Bundeskanzler Olaf Scholz im WELT-Interview: „Wir haben eine Aufgabe“ - WELT
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„Wir haben eine Aufgabe in der Welt, und die nehmen wir wahr“

„Wir werden so eine Grenzüberschreitung nicht akzeptieren“

Bislang zeigt sich Russland von den Sanktionen des Westens relativ unbeeindruckt. Der weitere Umgang mit Wladimir Putin war zentrales Thema beim G-7-Gipfel. „Wir müssen klug handeln“, bilanziert Kanzler Scholz im Gespräch mit Jan Philipp Burgard, WELT-Fernsehen-Chefredakteur.

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Umgang mit Russland, eine neue multilaterale Weltordnung, die drohende Energiekrise: Im Interview auf Schloss Elmau mit dem Fernsehsender WELT bilanziert der Kanzler den G-7-Gipfel.

Im Interview spricht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über das Gipfeltreffen, das er als Erfolg für die G 7 sieht. Das live-geführte Interview dokumentieren wir hier.

WELT: Herr Bundeskanzler, unter Ihrer Präsidentschaft haben die G 7 eine Reihe von Ergebnissen erzielt. Sie sind durchaus selbstbewusst aufgetreten. Ist Deutschland jetzt eine Führungsmacht?

Olaf Scholz: Wir sind eines von sieben Ländern, die gemeinsam etwas bewerkstelligen wollen. Es war sehr wichtig, dass wir in diesen besonderen Zeiten, wo der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine uns alle umtreibt, zusammen handeln. Das war hier sehr gut, was wir diskutiert haben, auch die Zeit, die wir uns genommen haben für die einzelnen Fragen. Hier ist wirklich Einheit entstanden und alle haben sich untergehakt. Insofern ist das ein guter Erfolg für alle, aber natürlich auch für die Präsidentschaft.

Bundeskanzler Scholz im Gespräch mit Jan Philipp Burgard im Gespräch auf Schloss Elmau
Bundeskanzler Scholz im Gespräch mit Jan Philipp Burgard im Gespräch auf Schloss Elmau
Quelle: WELT


WELT: Sie haben gesagt: Sie sind einer von sieben. Ihr Parteivorsitzender sagt: Deutschland sei eine Führungsmacht.

Scholz: Ach, in dem Sinne haben Sie gefragt. Natürlich haben wir eine Aufgabe in der Welt, und die nehmen wir auch wahr.

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WELT: Der ukrainische Präsident Selenskyi hat um Hilfe gebeten, den Angriffskrieg gegen die Ukraine noch bis Jahresende zu beenden. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?

Scholz: Das ist schwer zu beurteilen, weil das ja immer noch ein ganz furchtbarer Krieg ist. Russlands Brutalität hat sich ja gerade wieder in den jüngsten Raketenangriffen gezeigt, denen so viele Menschen zum Opfer gefallen sind. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es noch sehr lange notwendig sein wird, die Ukraine zu unterstützen: finanziell, humanitär und natürlich auch mit den Waffenlieferungen, die so viele Länder und Deutschland ganz vorne mit dabei zur Verfügung stellen. Gleichzeitig geht es über die Sanktionen darum, Russland deutlich zu machen, dass es seinen Krieg beendet, sein Ziel aufgibt, die Truppen wieder zurückzieht.

WELT: Bisher zeigt sich Russland relativ unbeeindruckt von den Sanktionen. Ausgerechnet zum Auftakt des G-7-Gipfels hat Putin angekündigt, Atomraketen nach Belarus zu liefern. Wie bewerten Sie dies?

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Scholz: Wir müssen entschlossen handeln, wir müssen mutig handeln. Aber wir müssen auch klug sein und mit den Dingen umgehen, die als Gefahren in der Welt auf uns zukommen. Ich bin ganz sicher, dass für alle klar ist, dass wir eine solche Grenzüberschreitung nicht akzeptieren werden.

WELT: Was bedeutet das konkret?

Scholz: Das bedeutet, dass wir sagen: Das kann nicht sein. Ich gehe auch davon aus, dass wir jetzt uns besser auf das konzentrieren, was aktuell ansteht. Das ist die Frage: Wie können wir die Unterstützung der Ukraine weiter organisieren? Das haben wir gemacht.

WELT: Dafür reisen Sie weiter zum Nato-Gipfel. Finnland und Schweden wollen Mitglieder werden, weil sie sich von Russland bedroht fühlen. Im Moment leistet die Türkei erheblichen Widerstand. Was tut Deutschland, um diesen Widerstand zu brechen?

