An der belebten Karl-Marx-Straße in Neukölln entsteht neues Leben. Neben dem Alfred-Scholz-Platz wird das ehemalige Karstadt-Kaufhaus umgebaut. Büros, ein Food Market, ein Fitnessstudio, ein Wintergarten und eine Dachterrasse mit Infinity-Pool sollen hier entstehen, im „Kalle Neukölln“.
Am Dienstagvormittag führt Hans Stier von der Maruhn Real Estate Investment durch die Baustelle in der Karl-Marx-Straße 101. „Unser Ziel ist die Revitalisierung von gestorbenen Kaufhäusern“, sagt Stier. Maruhn habe erkannt, dass in Berlin noch viel zu tun sei. Hans Stier sagt, Maruhn habe das Kaufhaus für einen „einstelligen Millionenbetrag“ gekauft und rund 200 Millionen Euro investiert. Viele Annehmlichkeiten sollen „den Standort Neukölln wieder attraktiv machen und Leben reinholen“. Der Zugang zu Dachterrasse und Wintergarten ist öffentlich. Aber ist die teure Unternehmung profitabel?
Im Berliner Stadtgebiet ist das Problem der sterbenden Kaufhäuser omnipräsent. Neben dem Luxuskaufhaus Galeries Lafayette, das an der Friedrichstraße die Berliner Filiale im Sommer schließt, meldet Galeria Kaufhof Insolvenz an und schließt Standorte in Berlin und Brandenburg. Das ehemalige Karstadt-Kaufhaus ist beispielhaft für eine Umnutzung leer stehender Flächen. Bauherr und Investor Detlef Maruhn hat schon einige Projekte dieser Art realisiert: Von 2007 bis 2009 entstanden etwa Wohnungen in der alten Haftanstalt an der Rummelsburger Bucht.
Ex-Karstadt wird umgebaut – Büroflächen und Food Market entstehen
Errichtet wurde das Gebäude in den 1970er-Jahren, von 2001 bis 2019 war hier die Karstadt-Filiale untergebracht, davor war es ein Quelle-Kaufhaus und beherbergte auch viele Jahre lang SinnLeffers. Der hintere Teil, an der Ecke Ganghofer-/Donaustraße, wurde als Parkhaus genutzt. Nach einem Entwurf des Architektenbüros Max Dudler, Aukett und Heese und Realace Architekten werden auf 50.000 Quadratmetern Fläche nun Büroflächen, ein Abschnitt für einen Food Market und Annehmlichkeiten für die Mitarbeiter erdacht und gebaut, wie etwa ein nur intern nutzbares Fitnessstudio in der Größe von zweimal 200 Quadratmetern. Zudem soll eine frei zugängliche grüne Dachterrasse mit Infinity-Pool und Panoramablick auf Neukölln „instagrammable spots“ liefern, heißt es.
Meistgelesene Artikel
Durch den Eingang am Alfred-Scholz-Platz gelangen die Besucher zum ersten Mieter, dem britischen Plattenlabel Rough Trade. Im „Kalle“ soll die erste Niederlassung auf dem Kontinent einziehen. Der Jazz-Club ZigZag wird ebenfalls als Mieter genannt. „Das Kalle soll die drei Ks vereinen: Kunst, Kultur und Kulinarik“, sagt Stier. Kunst und Kultur ließe sich in Neukölln unter Musik zusammenfassen – durch Record-Release-Partys und Veranstaltungen durch die Pächter soll ein „internationales Publikum aus der ganzen Welt angezogen werden, das statt nach London nach Berlin-Neukölln fährt“.
Food Market nach dem Vorbild des Mercato Centrale
Die Fläche ist in drei thematische Bereiche unterteilt. Stier spricht von einem „Dark Knight“ und einem „White Knight“, die Bereiche werden von einem Wintergarten geteilt. Der „White Knight“ ist der Food Market (genannt: „Kalle Halle“), der sich an großen Vorbildern wie dem Mercato Centrale und der Markthalle Neun orientieren soll und „nicht Food Court genannt wird“. „White Knight“ heißt der Bereich deshalb, weil er in einem weißen Farbton gehalten wird und einen starken Kontrast zu dem schwarzen, brutalistischen Design des anderen Bereichs bildet.
