Saarland: Lafontaines politischer Abgang – Ein rechter Linker
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Lafontaines politischer Abgang – Ein rechter Linker

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Verwirrt Linke und ist von Linken verwirrt. Parteimitbegründer Oskar Lafontaine ist ausgetreten.
Verwirrt Linke und ist von Linken verwirrt. Parteimitbegründer Oskar Lafontaine ist ausgetreten. © dpa

Oskar Lafontaine verabschiedet sich von der politischen Bühne – bei der Landtagswahl im Saarland tritt er nicht mehr an, die Linkspartei ist für ihn schon Vergangenheit. Was war das für eine Karriere?

Frankfurt – Als Wladimir Putin die Ukraine überfallen ließ, hatte natürlich auch Oskar Lafontaine eine Meinung. „Den brutalen Bruch des Völkerrechts durch Wladimir Putin kann man nicht durch den Verweis auf die völkerrechtswidrigen Kriege der USA und ihrer Verbündeten rechtfertigen“, schrieb der Saarländer gleich am Morgen des Einmarschs.

Damit war das Muster vorgezeichnet, dem die immer noch vorhandene Fangemeinde des rot-roten Ex-Gurus bald vielstimmig folgen sollte: kein Urteil über Putin ohne sofortigen Verweis auf die Untaten des Westens.

Sicher, an der Verurteilung der russischen Aggression ließ die Formulierung keinen Zweifel aufkommen, das war wahrscheinlich auch ehrlich gemeint. Und wurde das Ganze nicht noch überzeugender dadurch, dass einer der schärfsten Nato-Kritiker es ausdrücklich ablehnte, Putins Krieg durch westliches Fehlverhalten zu rechtfertigen?

Das stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Lafontaines Text lässt sich ohne weiteres auch als trickreiches Manöver lesen, um „die völkerrechtswidrigen Kriege der USA und ihrer Verbündeten“ überhaupt noch in einem Atemzug mit Putins Krieg nennen zu können: Wenn dieses Verbrechen sich schon nicht rechtfertigen lässt mit den Taten des Westens, dann hat man sie doch wenigstens noch mal erwähnt.

Das ist nicht deshalb ein Problem, weil Kritik an der Nato unberechtigt wäre. Sondern es ist im Moment des beginnenden Angriffskriegs zynisch, weil es die Verurteilung Putins schon dadurch relativiert, dass es sie nicht wenigstens an diesem Tag für sich alleine stehen lässt.

Austritt aus der Linkspartei: Oskar Lafontaine zieht Schlussstrich

Was würde Oskar Lafontaine sagen, wenn die USA heute eine Intervention wie einst im Irak begännen? Würde er im gleichen Atemzug mit seiner Kritik an Washington darauf hinweisen, dass diese Intervention auch mit den skrupellosen Kriegshandlungen Russlands in Syrien „nicht zu rechtfertigen“ sei? Sehr unwahrscheinlich.

Dieser auf Facebook erschienene Text und eine Rede ähnlichen Inhalts im saarländischen Landtag – das waren die wohl letzten Beiträge des aktiven Politikers Oskar Lafontaine zu einem großen Thema der Zeit. An diesem Sonntag wird im Saarland gewählt, „Oskar“ kandidiert nicht mehr. Er geht in heftigem Streit mit großen Teilen der Linkspartei im kleinsten deutschen Flächenland, deren Führung er Manipulationen bei der Listenaufstellung für Wahlen vorwirft. So sieht das unschöne Ende einer großen Karriere aus.

Das Beispiel der Erklärung zum Ukraine-Krieg zeigt, wo der Mann nach all den Jahrzehnten gelandet ist: in jener Ecke des linken Spektrums, wo Menschen- und Freiheitsrechte dehnbar geworden sind wie Kaugummi, wenn es darum geht, die westlichen „Eliten“ möglichst plump für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen.

Selbst in der Erklärung zum Ukraine-Krieg brachte der Veteran seine Antiestablishment-Rhetorik unter: Wirtschaftssanktionen, schrieb er, „verschlechtern das Leben der Russen und Ukrainer und vieler Menschen in anderen Ländern, die von dem Wirtschaftskrieg betroffen sind – auch der Menschen in Deutschland mit geringerem Einkommen, die schon jetzt ihren Sprit und ihre Heizkosten kaum noch bezahlen können“.

