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Dieser Beitrag erschien durch Kooperation mit Playboy
Kai Diekmann im Interview: Ex-Bild-Boss: Niemand überraschte mich so wie Putin – und das immer wieder
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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Kai Diekmann, Wladimir Putin (Foto aus dem Jahr 2001)
Imago Kai Diekmann, Wladimir Putin (Foto aus dem Jahr 2001)
Kai Diekmann stand 16 Jahre an der Spitze von „Bild“. Und war damit einer der mächtigsten und zugleich umstrittensten Journalisten des Landes. Jetzt hat er ein Buch („Ich war BILD“) über seine prägendsten Erlebnisse geschrieben. Playboy-Chefredakteur Florian Boitin sprach mit ihm.

Playboy: Kai Diekmann, Sie sind unbestritten eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Medienwelt. Der „Spiegel“ schrieb mal über Sie: „Er sah ja viele Jahre lang aus wie eine Figur, die sich Helmut Dietl für den Chefredakteur der Bildzeitung hätte ausdenken können. Er trug blaue Hemden und rote Krawatten und polierte Schuhe. Und seine Haare waren so stramm mit Schaum nach hinten frisiert, …“

Kai Diekmann: Mit Schaum, immerhin. 

„… dass man glauben konnte, sie seien verleimt.“

(Lacht) Ich kenne das Zitat gar nicht. 

Ihnen sind ja viele Attribute verliehen worden. Welche Zuschreibung wird Ihnen am ehesten gerecht?

Ruhelos, suchend, leidenschaftlich, besessen. Das können andere aber besser beurteilen. Was den Style angeht: Ich kam ja in einer Zeit zu „Bild“, Mitte der 80er-Jahre, da war das dort noch eine andere Welt. Da gab es immer noch die Lederwestenträger in der Redaktion. Ganz am Anfang, als ich Praktikant war, habe ich noch erlebt, dass morgens um zehn Uhr aus dem Plastikbecher Sekt getrunken wurde. Und diese Welt wollten wir Jungen verändern – deshalb Hemd, Jackett und auch Krawatte.

Wie wurde aus dem gegelten Chefredakteur der zottelige Digitalhipster?

Ich musste immer zwanghaft gegen den Strom schwimmen. Deswegen gab es zu Beginn diese strenge Uniform. Als ich für Springer ein Jahr ins Silicon Valley ging, wurde ich, was Hierarchien und so weiter angeht, ein Stück weit vom Saulus zum Paulus und habe begriffen, dass wir uns als Medienbranche komplett neu erfinden müssen, wenn wir in der neuen digitalen Welt überleben wollen.

Wie haben damals Ihre Kollegen auf den auch optisch vollkommen veränderten Kai Diekmann reagiert?

Da gab es ganz viele Kollegen, die gesagt haben, der Kai ist komisch geworden. Aber wartet mal ab, in zwei Monaten haben wir den alten Kai zurück. Und da habe ich mir gesagt, okay, du musst jetzt ein Zeichen setzen. Auch äußerlich. Und das war der Moment, als ich mir diesen Riesenbart habe wachsen lassen und einen anderen, deutlich bequemeren Dresscode pflegte.

Sie waren 16 Jahre lang an der Spitze von „Bild“, so lange wie Merkel regiert hat, so lange wie kein anderer vor Ihnen … 

So lange wie Helmut Kohl regiert hat, würde ich immer sagen.

Penis-Prozesse und Drohanrufe von Bundespräsidenten" credit="Für seine Schülerzeitung „Passepartout“ interviewte der damals 17-jährige Kai Diekmann erstmals Helmut Kohl. 2002 war Kohl Diekmanns Trauzeuge Credit: Kai Diekmann Privatarchiv" src="https://playboy-website.b-cdn.net/sites%2Fdefault%2Ffiles%2Fstyles%2Fmax_325x325%2Fpublic%2F2023-05%2Fkai-diekmann-schuelerzeitung-interview-helmut-kohl-%28c%29%20Kai%20Diekmann%20Privatarchiv.jpg?itok=DboeXVlk">

Sie galten als der mächtigste Medienmacher des Landes. Wer hat wen mehr verändert, Sie die „Bild“-Zeitung, oder die „Bild“ Sie?