Scholz: Wir diskutieren mit vielen anderen Nato-Ländern und natürlich auch der Türkei über die Frage, wie wir ein gutes Ergebnis erzielen können. Unsere Haltung ist klar: Wir finden, Finnland und Schweden passen perfekt zur Nato.

WELT: Findet die Türkei das inzwischen auch, sind Sie optimistisch, dass das klappt?

Scholz: Das macht keinen Sinn, da Vorhersagen anzustellen. Aber meine Überzeugung ist, dass wir eine gute Chance haben, ein Stück voranzukommen. Hoffen wir mal, dass das Stück ganz groß ist.

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WELT: Die G 7 haben ein 600 Milliarden schweres Investitionsprogramm beschlossen, auch um ein Gegengewicht zur Neuen Seidenstraße von China zu bilden. Wir sind als Bundesrepublik relativ abhängig von China, in wirtschaftlichen, in Handelsfragen. Was kann Deutschland tun, um diese Abhängigkeit zu reduzieren und vielleicht zu vermeiden, die Fehler zu wiederholen, die gegenüber Russland gemacht wurden?

Scholz: Es ist ganz klar, dass wir unsere Lieferketten, unsere Exporte diversifizieren müssen. Das tun wir, das tun auch viele andere. Gleichzeitig werden wir weiter wie in der Vergangenheit klar stellen, wo wir unterschiedliche Haltungen und Ansichten haben. Wichtig ist, dass wir den Blick auf den ganzen asiatischen Raum weiten, denn es sind viele Länder aufgestiegen, nicht nur China. Mit zweien davon haben wir uns ganz konkret bei diesem Gipfel unterhalten: Indonesien und Indien. Dass wir Demokratien wie Indonesien, Indien, aber auch Südafrika, Senegal oder Argentinien eingeladen haben, ist ein ganz wichtiges Zeichen für die Politik in der Welt: Die Demokratien stehen zusammen.

WELT: Sie haben diese Gastländer eingeladen, um sie einzubinden. Wie gut ist das gelungen?

Scholz: Sehr gut. Das war sehr freundschaftlich, sehr auf Augenhöhe. Die eingeladenen Länder waren sehr froh darüber, dass wir so gut miteinander sprechen konnten. Das ist wichtig für die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Wenn wir die Welt aus der Perspektive des Jahres 2050 betrachten, wird sie anders aussehen als heute. Da werden viele dieser Länder an Gewicht zugelegt haben. Es ist wichtig, dass wir jetzt unseren Beitrag dazu leisten, dass das nicht eine Welt wird mit vielen Machtpolen – multipolar, wie man das nennt – sondern, dass das eine Welt ist, die auch zusammenarbeitet. Multilateral, wie man das nennt. Das zu ermöglichen, war ein wichtiges Ziel des Gipfels. Ich glaube, wir sind da ein richtig großes Stück vorangekommen. Das war eine gute Diskussion mit diesen demokratischen Ländern aus dem globalen Süden.

WELT: Ein weiteres Thema war die Energiesicherheit. Aus dem Wirtschaftsministerium hört man, dass man davon ausgeht, dass Russland ab August die Gaslieferungen komplett einstellt. Wie sieht Ihr Notfallplan aus?

Scholz: Wir haben uns ja sehr früh mit der Frage beschäftigt: Was ist eigentlich, wenn die Energielieferungen stocken? Schon im Dezember, als ich Kanzler geworden war, habe ich darüber mit allen Beteiligten gesprochen. Deshalb waren wir gut vorbereitet, als Russland Ende Februar den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Wir konnten dann sagen, was wir tun wollen: zum Beispiel Pipelines in den Norden bauen, Flüssiggas-Terminals an den deutschen Küsten errichten. Wir haben Gesetze auf den Weg gebracht, mit denen wir dafür sorgen, dass die Speicher gefüllt werden und schon höhere Speicherstände erreicht. Wir haben Gesetze auf den Weg gebracht, die uns ermöglichen Kohlekraftwerke laufen zu lassen – um Gas zu sparen. Gleichzeitig bauen wir mit großem Tempo die erneuerbaren Energien aus.

WELT: Frankreich baut sechs neue Kernkraftwerke, die Amerikaner setzen aufs Fracking. Wann fängt Deutschland an, diese Tabus aufzugeben und ergebnisoffen zu prüfen?

