„Opus: Ryuichi Sakamoto“ – Konzert ohne Morgen | Die Zukunft
28. März 2024

„Opus: Ryuichi Sakamoto“ – Konzert ohne Morgen

Das letzte Aufbäumen eines Musik-Genies

Lesezeit: 3 min.

In letzter Zeit kommen zwar vermehrt Konzertfilme ins Kino, aber „Opus: Ryuchi Sakamoto“ nimmt eine Sonderstellung ein, denn dieser Film ist völlig von demjenigen beseelt, dessen Kunst er porträtiert. Introvertiert, bescheiden, leise. Der am 28. März 2023 verstorbene Ryuchi Sakamoto war ein Gigant, aber große Gesten waren nicht seins. Er war ein weltweit gefeierter Ausnahmemusiker, aber kein Star. Fast jedes Konzert startete gleich: Er stellte sich vor, forderte seine Zuhörer auf, es sich bequem zu machen und fing an zu spielen.

Es ist kaum zu glauben, dass der Mann, der von Interviewpartnern als regelrecht scheu bezeichnet wird, seine Karriere mit einem der größten Pop-Phänome Japans startete: Yellow Magic Orchestra (kurz: YMO). Das Trio, weitere Mitglieder waren Haruomi Hosono und der 2023 ebenfalls verstorbene Yukihiro Takahashi, hatte 1978 mit dem nach der Band benannten Debütalbum gleich Erfolg und schaffte ein Jahr später mit „Solid State Survior“ nicht nur endgültig den Durchbruch, sondern machte elektronische Musik in Japan salonfähig. Maßgeblichen Anteil am Erfolg hatte Sakamoto, der während seines Musikstudiums an der Tokyo National University of Fine Arts erstmals mit Synthesizern in Berührung kam und sich in den folgenden Jahren zu einem unermüdlichen Klangforscher mit einem großen Interesse an neuen digitalen Musikinstrumenten und einem grenzenlosen Musikverständnis entwickeln sollte, für den es nur eine Richtung gab: Vorwärts! So war auf dem 1981 erschienen Album „BGM“ beispielsweise zum ersten Mal der Drumcomputer TR-808 zu hören, der zu einem festen Bestandteil von Hip-Hop, Techno und House wurde. Genauso war Sakamoto einer der ersten, der den charakteristischen Klang eines Moog-Synthesizers etablierte, ohne den die New Wave der 1980er-Jahre nicht vorstellbar wäre.

Der Ruhm ging weit über Japans Landesgrenzen hinaus: Künstler wie Afrika Bambaataa, De La Soul, J Dilla oder Jennifer Lopez sollten in den folgenden Jahren die extravagante Musik der Japaner samplen. YMO hat heute in etwa den gleichen Status wie Kraftwerk, aber der Vergleich hinkt etwas, weil die Musik weit weniger kühl als die der Deutschen ist, sondern sich eher am Disco-Sound der 1970er anlehnt, deutlich wärmer, poppiger klingt.

Sakamoto selbst veröffentlichte bereits 1978 – parallel zum YMO-Debüt – mit „Thousand Knives“ sein erstes Solo-Album, das allerdings eher wenig Beachtung fand. Erst mit „B-2 Unit“ gelang ihm 1980 ein Meilenstein, der ebenso wie YMO eine Ahnung von der Zukunft elektronischer Musik gab (unter anderem findet sich eine Frühform von Drum ’n’ Bass), unterstrich, dass man es hier mit einem musikalischen Freidenker zu tun hatte.

Bei aller Experimentierfreudigkeit liebte Sakamoto, der Zeit seines Lebens Claude Debussy und Bach regelrecht inhalierte, stets auch klassische Formen der Musik. Er machte sich ab den 1980er-Jahren allmählich einen Namen als Filmkomponist und steuerte unvergessliche Töne zu unter anderem „Der letzte Kaiser“ (1987), „Die Geschiche der Dienerin“ (1990), „Tokio Dekadenz“ (1992) und einer Folge der TV-Serie „Black Mirror“ bei. Was nicht von ungefähr kam, denn er war großer Filmfan, der nach seinem Umzug nach New York oft in den Kinos der Stadt gesichtet wurde, und gelegentlich als Schauspieler aktiv.

Sakomoto war ungeheuer produktiv, seine Solo-Diskographie besteht aus 125 Alben und 79 Singles und EPs, dazu kommen natürlich die zahlreichen Arbeiten als YMO-Mitglied und dutzende weitere Zusammenarbeiten (zur vollständigen Diskographie). Selbst als man 2017 bei ihm Lungenkrebs diagnostizierte, veröffentlichte er kurze Zeit später ein neues Album („async“) und Anfang 2023 folgte kurz nach einer weiteren Schreckensdiagnose, der Krebs war zurück, nun in seinem Enddarm, ein neues Werk („12“).

Tourneen oder nur einzelne Konzerte waren ihm schon lange nicht mehr möglich, doch er nahm im Dezember 2022 alle seine noch verbliebene Kraft zusammen und drehte mit Hilfe seines Sohnes und einer 30-köpfigen Crew „Opus“. Ein schwarzweiß bebilderter Konzertfilm ohne Zuschauer, ohne aufwändige Kulissen, ohne jede Form von Budenzauber – im Mittelpunkt steht nur eins: Ein Mann und sein Klavier. Ein unheimlich intimes Dokument, das die Beziehung zwischen dem Großkünstler und seiner Kunst auf eindringliche Weise zum Ausdruck bringt. Man sieht Sakamoto nicht einfach nur spielen, sein Gesicht, die Art, wie er performed, lässt ahnen, wie tief er seine Musik fühlt, wie enorm verwachsen er mit ihr ist. Aber ebenso, wie schwer ihm ein letztes Aufbäumen gefallen sein muss, er verspielt sich auch mal – es ist bei aller Schönheit ein Konzert auf dem die Zukunft lastet, es wird kein nächstes Mal geben, vier Monate später ist Ryuichi Sakamoto tot.

„Opus“ ist ein letztes, berückendes Liebesbekenntnis.

Opus – Ryuichi Sakamoto • Japan 2023 • Regie: Neo Sora • ab dem 28.03.2024 im Kino

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