Napoléon III.: Vom gewählten Präsidenten zum Alleinherrscher - WELT
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Geschichte Napoléon III.

So schwang sich der gewählte Präsident zum Kaiser auf

Am 2. Dezember 1851 putschte in Frankreich das demokratisch legitimierte Staatsoberhaupt Louis-Napoléon Bonaparte gegen das Parlament. Er stützte sich auf seine Anhänger, seinen Populismus – und auf Waffen.
Leitender Redakteur Geschichte
President Louis Napoleon Bonaparte in the streets of Paris with his staff, after his coup, December 2, 1851, France. (Photo by: Photo12/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images President Louis Napoleon Bonaparte in the streets of Paris with his staff, after his coup, December 2, 1851, France. (Photo by: Photo12/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Louis-Napoléon Bonaparte in Paris nach dem Putsch am 2. Dezember 1851 (zeitgenössischer Stich)
Quelle: Universal Images Group via Getty

Ein gewählter Präsident unternimmt in seiner Amtszeit einen Staatsstreich und schwingt sich zum Alleinherrscher auf – derlei gibt es in der Geschichte der Usurpationen politischer Macht relativ selten. Noch weiß niemand, ob Donald Trump tatsächlich ähnlich handeln wird, falls die Auszählung der Präsidentschaftswahlen zu seinen Ungunsten ausgehen sollte. Doch es lohnt, den einzigen derartigen Fall zu betrachten, den es in den vergangenen Jahrhunderten in einem großen Staat gegeben hat.

Am 10. Dezember 1848 hatte Charles-Louis-Napoléon Bonaparte, der Neffe des im Rückblick längst glorifizierten Napoléon Bonaparte (1769–1821), die erste Präsidentschaftswahl in der zweiten französischen Republik gewonnen. Er hatte lediglich drei der größeren Zeitungen auf seiner Seite gehabt, während sein Hauptkonkurrent General Louis Cavaignac auf den Zuspruch von mehr als 100 Blättern setzen konnte und der radikale Mitbewerber Alexandre Auguste Ledru-Rollin immer noch von mehr als 40 Blättern protegiert wurde.

Portrait of Emperor Napoleon III of France (1808-1873), 1857. Found in the Collection of Musée national du château de Compiègne. (Photo by Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Louis-Napoléon in bürgerlicher Kleidung
Quelle: Getty Images

Doch Louis-Napoléons Anhängerschaft bestand vor allem aus Schichten unterhalb des Bürgertums in den Städten, die ohnehin wenig Zeitungen lasen und aus der Landbevölkerung, die eher vorpolitisch dachte. Weil diese beiden Gruppen zusammen fast drei Viertel der Wahlberechtigten stellten, hatte Louis-Napoléons einen deutlichen Sieg eingefahren.

Allein: Das genügte ihm nicht. Präsident einer Republik zu sein schien ihm von Anfang nicht angemessen, weshalb er sich „Prince-Président“ nennen ließ. Anfangs trat er dennoch nur im schwarzen Gehrock auf, wie es ihm sein liberal-konservativer Gegenspieler Adolphe Thiers im Bemühen um einen Ausgleich mit dem Wahlsieger empfohlen hatte.

„Louis-Napoléon wird sich diese Ermahnungen mit dem ihm eigenen Gleichmut und ohne eine Miene zu verziehen angehört haben“, schreibt der Historiker und Journalist Johannes Willms in seiner brillanten Biografie über Frankreichs letzten Kaiser: „Später, als Napoléon III., hat er davon oft unter Lachen erzählt.“

The French coup d'état of 5 December 1851 was a self-coup staged by Prince Louis-Napoléon Bonaparte (at the time President of the French Second Republic). It ended in the successful dissolution of the French National Assembly and the subsequent re-establishment of the French Empire the next year. When he faced the prospect of having to leave office in 1852, Louis-Napoléon (nephew of Napoléon Bonaparte) staged the coup in order to stay in office and implement his reform programs (Photo by: Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Das Militär löst die Nationalversammlung auf und nimmt Abgeordnete fest
Quelle: Universal Images Group via Getty

Seine politischen Gegner, das wusste Louis-Napoléon sehr wohl, würden alles daransetzen, ihn und seine Ambitionen mittels der Verfassung „einzumauern“, ihn mit Willms‘ Worten „als Marionette zu benutzen, um ihn dann nach Ablauf seiner Amtszeit in der Versenkung verschwinden zu lassen“. Im Mai 1852 würde es so weit sein, und das wollte der „Prince-Président“ unbedingt verhindern.

