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Der neue FOCUS-Titel über den BundespräsidentenWelche Rolle die Inhaftierung des Vaters für Gauck spielte
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Joachim Gauck in Koblenz
dpa Der zukünftige Bundespräsident Joachim Gauck

Es dauerte eine Weile, bis der knorrige, aber freundliche ältere Herr etwas redseliger wurde und die eine oder andere Geschichte aus der Vergangenheit hervorkramte. Dass er seinen Kindern beispielsweise im Falle dreier Berufswünsche erbitterten Widerstand angekündigt hatte: Offizier, Schauspieler und Pastor. „In diesen drei Berufen fällt Mittelmaß besonders auf“, lautete seine Begründung. Dass er „stinksauer“ gewesen war, als er 1934 vor der Küste Australiens per Post erfuhr, dass die Familie von Rostock nach Wustrow gezogen war. Dass ihn seine damalige Verlobte Olga Warremann am 21. August 1938, nachdem er mit einem Frachtschiff aus Kamerun in den Hamburger Hafen eingelaufen war, mit der Nachricht überraschte, dass sie gleich am nächsten Tag in Blankenese heiraten würden.

Und wie war das am 27. Juni 1951, fragte ich, als zwei Männer mit einem Auto vorfuhren, ihn um seine Begleitung zur Rostocker Neptunwerft baten, wo sich angeblich ein schwerer Unfall ereignet hatte? Jetzt merkte man: Dieses Kapitel in der Familiengeschichte ging ihm noch immer sehr nahe. Der gebürtige Dresdner blockte ab, Nachfragen zwecklos.

Der Vater verschwand im Rostocker „Russen-Viertel“


Tatsächlich waren dieser Tag und die folgenden gut vier Jahre nicht nur für Joachim Gauck senior, sondern für die ganze Familie und damit auch für Joachim Gauck junior von elementarer Bedeutung. Die Männer brachten den Vater und Ehemann in die Rostocker Stefanstraße, ins „Russen-Viertel“. Seine Ahnung, dass man ihn unter einem Vorwand weggeholt hatte, wurde zur Gewissheit.

Im Keller einer Privatvilla stellte einer der Männer ihm eine einzige Frage: „Kennen Sie Löbau?“ Als Joachim Gauck senior dies wahrheitsgemäß bejahte („Na klar, der war eine ganze Zeit lang mein Chef“), ahnte er nicht, dass er sich damit selbst das Urteil gesprochen hatte. Löbau war als französischer Agent enttarnt worden. Und weil ihm dieser Löbau einige Monate zuvor einen Brief aus Berlin geschrieben hatte, in dem er Joachim Gauck einen Job anbot und 50 Mark beigelegt hatte, war für die Russen der Beweis erbracht, dass auch Gauck senior für die Westmächte spionierte. Ein Militärtribunal verurteilte den Unschuldigen zu zweimal 25 Jahren Haft, die Richter legten ihm zusätzlich antisowjetische Hetze zur Last.

Daheim war der letzte Funke Hoffnung fast erloschen


Es dauerte bis zum 20. Oktober 1955, bis Joachim Gauck das sibirische Straflager am Baikalsee verlassen durfte. Erst ein Jahr zuvor, zum Geburtstag seiner Tochter Sabine, hatte ihm der Lagerkommandant erstmals seit seiner Verhaftung gestattet, ein paar Zeilen nach Rostock zu schicken – drei Jahre nach seinem Verschwinden, als daheim fast der letzte Funken Hoffnung erloschen war.

Vom Tag der Verschleppung seines Vaters an fühlte sich Joachim Gauck junior „elementar politisiert“ – in dieser Zeit entwickelte er sich zum glühenden Antikommunisten. Seine Mutter hatte ihn gleich nach dem Verschwinden des Vaters ins Vertrauen gezogen und ihm die Rolle des Familienoberhaupts übertragen. „Jochen wurde ernster und ruhiger“, beobachtete seine Schwester Marianne. Jeden Tag erlebte er wie alle anderen Schüler auch die plumpen Versuche der systemtreuen Lehrer, die Schüler zu indoktrinieren.

Gauck: „Ich war sehr traurig, voller Angst und unglücklich“


Der propagierten Gleichsetzung von Humanität und Friedensliebe setzte der Schüler Joachim, der „alles perfekt analysieren konnte“ (Marianne Gauck), seine eigenen Erfahrungen entgegen. „Ich war zu allererst sehr traurig, voller Angst und unglücklich“, erinnerte er sich. „Jeden Abend habe ich gebetet, meinen Vater habe ich dabei kein einziges Mal vergessen.“

Die Verantwortung, die ihm seine Mutter übertragen hatte, nahm er ohne Widerspruch an. Kämpferisch und mit Pflichtbewusstsein. Seine drei jüngeren Geschwister akzeptierten seine neue Rolle. Nur Marianne litt zeitweise unter der Bevorzugung ihres nur ein Jahr älteren Bruders. „Bei mir rechnete Mutter immer mit einer größeren Portion kindlicher Nachlässigkeit. Jochen vertraute sie dagegen blind. Aber wenn ich ehrlich bin: zu Recht.“

Im neuen FOCUS lesen Sie, wie Joachim Gauck auf Basis dieser Kindheitserfahrungen zur Stasi stand.
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