsere Sanktionspolitik nicht.“ Für ihn geht die Dramatik noch weiter: „Wenn die Chinesen jetzt bei den Russen sind, dann haben wir strategisch etwas verloren im weltpolitischen Mächtespiel. Auch wenn wir es überhaupt nicht hören wollen.“

Lambsdorff kann der Runde wenig Mut machen: „China wird nicht mehr der Markt für uns sein. Wir laufen in einen Kalten Krieg rein. Wir haben jetzt die Zwischenkriegszeit zwischen dem ersten Kalten Krieg und dem zweiten Kalten Krieg. Das ist, worauf wir uns einstellen müssen.“ Harte Worte. Darum mahnt Gaub, nicht zu sehr zu warnen. „Man nennt es in der Zukunftsforschung das Kassandra-Phänomen: Je schlimmer die Nachricht ist, die Sie überbringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass man Ihnen nicht zuhört.“ Darauf Lanz mit einem gefrierenden Lächeln: „Dann lasst uns doch mal mit dem Alarmismus weitermachen.“

Der Moderator findet „es ja interessant, was plötzlich alles diskutiert wird, speziell auch von grüner Seite, welche Tabus da plötzlich fallen“. Die Atomkraft sei wieder aktuell, die Grünen wollten sogar Kohlekraftwerke zurück. Selbst das extrem umweltschädliche Gas-Fracking sei plötzlich Thema. Kemfert kontert: „Wir sind in einer ernsten Lage, und diese ernste Lage muss in Maßnahmen münden“. Sie empfiehlt ganz im Sinne Lauterbachs ein „Booster-Programm“, kommt aber ebenso wie der Gesundheitsminister nicht umhin, auch die Nachteile aufzuzählen: „Sie müssen unter enormem Aufwand Wasser und Chemikalien tief in den Untergrund pressen.“ In Holland habe es dabei Erdbeben gegeben. Das Grundwasser wird verseucht. Menschen können die Luft, die aus dem Boden und bisweilen aus dem Wasserhahn kommt, mit dem Feuerzeug anzünden. Kurzum: Die Umwelt wird schwer beschädigt, teils zerstört, Menschen werden gefährdet.

Wirtschaftspolitiker Lambsdorff möchte auf die Zahlen schauen. „Wir haben das Sondervermögen…“ setzt er an, doch Lanz unterbricht ihn sofort. „Können wir das Wort Sondervermögen bitte mal abschaffen und Sonderschulden sagen. Als Steuerzahler dieses Landes lege ich Wert drauf. Ein Vermögen, das man nicht hat, ist kein Vermögen.“

Markus Lanz: FDP-Politiker Lambsdorff - In „einer Tsunami-Situation“ muss man auf die Atomkraft setzen

Aber wie nun der Lage Herr werden? Kemfert zählt drei Gründe auf, die gegen den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken sprechen: das Atomgesetz, die Sicherheitsanforderungen und die Prüfungen der Brennelemente. „Da braucht man eine längere Vorlaufzeit“, sagt sie.

„Die drei Gründe sind es nicht“, kontert Weimer. „In Wahrheit ist es der Vierte: Es fällt den Grünen einfach viel zu schwer, wieder ja zu sagen zur Atomkraft.“ Lambsdorff pflichtet ihm bei: Es gehe ja auch nicht um eine fundamentale Wende zurück zur Atomkraft. Aber „in einer Tsunami-Situation“ sei die Verlängerung eben nötig. Eine etwas unglückliche Metapher, eingedenk der tatsächlichen Tsunami-Situation, die 2011 das Unglück in Fukushima verursachte.

Lambsdorff erinnert an alte Krisenzeiten. Energiesparen per Gesetz sei grundfalsch. Er erinnert an die Idee mit den Autoaufklebern aus den 1980erJahren, auf denen „Ich bin Energiesparer“ stand. Jeder habe freiwillig mitgemacht. Es sei eine Idee seines Onkels gewesen, Otto Graf Lambsdorff, der später in der Flick-Affäre als erster FDP-Politiker im Amt wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Lanz schwelgt nun ebenfalls in der Vergangenheit und fragt nach einem „autofreien Sonntag“, wie es ihn in den 70er Jahren gab. Lambsdorff winkt ab: „In der Eifel, im bayerischen Wald, in der Uckermark, wenn Sie da einen autofreien Sonntag machen, dann machen Sie auch einen Oma-freien Sonntag und das muss nicht sein.

