1954 erfüllte sich für den Fotografen Bob Willoughby ein lang gehegter Traum. Die Zeitschrift „Glamour“ verpflichtete ihn für eine Serie über blonde Hollywoodstars, und er bekam endlich die Gelegenheit, jene Schauspielerin kennenzulernen, die ihn viele Jahre zuvor als Maid Marian in „Robin Hood, König der Vagabunden“ bezaubert hatte.
Zeitlebens war er stolz auf das Porträt, das er von de Havilland machte. Das Gesicht der Schauspielerin spiegelt sich in einem Fenster, durch das sie versonnen hinausblickt.
Willoughby fiel sofort auf, welch frappierende Ähnlichkeit das Spiegelbild mit ihrer jüngeren Schwester Joan Fontaine besitzt. Auf dem Foto wird de Havilland heimgesucht von der erbitterten Rivalität, die beide seit ihrer Kindheit verband. Es ist freilich noch beziehungsreicher.
Kenner des Film noir mögen an Robert Siodmaks „Der schwarze Spiegel“ denken, in dem sie 1946 Zwillingsschwestern spielen, von denen eine als psychotische Mörderin entlarvt wird. Das Ringen mit Bildern, die ihre Umgebung sich von de Havillands Figuren macht, zieht sich durch die Karriere. Seinen wehmütigsten Ausdruck findet das Motiv in William Wylers „Die Erbin“, wo die Titelheldin im Schatten ihrer idealisierten Mutter steht.
Die 1916 in Tokio geborene Schauspielerin gelangte eher widerwillig zu Starruhm. Es war ihr nicht geheuer, 1935 an der Seite des unbekümmerten Errol Flynn in „Unter Piratenflagge“ über Nacht ein Leinwandidol zu werden. Allerdings waren sie ein schillerndes und prächtiges Gespann: Er repräsentiert in ihren Abenteuerfilmen keck die Demokratie, während sie für eine bekehrbare Aristokratie steht.
Flynn forderte ihr komödiantisches Talent heraus, und sie war keine Spielverderberin. Eingangs ist sie stets hochmütig, bricht sodann aber unternehmungslustig aus ihrer behüteten Existenz aus. Ihre Heldinnen müssen manch moralische Kehrtwende vollziehen, während Flynn stets bleiben darf, wie er ist.
In ihrem letzten gemeinsamen Film, „Sein letztes Kommando“ (1942), definiert Raoul Walsh ihr Verhältnis neu. Als General Custers Frau ist sie die reifere, im entscheidenden Moment auch tatkräftigere.
Schon ein Jahr zuvor hatte Walsh in „Schönste der Stadt“ ihre Kinofigur nachhaltig amerikanisiert. Da hat der rauflustige Zahnarzt James Cagney zunächst nur Augen für Rita Hayworth, lässt sich dann aber beeindrucken vom Temperament ihrer romantischen Suffragette.
Moralisches Zentrum in „Vom Winde verweht“
De Havillands Liebreiz sollte bei Warner Brothers ein Gegenbild zur kratzbürstigen Bette Davis liefern. Beharrlich widersetzte sie sich jedoch der Studioraison, die sie auf treuherzige, unterwürfige Charaktere festlegte. Sie wurde beinahe so oft wie Humphrey Bogart und Davis suspendiert.
Ihr Eigensinn war mit Augenmaß gepaart: Im Gegensatz zum Großteil ihrer Kolleginnen buhlte sie nicht um die Rolle der Scarlett in „Vom Winde verweht“. Natürlich wusste sie, dass dies der farbenprächtigere Part war, spürte aber, dass Cousine Melanie das moralische Zentrum des Films werden würde.
Mitte der 1940er-Jahre schrieb sie ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des Arbeitsrechts in Hollywood, als sie erfolgreich gegen die einseitige Verlängerung ihres Siebenjahresvertrags durch das Studio prozessierte. Das Gericht ächtete solche Verträge als moderne Form der Sklaverei. Nun konnte sie die Stoffe selbst aussuchen.
Diese neuen Entfaltungsmöglichkeiten münzte sie in zwei Oscars (1946 für „Mutterherz“ und drei Jahre später für „Die Erbin“) sowie eine Nominierung um (1948 für „Die Schlangengrube“, der die barbarischen Zustände in psychiatrischen Anstalten anklagt). Diese Periode klug bestimmter Unabhängigkeit währte nicht lang. Nach ihrer Heirat mit Pierre Galante, dem Chefredakteur von „Paris Match“, siedelte sie 1955 nach Paris um (ein Kulturschock, über den sie einige Jahre später ein offenbar amüsantes Buch veröffentlichte) und verlor nach und nach das Interesse am Kino.
Noch immer spielte sie Hauptrollen, aber in Zentrum stand meist das Drama ihrer männlichen Partner. De Havilland blieb wenig Spielraum jenseits der verständnisvollen, besorgten Blicke, die sie ihnen schenken musste.
Ihr letzter bedeutender Kinofilm sollte 1964 Robert Aldrichs Psychothriller „Wiegenlied für eine Leiche“ sein, wo sie als Gegenspielerin von Bette Davis unverhofft verschlagen und kaltblütig sein durfte. Danach folgten vornehmlich Gastauftritte in Katastrophenfilmen und TV-Serien wie „Roots“ und „Fackeln im Sturm“.
Das Gästebad voll Fanpost
Im 16. Pariser Arrondissement genoss sie als Nachbarin von Valéry Giscard D’Estaing einen komfortablen Ruhestand. Die Berge an Fanpost, die sie noch immer erhielt, füllten die Wanne ihres Gästebades.
Angebote, in Fortsetzungen von „Vom Winde verweht“ noch einmal Melanie zu verkörpern, lehnte sie ab. Das war für sie keine Frage der Gage, sondern der Integrität. Jetzt ist Olivia de Havilland im Alter von 104 Jahren gestorben.