Ich glaube das hält sich die Waage. Aber dass ich es noch erleben darf, dass ausgerechnet die „Zeit“ schreibt, ich hätte „Bild“ aus der „politischen Schmuddelecke“ geholt, das ist etwas, was ich mir in Gold rahmen und an die Wand hängen muss! Natürlich verändert dich die Zeit an der Spitze einer solchen Zeitung auch. Zum Glück war da immer meine Frau zur Stelle, die immer gesagt hat: Hey, jetzt mal Stopp, wir sind hier nicht dein Sekretariat, und das ist hier nicht die „Bild“-Redaktion. Zuhause wird kommuniziert und nicht kommandiert.

Und das, obwohl Sie Ihre Frau in der „Bild“-Redaktion kennengelernt haben …

Kaum hatte ich sie bei „Bild“ kennengelernt, hat sie „Bild“ auch schon wieder verlassen. Sie wäre künftig nicht mehr als Kolumnistin Dr. Katja Kessler unterwegs gewesen, sondern immer auch als die Ehefrau des „Bild“-Chefredakteurs. Darauf hatte sie verständlicherweise keine Lust. 

Was haben Sie gelernt bei „Bild“?

Dass 16 Jahre wahrscheinlich viel zu lang sind. Ganz egal, ob Sie Angela Merkel sind, Helmut Kohl, ein CEO eines Unternehmens oder der „Bild“-Chefredakteur. 16 Jahre sind in jeder Funktion zu lang, denn irgendwann stellt sich eine Routine ein, die nicht mehr danach fragt, was will der Leser, der Kunde, der Wähler, sondern: Was will der Chef?

Sind routinierte Abläufe nicht auch von Vorteil?

Für „Bild“ ist Routine das Allerbeste, was man sich vorstellen kann. Denn „Bild“ ist eigentlich Dauerkrise! Dass man bei „Bild“ über den Tag hinausdenkt, das hat es Jahre nicht gegeben. Normalerweise haben wir immer am 23. Dezember überrascht festgestellt, dass morgen Heiligabend ist, und uns gefragt: Was machen wir denn dazu? Die Routine, die wir in 16 Jahren entwickelt haben, war ein Segen! Insofern haben wir gar nicht gemerkt, dass diese Routine auch gefährlich ist. 

Sprechen wir über Ihr Buch „Ich war BILD“. Im Prolog schreiben Sie, warum Sie um ein Haar „nicht BILD geworden“ wären, sondern allenfalls eine kurze Bild-Störung. Es geht um den Fall Jürgen Trittin. Sie waren erst seit wenigen Wochen im Amt, da veröffentlichte „Bild“  auf der Titelseite ein Foto des damaligen Umweltministers, das ihn auf einer Demonstration zeigt. Das Problem: „Bild“ unterstellte im Text, Trittin sei auf dem Foto mit Schlagstock und Bolzenschneider zu sehen. Was sich kurze Zeit später als Irrtum herausstellte. Der Aufschrei war groß, Sie mussten sich persönlich bei Trittin entschuldigen. Und wieder hieß es: „Bild“ lügt! Heute ist die Gefahr noch größer, dass Bilder lügen, Thema Künstliche Intelligenz. 

Wir haben ja gerade ein erschreckendes Beispiel gesehen mit dem durch KI-erzeugten Foto des Papstes im weißen Schneemantel. Oder das Foto vom Kniefall Donald Trumps. Da liegt natürlich eine Riesengefahr drin. Wenn wir bisher glaubten, dass Bilder Realität zeigen, so müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass das, was wir sehen und was wir hören, mit der Realität nichts mehr zu tun hat. 

Was bedeutet das für den Journalismus?

Das macht Journalismus nochmal immens viel wichtiger. Wir brauchen einen Journalismus, der diese vorgeblichen Realitäten überprüft. 

Aber sind Journalisten nicht überfordert, in der Kürze der Zeit zu erkennen, dass ein Bild Fake ist?

Ich bin ein Technologie-Optimist und überzeugt davon, dass KI im gleichen Maße, wie sie in der Lage ist, Bilder oder Realitäten zu inszenieren, auch in der Lage sein wird, entsprechende Fälschungen zu entlarven.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Eine meiner wichtigsten Lektionen, einen schönen Streit bloß nicht zu früh abräumen. Lass deinen Gegner schmoren wie einen Frosch im Kochtopf, während das Wasser langsam seinen Siedepunkt erreicht.“ Geht Ihnen Streit über alles?