So weit, so richtig, abgesehen davon, dass es bei den Menschen in der Ukraine nicht Sanktionen sind, die das Leben „verschlechtern“, sondern Putins Bomben. Aber was macht der „Linke“ Lafontaine? Befürwortet er einerseits die Sanktionen, die ja zur Befreiung der Ukraine von dem Aggressor dienen sollen, und fordert andererseits einen wirksamen Ausgleich für diejenigen bei uns, die sich den Preis der Freiheit individuell nicht leisten können? Nein, es folgt der unvermeidliche Schwenk auf die „Eliten“, zu denen offensichtlich alle gehören, die anderer Meinung sind: „Die Sanktionsbefürworter in Politik und Journalismus können höhere Energiepreise verkraften. Viele Menschen in Deutschland aber nicht.“

Oskar Lafontaine: Die Analyse einer komplizierten Politiker-Karriere

Will heißen: Die mit den fetten Gehältern (nun ja, viele Medienleute wissen es besser) haben mit den Armen nichts am Hut. Nur „Oskar“! Sarkastisch ließe sich fragen: Wenn Meinungen so simpel vom Portemonnaie abhängen, dann muss die heimische Haushaltslage beim Ehepaar Oskar Lafontaine/Sarah Wagenknecht ziemlich schlecht sein. Oder müssen wir vermuten, dass sie den „Eliten“, die sie beschimpfen, in Wahrheit selbst angehören? Oder sind sie doch fein raus, weil sie in einem dörflichen Vorort der Kreisstadt Merzig wohnen und deshalb nicht zu den „urbanen Schichten“ gehören, die ihnen so verdächtig sind?

Das eben beschriebene Muster gilt keineswegs nur für Fragen von Krieg und Frieden. Vor allem auch wenn es um soziale Themen geht, darf das Feindbild der Eliten, die sich angeblich lieber um Genderfragen und Geflüchtete kümmern als um materielle Gerechtigkeit, nicht fehlen.

Wichtige Stationen von Oskar Lafontaine

16.9.1943: Oskar Lafontaine wird in Saarlautern (heute Saarlouis) als Sohn einer Sekretärin und eines Bäckers geboren. Sein Vater kommt gegen Kriegsende als Soldat ums Leben.

14.6.1970: Der diplomierte Physiker, der inzwischen bei den Saarbrücker Stadtwerken arbeitet, wird erstmals für die SPD in den saarländischen Landtag gewählt. Der Partei ist er 1966 beigetreten.

9.4.1985: Lafontaine, seit 1976 Oberbürgermeister von Saarbrücken, wird Ministerpräsident des Saarlands, nachdem er die SPD bei der Wahl im März zur absoluten Mehrheit der Sitze geführt hat. Noch zweimal kann er diesen Erfolg wiederholen und bleibt bis 1998 Regierungschef.

28.1.1990: Der SPD-Vorstand nominiert Lafontaine als Kanzlerkandidaten.

25.4.1990: Bei einem Wahlkampfauftritt in Köln-Mülheim wird der Kandidat von einer psychisch kranken Frau mit einem Messerstich schwer verletzt.

2.12.1990: Die SPD mit Spitzenkandidat Lafontaine erhält bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl nur 33,5 Prozent, Helmut Kohl (CDU) bleibt Bundeskanzler.

16.11.1995: Oskar Lafontaine löst nach einer fulminanten Rede beim SPD-Parteitag und einer Kampfabstimmung Rudolf Scharping als Parteivorsitzenden ab.

27.9.1998: Die SPD mit Kanzlerkandidat Gerhard Schröder gewinnt die Bundestagswahl. Lafontaine, dessen Ambitionen auf eine erneute Kandidatur durch Schröders Sieg bei der Landtagswahl in Niedersachsen im März erledigt waren, wird in der rot-grünen Bundesregierung Finanzminister.

11.3.1999: Lafontaine tritt wegen Differenzen mit Schröder vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik von allen politischen Ämtern zurück. Auch die Beteiligung am Kosovokrieg kritisiert er in der Folgezeit heftig.

24.5.2005: Nach fast vier Jahrzehnten verkündet Lafontaine seinen Austritt aus der SPD.

