Frank-Walter Steinmeier erhält für Verdienste um transatlantische Beziehungen Kissinger-Preis in New York

Frank-Walter Steinmeier erhält für Verdienste um transatlantische Beziehungen Kissinger-Preis in New York

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Henry-Kissinger-Preis entgegengenommen. Die Laudatio hielten Henry A. Kissinger sowie Condoleezza Rice. Ein Bericht aus New York.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird mit dem Henry-Kissinger-Preis 2022 ausgezeichnet. Steinmeier lauscht der Rede der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice bei dem Empfang der Berliner American Academy in New York.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird mit dem Henry-Kissinger-Preis 2022 ausgezeichnet. Steinmeier lauscht der Rede der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice bei dem Empfang der Berliner American Academy in New York.AP/dpa/Julia Nikhinson

Vergangenen Mittwoch hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den prestigereichen Henry-Kissinger-Preis der American Academy überreicht bekommen. Die Zeremonie dieser wichtigen Berliner Institution fand aber nicht in Deutschland statt, sondern in New York, an der Upper East Side, im Metropolitan Club. Die politische wie auch kulturelle Elite der Stadt hatte sich zusammengefunden, um in alter Tradition des amerikanischen Ostküsten-Establishments die Gelegenheit zu nutzen, leise Botschaften an die Welt zu formulieren.

Die Gründung der American Academy in Berlin geht auf Henry A. Kissinger und Richard Holbrooke zurück. Allesamt Außenpolitiker, deren Leben gezeichnet war von Brüchen. Kissinger, der als 15-Jähriger aus seiner fränkischen Heimat vertrieben wurde, als US-Soldat zurückkehrte und eine lange, bis heute andauernde Karriere im Dienst der amerikanischen Gesellschaft und US-Diplomatie absolvierte, ging es immer um den „exchange of ideas“, den Austausch von Ideen.

Die American Academy ist mittlerweile eine transatlantische Institution

In seiner aktiven Zeit als US-Außenminister verantwortete er die Verhandlungen zur Beendigung des Vietnam-Krieges. Er besuchte in vertraulicher Mission 1971 China und öffnete dort bis zu diesem Zeitpunkt streng verschlossene Türen für den Westen. Auch hatte er maßgeblichen Einfluss auf die entschlossene und doch maßvolle Außenpolitik der USA zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung und der Befreiung der osteuropäischen Länder in der kritischen Phase des Kollapses der Sowjetunion.

Nach dem Mauerfall, unterstützt durch den Berliner Senat unter Leitung von Klaus Wowereit sowie von der New Yorker Familie Kellen-Arnhold, entstand unter Schirmherrschaft von Henry A. Kissinger sowie unter Leitung des Gründungsdirektors Gary Smith am Berliner Wannsee ein Ort, wo sich intellektuelle, politische und kulturelle Kapazitäten versammeln konnten und bis heute versammeln. Die American Academy ist mittlerweile eine transatlantische Institution und eine feste Größe im Berliner Politikbetrieb.

Videobotschaft von Kissinger

Die einführende Rede im Metropolitan Club hielt Daniel Benjamin, Präsident der American Academy. Er erinnerte an die Prinzipien des Hauses. Seiner Bezugnahme auf Kissingers Anforderung der „intellectual capacity“ (man könnte auch formulieren: Kissingers Appell, mehr Substanz und weniger Drama walten zu lassen), folgte der Verweis auf die großen Herausforderungen unserer Zeit aus US-Perspektive für Europa. Und zwar: der Krieg in der Ukraine, ungesteuerte Migration, der Klimawandel sowie das aggressive Agieren erstarkender Autokratien.

Die darauffolgende Videobotschaft des mittlerweile 99-jährigen Kissinger, der auf Empfehlung seiner Ärzte nicht an der Zeremonie teilnahm, reflektierte das Zeitgeschehen und entwickelte die Perspektive, die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten, Freiheit durchzusetzen und – überraschend: Russland in die Gruppe der Nationen zurückzuführen.

So waren auch gleich die Stichworte für Condoleezza Rice formuliert.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht nach der Verleihung des Henry-Kissinger-Preises 2022 bei einem Empfang der Berliner American Academy in New York.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht nach der Verleihung des Henry-Kissinger-Preises 2022 bei einem Empfang der Berliner American Academy in New York.AP/dpa/Julia Nikhinson

Namen wie Lech Wałesa, Václav Havel oder Bärbel Bohley fehlten

Ihre Rede begann mit drei Bezugspunkten und einem Blick in die Vergangenheit: „Unification of Germany, Liberation of Eastern Europe, Collaps of Soviet Union“ – die Wiedervereinigung Deutschlands, die Befreiung Osteuropas und der Zusammenbruch der Sowjetunion. Sie führte diese Umbrüche und Entwicklungen auf die Führungsqualitäten von Persönlichkeiten wie Georg H. W. Bush, Helmut Kohl oder Margaret Thatcher zurück. Allesamt politische Größen, die Frieden und Freiheit nach Europa brachten.

Unerwähnt ließ sie, dass diese Entwicklungen zu maßgeblichen Teilen aus der Kraft der Zivilgesellschaften der ehemaligen Ostblockstaaten ermöglicht wurden, dass dortige Führungspersönlichkeiten den Weg ebneten, den Bush, Kohl oder Thatcher ohne eigenes politisches Risiko gehen konnten. Namen wie Lech Wałęsa, Václav Havel oder Bärbel Bohley und Peter-Michael Diestel spielten in ihrer Rede keine Rolle. Sie sind bis heute nicht im Selbstverständnis amerikanischer Außen-, aber auch nicht der bundesdeutschen Innenpolitik verankert.