(Lacht) Ich gehe keinem guten Streit aus dem Weg. Das war schon ein perfect match, dass „Bild“ und ich zusammengekommen sind. Wir haben uns an vielen Stellen einfach wunderbar ergänzt. Ich bin schon als Jugendlicher keinem Streit aus dem Weg gegangen.

Haben Sie sich auch körperlich geprügelt?

Nein, nein. Das war überhaupt nicht mein Ding. Aber es ging mir schon immer auch um die Frage: Wie kann ich meine lieben Mitmenschen jetzt mal ordentlich provozieren? 

Wurden Ihnen in den 16 Jahren auch mal Prügel angedroht? Von Personen, die Sie mit „Bild“-Artikeln provoziert hatten?

Ja. 

Wollen Sie Namen nennen?

Nein. (Lacht) Das waren Leute, mit denen ich mich heute gut verstehe. 

Ihr Vater war promovierter Rechtsanwalt, Notar, die Mutter medizinisch-technische Assistentin. „Bild“ war im Elternhaus tabu. Hatten sich Ihre Eltern ein anderes Betätigungsfeld für den Sohn gewünscht?

Meinen Eltern war die Welt des Journalismus zunächst fremd. Wenn sie damals Mitte der 80er gefragt wurden, wo ich denn meine Ausbildung machen würde, antworteten sie, „der macht irgendwas bei Axel Springer“. Das Wort „Bild am Sonntag“ ging ihnen eher schwer über die Lippen. Aber meinen Eltern war klar, dass Journalismus meine Leidenschaft ist. Sie haben mich dann darin großartig unterstützt, möglicherweise gegen ihre eigenen Überzeugungen. Ein Beispiel: 1997 war ich Politikchef von „Bild“ und hatte einen Riesenstreit mit dem damaligen CEO von Springer. Er wollte mich fristlos feuern und erklärte mir ganz offen, dass ich, wenn ich vor Gericht zöge, vermutlich in der zweiten oder dritten Instanz auch Recht bekommen würde. Bis dahin sei ich allerdings pleite. Damals fragte mich mein Vater: „Wie viel Geld brauchst Du im Monat, damit du auf der Stelle frei bist und Dich nicht erpressen lassen musst?“ Das fand ich großartig. Ich habe es dann zwar nicht in Anspruch nehmen müssen, aber da wusste ich, dass meine Eltern am Ende doch stolz auf ihren Sohn sind. 

verheiratet. Die beiden haben zusammen vier Kinder Credit: Pro Imago Life" src="https://playboy-website.b-cdn.net/sites%2Fdefault%2Ffiles%2Fstyles%2Fmax_325x325%2Fpublic%2F2023-05%2Fkai-diekmann-katja-kessler-interview-bild.jpg?itok=7O21QMUE">

Berufskrankheit der Mächtigen ist die Hybris, schreiben Sie. Sie waren über mehr als anderthalb Jahrzehnte der mächtigste Journalist des Landes. Wann hat man Ihnen selbst zu Recht Hybris vorgehalten?

Hybris ist mir häufig vorgeworfen worden. Meistens von Politikern, die sich von „Bild“ ungerecht behandelt fühlten. In der Causa Wulff ist mir – wie überraschend – ununterbrochen Hybris vorgeworfen worden.

Der Fall Christian Wulff. Sie beschreiben den ehemaligen Bundespräsidenten, an dessen Sturz Sie maßgeblichen Anteil hatten, als unprofessionell, und sein Handeln als nicht dem Amt entsprechend. Konkret: „Wulff verfügte über das bemerkenswerte Talent, sich selbst die Pistole zwischen die Schulterblätter zu drücken und ‚Hände hoch‘ zu rufen.“ Ein vernichtendes Urteil über den ehemals ersten Mann im Staate. Gibt es irgendetwas, wofür Sie sich bei Christian Wulff entschuldigen müssen?

Ich wüsste nicht, wofür. Es hat mich übrigens auch kein bisschen überrascht, dass das Strafverfahren gegen ihn am Ende so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist… 

Nämlich mit einem Freispruch. 