18.9.2005: Als Mitglied der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) zieht Oskar Lafontaine über die offene Liste der PDS wieder in den Bundestag ein, wo er zusammen mit Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz übernimmt. Nach Gründung der Linkspartei 2007 übernimmt er auch deren Vorsitz.

30.8.2009: Als Spitzenkandidat der Linkspartei holt Lafontaine bei der Landtagswahl im Saarland 21,3 Prozent und wird dort Fraktionsvorsitzender. Auf den Fraktionsvorsitz im Bundestag verzichtet er. Noch zweimal führt Lafontaine die Linke in den Landtag und bleibt bis zum März 2022 deren Fraktionschef.

1.2.2010: Nach einer erfolgreich behandelten Krebserkrankung verlässt Oskar Lafontaine den Bundestag und gibt seinen Verzicht auf eine Kandidatur zur Wiederwahl als Vorsitzender der Linkspartei bekannt.

17.3.2022: Oskar Lafontaine verkündet seinen Austritt aus der Linkspartei. bel

Nun ist Lafontaine und Wagenknecht nicht vorzuwerfen, dass sie bei vielen Gelegenheiten die demütigende Hartz-IV-Politik, die ungleiche Verteilung von Reichtum und die Untätigkeit der Politik in diesen Dingen scharf kritisieren. Das ist vielmehr genauso legitim und notwendig wie ein kritischer Umgang mit der Nato. Und vielleicht war Lafontaines Rücktritt als Finanzminister der rot-grünen Koalition und SPD-Vorsitzender 1999, von vielen in der SPD bis heute als „Fahnenflucht“ verunglimpft, in Wahrheit ein Ausdruck von Haltung und Mut: Der Überzeugung, dass Gerhard Schröders Schwenk zur neoliberalen Agenda 2010 falsch war, opferte er in diesem Moment Amt und Karriere.

Das Problem ist, dass aus dem Beharren auf sozialer Gerechtigkeit ein Widerspruch zum Kampf für „bürgerliche“ Freiheiten konstruiert wird. Gerade so, als gäbe es zwischen Freiheit und Gleichheit kein „und“, sondern nur ein „oder“: Die Linke in Deutschland habe den „progressiven Neoliberalismus“ übernommen, zitierte die Deutsche Presse-Agentur den Saarländer in ihrem Abschiedstext. Themen wie Antirassismus, Feminismus, Diversity und Flüchtlingshilfe seien in den Vordergrund gerückt, die „Kernthemen“ von besseren Löhnen, Renten und Sozialleistungen seien aber vernachlässigt worden. Es klang wie eine vorweggenommene Austrittserklärung.

Man könnte meinen, diese antiliberale Verbissenheit sei eine Alterserscheinung des 78-Jährigen. Aber das wäre ein Irrtum, wie sich am Beispiel der Migrationspolitik zeigen lässt.

Widerstand gegen Zuwanderung gerhört bei Oskar Lafontaine schon länger zum Programm

Im Internet gibt es ein Video aus dem Jahr 2020. Es zeigt eine Diskussion Lafontaines mit dem Anwalt und CSU-Rechtsausleger Peter Gauweiler sowie Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“), der wegen seiner extrem rechten Ansichten aus der SPD geflogen ist. Mehrmals bezieht sich Lafontaine positiv auf die Thesen Sarrazins, den er wie Gauweiler duzt.

„Die armen, kranken Menschen kommen ja gar nicht“, verkündet der Saarländer. „Die haben gar nicht das Geld, einen Schlepper zu bezahlen.“ Auf die Idee, dass sie gar keinen Schlepper bräuchten, wenn es in Europa eine liberale Migrationspolitik gäbe, kommt er natürlich nicht. Auf den Gedanken, dass auch Leute mit Geld ein Recht auf Asyl haben könnten, wenn sie vor Krieg, Klimawandel und Elend flüchten, schon gar nicht.

Einstige Weggenossen: Gregor Gysi (links) und Oskar Lafontaine als Spitzenkandidaten der Linkspartei im Jahr 2005. Wandelt Letzterer nun auf Abwegen?
Einstige Weggenossen: Gregor Gysi (l.) und Oskar Lafontaine als Spitzenkandidaten der Linkspartei im Jahr 2005. Wandelt Letzterer nun auf Abwegen? © dpa

Wenn aber schon Menschen kommen, dann weiß ein Oskar Lafontaine am besten, was gar nicht geht: „dass man die alle arbeiten lässt“. Denn „dann hast du Lohndumping“. Als wäre es eine Art Naturgesetz, dass Unternehmen die Konkurrenz am Arbeitsmarkt nutzen, um das Gehaltsniveau zu drücken – eine interessante Denkweise für einen Kapitalismuskritiker.

