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Krebs und psychische Erkrankungen

Schockdiagnose Krebs: Rosenheimer Psycho-Onkologin gibt Tipps zum Umgang mit Betroffenen

Untersuchung mit Computertomographen
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Schockdiagnose Krebs: Ein Drittel aller Betroffenen entwickeln psychische Erkrankungen. 

Die Leiterin der Psychoonkologie der Romed-Kliniken in Rosenheim, Jana Weinhold, erklärt im Interview, was Krebspatienten und ihre Angehörigen wirklich brauchen.

Rosenheim – Mit einer Krebsdiagnose kommt nicht nur eine schwere Krankheit und eine lange Behandlung auf Menschen zu. Auch die psychische Belastung ist enorm. Jana Weinhold, Leiterin der Psychoonkologie am Romed-Klinikum in Rosenheim, erklärt, wo die Belastungen liegen und was den Menschen gut tut.

Als mein Vater vor 15 Jahren an Krebs gestorben ist, kann ich mich an alle möglichen Ärzte erinnern, aber nicht an einen Psychoonkologen.

Jana Weinhold: Psychoonkologie ist sowohl wissenschaftliche und behandelnde Disziplin. Seit Anfang der 70er-Jahre beschäftigt man sich damit, psychosozialen Entstehungsbedingungen, Folgen und Begleiterscheinungen von Krebserkrankungen sowie mit den Therapieauswirkungen. Lange wurde vermutet, dass Krebserkrankungen mit spezifischen Persönlichkeitszügen zusammenhängen. Die Herangehensweise hat sich inzwischen verändert.

Persönlichkeitstypen? Jemand, der etwas ausbrütet, bekommt Krebs?

Jana Weinhold, Leiterin der Psychoonkologie

Weinhold: Ja, man hat angenommen, dass spezifische Persönlichkeitseigenschaften dazu beitragen, dass jemand einen Tumor entwickeln kann. Zum Beispiel, dass jemand, der Konflikte vermeidet und alles in sich hineinfrisst, ein Magenkarzinom entwickelt. Aber dafür gibt es aus wissenschaftlicher Sicht z.Z. jedoch keinen Anhalt. Inzwischen geht es in der Psychoonkologie um die psychologische Unterstützung von Patienten und Angehörigen während und nach der medizinischen Behandlung.

Brauchen die Patienten das denn?

Weinhold: Etwa 32 Prozent der Patienten entwickeln im Laufe der Erkrankung – also von der Diagnose über die Behandlung und auch nach der medizinischen Behandlung – eine psychische Erkrankung. Jeder zweite Patient ist klinisch signifikant belastet. Wir versuchen herauszufinden, wer für die Entwicklung einer Störung prädestiniert ist.

Was sind das für Störungen?

Weinhold: Das kann alles sein: von Anpassungsstörungen mit Angst und depressiver Reaktion. Das ist die geringste Ausprägung. Wenn eine schwierige Lebenssituation eintrifft, dann versucht man sich anzupassen. Das fällt vielen schwer und manche entwickeln dann Ängste und depressive Verstimmungen. Und es können auch schwere Depressionen auftreten. Auch Suizidalität ist ein Thema.

Kommen die Patienten auf Sie zu?

Weinhold: Wir machen bei der Aufnahme ein psychosoziales Screening und geben den Patienten einen Fragebogen, den sie ungestört selbst auszufüllen können. Erfahrungsgemäß entspricht das einem höheren Wahrheitsgehalt – wenn keiner dabei ist, muss ich keine Fassade wahren. Da geben die Patienten ihre Belastung auf einer Skala von null bis zehn an. Und wir fragen nach der emotionalen Lage, körperlichen Problemen und auch nach der sozialen Situation, etwa der Kinderbetreuung.

Und wie viele kommen dann zu Ihnen?

Weinhold: Das ist schwer zu sagen. Mindestens jeder Fünfte. Wir haben pro Jahr etwa 2000 Kontakte mit Patienten, da sind natürlich welche dabei, die wir mehrfach sehen, manche auch nur einmal. Und wenn wir sie die Jahre später treffen, hören wir manchmal, dass bereits dieser einmalige Kontakt schon geholfen hat. Das berührt mich sehr, wenn sich Patienten noch Jahre später bedanken.

Wie kann man Menschen in der Situation helfen?