Auf seine Anhänger konnte Louis-Napoléon vertrauen; sie jubelten ihm bei seinen öffentlichen Auftritten zuverlässig und massenweise zu. Dagegen wurde der Kampf gegen das Parlament, die Nationalversammlung, immer schärfer. Anfang August 1851 empfahl ihm sein Halbbruder (und Verbündeter) Charles de Morny einmal mehr, einen Staatsstreich gegen die Abgeordneten zu wagen. Diesmal antwortete der Präsident: „Ich bin Ihrer Ansicht; ich denke ernsthaft darüber nach.“

Zuschlagen wollte er eigentlich am 17. September 1851, aber zu dieser Zeit hielten sich die Mitglieder der Nationalversammlung noch in ihren Wahlkreisen auf, von wo aus sie leicht Widerstand organisieren konnten. Also wurde „der Termin auf die Zeit nach dem 4. November verlegt“, schreibt Willms, „wenn alle Abgeordneten wieder in Paris wären und man sie auf einen Schlag neutralisieren könnte“.

French troops on the streets of Paris, France during Prince Louis-Napoleon Bonapartes coup detat of 1851 From Historia de los Crimenes del Despotismo, published 1870. (Photo by: Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Der Staatsstreich löste Kämpfe aus – in Paris, mehr aber noch in den Provinzen
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Eine verlorene Abstimmung im Parlament wurde dann die wesentliche Voraussetzung für den Putsch, denn nun konnte sich Louis-Napoléon als Verteidiger der Volksmassen gegen die Abgeordneten darstellen. Er fühlte sich politisch und moralisch bestätigt: „Erst wenn die ungeteilte Macht im Staat in seinen Händen läge, wäre das künftige Wohl Frankreichs gewährleistet“, fasst der Biograf die Überlegungen seines Protagonisten zusammen.

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Den Tag X legte Louis-Napoléon auf den 2. Dezember fest, den 47. Jahrestag der Selbstkrönung seines Onkels zum Kaiser 1804. Das war natürlich symbolisch gemeint. In der Nacht zu diesem Dienstag marschierten Soldaten an allen strategisch wichtigen Punkten in Paris auf; 60.000 Mann mit mehr als 100 Geschützen dominierten die Hauptstadt. Alle Druckereien wurden besetzt, nur für den Präsidenten eingestellte Zeitungen konnten weiterhin erscheinen. Am Morgen dann verkündete Louis-Napoléon mehrere Dekrete, in denen er unter anderem die Nationalversammlung auflöste und eine neue Verfassung ankündigte.

Doch es gab Widerstand – in Paris angesichts der Präsenz des Militärs weniger als erwartet, dafür in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt mehr. An einigen Orten ergriffen die Anhänger der Republik die Waffen und besetzten die Verwaltungszentren. Doch die Armee, die Louis-Napoléon treu ergeben war, warf die Aufstände binnen Tagen nieder. In ganz Frankreich wurden in den folgenden Wochen mehr als 27.000 Menschen festgenommen und angeklagt.

UNSPECIFIED - CIRCA 1989: Franz Xaver Winterhalter (1805-1873), Portrait of Napoleon III (Louis Napoleon Bonaparte, Paris, 1808 - Chislehurst, 1873), French Emperor (1852-1870). (Photo By DEA / G. DAGLI ORTI/De Agostini via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Napoléon III. als Sonnenkönig im Stil Ludwigs XIV. – so sah er sich selbst am liebsten
Quelle: De Agostini via Getty Images

Kurz vor Weihnachten 1851 ließ sich Louis-Napoléon seine Maßnahmen in einem Referendum bestätigen, bei dem seine Anhängerschaft natürlich die Mehrheit errang – seine Gegner waren entweder inhaftiert (wie Adolphe Thiers) oder eingeschüchtert. Die Abstimmung ergab 7.481.231 Ja-Stimmen gegen 647.292-mal Nein; 1,4 Millionen Wahlberechtigte enthielten sich oder konnten nicht votieren, weil sie inhaftiert waren. Nur ein knappes Jahr später erklärte sich der Machthaber Louis-Napoléon zum Kaiser und nahm den Namen Napoléon III. an.

Der Staatsstreich von 1851 zeigt, dass auch demokratisch legitimierte Politiker sich auf einer Woge des Populismus zum Diktator aufschwingen können. Karl Marx widmete diesem Tag sein bekanntes Werk „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“; darin attackierte er 1852 den Kaiser scharf. Doch ist der Putsch gerade kein Beispiel für die Naturnotwendigkeit des Sieges der proletarischen Revolution, sondern ein Bewies, dass die Demokratie manchmal auch vor demokratisch legitimierten Politikern geschützt werden muss.

Johannes Willms: „Napoléon III.: Frankreichs letzter Kaiser“ (C. H. Beck Verlag München. 311 S., 19,95 Euro)

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