Markus Lanz zu Lambsdorff: „Dann besuchen Sie doch ihre Großmutter am Samstag.“

Lanz schmollt: „Dass jetzt immer die Oma rausgeholt wird, das ist wirklich unter unserem Niveau, echt.“ Lambsdorff erwidert: „Das ist das pralle Leben! “Der Talkmoderator kontert: „Dann besuchen Sie doch ihre Großmutter am Samstag, wo ist das Problem?“

Der Moderator schwenkt zur Ukraine, zum eigentlichen „Grund, warum wir das alles diskutieren. Weil es diesen fürchterlichen Krieg gibt“. Auch hier hat Weimer eine ganz nüchterne Ansicht: „Die Wahrheit ist: Die Ukraine wird diesen Krieg nicht gewinnen.“ Er fordert Waffenstillstandsverhandlungen und fragt rhetorisch: „Können wir einfach zugucken, dass jeden Tag 300 bis 500 junge Leute hingeschlachtet werden. Damit habe ich große Bauchschmerzen.“

„Das ist aber nicht unsere Entscheidung“, wirft Lanz ein. „Ja, ich finde doch“, sagt Weimer. „Tut mir leid, aber ich kann Ihnen überhaupt nicht zustimmen“, wirft Gaub ein. Die Militärexpertin erzählt von Artillerie und Luftabwehrgeschützen, vom Tanz der Waffen, dem ewigen Hin und Her. Und kommt zu dem Schluss: „Zu sagen, die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen, finde ich zynisch.“

Lanz will die Hintergründe ganz genau wissen: Dabei hält er die Hand, wie es für ihn so typisch ist: zwei zusammengekniffene Finger an der ausgestreckten Hand, als wolle er seinem Gegenüber einen Löffel reichen. Lambsdorff nimmt das virtuelle Besteck an, hat jedoch keine besonders schmackhafte Antwort. „Macron und Scholz rufen regelmäßig bei Putin an“, erzählt er. „Die Ergebnisse sind mit dem Wort ernüchternd diplomatisch beschrieben. Sie sind eigentlich entsetzlich, weil es wirkliche eine hasserfüllte Verstocktheit auf der anderen Seite gibt.“ Aber Lambsdorff will auch etwas Hoffnung machen: „Es gibt eine Rolle für die Diplomatie“, sagt er. „Die ist sehr diskret, die spielt sich hinter den Kulissen ab, und da muss sie auch im Moment bleiben.“

Weimer setzt zu einem neuen Versuch an. Den Spruch Gaubs, beim Tanz der Waffen gehe es immer hin und her, kann er nicht nachvollziehen. „Für mich ist das kein Tanz!“ Er bringt Henry Kissinger ins Spiel. Der sei ein ganz großer Mediator gewesen, habe völlig verfahrene Kriegssituationen gelöst, zwischen den USA und China, zwischen Israel und Ägypten. Einer wie Kissinger sei der richtige Mann, um „in einen Verhandlungsmodus einzutreten“. Gaub bleibt dabei. Sie will lieber „den Konflikt richtig auflösen“. Und das mit Waffen.

Markus Lanz: Florence Gaub - „Die erste Staffel meist die Interessanteste, und danach flacht es ab.“

Für den Ukraine-Krieg hat sie ein bemerkenswert schiefes Bild parat: „Wenn Sie es vergleichen mit irgendwelchen Fernsehserien, dann ist die erste Staffel meist die Interessanteste, und danach flacht es ab.“ Es folge oft eine gewisse Langeweile. Dass in dieser „Langeweile“ täglich Menschen sterben, spielt in ihrem Vergleich eine untergeordnete Rolle. „Dieser Status kann sich durchaus den ganzen Sommer noch hinziehen.“

Politikwissenschaftlerin Florence Gaub zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF).
Politikwissenschaftlerin Florence Gaub zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF). © Cornelia Lehmann/ZDF

Um das schiefe Bild in den rechten Rahmen zu rücken, lässt Lanz ein paar Kriegsbilder einspielen. Gaubs Argumentation kann er nicht nachvollziehen, da „tue ich mich schwer mit dem Vergleich einer Fernsehserie“.

Markus Lanz: Fazit des Talks

Lanz at its best: Erneut eine Diskussion wie am Spieltisch. Aus dem warmen, heimeligen Studio heraus wird erörtert, wie und mit welchen Waffen man welche Landgewinne machen und einen Krieg gewinnen kann. Wolfram Weimer war wohltuender Warner. Er sieht die Diplomatie am Zug. Der üble Vergleich des Kriegs in der Ukraine mit einer Fernsehserie gab der Diskussion einen zynischen Beigeschmack. (Michael Görmann)

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