Bundesrat - Textarchiv - Einer der bedeutendsten deutschen Ministerpräsidenten

Zum 150. Geburtstag von Otto Braun Einer der bedeutendsten deutschen Ministerpräsidenten

Foto: Otto Braun, Januar 1932

© Picture Alliance / Ullstein Bild

Historiker und Journalist Albert Funk über einen Politiker, der in schwierigen Zeiten für ein friedliches, freiheitliches und rechtsstaatliches Preußen arbeitete.

Als Otto Braun vor 150 Jahren, am 28. Januar 1872, im ostpreußischen Königsberg geboren wurde, war das neue deutsche Kaiserreich gerade ein Jahr alt. Es war als ein Bund der deutschen Fürsten von Preußen her betrieben und gegründet worden. Der lenkende Geist war der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck. Von Preußen her wurde dieses Reich auch wesentlich regiert. Bismarck übernahm das Amt des Reichskanzlers in Personalunion mit dem des Regierungschefs in Preußen – Berlin war eine doppelte Regierungszentrale. Das Verhältnis von Reich und Preußen war fortan, für mehr als sechs Jahrzehnte, eine wesentliche verfassungspolitische Frage in Deutschland. Es war das föderale Kernproblem. Denn im monarchischen Reich nach 1871 wie im republikanischen Reich nach 1919 galt eben, dass das riesenhafte Preußen –  es machte den überwiegenden Teil der Fläche, der Bevölkerung, der Wirtschaftskraft aus – alle anderen Länder überragte.

Und nicht nur das: Es dominierte immer auch die Reichspolitik. „Wer Preußen hat, hat das Reich“, lautete ein politischer Merksatz in der Weimarer Republik. In Preußen führte in jenen Jahren der Sozialdemokrat Otto Braun die Regierung, mit zwei kurzen Unterbrechungen von 1920 bis 1932. Er war einer der mächtigsten Politiker jener turbulenten, für das politische Denken und Handeln in Deutschland bis heute prägenden Jahre. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der historischen Erinnerung nach 1945, dass der eine Otto – der Monarchist Bismarck – für viele eine Heldengestalt blieb, der andere Otto aber – der Demokrat Braun – zur vergessenen Gestalt wurde.

Brauns frühes Leben

Otto Braun, Sohn eines kleinen Bahnangestellten, erlernte das Druckerhandwerk und schlug früh eine politische Karriere in der Sozialdemokratie ein. Er gründete eine Parteizeitung, arbeitete als Redakteur, warb in seiner agrarisch geprägten Heimat in der Landarbeiterschaft für die SPD, führte eine Ortskrankenkasse und saß im Königsberger Stadtparlament. Braun entwickelte sich schnell vom Parteilinken zum Verfechter einer pragmatischen Reformpolitik. „Doktorfragen“, wie er das eher theoriegeleitete Herangehen an politische Probleme einmal nannte, waren seine Sache nicht, ebenso wenig wortgewaltige Rednerauftritte. In seinen politischen Memoiren „Von Weimar zu Hitler“, geschrieben 1938 im Exil, findet sich die Einschätzung, „dass ein glänzender Redner und ein zielklarer, vorausschauender zäher Politiker und Staatsmann selten in einer Person vereinigt sind“. 

Foto: Otto Braun

Porträt Otto Braun - vermutlich um 1930

© Picture Alliance / Ullstein Bild

Erst mit 39 Jahren stieg er in die Reichspolitik auf, als Mitglied im SPD-Parteivorstand und Hauptkassierer der Partei. Seit 1913 saß er im preußischen Abgeordnetenhaus. Nach der Revolution 1919 trat er als Agrarminister in die preußische Staatsregierung ein. Damit begannen die Jahre, in denen Otto Braun deutsche Geschichte mitschrieb.

Preußischer Ministerpräsident

Am 27. März 1920 wurde der Endvierziger zum preußischen Ministerpräsidenten gewählt. Brauns erklärtes Ziel war es, Preußens Stellung im Reich für die Demokratie zu nutzen. Damals wie später hatte Preußen nicht den besten Ruf unter Demokraten. 1919 war eine Zerschlagung des Teilstaates ernsthaft im Gespräch gewesen, aber es blieb beim Status quo. Braun war Gegner einer Auflösung des Riesenlandes. Ihm ging es um die „friedlich-freiheitliche Gestaltung eines neuen Preußens“, das der jungen Demokratie das Rückgrat sein sollte. Preußen als stärkendes Element der neuen Republik, nicht mehr Hort der politischen Rückständigkeit, der Junkerherrschaft, der demokratiefernen Monarchie – das war Brauns Anliegen. Er hatte damit beträchtlichen Erfolg.

