Seit Geschichten erzählt werden, gibt es Erzählungen von Ordnungshütern, die Jagd auf die bösen Jungs machen. Doch Ermittlerserien erlebten insbesondere in den 2000ern einen gewaltigen Hype. Dort starteten langlebige Krimiserien wie "Criminal Minds" oder die Genre-Titanen "CSI: Den Tätern auf der Spur" und natürlich "Navy CIS" aka "NCIS". Aber auch bereits wieder etwas vergessene Krimi-Hits wie "Castle" oder "Bones – Die Knochenjägerin" stammen aus dieser Zeit.

All diese Serien hätte es vermutlich nie gegeben, wenn nicht eine ganz bestimmte Serie zwischen 1993 und 2005 in insgesamt zwölf Staffeln die Serienwelt für immer verändert hätte. In Deutschland ist sie, anders als viele ihrer "Kinder" kaum bekannt, und war lange weder fürs Heimkino noch im TV oder Streaming zu finden. Jetzt hat sich das geändert – und alle Fans von Polizeiserien sollten dringend einen Blick auf die Mutter aller Krimisendungen "New York Cops – NYPD Blue" werfen.

Die New Yorker Polizei bei "NYPD Blue"

Die Serie "New York Cops – NYPD Blue" spielt auf einer fiktiven Polizeiwache der New Yorker Polizei im Stadtteil Manhattan und zeigt den Alltag der Ermittler. Hauptfigur in allen 12 Staffeln ist der Polizist Andy Sipowicz (Dennis Franz), der zu Beginn der ersten Staffel nicht nur Alkoholiker ist, sondern auch ein brutaler schwulen- und frauenfeindlicher Zyniker. Als er angeschossen wird, beschließt er, sein Leben zu ändern und dem Alkohol zu entsagen. Sein aktueller Partner, Detective John Kelly (David Caruso), muss während Andys Entzug mit dem hitzköpfigen James Martinez (Nicholas Turturro) zusammenarbeiten – was ihm gar nicht gefällt.

Das Besondere an "NYPD Blue", gerade im Vergleich zu den vielen Serien, die durch den Erfolg des Krimimeilensteins ermöglicht wurden, ist, dass es weniger um die Fälle, als mehr um das Leben der Figuren geht. Alle Protagonisten werden intensiv charakterisiert und entwickeln sich im Verlauf der Serie weiter. Auch ihr Privatleben ist ein viel größeres Thema als in nahezu allen anderen Serien des Genres. Ganze Folgen drehen sich um Konflikte mit den eigenen Kindern oder um Affären der Ermittler. Fälle, meist Morde, gibt es natürlich auch – und viele von ihnen sind so abgründig wie brillant geschrieben. Der Fokus liegt aber auf dem Alltag auf der Wache – ein damals gänzlich einmaliger Ansatz.

Sex und Gewalt erstmalig in einer Polizeiserie

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Er war in allen 261 Folgen dabei: Dennis Franz. In Deutschland kennt man den Schauspieler vor allem als Flughafenpolizist aus "Stirb langsam 2".

Als Steven Bochco und David Milch (der später das Serienmeisterwerk "Deadwood" schuf) im Jahr 1993 mit "NYPD Blue" auf Sendung gingen, war die Serie revolutionär und zugleich ein Skandal. So etwas hatte es im TV zuvor nicht gegeben, angefangen schon mit der Sprache: Der Umgangston war äußerst vulgär, Schimpfwörter fielen am laufenden Band. Körperliche Gewalt wurde explizit gezeigt, auch Sex war zu sehen und das so freizügig, wie es die Gesetze des Fernsehens irgendwie zuließen. In Zeiten von "Game of Thrones" und "Vikings" mag man es nicht mehr nachvollziehen können, doch die raue, realistisch-brutale Art der Serie (zudem damals gänzlich untypisch mit wackeliger Handkamera gefilmt, was einen quasi-dokumentarischen Eindruck erzeugt) wurde als unerträglich wahrgenommen und stellte die Vorstellungen davon, was in Serien gezeigt werden kann, auf den Kopf.