Zwischen den Bereichen befindet sich der 500 Quadratmeter große Wintergarten, der einzige Bereich, an dem nicht der alte Bestand für den Bau genutzt wird. Der Wintergarten wird als öffentlich zugänglicher Platz genutzt, Künstler können hier beispielsweise Raum für Installationen anmieten. Hinter dem Wintergarten befindet sich der „Black Knight“, ein Veranstaltungsort, den Rough Trade und ZigZag am Abend für Musik nutzen, während tagsüber VHS- und Tanzkurse angeboten werden sollen. Im unteren Geschoss zieht Edeka ein. „Edeka war bisher im Kiez nicht präsent, deshalb sind wir froh, einen im Haus zu haben“, sagt Stier. Das Besondere: Dieser Supermarkt hat keinen Parkplatz.
Sicherheitskonzept wird den Mietern überlassen
Die ersten Schlüssel wurden schon Anfang April übergeben. Das Start-up und „Unicorn“ WeFox, ein Sponsor des 1. FC Union Berlin, lässt in dem Moment der Besichtigung gerade die Fenster reinigen. Insgesamt sind 60 Prozent der Büroflächen und 75 Prozent des gesamten Gebäudes vermietet. Für die Büroflächen zahlen die Mieter zwischen 25 und 35 Euro pro Quadratmeter. Die Mieter und Pächter bekommen neben einem neuen Büro auch viel Verantwortung: Das Sicherheitskonzept wird kurzerhand den Unternehmern und Gastronomen überlassen. Wenn um 2 Uhr nachts die Stände schließen, sollen die Pächter für Ordnung sorgen. Auch die Reinigung liegt in ihren Händen.
Neukölln ist ein Bezirk, in dem Drogenkriminalität, Gewalt und Obdachlosigkeit zum Alltag gehören. Die Frage nach der Sicherheit in einem Gebäudekomplex, das laut Stier „24/7 offen sein soll“, ist daher eine äußerst wichtige für das Vorhaben. Stier sagt, dass die öffentlich zugänglichen Orte dem Kiez zur Verfügung gestellt werden – es aber dafür soziale Kontrolle brauche. Daher solle es im Wintergarten und auf der Dachterrasse „keinen Konsumzwang geben, die Menschen sollen aber konsumieren“.
Infinity-Pool für jedermann
„Man muss den Bewohnern ein Dach schenken“, sagt Stier. Das Dach ist aufgesetzt und erneuert. Statt auf den Blick in die Berliner Innenstadt legt die Dachterrasse den Fokus auf Neukölln und die Karl-Marx-Straße. Auf dem öffentlichen Dachgarten soll ein Asian Beer Barbecue entstehen, zudem Gewächshäuser, die die Fläche ganzjährlich besuchbar machen. Insgesamt zwei Aufzüge führen aus dem Wintergarten auf das Rooftop.
Neben den Gewächshäusern und kulinarischen Angeboten entsteht ein 17 Meter langer und drei Meter breiter beheizter und jeden Tag im Jahr geöffneter Infinity-Pool. „Wir wollen in Neukölln Insta-Spots ermöglichen“, betont Stier noch einmal, während er die Entwürfe des Architektenbüros in die Höhe hält. Erneut wird die Frage gestellt: Wer soll sich um all diese Annehmlichkeiten kümmern? Die Antwort: Die Pächter des Bereiches sollen für den Pool verantwortlich sein. Bisher ist diese Stelle aber noch vakant.
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit
Bei dem Rundgang wird vor allem eines deutlich: Das scheinbar selbstlose Motiv des „Zurückgebens“ und „Revitalisierens“ wird inflationär genannt. Stier spricht davon, dass einige „Amenities“, zu Deutsch Annehmlichkeiten, überhaupt nicht wirtschaftlich seien. Bisher sei das Kalle zu 50 Prozent wirtschaftlich, wie er sagt.
Die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit und nach einem funktionierenden Sicherheitskonzept bleiben hier wohl spannend. Dennoch zeigt das Projekt, wie Umnutzungsvorhaben auch aussehen können. Obwohl das „Kalle“ zum Großteil aus Büroflächen besteht, sollen Liebhaber von Musik und Essen hier an jedem Tag der Woche die Möglichkeit haben, das Ex-Kaufhaus zu besuchen.