Denn Preußen wurde tatsächlich zum Stabilitätsfaktor. Hier regierte lange Zeit die „Weimarer Koalition“, gebildet aus SPD, dem katholischen Zentrum und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei. Es waren jene Kräfte, die Bismarck einst als Reichsfeinde tituliert hatte. Einige Jahre war auch die rechtsbürgerliche DVP Teil der Koalition - Braun war immer dafür, alle Kräfte zwischen den extremen Parteien der Rechten und Linken zusammenzubinden. Als einen „nüchternen Tatsachenmenschen“, dessen „Verwaltungs- und Regierungsstil als außerordentlich straff, wenn nicht autoritär galt“ – so hat ihn sein Biograph Hagen Schulze beschrieben. Damit eckte der preußische Ministerpräsident auch in seiner eigenen Partei an, die sich mit dem „Roten Zaren von Preußen“ immer wieder schwertat.

Labiler Bundesstaat

Der Weimarer Föderalismus war eine unausgewogene Konstruktion. Nach der Revolution waren die Verhältnisse im Vergleich zum Kaiserreich geradezu umgekehrt worden: Die Reichsebene wurde massiv gestärkt, die Einzelstaaten deutlich geschwächt. Braun versuchte in seinen ersten Amtsjahren, die Länderbefugnisse so weit als möglich zu konsolidieren. Da die Einzelstaaten die Reichsgesetze  aber umzusetzen hatten, war deren Verwaltungsmacht ein wichtiger Faktor für die politische Stabilität der Republik.  Nicht zuletzt Preußen war hier entscheidend – und damit eben die Frage, wer Preußen regierte.

Foto: Sonderbriefmarke Otto Braun

Sonderbriefmarke "Otto Braun - 1872 - 1955"

© Bundesfinanzministerium | Gestaltung des Postwertzeichens: Professor Florian Pfeffer

Braun trug mit seinen Kabinetten nicht wenig dazu bei, die Verhältnisse in den Zwanzigerjahren zu festigen. Dabei achtete er darauf, die Beamtenschaft so republiktreu wie möglich aufzustellen. Das galt nicht zuletzt für die Polizei, ein gewichtiger Faktor angesichts der phasenweise bürgerkriegsähnlichen Zustände in Teilen der Republik, als sich vor allem Nationalsozialisten und Kommunisten mal gegenseitig schlugen, mal gegen die Demokraten vertrugen.  Zudem nutzte Braun die gemeinsame ostpreußische Herkunft, um mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, was natürlich argwöhnisch beobachtet wurde.

Der Preußenschlag 1932

Nach 1930 begann der schrittweise Wandel vom parlamentarischen System der Verfassung über die per Notverordnung agierenden Präsidialregierungen hin zur Hitler-Diktatur. Ein entscheidendes Datum auf dem Weg in den Abgrund war die Entmachtung der preußischen Regierung am 20. Juli 1932 durch die Reichsregierung unter dem Kanzler Franz von Papen. Brauns Koalition hatte im April im Landtag die Mehrheit verloren, er amtierte nur noch geschäftsführend. Per Notverordnung des Reichspräsidenten (Brauns Verhältnis zu Hindenburg war erkaltet, der greise Präsident hörte nur noch auf sein weit rechts stehendes Umfeld) wurde Braun des Amtes enthoben. Papen setzte sich als Reichskommissar an dessen Stelle. Wer Preußen hat, hat das Reich – der Satz wurde nun umgebogen in die Devise, wer das Reich hat, muss Preußen haben. Mit der Quasi-Gleichschaltung des größten Landes hatten die antidemokratischen Kräfte das wichtigste Instrument in der Hand, um Deutschland in ihrem Sinne umzuformen.