Und dann noch die zwei Sätze, die diesem Auftritt Lafontaines allgemeine Aufmerksamkeit sicherten: „Wir geben für unbegleitete Flüchtlinge 5000 Euro im Monat aus“ (gemeint waren offenbar Minderjährige). „Wie erkläre ich das meiner Nachbarin, die Rentnerin ist und 800 Euro im Monat hat?“

Tja, er hätte es mal versuchen sollen. Vielleicht hat die alte Dame ja ein Gefühl für die humanitären Pflichten einer Weltregion, die zu den Verhältnissen im globalen Süden durchaus ihren Negativbeitrag geleistet hat. Und ein Blick Lafontaines ins damals noch eigene Parteiprogramm hätte eine gute Idee zum Vorschein gebracht: höhere Renten für alle, die wenig haben.

Das war, wie gesagt, 2020. Aber so neu, wie manche glauben, ist diese antiliberale Verbissenheit keineswegs. Dass Oskar Lafontaine immer wieder betont hat, er sei bei seinen Überzeugungen geblieben – das gehört zu den wenigen Dingen, bei denen ihm kaum zu widersprechen ist. Leider.

Die Neigung, das heimische Proletariat vor Zuwanderung „schützen“ zu wollen, lässt sich mindestens bis 1990 zurückverfolgen. Oskar Lafontaine, damals Kanzlerkandidat der SPD, war mutig genug, vor den ökonomischen Risiken der schnellen D-Mark-Einführung zu warnen – in klarem Widerspruch zur Stimmung in der noch bestehenden DDR („Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, hieß ein berühmter Slogan). Tatsächlich trug die eilige Währungsumstellung zum schnellen Ende von Unternehmen bei, die unter den Bedingungen des „Westgeldes“ nicht mehr auf ihre Kosten kommen konnten.

Der rechte Linke, den es gar nicht geben sollte: Oskar Lafontaine

Aber Lafontaines Begründung, die er noch 2019 im FR-Interview wiederholte, setzt einen anderen Akzent: „Sehr früh warb ich dafür, statt die Ostdeutschen mit finanziellen Anreizen in den Westen zu locken, mit Milliardenbeträgen die Infrastruktur im Osten auszubauen, um den Menschen vor Ort zu helfen.“ Das atmet einen ähnlichen Geist wie die Aussagen zur Flüchtlingspolitik: So berechtigt es ist, solche wirksame Hilfe zu fordern, so sehr ist es bei ihm mit dem Kalkül verbunden, der persönlichen Bewegungsfreiheit Grenzen zu setzen.

Die „Einreise“ zu verweigern, war innerhalb eines gerade noch geteilten Landes, das sich nun vereinigte, natürlich schlecht zu machen. Aber Lafontaines Hoffnung war auch hier, dass die ärmeren „Brüder und Schwestern“ dort bleiben würden, wo sie waren – nicht zuletzt, um die Einheimischen in der alten Bundesrepublik vor Konkurrenz am Arbeitsmarkt zu bewahren. Ohne D-Mark hätten sich die ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger den Westen erst gar nicht leisten können.

Ganz ähnlich übrigens verhielt sich Lafontaine beim Thema der europäischen Freizügigkeit im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung: „Der Staat ist verpflichtet, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Er ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“, sagte er im Sommer 2005. Im gleichen Jahr erschien ein Buch, in dem der damals schon ehemalige Sozialdemokrat schrieb: „Die forcierte Zuwanderung wird in Deutschland einzig von den oberen Zehntausend gefordert.“ Und: „Die deutschen Wirtschaftseliten … befürworten eine Zuwanderung, um das deutsche Lohnniveau zu drücken.“

Gut eine Woche vor der Landtagswahl im Saarland, die seine parlamentarische Karriere beendete, erklärte Oskar Lafontaine seinen Austritt aus der von ihm selbst mitgegründeten Linkspartei. So verlässt nun einer die politische Bühne, der schon lange etwas war, das es eigentlich nicht geben sollte: ein rechter Linker. (Stephan Hebel)

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