Frauenrechtlerin Minna Cauer: Sie ließ sich überreden, zum Glück
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Frauenrechtlerin Minna Cauer: Sie ließ sich überreden, zum Glück

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Minna Cauer.
Minna Cauer. © picture alliance / Zoonar

Heute vor 100 Jahren starb Minna Cauer, eine der wichtigsten Sprecherinnender deutschen Frauenbewegung.

Ihren Eintritt in die Frauenpolitik schilderte Minna Cauer so: „Sie forderten mich auf, einer Versammlung beizuwohnen, in der die Frauenfrage behandelt werden sollte, sie hätten gehört, dass ich mich dafür interessiere. Ungern folgte ich der Einladung. Ein kleiner Kreis von Männern und Frauen, ein wenig ermunternder Raum. Teilnahmslos setzte ich mich in eine der letzten Reihen und hörte nicht zu, was vom Präsidium aus verkündet wurde. Ich langweilte mich, sehnte mich zu meinen Büchern zurück. Plötzlich hörte ich meinen Namen mehrmals rufen. Ich fuhr auf und fragte, um was es sich handle. Man lächelte. Ich erklärte, dass ich nicht zugehört hätte. Man wollte von mir wissen, ob ich geneigt sei, einen Verein zu gründen, der sich mit der Frauenbewegung beschäftigen solle. Meine Antwort war verneinend, da ich von alledem nichts verstände. Eine Woche darauf hatte man mich soweit überredet, dass ich die Sache dennoch annahm.“

Eine Urszene. Sie wird von manchen Historikerinnen als Ausdruck weiblicher Zurückhaltung gedeutet. Minna Cauer sah diesen Augenblick im Februar des Jahres 1888, als sie ihn 1909 aufschrieb, wohl ein wenig anders. Sie wusste schließlich, was sie geleistet hatte und nicht müde wurde, weiter zu leisten. Sie wusste auch, dass, was immer die Männer der Deutschen Akademischen Vereinigung, eines Berliner Zirkels liberaler Intellektueller und Sozialreformer, im Sinn gehabt hatten, als sie sie bedrängten, einen Frauenverein – „Frauenwohl“ hieß er – zu gründen, sie daraus sehr schnell ihre eigene Sache nach ihrem eigenen Kopf und ihrem eigenen Herzen gemacht hatte. Und noch etwas: Die Pfarrerstochter Minna Cauer wusste genau, dass seit den Tagen des Moses ein echter Prophet sich erst einmal dagegen wehrt, zu einem gemacht zu werden.

Minna (Wilhelmine) Schelle wurde am ersten November 1841 in einem Dorf in der Mark Brandenburg geboren. Als Heranwachsende wollte sie Lehrerin werden. Ihre Eltern waren dagegen. Sie fanden, bis zur Verheiratung könne sie besser im Haushalt helfen. Mit 21 heiratete sie den Hausarzt der Familie. Ihr einziges Kind starb an Diphtherie. Als ihr Mann starb, legte sie ihr Lehrerinnenexamen ab und fuhr danach für etwas mehr als ein Jahr nach Paris, wo sie als Hauslehrerin arbeitete. 1869 erhielt sie eine Stelle an einer Mädchenschule in Hamm. Dort lernte sie den Schulleiter Eduard Cauer (1823 – 1881) kennen. Die beiden heirateten.

Minna Cauer gab ihren Beruf auf und kümmerte sich um den Haushalt und die fünf Kinder des Witwers. Ab 1876 wohnte die Familie des Stadtschulrats Cauer in Berlin. Der Schulreformer gehörte zu den liberalen Kreisen der Stadt, in denen auch Kronprinz Friedrich und seine Gattin Victoria – eine Tochter der britischen Königin – verkehrten. Als Eduard Cauer 1881 starb, verließ seine Witwe Berlin. Sie zog um nach Dresden, beschäftigte sich dort mit der Geschichte der Frauenbewegung und veröffentlichte dazu eine Reihe von Artikeln. Kronprinzessin Victoria machte ihr klar, dass sie nach Berlin zurückkommen musste. Sie wird sie auch bedrängt haben, einen Frauenverein zu gründen. Jedenfalls unterstützte sie später, als ihr Mann nach nur 99-tägiger Regentschaft als Kaiser Friedrich III. gestorben war, Minna Cauer bei vielen ihrer Aktionen zur Förderung der Mädchen- und Frauenbildung.

