Tänzerin und Mitglied der Rotten Kapelle Oda Schottmüller: Tragödie einer Künstlerin im NS-Widerstand

Oda Schottmüller: Tragödie einer Künstlerin im NS-Widerstand

5. August 1943: Die Tänzerin und Bildhauerin wird als Mitglied der Roten Kapelle hingerichtet. Sie und ihre Mitstreiter gelten auch nach 1945 als Verräter.

„Östliche Vision“, nannte Oda Schottmüller diesen Ausdruckstanz. Die Kostüme und Masken entwarf sie selbst. Das Foto erschien 1940 in der Illustrierten Koralle.
„Östliche Vision“, nannte Oda Schottmüller diesen Ausdruckstanz. Die Kostüme und Masken entwarf sie selbst. Das Foto erschien 1940 in der Illustrierten Koralle.Madeline Winkler/ullstein-bild

Dass sie das Strafgefängnis Plötzensee in Berlin nicht lebend verlassen wird, nimmt Oda Schottmüller bewundernswert gelassen hin, zumindest äußerlich. „Todesfurcht oder so ähnlich habe ich gar nicht, nur ein bisschen Mitleid mit meiner Neugier. Ich hätte doch zu gerne gewusst, wie das alles weitergeht“, schreibt die 38-Jährige in einem ihrer letzten Kassiber. Das Reichskriegsgericht hat sie am 26. Januar 1943 zum Tode verurteilt. „Mich reut nichts, was ich getan habe. Ich machte es gerade so noch einmal, wenn ich zu wählen hätte.“

Wer war Oda Schottmüller? Und was hat sie getan?

Als Tochter des Archivars Dr. Kurt Schottmüller und seiner Frau Dorothea wird Oda am 9. Februar 1905 in Posen, damals zu Preußen gehörig, geboren. Nach dem Tod ihres Vaters 1919 zieht sie nach Berlin. Am Lyzeum in Lichterfelde erlangt sie die Mittlere Reife, an der Odenwaldschule bei Heppenheim macht sie Abitur. Anschließend besucht sie Kunstgewerbeschulen in Pforzheim und in Frankfurt, dann die Kunsthochschule in Berlin.

In Klaus Mann, der als Schriftsteller Karriere machen wird, findet Oda Schottmüller einen sehr guten Freund. Sie haben sich als Schüler an der Odenwaldschule kennengelernt. Später wird er schreiben, dass sie es geliebt habe, in der Schule auf Fenstersimsen und auf Schränken zu hocken, „pittoresk in sich zusammengeduckt“. Dass sie „phantastische und krasse Tänze“ aufführen und „ebenso phantastisch und kraß“ zeichnen und malen konnte. Sie sei „von einer barocken, überraschenden Grazie“ gewesen, „oft von stummer Traurigkeit, oft von hopsender Tanzlust“.

Das Foto, 1940 in der Illustrierten Koralle erschienen, zeigt Oda Schottmüller in ihrem Atelier. Für eine Tanzaufführung bemalt sie eine selbstgefertigte Maske.
Das Foto, 1940 in der Illustrierten Koralle erschienen, zeigt Oda Schottmüller in ihrem Atelier. Für eine Tanzaufführung bemalt sie eine selbstgefertigte Maske.Madeline Winkler/ullstein-bild

Im Jahr 1928 beginnt Oda Schottmüller in Berlin eine Ausbildung zur Tänzerin und studiert dazu Bildhauerei, erst im Verein Berliner Künstlerinnen, später an der Schule des Bauhauskünstlers Johannes Itten. Ab 1932 tritt sie als Tänzerin auf, etwa an der Volksbühne; 1934 feiert sie mit Ausdruckstänzen in selbstentworfenen Kostümen und hinter Masken aus Holz im Theater am Kurfürstendamm Erfolge.

Über ihre Beziehung zu dem Bildhauer Kurt Schumacher kommt sie Ende der 30er-Jahre in Kontakt mit dem Berliner Freundes- und Widerstandskreis um den Publizisten Harro Schulze-Boysen. Dieser Kreis kämpft gegen das NS-Regime, er ist Teil des Netzwerks Rote Kapelle, dem bis zu 150 Personen unterschiedlicher politischer Weltanschauungen angehören – und das in der Bundesrepublik Deutschland lange fälschlicherweise als kommunistische, von der Sowjetunion gesteuerte Spionageorganisation diffamiert wurde.

Als Tänzerin tritt Oda Schottmüller nicht nur im In-, sondern auch im Ausland auf, in Holland, Frankreich und Italien; als Bildhauerin stellt sie ihre Werke aus. Bei ihren Reisen leistet sie für die Rote Kapelle Kurierdienste.

Im Spätsommer 1942, am 16. September, verhaftet die Gestapo 119 mutmaßliche Mitglieder der Roten Kapelle, auch Oda Schottmüller. Ihr wird vorgeworfen, ihre Atelierwohnung in der Reichsstraße 106 im Berliner Westend für – letztlich vergebliche – Funkversuche nach Moskau zur Verfügung gestellt zu haben. Aber: Dem erhaltenen Abschlussbericht der Gestapo zufolge wurde bei der Durchsuchung des Ateliers weder ein Funkgerät gefunden noch ein Hinweis darauf, dass sich dort jemals eins befand.

Ungeachtet dessen verurteilt das Reichskriegsgericht Oda Schottmüller zum Tode. Ein halbes Jahr wartet sie darauf, dass das Urteil vollstreckt wird. Am 5. August 1943 um 19.18 Uhr stirbt sie im Strafgefängnis Plötzensee unter dem Fallbeil. Mit ihr werden 15 weitere Mitglieder der Roten Kapelle ermordet, innerhalb von 45 Minuten.

„Tragödie“ ist der Titel des Tanzes, den Oda Schottmüller mit dieser Maske vorführte. Das Foto erschien 1941 in der Allgemeinen Zeitung (DAZ).
„Tragödie“ ist der Titel des Tanzes, den Oda Schottmüller mit dieser Maske vorführte. Das Foto erschien 1941 in der Allgemeinen Zeitung (DAZ).Madeline Winkler/ullstein-bild

„Zwar verrückt – aber ich werde mir heut noch mal die Haare mit eigenen Locken wickeln, etsch. Dann werde ich genießen, eine große Schachtel Pralinen“, schreibt sie kurz vor ihrem Tod. „Ich sterbe mit gutem Gewissen. Ob das unsere Herren Richter von sich auch einmal sagen können?“

Ein Gewissen – Generalrichter Dr. Manfred Roeder hatte es nicht. „Ich fühle mich völlig unschuldig. Ich habe als deutscher Richter meine Pflicht getan“, rechtfertigte der Jurist nach dem Krieg die von ihm gefällten Todesurteile. In seinem 1952 veröffentlichten Buch „Die Rote Kapelle“ verunglimpfte Roeder die Mitglieder der Widerstandsgruppe als Landesverräter und Spione. Er starb 1971 als unbescholtener Bürger.

An Oda Schottmüller erinnert seit 2016 ein Stolperstein vor dem Haus Reichsstraße 106 in Charlottenburg, wo sie ihre Atelierwohnung hatte. Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg steht seit 2019 ein Gedenkstein für sie.

Ein Grab hat Oda Schottmüller nicht. Die Leichen aller am 5. August 1943 in Plötzensee hingerichteten Mitglieder der Roten Kapelle wurden der Anatomie in der Charité übergeben.