Foto: Menschen auf der Straße

Ansammlungen vor dem Preußischen Innenministerium Unter den Linden 72 in Berlin - "Preußenschlag" am 20. Juli 1932

© Picture-Alliance / akg-images | akg-images

Zwar gab es Proteste anderer Länder, und Braun legte umgehend eine Beschwerde beim Staatgerichtshof ein. Der sanktionierte später den Putsch der Reichsregierung, entschied aber auch, dass Braun formell im Amt bleiben könne, wenn auch ohne jeden Einfluss. Es war eine Farce. Man hat Braun schnell vorgeworfen, zu defensiv gewesen zu sein. Er habe weder seine Polizei eingesetzt noch zusammen mit den Gewerkschaften einen Generalstreik angestrebt, lauteten Vorwürfe. Papen hatte sich allerdings für alle Fälle von Hindenburg auch den Einsatz der Reichswehr gegen Preußen erlauben lassen. Braun fürchtete unnützes Blutvergießen und setzte auf den Rechtsweg. In jener Situation, schrieb er 1941 in einem Brief an den früheren Reichskanzler Joseph Wirth, „gegen das Reich mit der Waffe in der Hand vorzugehen, wäre Sache eines Don Quichottes, nicht aber eines verantwortlichen Politikers gewesen“.

Für einen Gegenputsch gab es keinerlei Vorbereitungen – und auch keine Machtmittel. Die Weimarer Verfassung mit ihrem zentralistischen Charakter hatte das starke Reich als Ziel. Aber die Reichsebene funktionierte weitaus weniger gut als die Landesebene – Braun, der selber eine engere Verbindung von Reich und Preußen durchaus guthieß, unter völlig anderen Vorzeichen natürlich, war so auch ein Opfer einer missglückten Machtverteilung im Bundesstaat. Bald darauf wurde Braun vom neuen Reichskanzler Adolf Hitler endgültig abgesetzt. Der letzte preußische Ministerpräsident hieß Hermann Göring.

Exil und Nachkriegszeit

„Körperlich und seelisch gebrochen, menschlich und politisch gedemütigt“ (so Hagen Schulze) floh Braun am 4. März 1933 in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod blieb. Man hat ihm das, nicht zuletzt in seiner eigenen Partei, lange vorgeworfen – es war der Tag vor der Reichstagswahl, doch über deren Charakter, fünf Wochen nach der Machtübernahme der NSDAP, musste man sich keine Illusionen machen. Braun war zudem gewarnt worden, seine Festnahme stehe kurz bevor. Fortan lebte er in Ascona, bis 1945 unter teils ärmlichen Umständen, ohne festes Einkommen, seine Frau schwer erkrankt.

Nach Kriegsende engagierte sich Braun im Forum „Das Demokratische Deutschland“, in dem sich Politiker der alten Weimarer Koalition in der Schweiz zusammenfanden, um am Neuaufbau teilzunehmen. Aber der nunmehr 73-Jährige hatte weder die Kraft noch den Willen, sich ähnlich wie der frühere Zentrumsmann Konrad Adenauer (die beiden hatten zu Weimarer Zeiten nicht das beste Verhältnis) noch einmal für Führungsaufgaben bereitzuhalten. Sein Preußen, seine politische Heimat, war verschwunden. Er besuchte noch einige SPD-Bundesparteitage, aber mit der Politik der frühen Bundesrepublik hatte er nichts mehr zu tun. Braun, einer der bedeutendsten deutschen Ministerpräsidenten, starb am 15. Dezember 1955 in Locarno.

Foto: Büste von Otto Braun

Büste von Otto Braun

© Picture Alliance - dpa-Zentralbild | Soeren Stache

Auch zum neuen Bundesrat hatte Braun keine Verbindung mehr. In der Sitzung der Länderkammer am 21. Dezember 1955 erinnerte der damalige Bundesratspräsident Kai-Uwe von Hassel, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, kurz an den gerade Verstorbenen. „Das verdienstvolle Wirken dieses hervorragenden Demokraten darf auch künftig nicht vergessen werden“, sagte er.

Die neue Länderkammer war, wie die ganze bundesstaatliche Konstruktion des Grundgesetzes, gerade wegen der Weimarer Erfahrungen ganz anders konzipiert als der frühere Reichsrat, über den Braun vor 1932 im Reich nur eingeschränkt mitgestalten konnte. Eine kleine biographische Brücke hin zum Bundesrat gibt es. Brauns ehemaliger Mitarbeiter und Vertrauter Herbert Weichmann war als Hamburger Bürgermeister in den Sechzigerjahren Mitglied der Länderkammer und 1968/69 auch Bundesratspräsident.

Der Autor ist Journalist und Historiker. Er ist Verfasser des Buches „Kleine Geschichte des Föderalismus. Vom Fürstenbund zur Bundesrepublik“.

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