Zusammenfassung
Dieser Beitrag versucht dem „soziologisch amorph[en]“ Machtbegriff Max Webers dadurch Konturen zu verleihen, dass er an den von Heinrich Popitz konzipierten Machtbegriffen gespiegelt wird, um dann – hierin ebenfalls Popitz folgend – mithilfe seiner Anthropologisierung wichtige „Strukturmerkmale“ der Macht erfassen zu können.
In memoriam Heinrich Popitz (1925–2002)
* Für Kritik, aber auch Zustimmung sei Stefan Breuer (Hamburg) gedankt. Ohne die Abhandlungen von Heinrich Popitz (1992), Phänomene der Macht, Tübingen: Mohr, Volker Gerhardt (1996), Vom Willen zur Macht. Anthropologie und Metaphysik der Macht am exemplarischen Fall Friedrich Nietzsches, Berlin und New York: de Gruyter, und Hartmann Tyrell hätte dieser Beitrag so nicht geschrieben werden können.
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Dieser Beitrag versucht dem „soziologisch amorph[en]“ Machtbegriff Max Webers dadurch Konturen zu verleihen, dass er an den von Heinrich Popitz konzipierten Machtbegriffen gespiegelt wird, um dann – hierin ebenfalls Popitz folgend – mithilfe seiner Anthropologisierung wichtige „Strukturmerkmale“ der Macht erfassen zu können.Footnote 1 Wo sich Verweise auf Nietzsche anbieten, wird dem entsprochen.
Die oft zitierte Definition Max Webers im § 16 der „Soziologischen Grundbegriffe“ lautet: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.Footnote 2 Indem die Definition explizit auf das Merkmal der „sozialen Beziehung“ abstellt, wird „Macht“ einerseits zu einem speziellen Fall einer „sozialen Beziehung“, andererseits wird ihr dadurch ein Platz nicht nur in der Systematik der „Soziologischen Grundbegriffe“ zugewiesen, sondern auch im Gefüge möglicher Handlungskoordinierungen.Footnote 3 Allein die von Weber vorgenommene Platzierung der Macht innerhalb der Systematik seiner „Soziologischen Grundbegriffe“ macht bereits deutlich, dass – wie bei Webers verstehender Soziologie überhaupt – ein konstruktiver Akt der Zurechnung erforderlich ist, der Sinnzusammenhänge konstituieren hilft, aber auch auf solche angewiesen ist. Oder anders formuliert: Macht lässt sich nur begreifen, wenn auf ihren intentionalen Charakter abgestellt wird, wie dies Webers Machdefinition explizit tut, indem sie die scheinbar aus dem handlungstheoretischen Kontext herausfallende Formulierung von der „Durchsetzung des eigenen Willens“ als Definitionsmerkmal heranzieht:
„Macht ist nur in intentionalen Zusammenhängen verständlich, an denen sie selbst als wirkender Faktor beteiligt ist. Wir erfahren eine Macht, als ob in ihr eine Absicht wirke, unabhängig davon, ob wir sie erfolgreich einsetzen oder ihr kläglich unterliegen. […] Natürlich wird die Als-ob-Konstruktion nur in distanzierter Reflexion auf die Bedingungen der Machterfahrung bewußt. […] Solange Macht im Spiel ist, ist auch der Wille berührt. Da aber auch vom Willen ernsthaft nur gesprochen werden kann, wenn ihm eine Realisierungschance entspricht, wenn er das Vermögen zu möglichen Wirkungen einschließt, und wenn die Macht tatsächlich nicht anders erfahren werden kann, als ob in ihr ein Wille wirke, rufen sich Macht und Wille wechselseitig auf den Plan. So wie keine Macht ohne einen durch sie wirkenden Willen vorgestellt werden kann, so zerfällt auch der Wille, wenn er machtlos wird; er wird zu einem ‚ohnmächtigen‘ Willen und damit zum bloßen Wunsch“.Footnote 4
