8. November 1932 : Stalins Frau begeht Selbstmord | Das Kalenderblatt | Bayern 2 | Radio | BR.de

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8. November 1932 Stalins Frau begeht Selbstmord

Was für ein Paar - der stählerne Revolutionär und die siebzehnjährige Sekretärin! Doch Stalin war alles andere als das Idealbild eines Ehemanns. Auf einer Feier im Kreml am 8. November 1932 kam es zum Eklat zwischen den Eheleuten. In der Nacht erschoss sich Nadjeschda Allilujewa.

Stand: 08.11.2010 | Archiv

08 November

Montag, 08. November 2010

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

"Das Böse kommt auf leisen Sohlen", heißt es bei Shakespeare, und wir möchten hinzufügen: Oft kommt es erschreckend banal daher. Den Anfang macht ein Mann. Groß, gut aussehend, dunkle Haare, blitzende Augen, ein energischer, skrupelloser Mensch, ein Bankräuber und Berufsrevolutionär, in dessen starken Armen man sich aufgehoben fühlt, einer der weiß, was er will, und irgendwann einmal will er - sie. Sie ist jung, Tochter eines Eisenbahners, sie kennen einander, seit der Vater dem Mann Unterschlupf gewährt hat, als er aus Sibirien geflohen war. Jetzt arbeitet sie für ihn als Sekretärin, sie ist siebzehn, er einundvierzig und Witwer, da bleibt es nicht aus, dass sie schwanger wird, und weil selbst Berufsrevolutionäre ein Gefühl für Anstand und Tradition haben, heiraten die beiden: Nadjeschda Allilujewa und Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin.

Was erwartet sich ein 17jähriges Landmädchen von der Ehe mit einem stählernen Revolutionär? Liebevolle Zuwendung? Abenteuer? Reichtum und ein sorgloses Leben? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es kommen Kinder, man zieht in den Kreml, er trinkt, sie studiert, gegen seinen Willen, er hat Affären, sie kritisiert, er beleidigt und kränkt, und natürlich tut man so als ob, nimmt am Gesellschaftsleben teil und feiert mit Freunden. Der ganz normale Wahnsinn, auch an der Spitze des Landes.

Am 8. November 1932 trifft sich die Führung der Partei zu einem Fest im Kreml. Russische Küche, georgische Weine, Unmengen Wodka, interessante Gäste. Nadjeschda tanzt mit ihrem Patenonkel, dessen Affären mit jungen Tänzerinnen legendär sind. Stalin seinerseits wirft nicht nur ein Aug' auf die Gattin des Marschalls Jegorow, sondern auch der Dame kleine Kügelchen aus Brot quer über den Tisch in den Ausschnitt. Stalins Frau findet das nicht witzig, es kommt zum Streit, sie wirft Stalin Versagen vor. Die Landwirtschaftspolitik: eine Katastrophe, die Kollektivierung der Bauern: ein Irrweg, die Hungersnot im Land ließe die Menschen zu schrecklichen Mitteln greifen, in ihrer Not würden sie die eigenen Kinder fressen, und was macht die Partei dagegen? Plakate drucken, mit der Aufschrift: sowas sei barbarisch.

Will man das von der eigenen Frau hören, am Jahrestag der Revolution, vor allen Freunden? Und dann will sie noch nicht mal mit einem trinken. Stalin prostet ihr zu wie einem Straßenmädchen: "Hey du, sauf mit!" Sie schreit zurück: "Ich heiß' nicht Hey du." Er stippt seine Zigarette in ein Weinglas und bewirft sie damit, sie schreit wütend auf und rennt aus dem Zimmer. Molotows Frau läuft ihr nach, sie zu beruhigen, drinnen lästern derweil die Männer über die Launen hysterischer Weiber. Nadjeschda bleibt verschwunden, Stalin selbst kommt erst früh nach Hause, wer weiß, wo er die Nacht gewesen ist, es gibt Gerüchte. Soweit die trivialen Geschehnisse des Abends des 8. November.

Am Vormittag des nächsten Tages findet das Hausmädchen Stalins Frau tot in ihrem Schlafzimmer. Sie hat sich mit ihrer Pistole in den Kopf geschossen. Für Stalin: ein Schock. "Die Kinder haben sie in ein paar Tagen vergessen", soll er gesagt haben, "aber ich bin für mein Leben gezeichnet." So spricht der Mann, der Hunderttausende deportieren und umbringen lässt. Eine offizielle Erklärung zu dem Vorfall gibt es nicht. Stalins Frau erhält ein Staatsbegräbnis, nicht im Kreml, sondern auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof, wo Wissenschaftler und Künstler begraben liegen. Beharrlich hält sich in der Stadt das Gerücht, Stalin gehe nachts dorthin, ganz allein. Er sitze dort und starre das Grab an.


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