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Froh über Mützenichs „Friedensinitiative“ – mit einem großen Risiko

Politik-Redakteurin
Wladimir Putin, Olaf Scholz und Rolf Mützenich (von links) Wladimir Putin, Olaf Scholz und Rolf Mützenich (von links)
Wladimir Putin, Olaf Scholz und Rolf Mützenich (v.l.)
Quelle: Getty Images/Contributor, pa/Panama Pictures/Dwi Anoraganingrum, pa/Metodi Popow; Montage: Infografik WELT
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SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat mit seiner Rede über das „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges Entrüstung ausgelöst. Die Sozialdemokraten aber stehen geschlossen hinter ihm – und ihrem Kanzler. Es scheint, als hätte der Friedensappell ein altes Gemeinschaftsgefühl wachgerufen.

Plötzlich klingen die Debatten wieder wie vor zwei Jahren. Die SPD sei russlandfreundlich, sie kapituliere vor Putin, sie unterschätze den Aggressor, sie habe aus ihren Irrtümern vergangener Jahre immer noch nicht gelernt, das Erbe der Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs habe sie blind für die realen Gefahren aus Moskau gemacht. Es war das eine Wort, an dem sich in den vergangenen Tagen im politischen Berlin tagelang aufgeregte Diskussionen entzündeten: „Einfrieren“.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hatte im Bundestag die Frage gestellt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“

Die anschließende Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Was soll damit gemeint sein? Waffenstillstand? Befristete Feuerpause? Wer könnte den Krieg einfrieren und zu welchem Preis? Erst das Nein des Kanzlers zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, nun ein Fraktionsvorsitzender, der sich von der „Kriegsfessel“ befreien will: Ist das ein Rollback in linkspazifistische Verhaltensmuster oder schon die Vorbereitung auf den kommenden Bundestagswahlkampf? Es sind naheliegende Fragen, die oftmals medialen Reflexen der Verkürzung folgen, der Sachlage aber nicht gerecht werden.

Mützenich sprach in seiner Rede auch – und das wurde in den jüngsten Diskussionen oftmals unterschlagen – von der notwendigen und anhaltenden Unterstützung der Ukraine. Er bemängelte, darin mit Kanzler Olaf Scholz und den meisten seiner SPD-Parteigenossen einig, allerdings die ausschließliche Konzentration der Debatte auf das Für und Wider eines einzelnen Waffensystems. Von einem sofortigen Waffenstillstand oder einer erzwungenen Kapitulation der Ukraine sei mit keinem Wort die Rede gewesen, sagen viele Sozialdemokraten.

Sie sind genervt von den neuerlichen Anwürfen, zu russlandnah zu sein. „Die SPD hat im Gegensatz zur CDU um Merkel klar ihre Fehler in der Russland-Politik benannt“, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese.

Für die SPD gehört Diplomatie selbstverständlich zur Ukraine-Politik

Tatsächlich betonen die Sozialdemokraten im Beschluss des Bundesparteitags vom Dezember 2023: „Solange Russland sein imperialistisches Ziel der Eroberung und Unterdrückung souveräner Staaten verfolgt, kann es keine Normalisierung des Verhältnisses zu Russland geben.“ Es habe sich die Annahme als Fehler erwiesen, man könne „mit immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen langfristig zu einer Demokratisierung und Stabilisierung Russlands“ beitragen.

Zur Erinnerung: Rolf Mützenich bezeichnete Putin sofort nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als Kriegsverbrecher. Und Deutschland steht weltweit an zweiter Stelle bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch das sind Fakten, auf die die Sozialdemokraten sich berufen können.

Wenn man die Werte der Freiheit und Demokratie verteidigen wolle, müsse man über Wege zum Frieden reden, heißt es aus der Parlamentarischen Linken, dem linken Flügel der SPD. Auch Dirk Wiese, Sprecher des Seeheimer Kreises, des konservativen Flügels der SPD, verteidigt die Position von Mützenich: „Die Frage zu stellen nach möglichen diplomatischen Initiativen ist nicht verwerflich, sondern legitim“, sagt er WELT.