Der von Weber in die Machtdefinition aufgenommene Zusatz: „auch gegen Widerstreben“, der oft genug zu Fehlinterpretationen Anlass gibt, berücksichtigt den Umstand, dass in einem solchen Fall die der Macht zu unterstellende Wirkungschance eher erfahren bzw. zugerechnet werden kann als dies der Fall ist in der von der Machtdefinition ebenfalls zugelassenen Situation einer „nicht auf Widerstand treffende[n], ganz problemlos Fügsamkeit findende[n] Machtausübung“.Footnote 5
Auch wenn das in die Machtdefinition aufgenommene Merkmal, Macht spiele sich „innerhalb einer sozialen Beziehung“ ab, darauf verweist, dass zu einer Machtbeziehung ein alter ego gehört, fällt freilich auf, dass der Machtunterworfene eine merkwürdig marginale Rolle zugewiesen bekommt. Und dies, obwohl es gerade eine auf den „Willen“ abstellende Machtdefinition nahe legte, dass auch demjenigen, der der Macht unterworfen ist (zumal dann, wenn er dabei Widerstand zeigt) ein Wille zugestanden wird, den es ja zu überwinden gilt – lassen sich doch die von einem Machtwillen hervorgebrachten Wirkungen grundsätzlich nur an überwundenem Widerstand ablesen.Footnote 6 Doch hat man sich stets zu vergegenwärtigen, dass der Machtbegriff deshalb auch soziologisch amorph ist, weil er einmal offen lässt, worauf die Chance zur Durchsetzung des Willens im Einzelnen beruht, zum anderen auch zulässt, dass sich ein Machtverhältnis ohne weiteres umdrehen kann, wie er auch den Umstand berücksichtigt, dass Macht eine relationale Größe darstellt: im Sinne von wechselseitig vorgenommener Zuschreibung unterstellter Macht.Footnote 7
Es liegt auf der Hand, dass der „soziologisch amorph[e]“ Machtbegriff, wie Weber selbst schreibt,Footnote 8 eines „präzisere[n]“ Gegenpols bedarf – in Gestalt des Herrschaftsbegriffs, „dessen angestrebte Präzision […] aber zulasten des Machtbegriffs [geht]“.Footnote 9 Dieser behält zwar seinen Status als Oberbegriff, daran ablesbar, dass Herrschaft üblicherweise als „institutionalisierte Macht“ definiert wird, als analytisch brauchbare Kategorie taugt der Machtbegriff jedoch nicht. Wenn Weber Herrschaft, deren Analyse sein Hauptinteresse gilt, dergestalt definiert, „daß ein bekundeter Wille (‚Befehl‘) des oder der ‚Herrschenden‘ das Handeln anderer (des oder der ‚Beherrschten‘) beeinflussen will und tatsächlich […] beeinflußt“,Footnote 10 dann verweist diese Formulierung nicht nur auf die bei der Machtdefinition gewählte begriffliche Festlegung der „Willensdurchsetzung“, sondern zeigt zugleich auch an, wie sehr Weber der Tradition verpflichtet ist.Footnote 11 Auch wenn Weber mit einem Begriffstausch hier unmittelbar bei Georg Jellinek Anleihe nimmt, der unter Herrschen verstanden hatte, seinen Willen „gegen andern Willen unbedingt durchsetzen zu können“,Footnote 12 und mit diesem Herrschaftsverständnis der damals vorherrschenden Dogmatik folgt,Footnote 13 so ist in diesem Zusammenhang vor allem auch an Kant zu denken, der dem Wort des Befehls praktische Bedeutung respektive Wirksamkeit zugesprochen hatte.Footnote 14 Mit Gerhardt ist daran zu erinnern, dass „dieses praktisch unmittelbar verständliche Konstrukt hinter Befehlen, die eine Person sich selbst oder anderen gibt, […] genau das [ist], was Kant ‚Wille‘ nennt“.Footnote 15