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Lech Wałesa mit Roman Polanski und Robert de Niro 1989 in GdanskAFP/Wojtek Druszcz

Auch Reagan und Gorbatschow fanden zueinander

Dass diese Sternstunden der transatlantischen Außenpolitik ermöglicht wurden, weil Politiker auf beiden Seiten der Systemblöcke mit dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen auf den Schlachtfeldern Europas pragmatisch agierten, weit weniger ideologisch als Politikergenerationen der letzten zehn Jahre, blieb vollkommen unerwähnt. Erinnert sei nur an das Verhältnis von Leonid Breschnew und Willy Brandt, François Mitterrand und Helmut Kohl. Allianzen, die heute kaum vorstellbar sind.

Auch Reagan und Gorbatschow fanden zueinander, obwohl brutale Stellvertreterkriege in Afghanistan oder Angola tobten. Der Verlust der Fähigkeit heutiger Außenpolitik zu empathischem, angemessenem Agieren in einer sich zunehmend multivektoral organisierenden Welt zeigt sich in den Entwicklungen in Belarus oder in der Ukraine. Im Selbstverständnis moralischer Überlegenheit und in der Erwartung eines zwangsläufigen Erfolgs transatlantisch-demokratischer Werte hat der Westen in beiden Fällen weniger entschlossen und noch weniger angemessen agiert als zu Zeiten des Mauerfalls: etwa in der Phase vor dem Sturz des ukrainischen prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch.

Wiktor Janukowytsch 2019 in Moskau
Wiktor Janukowytsch 2019 in MoskauAFP

Ebenso zeigen sich diese Defizite transatlantischer Außenpolitik in der bisher leider ergebnislosen Unterstützung von Freiheitsbestrebungen in Belarus. Wenn die Entwicklungen dieser beiden europäischen Länder als Maßstab zur Bewertung aktueller transatlantischer Außenpolitik herangezogen werden – die Ukraine steht im Krieg mit ihrem größten Nachbarn, Belarus ist auf dem Weg in nordkoreanische Verhältnisse –, spricht die Situation für sich.

All dies ließ Condoleezza Rice unerwähnt und zitierte lieber Frank Walter-Steinmeier mit seiner vagen Aufforderung, die Welt für unsere Kinder in einem besseren Zustand als heute zu hinterlassen. Sie formulierte dies mit dem ergänzenden Wunsch, dass dies auf Basis demokratischer Werte und enger transatlantischer Beziehungen erfolgen möge. Im gleichen Atemzug erinnerte sie an gemeinsame Bemühungen in den Jahren 2007 und 2008 um sicherere Lebensumstände für Israelis und Palästinenser im Nahen Osten oder an die Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm. Im russisch-georgischen Konflikt schien sich ihre Arbeitsbeziehung mit Steinmeier verfestigt zu haben. Deutlich wahrnehmbar war die persönliche Anerkennung gegenüber der Arbeitsleistung von Frank-Walter Steinmeier in den damaligen Verhandlungen in Tiflis und Moskau.

Ein sichtlich berührter Bundespräsident

Abschließend formulierte sie Erwartungen an transatlantische und an die deutsche Politik, deren höchster Repräsentant Empfänger der Würdigung dieses Abends war. Es war die Bitte, die Koalition der Alliierten zusammenzuhalten, persönliche und professionelle Beziehungen für bessere Zeiten aufrechtzuerhalten, Freundschaft und Kollegialität zu pflegen, für das eigene Land einzutreten und die Dinge zu einem guten Ende zu führen. Zusammenfassend: Rice plädierte für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Der sichtlich berührte Bundespräsident nahm den Ball auf und formulierte aus, dass sich Zeiten zwangsläufig ändern und dass man angemessen darauf reagieren müsse. Trotz aller Herausforderungen sei die Integration Russlands in eine europäische Sicherheitsarchitektur notwendig, sagte er. Dass der Anstieg des Handelsvolumens zwischen Deutschland und Russland nicht in gleichem Maße zur Konversion von guten politischen Verhältnissen geführt habe, bedeute im Umkehrschluss heute, dass man entstandene Abhängigkeiten zum Schutz demokratischer Werte nun reduzieren müsse. Nicht nur in den Handelsbeziehungen zu Russland, sondern ebenso zu China.

Der Kampf gegen den Klimawandel werde ohne China nicht gelingen

Gleichzeitig werde der Kampf gegen den Klimawandel ohne China nicht gelingen, so Steinmeier. Die Aufteilung der Welt in zwei Blöcke könne deswegen nicht im Interesse des Westens sein. Regeln, Dialog und Partnerschaft würden benötigt. Dies sei keine Frage des Stils, es sei eine Frage des Überlebens. Neben vielen weiteren Aspekten seiner Dankesrede schien dem Bundespräsidenten ein Thema besonders wichtig zu sein: die Erosion politischer Standards in den USA. Diese Erosion betreffe nicht nur die USA, sie werde auch auf die Europäische Union und auf Deutschland ausstrahlen. Gerne hätte man hinzugefügt: auch auf die professionellen Standards in den Medien.

Die Verleihung des Kissinger-Preises an den ehemaligen Außenpolitiker und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kann daher als souveräne und leise Botschaft an die heutige Politikergeneration verstanden werden – und an die Verfechter der konfrontativen Außenpolitik. Durch „intellectual capacity“ in bester Tradition der American Academy in Berlin. Mit anderen Worten: Bitte mehr Substanz, weniger Drama.

Holger Friedrich ist Verleger der Berliner Zeitung.

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