Ja natürlich. Der Prozess war von Anfang nicht richtig, das habe ich in „Bild“ auch so kommentiert. Es war absurd, einen Bundespräsidenten mit den Maßstäben des Strafrechts messen zu wollen – es ging darum, ihn politisch zu vermessen. Erfüllt er die Anforderungen des Amtes? Kann er Bundespräsident? Und in dieser Krise hat Christian Wulff eben in jeder Beziehung dokumentiert, dass er den Anforderungen dieses Amtes, ob es das Management einer Krise war oder deren Kommunikation, schlicht nicht gewachsen ist. Sein ganzes Verhalten war absurd. Man droht einem Chefredakteur nicht und tut dies schon gar nicht auf seiner Mailbox.

„Ich gehe keinem guten Streit aus dem Weg!“: Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann über Auseinandersetzungen mit „Springer“-Chef Döpfner, Penis-Prozesse und Drohanrufe von Bundespräsidenten
Peter Rigaud „Ich gehe keinem guten Streit aus dem Weg!“: Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann über Auseinandersetzungen mit „Springer“-Chef Döpfner, Penis-Prozesse und Drohanrufe von Bundespräsidenten

PLAYBOY-Interview sagt, lange Credit: Imago" src="https://playboy-website.b-cdn.net/sites%2Fdefault%2Ffiles%2Fstyles%2Fmax_325x325%2Fpublic%2F2023-05%2Fkai-diekmann-christian-wulff-interview.png?itok=UmW--djE">

Kann man die Qualifikation für ein Bundespräsidentenamt tatsächlich an einem einzigen Telefonanruf festmachen?

Nun ja, kommt ja selten vor, dass der Versuch eines Spitzenpolitikers, die Presse an Berichterstattung zu hindern, so eindeutig dokumentiert ist. Aber: Ich habe mich ja auch lange gegen die Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht gesperrt. Weil ich, wie sich herausstellen sollte, zu Recht die Sorge hatte, dass der Streit über die Veröffentlichung den eigentlichen Vorwurf überlagern würde – nämlich, dass der erste Mann im Staate, dessen politische Macht vor allem im moralischen Gewicht seines Wortes liegt, der Öffentlichkeit zumindest nicht die Wahrheit gesagt hat. Als es um die Finanzierung seines Hauses ging. Das war …

Sie sprechen vom feinen Unterschied zwischen „hat nicht gelogen, aber auch nicht die Wahrheit gesagt“?

Genau. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass er mit seinem Rücktritt weiteren Enthüllungen zuvorgekommen ist. Da war ganz offensichtlich jemand ins Amt des Bundespräsidenten gekommen, der zwar ein guter Ministerpräsident gewesen ist, aber den Anforderungen im Schloss Bellevue nicht gewachsen war. 

Sie schreiben in Ihrem Buch über eine Begegnung mit Freunden des damaligen Bundespräsidenten und darüber, wie sich die Runde über Christian Wulff lustig machte. So zitieren Sie einen Anwesenden: „Jetzt hat’s auch der Christian kapiert.“ Wulff habe darauf mit dem Hinweis reagiert, dass man so nicht mit dem ersten Mann im Staate sprechen könne. Geben Sie den ehemaligen Bundespräsidenten mit solchen Schilderungen nicht der Lächerlichkeit preis?

Ganz im Gegenteil. Ich halte das für eine Schlüsselszene, die die ganze Tragik seiner Situation damals dokumentiert: Wer Autorität reklamieren muss und ausformulieren muss, dass er über Autorität verfügt, der hat sie nicht. 

Freunde werden Sie beide in diesem Leben nicht mehr?

Das liegt nicht an mir. Ich habe ihm ja verschiedentlich die Aussprache angeboten, aber er möchte das nicht. Für mich aus nachvollziehbaren Gründen. Das respektiere ich.

Es gibt diesen berühmten Satz von Tagesthemen-Legende Hanns Joachim Friedrichs, dass man einen guten Journalisten daran erkennt, „dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten“. Sie dagegen sagen, dass Kampagnenjournalismus für Sie nichts Negatives hätte. Warum nicht?