Scholz: Wir haben eine Entscheidung getroffen: Wir setzen auf die erneuerbaren Energien. Darüber besteht großer Konsens nicht nur in der Regierung, sondern weit darüber hinaus in unserer Gesellschaft. Wer jetzt neue Atomkraftwerke baut – wie Sie das eben als Beispiel genannt haben – hat, wenn man die bisherigen Abläufe unterstellt, die erste Eröffnung in 15 bis 17 Jahren. Da sind wir mit unseren Ausbau-Maßnahmen schon längst da, wo wir hinwollen. Wir wollen in Deutschland bis zum Ende dieses Jahrzehnts 800 Terawattstunden Strom produzieren, den allergrößten Teil davon aus erneuerbaren Quellen. Wir wollen das noch einmal mehr oder weniger verdoppeln im folgenden Jahrzehnt. Deshalb haben wir eine sehr ambitionierte Strategie, die aber schnell sichtbare Erfolge zeigt, bei der man nicht darauf warten muss, was man in zehn, 15 Jahren hat.

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WELT: Sie haben gerade die ferne Zukunft angesprochen. Kurzfristig würde sich anbieten, Laufzeiten von drei Kernkraftwerken zu verlängern. Was spricht dagegen?

Scholz: Es gibt viele Fachleute, die sich dazu geäußert haben. Das Wirtschaftsministerium hat ein paar Fakten mitgeteilt: Die Brennstäbe, die heute in Betrieb sind, haben begrenzte Laufzeiten. Wir wollen jetzt den Betrieb der Kernkraftwerke nicht reduzieren, wir wollen ja jetzt Gas sparen. Deshalb muss viel Elektrizität in diesem Jahr mit den zu Ende gehenden Brennstäben hergestellt werden. Es ist nicht so trivial, Laufzeiten zu verlängern und neue Brennstäbe zu beschaffen. Es geht um den nächsten und den übernächsten Winter. Ich habe Ihnen eben die große Zahl von Maßnahmen genannt, die wir ergriffen haben, und die können sehr schnell sehr effizient sein.

WELT: Noch mal zum Fracking: Da gibt es ja auch durchaus Studien, die sagen, es ist gar nicht so umweltschädlich, nicht so gefährlich, wie immer behauptet wurde. Wie stehen Sie dazu?

Scholz: Die Frage, wie wir für die Phase, in der wir noch Gas benötigen, wird sich nicht daran entscheiden, sondern mehr daran, ob wir es schaffen, uns Lieferquellen aus aller Welt zu erschließen und ob wir jetzt diese Terminals fertig kriegen. Dazu haben wir Gesetze auf den Weg gebracht, die dazu führen, dass so was nicht viele Jahre dauert. Sondern, wenn wir Glück haben, das eine oder andere vielleicht schon zum Jahreswechsel seinen Betrieb aufnehmen kann. Das ist alles noch mit viel Unsicherheit verbunden, aber deshalb haben wir uns ja erst recht daran gemacht, die Dinge sehr schnell voranzubringen.

WELT: Wenn Sie von den Quellen aus aller Welt sprechen, dann machen wir uns ja doch wieder ein Stück weit abhängig. Warum nicht gucken, was in Deutschland im Boden ist?

Scholz: Ich glaube, in Deutschland ist nicht so viel im Boden, dass wir diese Abhängigkeiten damit beseitigen können. Und wir haben jetzt ja eine Situation, in der wir sowieso darauf aus sind, dass wir 2045 CO2-neutral wirtschaften. Es geht um die Frage: Wie können wir die Situation der nächsten ein, zwei Jahre gut bewältigen? Die hat mit den Vorschlägen, die Sie da zur Erörterung gestellt haben, gar nichts zu tun. Das würde niemals in diesem Zeitraum helfen. Es geht um die Frage: Wie wollen wir das langfristig für Deutschland gut machen? Das geschieht durch den Ausbau der erneuerbaren Energien.

WELT: Sie haben die Bedeutung von persönlichen Beziehungen in der internationalen Politik angesprochen, wie wichtig es war, hier zusammenzukommen. Verraten Sie uns doch zum Schluss: Wer von den Staats- und Regierungschefs hat es an der Bar hier am längsten ausgehalten?

Scholz: Staatsgeheimnis. (lächelt)

Hinweis: Für bessere Lesbarkeit wurde das gesprochene Wort leicht gekürzt.

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