Minna Cauer war eine zierliche, attraktive Frau. Zeitgenossen verglichen sie mit der berühmtesten Schauspielerin jener Jahre, mit Eleonora Duse. Sie soll durch den Einsatz von Stimme und Gestik ihre Vorträge zu einem Kunstwerk gemacht haben. So schreibt jedenfalls Else Lüders. Die war, bevor sie nach 1945 Mitglied der CDU wurde, nicht nur die Sekretärin Minna Cauers, sondern auch deren begeisterte Biografin gewesen.

Ich freue mich über diese Schilderung. Wir wüssten sonst nichts über die Wirkung der Rednerin Minna Cauer. Aber es ist wichtig, dass wir sie und ihre Mitkämpferinnen nicht nur als Texte lesen, sondern begreifen, wie sie auftraten und wie sie die Menschen begeisterten.

Wenn Minna Cauer von der Notwendigkeit von Agitation und Propaganda sprach, nahm sie das Vokabular der Sozialdemokratie auf, wenn sie forderte, dass Frauen das Recht haben müssten, zu wählen und gewählt zu werden, so assoziierte alle Welt damals damit die Sozialdemokratie. Die Partei August Bebels war die einzige, die im deutschen Reich für dieses Ziel eintrat.

Aber Minna Cauer war keine Sozialdemokratin, sie war kein – noch mein Vater verwendete diesen Ausdruck – „Flintenweib“. Sie war ein Männertraum. Sicher auch einer, den Frauen träumten. Aber, das gehört auch zur Geschichte der Minna Cauer, sie hat immer wieder damit geliebäugelt, wie ihre Freundin Lily Braun zu den Sozialdemokraten zu wechseln. Clara Zetkin soll ihr davon abgeraten haben. Die radikale Bürgerin war auch für die Sozialdemokraten politisch interessanter als ein weiteres – noch so prominentes – Parteimitglied.

Viele Jahre lang war Minna Cauer die Sprecherin der radikalen bürgerlichen deutschen Frauenbewegung. Von 1895 bis 1919 gab sie die zweimal die Woche erscheinende Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus. In der letzten Ausgabe schrieb sie, die Frauen hätten das Wahlrecht, könnten studieren und zahlreiche Berufe wählen. Damit ginge ein Abschnitt der Geschichte der Frauenbewegung zu Ende.

Das Aufhören-Können war die große Begabung der Minna Cauer. Sie rief wohl Dutzende Organisationen ins Leben – zum Beispiel auch die erste Organisation weiblicher Bürokräfte –, verstand es, sie aufs Gleis zu setzen, hatte ein glückliches Händchen für geeignete Chefinnen und dann zog Minna Cauer weiter. „Das Vereinsleben“ sei ihre Sache nicht. Sowie das Wichtige erreicht war – eine Forderung war institutionalisiert worden – überließ sie es gerne anderen.

Wer Näheres über diesen Zug Minna Cauers und anderes wissen möchte, der kann in ihren Tagebüchern blättern. Sie sind erhalten von 1870 bis 1922. Ein paar davon kann man im Internet einsehen. Eine großzügige, schwungvolle, leicht lesbare Handschrift. Aber noch scheint nichts transkribiert. Dabei wären die Tagebücher ganz sicher eine großartige Lektüre, die uns die zum Teil sehr handfesten Auseinandersetzungen mit der Herrenwelt, aber auch die innerhalb der Frauenbewegung plastisch vor Augen führen könnte. Ganz abgesehen von den Einblicken in die amourösen und psychischen Auf- und Niedergänge einer so entschlossenen Kämpferin wie Minna Cauer eine war.

Im November 1918 notiert Minna Cauer in ihr Tagebuch: „Abdankung des Kaisers, Ausbruch der Revolution. Traum meiner Jugend. Erfüllung im Alter! Ich sterbe als Republikanerin! Eine Erschütterung geht durch die Welt, wie sie nie gewesen. Es liegt ein gewaltiger Plan der Vorsehung darin. Wir verstehen ihn noch nicht, ahnend nur kann man ihn erfassen. Wer in dieser Zeit kleinlich ist, war es immer und wird es ewig bleiben.“ Was immer sie ahnen mochte, als sie diese Zeilen schrieb, nichts davon wurde wahr.

Auf die Revolution folgte der Bürgerkrieg der frühen Weimarer Republik, den wir uns angewöhnt haben nicht bei diesem Namen zu nennen. Freunde und Freundinnen standen in einander bekämpfenden Lagern. Das war nicht mehr die Welt, in der sie geliebt, gelebt und gekämpft hatte. Am 24. Juni 1922 wurde Walther Rathenau ermordet. Minna Cauer starb keine sechs Wochen später.

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