Weil ich der Meinung bin, dass Medienmarken eine Haltung zeigen und für eine gute Sache auch kämpfen dürfen. Ich halte es nach wie vor für absolut richtig, dass die Bildzeitung im Flüchtlingssommer 2015 ein Beispiel gegeben und sich für die Willkommenskultur in diesem Land engagiert hat – in einer Situation, in der Hunderttausende Syrer an Leib und Leben bedroht waren, sich furchtbare Szenen in Europa und an unseren Außengrenzen abgespielt haben. In dieser Situation Haltung und Verantwortung zu zeigen – mit unserer Kampagne „Refugees welcome – wir helfen“ –, das war richtig, und das sehe ich bis heute so. 

Ist es dann auch legitim, wenn der „Stern“ ein ganzes Heft von der Organisation „Fridays for Future“ gestalten lässt?

Eine gute Marketing-Aktion – aber kein Journalismus. Wenn ich das Steuer in der Redaktion in die Hand von Lobby-Gruppen gebe, verabschiede ich mich von der Redaktionshoheit. Das ist dann eine Lobby-Kampagne, aber keine journalistische. 

Hätten Sie jemals einem TV-Projekt wie der mehrteiligen Amazon-Doku „BILD. Macht. Deutschland.“, in der Ihr umstrittener Nachfolger Julian Reichelt sehr prominent begleitet wird, zugestimmt?

Nein. Es gab häufig entsprechende Anfragen, ich habe immer abgelehnt. Ich war der Meinung, wir lassen uns nicht in die Küche gucken. Der Spiegel käme auch nicht auf die Idee, Kameras in seiner Redaktionskonferenz zuzulassen. Die Redaktion ist ein geschützter Raum, da wird offen diskutiert, da werden auch Redaktionsgeheimnisse ausgetauscht. Ein Drei-Sternekoch lässt auch nicht all seine Konkurrenten via TV-Übertragung vom Herd wissen, was das Geheimnis seiner berühmten Soße ist. 

Hat die TV-Doku „Bild“ geschadet?

Kann ich nicht beurteilen. Ich habe sie nicht angeschaut.

Sie betonen, wie viel es Ihnen bedeutet, nachträglich Anerkennung für Ihre Arbeit als „Bild“-Chef zu erhalten. Mathias Döpfner, der in die Kritik geratene Springer-Chef, wurde kürzlich mit den Worten zitiert, Sie hätten die Bildzeitung zu politisch korrekt gemacht. 

Betone ich das? Nö. Ich hatte mit Mathias Döpfner viele Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs, auch per SMS. Wir waren häufig nicht einer Meinung. Das halte ich aber auch für völlig normal: we agree to disagree . Am Ende hatte ich als Chefredakteur die Verantwortung und musste den Kopf für die Schlagzeilen in „Bild“ hinhalten. Also war ich auch derjenige, der am Ende entscheidet. 

Trifft Sie Döpfners Satz dennoch?

Überhaupt nicht. Dass wir politisch in vielen Fragen unterschiedlicher Auffassung sind, war mir in meiner ganzen Zeit bei „Bild“ immer bewusst. Das haben wir auch offen ausgetragen. Mitunter sehr lautstark. 

Kommen wir zu einem anderen, durchaus pikanten Thema: Vor 21 Jahren schrieb die linke Berliner Tageszeitung „taz“: „Diekmanns Erektionsprobleme beschäftigen die taz.“ Und auf der Titelseite stand: „Sex-Schock, Penis kaputt?“ Sie klagten damals gegen die Berichterstattung. Der Penisstreit ging sogar vor Gericht. Am Ende verloren Sie den von der Öffentlichkeit lustvoll begleiteten Prozess. Am „taz“-Gebäude hängt seit dieser Zeit sogar ein Penis-Denkmal, das Ihnen gewidmet ist. Titel: „Friede sei mit dir“. Was hätte der Kai Diekmann von heute dem 20 Jahre jüngeren Chefredakteur geraten?