Im Falle der Herrschaft wird auf den „bekundeten Willen (Befehl)“, wenn auch auf spezifische, noch zu erörternde Weise mit Gehorsam tatsächlich reagiert,Footnote 16 sodass ein Verhältnis von Wille zu Wille vorliegt. Somit ist das Wirkungsvermögen des Willens in ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis eingebettet, wodurch auch das Zurechnungsproblem respektive das „Kausalitätsproblem der Fremdbestimmung“Footnote 17 prinzipiell als „beherrschbar“ angesehen werden kann. Auch weil bei der Machtdefinition die dem Wirkungsvermögen des Willens zurechenbare Reaktion relativ unbestimmt bleibt, ist der Machtbegriff „soziologisch amorph“. Allerdings eröffnet der bewusst verkündete Befehl die Übertragung einer Handlungsmöglichkeit nur im Sinne einer Wirkungschance, d. h. das „Andershandelnkönnen des Anderen bleibt ein unaufhebbares Faktum“.Footnote 18 Mit der Wortwahl der Wirkungschance wird somit deutlich gemacht, dass es sich bei der Befehl-Gehorsams-Folge nicht um eine bloße „mechanistische Verursachung“ handelt, sondern um „ein sinnhaftes Bezogensein des Handelns der einen (‚Befehl‘) auf das der anderen (‚Gehorsam‘) und entsprechend umgekehrt, derart, daß im Durchschnitt auf das Eintreffen der Erwartungen, an welchen das Handeln beiderseits orientiert ist, gezählt werden darf“.Footnote 19 Auch wenn Gehorchen insofern ein „‚voraussetzungsvolles‘ Verhalten“ darstellt, als es – wie bei der Autorität – auf Anerkennung bzw. innere Akzeptanz („kleine Legitimität“) ankommt, so verweist die Rede von der Wirkungschance auf die mit der Willensproblematik eng verknüpfte Freiheitsproblematik im Sinne einer prinzipiell gegebenen Wahlfreiheit (mit dem Spannungsverhältnis von Handlungsautonomie und Fremdmotivation).
Zunächst heißt dies nur: In dem Maße, wie ein Gehorchender den Inhalt eines Befehls zur Maxime seines eigenen Handelns macht, in dem Maße kann von ihm erwartet werden, dass er auch tatsächlich gehorcht. D. h., sein Gehorchen ist bei dieser Voraussetzung wahrscheinlicher – sowohl für den Befehlenden als auch für den unbeteiligten Dritten (Zuschauer). Selbst der Zwang als „Modus der Fremdmotivation“ räumt dem Herrschafts- oder Machtunterworfenen eine Wahl bzw. Entscheidungsfreiheit ein, insbesondere dann, wenn zunächst mit der Anwendung von Zwang gedroht wird:Footnote 20 „Zwang beruht darauf, daß das Opfer sich vor die Entscheidung gestellt sieht, entweder eine bestimmte negative Handlung des Machthabers (Strafe etwa) in Kauf zu nehmen oder nach seinem Willen zu handeln“.Footnote 21 Nur im Falle der praktizierten „restriktiven Gewalt“,Footnote 22 insofern diese auf die „Beschädigung von Körpern“ – im Extremfall auf Tötung – abstellt, ist die Handlungsautonomie des Macht- bzw. Gewaltunterworfenen negiert – sieht man einmal von der „Gegenmacht des Sich-Töten-Lassens“ ab, wie sie von den beiden Ausnahmefiguren des Attentäters und des Märtyrers verkörpert wird.Footnote 23
Wenn Weber bei der Herrschaftsdefinition ein besonderes Gewicht auf die Wenn-dann-Folge von Befehl und Gehorsam legt, scheint es ihm nicht auf eine jeweils situationsbezogene Gehorsamswirkung anzukommen. Vielmehr stellt er ganz auf den Gesichtspunkt einer generalisierten Herrschaftsgeltung ab, die vom spezifischen Inhalt eines Befehls völlig absieht: „Befehl ist Befehl“ ist der altbekannte Topos hierfür.Footnote 24 Dies zeigt sich auch daran, dass Weber auf die Herrschaftsdefinition im § 16 der „Soziologischen Grundbegriffe“ unmittelbar den Begriff der „Disziplin“ folgen lässt,Footnote 25 bei der ihm die „eingeübte Einstellung“ eines „prompten, automatischen und schematischen Gehorsams“ bei einer Vielzahl von Menschen – durchaus im Sinne einer „‚Eingeübtheit‘ des kritik- und widerstandslosen Massengehorsams“Footnote 26 – besonders wichtig ist. Bei der „Disziplin“ kommt es also ganz entscheidend auf das Moment der „Pauschalakzeptierung“ an.Footnote 27 Sie ist mit dem Merkmal der „Eingeübtheit“ aufs Engste verbunden: diese wiederum verweist auf „Einübung“ bzw. „Übung“ und somit auf „Askese“ in der ursprünglichen Wortbedeutung. Wenn Weber an anderer StelleFootnote 28 „Disziplin“ als „‚Abrichtung‘ zu einer durch ‚Einübung‘ mechanisierten Fertigkeit“ kennzeichnet, welche „[die Ausrichtung auf] ‚Pflicht‘ und ‚Gewissenhaftigkeit‘“ voraussetze, sofern diese „an starke Motive ‚ethischen‘ Charakters überhaupt“ appelliere, dann lässt dies an den in Nietzsches „glänzendem Essay“Footnote 29 – gemeint ist dessen Abhandlung „Zur Genealogie der Moral“ – verwendeten Begriff der „machinalen Thätigkeit“ denken,Footnote 30 bei welcher der Übungscharakter ebenfalls eine große Rolle spielt.Footnote 31
Es ist demnach nicht zu übersehen, dass die von Weber gewollte Präzisierung des HerrschaftsbegriffsFootnote 32 darin besteht, die Machtbeziehung durch Institutionalisierung über Prozesse der Entpersonalisierung, Formalisierung und IntegrierungFootnote 33 auf Dauer zu stellen,Footnote 34 was zur typischen Asymmetrie zwischen Befehlendem und Gehorchendem führt, dessen Reaktion durch konditionale Programmierung im Erwartungshorizont eines probabilistischen Kausalitätsbegriffs gesichert wird.Footnote 35 Die Schwierigkeiten, die sich offensichtlich hieraus für den vagen Machtbegriff ergeben, sind vor allem darauf zurückzuführen, dass hinsichtlich der „Mannigfaltigkeit der Machtformen“Footnote 36 als gemeinsamer Nenner nur zu konstatieren bleibt: Macht liegt vor, wo Wirkungen gezeitigt werden oder solche erwartet werden.Footnote 37 Insofern heißt es bei Weber: „Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen“.Footnote 38 So gesehen, gilt Macht als das Vermögen zu wirken, was zunächst impliziert, dass sie weder mit Gewalt noch mit Herrschaft gleichzusetzen ist, auch wenn sie sich in Form von Gewalt und Herrschaft äußern kann.Footnote 39
Die „Mannigfaltigkeit der Machtformen“ hat demnach ihre Entsprechung in der Vagheit des Machtbegriffs. Ändert man jedoch die Blickrichtung und sucht zu den historisch-gesellschaftlichen Erscheinungsformen der Macht den gemeinsamen Nenner in der Form der ihnen zugrunde liegenden anthropologischen Voraussetzungen, dann lassen sich wichtige „Strukturmerkmale“ der Macht eher erfassen.Footnote 40 Hierauf beruht exakt die zu beobachtende Re-Orientierung an der Anthropologie, welche die zu der u. a. von Wolfgang Sofsky repräsentierten GewaltforschungFootnote 41 in Opposition stehende „innovatorische Gewaltsoziologie“ auszeichnet,Footnote 42 die sich ihrerseits auf Heinrich Popitz und seinen grundlegenden Gewalt-Essay im Band Phänomene der Macht (von 1992) beruft. In der Tat folgt Popitz, wenn auch unausgesprochen, dem von Kants Vernunftmetaphysik gewiesenen Weg, die ihren „Ausgang von der erfahrenen Natur, von der erschlossenen Geschichte des Menschen [nimmt]“.Footnote 43 So formuliert Popitz drei Prämissen der Problematisierung von Macht (Macht ist machbar, omnipotent und freiheitsbegrenzend), die er einerseits als „Resultate eines geschichtlichen Prozesses“ betrachtet, andererseits als „implizite Anthropologisierung des Macht-Konzepts“ begreift, die „theoretisch explizit gemacht werden [muß]“.Footnote 44 Dies geschieht, indem das Macht benannte Durchsetzungsvermögen mit konstitutiven Handlungsfähigkeiten und vitalen Abhängigkeiten des Menschen in Beziehung gebracht wird, die sich allesamt auf „vier anthropologisch nicht weiter reduzierbare“ Grundannahmen zurückführen lassen, denen dann auch vier Grundformen der Macht entsprechen.Footnote 45 Ausgehend von der „direktesten Form von Macht“, der bloßen Aktionsmacht, die auf der unaufhebbaren „Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen“ beruht und ihre Wirkung der Situationsoffenheit der Gewalt verdankt, unterscheidet Popitz drei weitere Grundformen der Macht: instrumentelle, autoritative und datensetzende Macht:
