Netflix-Drama „May December“ mit Julianne Moore und Natalie Portman: Alles ist Fake und Fassade

Netflix-Drama „May December“: Alles ist Fake und Fassade

Julianne Moore spielt eine Frau mit Skandal-Vergangenheit. Natalie Portman begibt sich in der Rolle als Hollywoodstar auf deren Spuren. Wie verwirrend und wie gut ist das?

Natalie Portman (l.) und Julianne Moore in „May December“
Natalie Portman (l.) und Julianne Moore in „May December“Netflix/AP

„Basierend auf einer wahren Geschichte“. Dieses Label kann einem Film etwas Aufregendes verleihen. Eine wahre Heldentat – wie ergreifend! Ein wahres Verbrechen – wie gruselig! In der filmischen Umsetzung wird aus einem tatsächlich gelebten Leben allerdings oft eine Ansammlung von Klischees. Dann gerät ein echtes Schicksal zum billigen Schocker, zur kitschigen Seifenoper oder zur Oscar-Bewerbung eines Schauspielstars, die mit mühsam eingeübten Manierismen und gern auch mit entstellendem Make-up eingereicht wird.

In „May December“, dem neuen Werk des amerikanischen Regisseurs Todd Haynes („Carol“), verkörpert Julianne Moore eine Frau namens Gracie, deren Hintergrundgeschichte offenkundig an eine reale Person erinnert: Mitte der 1990er-Jahre begann die Lehrerin Mary Kay LeTourneau in ihren Dreißigern ein Verhältnis mit einem damals zwölfjährigen Schüler, den sie nach einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt heiratete.

Der Fernsehfilm „Mary Kay Letourneau – Eine verbotene Liebe“ aus dem Jahr 2000 schilderte das Ganze bereits als ebenso reißerische wie banale Liaison. Das Arthouse-Drama „Tagebuch eines Skandals“, das auf einem von LeTourneaus Leben inspirierten Roman beruht, bescherte wiederum sieben Jahre später den Edelmimen Cate Blanchett und Judi Dench Oscar-Nominierungen für ihr intensives Spiel. Aus einer wahren (Missbrauchs-)Beziehung wurde konsumierbare TV-Ware und prestigeträchtiges Kino.

„May December“ auf Netflix: Die Frauen machen einander giftige Komplimente

„May December“ ist nun kein weiterer Film über die einstige Skandalromanze, sondern ein Film über deren Verfilmbarkeit. Gracie, die hier keine ehemalige Lehrerin ist, sondern den seinerzeit minderjährigen Praktikanten Joe (Charles Melton) als Angestellte in einem Zoofachgeschäft kennenlernte, brachte in Haft ihr erstes Kind von Joe zur Welt. Inzwischen sind sie eine große Familie. Die Seriendarstellerin Elizabeth (Natalie Portman) soll Gracie jetzt in einem Indie-Film spielen. Zu Recherchezwecken hält sie sich in deren Umfeld auf.

Regisseur Haynes greift in „May December“ auf Strategien zurück, die dem Stil trivialer Fernsehunterhaltung bewusst nahekommen. So ertönt wiederholt ein kurzes musikalisches Leitmotiv in Manier einer soapigen Schmonzette. Auch visuelle Mittel wie Zooms auf erschütterte Gesichter unterstreichen das Trashige, das häufig zum Einsatz kommt, wenn Lebensgeschichten sensationslüstern aufbereitet werden.

Das Ausbeuterische in der schauspielerischen Interpretation einer echten Persönlichkeit wird von Moore und Portman derweil lustvoll auf einer Meta-Ebene vorgeführt. Moore stattet Gracie mit einem Lispeln aus, das so falsch und affektiert wirkt, dass wir es als Kommentar auf den narzisstischen Aneignungsdrang ihres Berufsstandes verstehen können. Portman ahmt diese Artikulationsweise kongenial nach, um Elizabeths harte Anstrengungen der Imitation zu zeigen.

Die beiden Frauen, die immer wieder vor Spiegeln zu sehen sind, machen einander zuweilen hochgiftige Komplimente. Alles ist Fake und Fassade. Sie sei auf der Suche nach Menschlichkeit, behauptet Elizabeth selbstgefällig, als sie nach ihrer Motivation gefragt wird. Eine hohle Floskel, die tiefgründig klingen soll. „May December“ ist ein guter, reflektierter Film über das Schlechte, Unreflektierte, das wir viel zu oft in der Entstehung eines Films hinnehmen oder sogar honorieren.

May December. Spielfilm, 113 Minuten, Netflix. (Momentan ist der Film nur auf dem amerikanischen Netflix abrufbar. Der Starttermin für Deutschland ist noch unklar.)