Also zunächst einmal: Spätestens mit dem Penis-Denkmal habe ich jetzt einen Anspruch auf ein Playboy-Centerfold. Das fehlt mir noch, das ist überfällig (lacht) . Im Ernst: Nicht nur der Kai Diekmann von heute, sondern schon der Kai Diekmann zwei, drei Jahre später wusste, dass dieser Prozess einfach ein riesendummer Fehler war. Dass ich den Prozess juristisch weitgehend gewonnen habe, hat wirklich keiner mitgekriegt. Dafür war das Gelächter aller anderen einfach viel zu laut. Das war eine wunderbare Einladung an die „taz“, sich so richtig an mir abzuarbeiten. Aber ich war ja auch lernfähig, und später haben wir den Spieß umgedreht… 

Sie wurden Miteigentümer der „taz“. 

Ja, Genosse. 

Und haben Ihren väterlichen Freund Helmut Kohl auf die Titelseite der „taz“ gepackt („Heute gibt es Kohl“)…

…die bis heute bestverkaufte Ausgabe der „taz“.

„Bild“ wird gefeiert, aber auch gefürchtet für ihre Schlagzeilen. Die wohl berühmteste Ihrer Amtszeit lautete: „Wir sind Papst!“ 

Die ist zwar legendär, aber hat übrigens schlecht verkauft. 

Warum das?

Na ja, ein Drittel der Leserschaft ist evangelisch, gerade mal ein Drittel ist katholisch, und ein Drittel ist gar nichts. Also zwei Drittel, die sich nicht für den Papst interessieren. 

Die Titelzeile war demnach auch intern umstritten?

Aus anderen Gründen. Das war damals so: Es war kurz vor Redaktionsschluss. Wir hatten keinen Hinweis, dass ein Deutscher Papst werden könnte. Unser Rom-Korrespondent hielt das für ausgeschlossen. Und dann schauten wir Fernsehen, es war 18.46 Uhr, und wir hatten bis dahin nur einen kleinen Anriss auf der Seite eins freigehalten. Auf einmal hieß es „Habemus papam“, Kardinal Ratzinger erschien auf dem Balkon, und spontan rief der Kollege Georg Streiter in den Raum: „Wir sind Papst!“ Jemand anderes rief dann noch: „Der liebe Gott ist jetzt ein Bayer!“ Letztere Zeile war natürlich falsch, es ging ja nur um den Vize. Aber dann wurde wild diskutiert, manche meinten, „Wir sind Papst“ kannst du nicht machen, das ist nationalistisch. Ich habe dann zwei meiner Vorgänger angerufen und um Rat gefragt. Claus Larass und Peter Boenisch. Einer hat gesagt: Machen! Der andere hat gesagt: Lass es! Und dann war ich genauso schlau wie vorher. Am nächsten Tag kam dann genau der Vorwurf, die Zeile sei nationalistisch. Sie hat uns sogar vor den Presserat gebracht. Es gab Beschwerden, die Zeile sei grammatikalisch falsch und auch inhaltlich falsch. Schließlich seien ja nicht alle Deutschen zum Papst gewählt worden. Nach 48 Stunden dann war die Papstzeile auf einmal Kult.

Auf welche Schlagzeile sind Sie besonders stolz?

Ach, da gibt es viele. Es waren häufig Nachrichten-Schlagzeilen, auf die man stolz war, weil man die News exklusiv hatte: Helmut Kohl – die Hochzeit, Gerhard Schröder am Grab seines Vaters, Boris Becker – die Neue. Es waren aber auch Schlagzeilen, in denen du versucht hast, ein Gefühl einzufangen. Natürlich fand ich „Miss Germany“ zur Wahl Angela Merkels zur ersten Bundeskanzlerin eine großartige Schlagzeile.

Wie viele Zeilen waren denn von Ihnen persönlich?

Das weiß ich nicht. Ich würde nicht mal behaupten, dass ich ein besonders guter Schlagzeilenmacher gewesen bin. Genauso wie ich nicht der beste Kommentarschreiber des Blattes gewesen bin. Ich habe mein Talent immer im Blattmachen gesehen, also in der Inszenierung von Geschichten von der Seite eins bis zur letzten.

Welche Schlagzeile bereuen Sie heute?