Trotz der Tatsache, dass "NYPD Blue" in vielen dieser Aspekte längst übertroffen wurde, ist die Serie noch hoch aktuell: Sie bot wie kaum je eine andere einen authentischen Einblick in die Welt der US-Polizei und scheute sich nicht davor, Polizeigewalt, Rassismus und Misogynie abzubilden – was nach den "Black Lives Matter"-Debatten 2020 nur umso relevanter wurde. Durch ihre lange Laufzeit über 12 Jahre zeigte "NYPD Blue" auch einen Wandel in den USA auf. Behandeln die ersten Staffeln noch den Kampf gegen die Mafia und spätere Staffeln den zunehmenden Drogenhandel durch südamerikanische Kartelle, werden in Staffel 9 direkt die Terroranschläge vom 11. September 2001 thematisiert, denn sie verändern die Art, wie bei der New Yorker Polizei gearbeitet wird. In der Rückschau wird "NYPD Blue" gerade dadurch zu einem interessanten Stück Zeitdokument.

NYPD Blue: Großartige Schauspieler in jeder Staffel

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David Caruso stieg schon in Staffel 2 bei "NYPD Blue" aus – und wurde später in "CSI: Miami" erneut zum Ermittler.

Das größte Kompliment, welches man "NYPD Blue" machen kann, ist wie gut es seine Schauspielerwechsel verkraftet hat. In Staffel 1 war die Figur von David Caruso (der später der Star von "CSI: Miami" als Horatio wurde) das Zentrum der Serie, doch in Staffel 2 stieg der Darsteller aus und wurde direkt durch Jimmy Smits in einer neuen Rolle ersetzt. Und das funktionierte phänomenal. Während andere Serien wie "NCIS" oder "Criminal Minds" über die Jahre die Zuschauer verloren, weil relevante Charaktere die Show verließen, wurde "NYPD Blue" durch die häufigen Wechsel gar noch interessanter. Einzig Dennis Franz blieb als Andy Sipowicz von der ersten bis zur letzten Folge dabei und wurde für seine Darstellung mit Lob überschüttet.

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Als Caruso ging, übernahm Jimmy Smits als Detective Bobby Simone. Er blieb bis Staffel 6 und heimste viele Preise ein.

Die Schauspieler hatten hier auch einiges zu tun: Anders als in damals bekannten Krimis wie "Magnum" oder "Das Model und der Schnüffler", in denen die Figuren eigentlich immer gleich blieben, machten die Charaktere hier gewaltige Veränderungen durch – und wer sich alle 12 Staffeln ansieht, wird merken, welch weiten Weg Andy Sipowicz gegangen ist. Der einstige Frauenhasser ist längst vergessen – und vom Alkohol bei ihm weit und breit keine Spur mehr. Preise gewann "NYPD Blue" übrigens auch zuhauf. Insgesamt 84-mal wurde sie für den Emmy (der "Oscar der Serienwelt") nominiert und gewann stolze 20 der Preise. Außerdem gab es vier Golden Globes.

Deutsche Veröffentlichung: Disney+ macht's möglich

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Dennis Franz (r.) hatte in 12 Jahren viele Partner. In Staffel 6 bis 8 zum Beispiel Detective Danny Sorenson, gespielt vom "Der kleine Lord"-Kinderstar Rick Schroder.

In Deutschland blieb der Erfolg immer aus. Die Serie startete im September 1994 auf ProSieben, lief aber nie bis zum Ende. Nur 169 von 261 Folgen wurden synchronisiert, nur die ersten zwei Staffeln je auf DVD veröffentlicht. Mittlerweile läuft "New York Cops – NYPD Blue" nirgendwo mehr im TV, die DVDs sind längst vergriffen. Dabei lohnt es sich nach so langer Zeit mehr denn je, in dieses Meisterwerk einzutauchen – und genau das wird jetzt möglich gemacht, und zwar beim Streamingdienst Disney+ im STAR-Bereich. Wer darauf Lust bekommen hat, bekommt das Abo für Disney+ hier.

Am 16. Februar 2022 wurden dort die ersten zwei Staffeln veröffentlicht. Am 30. März 2022 kamen die Staffeln 3-6 zu Disney+. Die Staffeln 7 bis 12 sollen ebenfalls noch als Deutschlandpremiere dort folgen. Man kann es dieser Serie und allen Krimifans hierzulande nur wünschen, in den vollständigen Genuss dieser fantastischen Nabelschau in die New Yorker Polizei zu kommen.

Eines ist sicher: Mit "NYPD Blue" im Repertoire dürfte Disney+ einen der besten Streamingstarts des Jahres 2022 gelandet haben.