„Der Fall Marianne Voss“ auf Arte basiert auf dem Ludwigsfelder Mordfall Brigitte Scholl

Aus Scholl wird Voss: Tötungsdelikt um einen Bürgermeister und seine Frau als TV-Drama

„Der Fall Marianne Voss“ (Arte und ZDF) mit Jörg Schüttauf und Valerie Koch folgt dem echten Ludwigsfelder Drama um den Mordfall Brigitte Scholl.

Das Ehepaar Marianne (Valerie Koch) und Karsten Voss (Jörg Schüttauf) 
Das Ehepaar Marianne (Valerie Koch) und Karsten Voss (Jörg Schüttauf) ZDF

Ein Mann (Jörg Schüttauf) sucht seine Frau (Valerie Koch). Sie ist von ihrem Waldspaziergang mit dem Hund nicht zurückgekommen. Schon vier Stunden später meldet er sie als vermisst. Der Polizist will die Anzeige abblocken: „Nach vier Stunden macht man doch noch keine Vermisstenanzeige. Ihre Frau ist ein freier Bürger in einem freien Land. Da kann sie doch machen, was sie will.“

Doch der Mann entgegnet scharf: „Ich bin fast zwei Jahrzehnte Bürgermeister dieser Stadt gewesen. Der erste frei gewählte Bürgermeister nach der Wende, nach dem Krieg, um ganz genau zu sein. Bitte kommen Sie mir nicht mit Freiheit!“ Am nächsten Tag sucht der Mann mit einem Freund (Bernhard Schütz) und der Tochter (Hannah Ehrlichmann) das Waldstück ab: Sie finden erst ein Paar Schuhe, dann Frau und Hund von einem Mooshügel bedeckt. Zwei Tage später wird der Ehemann und Ex-Bürgermeister verhaftet.

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Inspiriert von wahren Begebenheiten und einem Buch von Anja Reich

Der Film basiert auf einem realen Fall, der 2012 monatelang für Schlagzeilen sorgte. Heinrich Scholl, viele Jahre lang erfolgreicher Bürgermeister in Ludwigsfelde, stand ab Oktober 2012 vor dem Landgericht Potsdam und wurde nach zehn Monaten wegen Mords an seiner Frau Brigitte zu lebenslanger Haft verurteilt, seine Revision wurde als unbegründet verworfen. Anja Reich, Ressortleiterin dieser Zeitung, hatte die Verhandlungen verfolgt, lange Gespräche mit dem Verurteilten und seinem Umfeld geführt und 2014 das Sachbuch „Der Fall Scholl“ im Ullstein-Verlag veröffentlicht.

Der Film behauptet eingangs, er sei „inspiriert von wahren Begebenheiten“, „Personen und Geschehnisse“ seien „fiktionalisiert“ worden. Doch wer den Film, die Presseberichte und das Buch miteinander abgleicht, wird schnell merken, dass hier im Grunde nur die Namen von Personen und Orten ausgetauscht worden sind. Aus Heinrich und Brigitte Scholl wurden „Karsten und Marianne Voss“, statt eines Sohns haben sie eine Tochter, die Geliebte des Ex-Bürgermeisters kommt nicht aus Thailand, sondern aus Kambodscha, aus Ludwigsfelde wurde „Griesenow“.

Doch viele wesentliche Umstände und biografische Details, ja sogar das Gros der prägenden Dialoge des Drehbuchs von Karin Kaçi stimmen mit dem Sachbuch von Anja Reich überein. Die Filmproduzenten von Senator Film haben sich in eine juristische Zwickmühle begeben, in der private Rechte und Urheberrechte kollidieren. Sie wollen zwar ganz eindeutig den spektakulären Ludwigsfelder Fall verfilmen, aber nicht riskieren, dass Beteiligte oder Heinrich Scholl selbst, der immer noch im Gefängnis sitzt, Einwände gegen die Darstellung erheben.

Fiktion oder True-Crime-Story

Das ZDF erklärt auf Nachfrage, der Film „Der Fall Marianne Voss“ wäre eine eigenständige, fiktive Geschichte, die vom Mordfall Brigitte Scholl inspiriert wurde. „Für die Inspiration wurde unter anderem auf die Recherchen von Anja Reich zurückgegriffen. Es gibt eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Produktionsfirma und dem Verlag, wonach keine Nennung und Bezugnahme erfolgt.“

Auch wenn Umstände und Details ganz klar dem echten Kriminalfall folgen, so lässt sich der Film nicht einfach der seit Jahren grassierenden True-Crime-Welle zuordnen – es ist eher ein „True-Drama“ mit starken Schauspielern. Denn der Film von Regisseurin Uljana Havemann widmet sich nicht dem eigentlichen Verbrechen, zeigt weder die Tat noch einen Täter. Schon das Sachbuch war ja kein Kriminalreport, sondern zeichnete die Entwicklung eines ungleichen Paares nach, in dem sich DDR- und Nachwendegeschichte auf eine ganz besondere Weise widerspiegelte.

Als sich die beiden Anfang der 1960er-Jahre kennenlernten, war sie die umschwärmte Stadtschöne aus reichem Hause, er ein ehrgeiziger, armer Streber, der von seiner dominanten Mutter schurigelt und verstoßen worden war. Der Film setzt kurz nach der Wende ein: Karsten Voss, gerade in die SPD eingetreten, will sich auf Anraten von Klaus Wowereit zum Bürgermeister wählen lassen. Sein Kumpel Fritz (Thorsten Merten) glaubt: „Wir sind sowieso bald weg vom Fenster.“ Voss dagegen ist sich sicher: „Ich bleibe!“ Der reale Heinrich Scholl blieb tatsächlich bis 2009 Bürgermeister.

Seine Frau aber hatte Probleme damit, dass plötzlich ihr Mann die Nummer eins in der Stadt war. Immer wieder brüskierte die dominante Frau ihren Gatten: Während der Stadtratssitzung diktierte sie ihm telefonisch Einkaufslisten. Guckte er mit Kumpels Fußball, kommandierte sie ihn zum Autowaschen ab. Nachdem er als Bürgermeister abgetreten war, flüchtete er in eine Beziehung zu einer jungen Prostituierten aus Fernost. Nach seiner reumütigen Rückkehr musste er im Keller schlafen.

Wie die beiden entfremdeten Eheleute in einer verhärteten Beziehung zwanghaft das öffentliche Bild aufrechterhalten wollen, das zeigen Valerie Koch und Jörg Schüttauf sehr schmerzhaft. Wie schon die Gerichtsverhandlung die Ludwigsfelder spaltete, so dürfte auch der Film die Zuschauer teilen. Jörg Schüttauf, der dem Vorbild auch äußerlich ähnelt, spielt einen Sympathieträger mit vielen menschlichen Schwächen. Sein Karsten Voss beteuert wie der reale Heinrich Scholl seine Unschuld und behält das letzte Wort: „Ich habe ihr nichts getan – jedenfalls nicht bewusst!“

Der Fall Marianne Voss. Freitag, 22. März, 20.15 Uhr, Arte; Montag, 25. März, 20.15 Uhr, ZDF (+ Mediathek)