Es gibt Dutzende Schlagzeilen, die ich heute so nicht mehr machen würde. Zum Beispiel die Schlagzeilen gegen die Agenda 2010, einem der zentralen politischen Vorhaben in der zweiten Amtszeit von Gerhard Schröder. Da haben wir tatsächlich auf unterstem Niveau eine Kampagne gemacht mit Schlagzeilen wie: „Jetzt gehen Sie auch noch an die Sparbücher unserer Kinder“, oder „Mehr ausgesetzte Tiere wegen Hartz IV“. Das war, muss man sagen, säuisch. Und das hat schlicht und ergreifend damit zu tun, dass wir die Agenda damals nicht verstanden hatten. Ich bin heute fest davon überzeugt, dass die Agenda 2010 innenpolitisch eine herausragende Leistung ist, für die Gerhard Schröder als Kanzler den höchsten Preis bezahlt hat, nämlich den Verlust des Amtes. So wie der Nato-Doppelbeschluss die größte außenpolitische Leistung einer deutschen Regierung war. Helmut Schmidt hat dafür ebenfalls den höchsten Preis bezahlt – eben den Verlust des Amtes. Ohne den Nato-Doppelbeschluss hätte es die Einheit nicht gegeben.

Welche Schlagzeile wollen Sie niemals über sich lesen?

„Diekmann – sooooo langweilig!“ Ich sage immer, „Bild“ provoziert, „Bild“ polarisiert. Das macht eine erfolgreiche Marke aus – wie den FC Bayern, McDonald‘s, oder eben „Bild“. Du musst Fans haben, und du musst Hater haben. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass da zu viele dazwischen sind, die sagen, das juckt mich eigentlich nicht.

Sie haben in Ihrer journalistischen Laufbahn unzählige Politiker erlebt und persönlich getroffen. Darunter bedeutende Staatsmänner wie Clinton, Gorbatschow oder Bush. Aber auch Autokraten wie Assad, Putin oder Erdogan. Welcher dieser Politiker hat Sie am meisten beeindruckt?

Das ist schwierig zu sagen. Als ich bei Syriens Staatschef Assad in Damaskus gewesen bin, war das unmittelbar vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Ich hatte zuvor nie erlebt, dass ein Autokrat wie er selbst die Haustüre öffnet, wenn man ihn in einem seiner Paläste besucht. Assad hatte während des Gespräches auch niemanden dabei, keinen Dolmetscher, nichts. Das war eine scheinbare Bescheidenheit, die mich zunächst überrascht hat. Wenn man weiß, durch wie viele Räume man gehen muss, ehe man bei Erdogan ist. Oder wie viele Stunden man auf Putin warten muss. Zwei, drei, manchmal vier Stunden.

Apropos Putin…

Am meisten überrascht hat mich sicherlich immer wieder Wladimir Putin. Es ist seine Masche, sein Gegenüber einfach zu überrumpeln. Diese Situationen, wenn Putin einen spontan auffordert, mit ihm schwimmen zu gehen, er das Interview-Manuskript zerreißt oder will, dass man mit ihm Eishockey spielt. Es geht mir nicht darum, Anekdoten zu erzählen, es geht mir darum, Taktiken zu beschreiben. Jemanden zu begreifen und zu verstehen, was ihn ausmacht. Diese Überraschungs-Manöver hat er nicht nur an mir ausprobiert, das musste ja auch Angela Merkel bei einem Treffen mit ihm schmerzlich erfahren: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz ließ Putin plötzlich seinen Labrador in den Raum, wohl wissend, dass Merkel wirklich Angst vor Hunden hat. Er wollte die Kanzlerin einschüchtern, demütigen. Meine Erfahrungen mit Putin waren dann auch einer der Gründe, warum mich im vergangenen Jahr der österreichische Bundeskanzler gebeten hat, ihn auf einer Reise nach Moskau zu begleiten. Es ging um die Fragen: In welche PR-Fallen dürfen wir nicht laufen, wenn wir Putin treffen, mit was muss man rechnen?

Thema Digitalisierung. Was wird Deutschland fehlen, wenn es keine gedruckten Zeitungen gibt, also auch keine „Bild“-Zeitung mehr auf Papier?

Was fehlt Deutschland, seitdem es Taylor Swift nicht mehr auf Schallplatten gibt? Nichts. Es geht hier um einen Strukturwandel, der unseren Alltag erfasst. Und das war auch an vielen anderen Stellen nicht anders. Was fehlt Deutschland, seitdem es keine Telefonzellen mehr gibt? Es geht nicht um Papier, es geht um die Inhalte. Und wir ändern schließlich alle unsere Nutzungsgewohnheiten.

