Der SPD-Politiker Michael Roth zieht sich überraschend für einige Zeit aus der Politik zurück. Grund dafür sei ein Erschöpfungszustand, sagte der 51-Jährige dem „Spiegel“. „Ich hatte Versagensängste. Panik vor dem, was kommt. Das kannte ich bis dahin nicht. Da war klar: Ich brauche Hilfe“, sagt Roth, der sich mittlerweile in Behandlung begeben hat.
Begonnen haben die Schwierigkeiten laut Roth im Bundestagswahlkampf 2021. Termine kosteten ihn mehr Kraft als sonst. „Wenn ich hinter dem Zeitplan herlief, bin ich manchmal in Panik geraten“, erzählt Roth. Zudem habe er unter schwersten Stimmungsschwankungen gelitten, sich innerlich leer gefühlt, plötzlich ungekannte Ängste verspürt und sei am Alltag bei Dingen wie Einkaufen gescheitert. „Ich hatte das Gefühl, ich hüpfe im Eismeer von Scholle zu Scholle, und sie werden nach und nach kleiner.“
Roth konnte zwar dennoch erneut in den Bundestag ziehen, sein Parteikollege Olaf Scholz wurde Bundeskanzler und er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Aber sein Zustand habe sich nicht gebessert. „Es ist ein Kick, nach einem manchmal verdammt schwierigen Wahlkampf sein Mandat verteidigt zu haben. Und es gibt einen enormen Reiz, darauf zu schauen, wie oft ich zitiert werde, wie viele Auftritte ich habe, wie viele Follower. Das ist die Währung heute, und es ist schwer, sich davon freizumachen“, sagt Roth, der schon seit 1998 im Bundestag sitzt.
Pause von den sozialen Netzwerken
Inzwischen geht es Roth nach eigenen Angaben zwar besser, er habe Familie und Freunde eingeweiht sowie seine Mitarbeiter. Sein Team verschaffe ihm nun immer wieder längere Pausen zwischen den Terminen. Im Juni möchte Roth sich dann auf Anraten seiner Ärztin für vier Wochen ganz zurückziehen – und dabei auch auf soziale Netzwerke verzichten. Dafür habe er sich krankschreiben lassen.
Die sozialen Medien hält er mit für einen Grund dafür, dass er nicht mehr abschalten konnte. „Man erfindet Ausreden. Man geht ins Badezimmer, sagt im Urlaub, man würde mit Freunden kommunizieren, dabei ist man in den sozialen Netzwerken unterwegs“, sagt Roth. Ständig sei man in Versuchung, am aktuellen Geschehen teilzuhaben. „Das Handy kann ein irres Suchtmittel sein.“ Zugleich schaffe er es seit drei Jahren nicht mehr, ein Buch zu Ende zu lesen. „Ich habe mich manchmal gefragt: Wo ist denn jetzt der Kick im Buch? Und wenn es den nicht gab, habe ich das Buch wieder beiseitegelegt.“
Außenpolitiker Roth profilierte sich besonders seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, in dem er immer wieder die Position der Bundesregierung klarmachte. „Die Ukraine kann und muss diesen Krieg gewinnen“, sagt er jüngst im ZDF. Für ihn sei ein Sieg der Ukraine im Krieg mit Russland hauptsächlich eine Wahrung der Souveränität des Landes.
Das heiße, dass die Ukraine frei, demokratisch, souverän und ihre territoriale Integrität gewahrt bleibe und dass sie eine Chance habe, Mitglied der Europäischen Union zu werden. „Das wäre ein Sieg für die Ukraine. Es geht nicht darum, dass die Ukraine russisches Territorium angreift.“ Wie die territoriale Integrität gewahrt werden könne, werde auch in der Ukraine diskutiert, etwa inwieweit lohne sich der Preis, von Russland besetzte Gebiete zurückzuerobern.
Zuletzt empfing er mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und dem Vorsitzenden des Europaausschusses Toni Hofreiter den Präsidenten des ukrainischen Parlaments Rusla Stefanchuk im Bundestag. Dabei ging es auch um die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, die immer wieder diskutiert wird. „Es ist komplizierter, als es manchmal scheint. Ich unterstelle niemandem eine böse Absicht. Aber wir alle wissen inzwischen, dass die Möglichkeiten der Bundeswehr selbst sehr eingeschränkt sind, aus eigenen Beständen zu liefern“, sagte Roth dazu vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk.
Roth möchte nach der Sommerpause zurückkehren. „Ich liebe meinen Beruf. Ich brenne dafür“, sagt er weiter. „Aber ich weiß jetzt, dass man Überforderungen ernst nehmen muss. Ansonsten kann man schnell in eine existenzielle Krise geraten.“