Weinhold: Die grundsätzliche Idee ist es, alle Ressourcen, die die Menschen mitbringen, bewusst zu machen, zu stärken und vielleicht noch welche dazu zu erarbeiten. Aber wir therapieren nicht, wir begleiten in einer belastenden Situation.

Ein Satz, den Sozialpädagogen gerne sagen.

Weinhold: Die Frage ist der Inhalt der Begleitung. Wir benutzen andere Techniken und wir reden über Anderes. Bei sozialer Arbeit geht es ganz oft um formale Angelegenheiten. Sozialpädagogen organisieren zum Beispiel die Versorgung von minderjährigen Kindern, um Anschlussbehandlung und so weiter. Das ist nicht mein Arbeitsinhalt. Wir machen geben zwar auch eine psychosoziale Unterstützung, aber bei Formularen sind wir raus. Unsere Frage ist: Wie gehe ich mit der Erkrankung um? Wie komme ich durch die Behandlung? Aber ich mache keine Psychotherapie, ich verweise, wenn nötig, die Patienten weiter. Ich begleite nur ein Stück. Das liegt an der Dauer des stationären Aufenthalts des Patienten.

Mein areligiöser Vater hat viel mit dem Pfarrer gesprochen. Ist Psychoonkologie nicht die säkularisierte Version von Seelsorge?

Weinhold: Nein, Spiritualität ist eine Form der Ressource. Natürlich ist das ein Grenzbereich, der sich überschneidet. Wir arbeiten ja auch mit den Seelsorgern zusammen. Aber das Thema Religiösität sowie geistliche Begleitung und Unterstützung von Menschen insbesondere in Lebenskrisen spielt natürlich bei den Gesprächen mit Seelsorgern eine viel größere Rolle. Aber Religiösität oder Spiritualität sind wichtig als Ressource: Gibt es da etwas, das ich vielleicht nicht begreife, nicht benennen oder sehen kann. Diese Vorstellung bespreche ich auch mit den Patienten, aber wenn Fragen kommen wie: „Warum hat Gott das zugelassen?“, da verweise ich auf den Seelsorger, da kenne ich mich zu wenig aus.

Das Angebot gilt ja auch für Angehörige. Ich wüsste nicht, ob ich das angenommen hätte. Einfach weil ich so sehr mit anderem beschäftigt war, es gab so viel zu organisieren.

Weinhold: Da bleibt oft wenig Zeit und Raum, sich auch noch mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Aber wichtig ist das dennoch. Angehörige sind ja auch belastet. Oft weil sie den Eindruck haben, nichts tun zu können. Patienten haben Termine und Behandlungen und der Angehörige sitzt daneben und kann außer Organisatorischem vermeintlich nichts tun. Ich sehe unsere Aufgabe, die Angehörigen zu stärken, dass sie einfach da sind. Und vielleicht auch den Blick auf etwas anderes richten. Nur weil jemand ein Magenkarzinom hat, ist er ja auch immer noch ein ganzer Mensch mit einem ganzen Leben. Angehörige sprechen über Dinge, die sie verbinden, Gemeinsamkeiten, Erinnerungen, Fotos anschauen. Allein dieses Lächeln und diese Erleichterung, die dann auftaucht, ist ja schon hilfreich im Heilungsprozess.

Wie ist das denn bei entfernteren Bekannten? Wenn ein Kollege erkrankt, dann schreiben alle eine Karte und schicken Blumen? Ist das überhaupt sinnvoll?

Weinhold: Ja, die Karte gibt Betroffenen das Gefühl, irgendwo gebraucht, gesehen zu werden. Aber es darf halt nicht bei der Karte bleiben. Ab und zu fragen, wie es geht, ob man helfen kann oder ob man gemeinsam ins Kino gehen möchte. Oder eine feste Verabredung zum Spazierengehen ausmachen. Denn die Menschen sind ja nicht nur Kranke, sondern haben auch weiter Interessen und Hobbys. Und man sollte dranbleiben. Die Kontakte bei Erkrankten ebben oft ab, weil sie nicht immer können. Aber falsche Angebote gibt es genug, sie brauchen wahrhafte Begegnungen, wo das, was sie erzählen, auch eine Bedeutung hat. Es geht um Wahrhaftigkeit und Mitgefühl, nicht um Mitleid.

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