2017 haben Sie dem Journalismus den Rücken gekehrt und eine PR-Agentur gegründet. „StoryMachine“. Ist der Journalist Diekmann damit endgültig Geschichte?

Ich kann auch heute noch an keiner Geschichte vorbeigehen. Meine Leidenschaft, Dinge zu recherchieren, lebe ich an anderen Stellen aus. Ich bin manchmal aber ehrlich gesagt auch heilfroh, mich nicht mehr dem Wahnsinn des täglichen Journalismus und seinen Debatten aussetzen zu müssen. Ich habe jetzt das erste Mal gelesen „Witwerinnen und Witwer“. WITWERINNEN UND WITWER! Da möchte ich mich erschießen.

Sie sind kein Freund des Genderns?

Ich habe vier Kinder. Die Älteste studiert in Atlanta in den USA: Die ist woke, dass es kracht. Und sie ist da auch gnadenlos mit mir. Grundsätzlich bin ich als Vater von zwei Töchtern froh, dass diese Debatten jetzt geführt werden. Ich sehe da auch einen ungeheuren Nachholbedarf, gerade in unserer Branche. Als Vater von zwei Söhnen wünsche ich mir, dass diese notwendige Debatte ausgewogen geführt wird, in der Balance bleibt. Da mache ich mir Sorgen, dass es gerade kippt.

In welche Richtung?

Ich sehe eine Bilderstürmerei, die wir irgendwann bitter bereuen werden. Wie kommen wir beispielsweise auf die Idee, literarische Texte umzuschreiben? Wir können die literarischen Texte im Kontext einsortieren und erläutern, aber wir dürfen sie nicht umschreiben! Wenn wir so weitermachen, werden wir in Kürze die gesamte Rockmusik der Sechziger- und Siebzigerjahre auf den Index stellen.

„Ich war BILD. Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“ (DVA, 34 €): Auf 544 Seiten gibt der langjährige „Bild“-Chef überraschende Einblicke hinter die Kulissen von Europas auflagenstärkster Boulevardzeitung. Diekmann erzählt vom legendären Telefonanruf Wulffs und dessen langem und tiefen Fall, von Putins Badehose und Erdoğans Ausfälligkeiten, von der tiefen Freundschaft zu Helmut Kohl, der Abhöraffäre Wallraff und dem einzigen Interview, das Trump je einem deutschen Journalisten gab. „Ich war BILD“ ist eine rasante Erzählung voller Enthüllungen, üppig illustriert mit teils noch nie gesehenen Fotos und Dokumenten.

Kai Diekmann leitete 16 Jahre lang die „Bild“-Zeitung als verantwortlicher Chefredakteur. Seine journalistische Laufbahn startete Diekmann 1985 als Volontär auf der Journalistenschule des Axel-Springer-Verlags mit Stationen in New York und Bonn. Für die Bild-Gruppe berichtete der heute 58-Jährige bis 1989 als Parlamentskorrespondent aus der damaligen bundesdeutschen Hauptstadt am Rhein. Für zwei Jahre wechselte der Politik-Experte als Chefreporter zu „Bunte“ (Burda-Verlag). Nach einem kurzen Engagement als Vize-Chef der „BZ“ kehrte Diekmann zur Bild-Gruppe nach Hamburg zurück. Nach einem Streit mit dem damaligen Springer-Vorstandschef Jürgen Richter war für Diekmann 1997 vorerst Schluss bei Springer. Richter warf dem „Bild“-Journalisten eine zu große Nähe zu Kanzler Kohl und dem damaligen Springer-Aktionär und TV-Unternehmer Leo Kirch vor und feuerte den damals 33-Jährigen. Nach einer einjährigen Auszeit kehrte Diekmann als Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ zu Springer zurück. Von 2001 bis 2017 war Diekmann Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Nach seinem endgültigen Ausscheiden bei Springer gründete er 2017 zusammen mit Michael Mronz  und dem ehemaligen Chefredakteur von Stern.de , Philipp Jessen, die Public-Relations-Agentur . Kai Diekmann ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Die Familie lebt in Potsdam und auf der Insel Usedom.

Von Florian Boitin

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