Durch die Bank weg ist die einhellige Reaktion der Sozialdemokraten: Die Solidarität mit der Ukraine sei unverbrüchlich – aber man müsse auch darüber sprechen, wie ein Ende des Krieges aussehen könnte. Der Wunsch nach Frieden sei ein „fester Bestandteil der SPD-DNA“, ist von der Basis der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen zu hören. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagt im Gespräch mit WELT: „Es gab nach den Reden von Mützenich und Scholz einen Solidarisierungseffekt in der SPD.“

„Wer über diplomatische Initiativen spricht, fällt nicht der Ukraine in den Rücken“

Kevin Kühnert hat Forderungen aus der SPD-Fraktion nach einer diplomatischen Lösung des Ukraine-Kriegs verteidigt. Der entsprechende Passus im Entwurf des Abschlusspapiers der SPD-Fraktionsklausur stelle weder den Kurs der Bundesregierung infrage noch die militärische Unterstützung der Ukraine.

Quelle: WELT

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Hier und da ist man in der SPD nicht ganz so glücklich über Mützenichs Wort des Einfrierens, das er der Konflikt- und Friedensforschung entnommen hat, ohne allerdings dessen klare Definition in der Öffentlichkeit voraussetzen zu können. Ein strategischer Fehler – aber auf politischen Argwohn trifft man in der SPD dagegen nicht, wenngleich sich Verteidigungsminister Boris Pistorius von dem Begriff distanziert hat.

Insgesamt aber gewinnt man den Eindruck, die SPD sei geschlossen froh über die „Friedensinitiative“ von Mützenich. Auch Generalsekretär Kevin Kühnert sowie die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken verteidigen den eingeschlagenen Kurs. Und wenn man den Verlautbarungen aus der Fraktion Glauben schenkt, gibt es keinen Millimeter Abweichung unter den Sozialdemokraten.

Doch wer nach Frieden fragt, steht unter Verdacht

So aber stellt sich unweigerlich die Frage: Wenn die SPD es mit ihrer Korrektur der Russland-Politik wirklich ernst meint, müsste es dann nicht mindestens zu einer Kontroverse über die Äußerungen von Scholz und Mützenich kommen? Nicht jeder dürfte die Auffassung teilen, die wiederbelebte Friedensformel könnte nicht doch als Diktatfrieden für die Ukraine und als schwer zu vermittelnde Annäherung an Russland interpretiert werden. Das gilt umso mehr, als mit Beifall von der falschen Seite zu rechnen war – und so kam es dann auch.

Neben der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) meldete sich zustimmend der verhasste Genosse und Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu Wort. Mützenich sei „auf dem richtigen Weg“, sagte er, und auch Olaf Scholz tue mit seiner Ablehnung einer Taurus-Lieferung „das, was ich von einem deutschen Bundeskanzler zurzeit erwarten würde“. Unterstützung, die die SPD nicht haben will, die ihr schadet und Wasser auf die Mühlen derer ist, die schon immer der Ansicht waren, die Sozialdemokraten hätten sich von ihrer linksorientierten Russland-Nähe nicht gelöst.

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Dass die SPD längst einen völlig anderen Kurs eingeschlagen hat, ignorieren sowohl ihre Kritiker als auch die unerwünschten Beifallspender links- und rechtsaußen. Die Phänomenologie der Gegenwart zeigt: Wer nach Frieden fragt, steht unter Verdacht – oder wird von wirklichen Putinverstehern und vernagelten Pazifisten umarmt. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum Scholz es ablehnt, als „Friedenskanzler“ bezeichnet zu werden, wie es in der Berichterstattung verschiedentlich schon geschehen ist.

Die SPD weist die Annahme strikt zurück, sie bereite sich mit ihrer Friedensagenda bereits für den Wahlkampf vor. Matthias Miersch etwa, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher der Parlamentarischen Linken, zeigt sich über die Deutung so entrüstet, als wäre es unmoralisch, hinter Verlautbarungen von Politikern politisches Kalkül zu vermuten.

Glaubwürdig ist das kaum – die Sozialdemokraten wären zumindest die ersten Politiker, die nicht taktisch denken und handeln würden. Ob ihr jetziges Kalkül aufgehen wird, im wiederbelebten Grundsatzkonflikt zwischen Krieg und Frieden an Stärke zu gewinnen, steht allerdings dahin.

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