„Instrumenteller und autoritativer Macht ist gemeinsam, daß sie das Verhalten Betroffener steuern. Beide wirken aufgrund von Alternativen. Instrumentelle Macht mithilfe der Alternative von ‚äußeren‘ Vor- und Nachteilen, autoritative Macht durch Anerkennungen und Anerkennungsentzüge. Instrumentelle Macht lenkt nur das Verhalten, autoritative Macht Verhalten und Einstellungen. Aktionsmacht und datensetzender Macht ist gemeinsam, daß sie die Situation Betroffener verändern und damit die Spielräume möglichen Verhaltens. Aktionsmacht trifft die Person unmittelbar. Datensetzende Macht entscheidet über die materiell-artifiziellen Lebensbedingungen“.Footnote 46
Auch wenn der Begriff der Verletzungsoffenheit des Menschen (im Sinne seiner kreatürlichen und ökonomischen Verletzbarkeit, aber auch im Sinne einer „Verletzbarkeit durch den Entzug sozialer Teilhabe“) relativ weit gefasst ist, begreift Popitz letztlich Gewalt als grundlegende Machtform: in der Form der bloßen verletzenden Aktionsmacht, die – wie er sich ausdrückt – „buchstäblich aus dem Handgelenk“ ausgeführt werden kann. Auf diese Weise gehen Theorie der Gewalt und Theorie der Macht eine enge Verbindung ein, d. h. Gewalt wird in eine umfassende Machttheorie inkorporiert, der daran gelegen ist, einen strukturierenden Zusammenhang zwischen Gewalt, Machtbildungsprozessen und Herrschaft herzustellen. Im Kontext einer Machttheorie wird Gewalt somit zu einer strukturierenden Größe bei Macht- und Herrschaftsphänomenen. Dies ist ein den Gegensatz von Macht und GewaltFootnote 47 negierender Schritt, der sich auf „Gewalt als ordnungsstiftende Erfahrung“Footnote 48 in Vergangenheit und Gegenwart berufen kann. Aus diesem Grund beginnt Popitz „seine Herrschaftssoziologie mit der Gewalt als einer ‚Durchsetzungsform‘ der Macht und schließt mit dem einheitlichen, umfassenden Netz institutionalisierter Macht‘, dessen Kern das Recht und mit ihm das Gewaltmonopol des Staates sind“.Footnote 49 Bedeutet doch der staatliche Anspruch auf Ausübung des Gewaltmonopols nichts anderes als der bekundete und zur Geltung gebrachte Wille zur zunehmenden Unterdrückung der „private[n] Gewaltsamkeit“Footnote 50 in der Form der bloßen Aktionsmacht.
Popitz befindet sich hier in guter Gesellschaft. So behauptet beispielsweise nicht nur von Jhering, sondern auch Nietzsche den Vorrang der Gewalt respektive Macht vor dem Recht.Footnote 51 So kann man bei Jhering in „Der Zweck im Recht“ u. a. nachlesen: „Das ist die Mission der Gewalt, auch der wildesten, rohesten, unmenschlichsten in den frühesten Perioden der Menschheit gewesen, den Willen daran zu gewöhnen, sich unterzuordnen, einen höheren über sich anzuerkennen. Erst nachdem er dies gelernt hatte, war es an der Zeit, daß das Recht die Gewalt ablöste, vorher wäre ersteres ohne alle Aussicht gewesen“.Footnote 52 Auch für Nietzsche geht „Macht vor Recht“, wenn er in expliziter Bezugnahme auf den Melier-Dialog bei Thukydides im Aphorismus 92 „Ursprung der Gerechtigkeit“Footnote 53 ausführt: „Die Gerechtigkeit (Billigkeit) nimmt ihren Ursprung unter ungefähr gleich Mächtigen, wie dies Thukydides (in dem furchtbaren Gespräche der athenischen und melischen Gesandten) richtig begriffen hat; wo es keine deutlich erkennbare Uebergewalt giebt und ein Kampf zum erfolglosen, gegenseitigen Schädigen würde, da entsteht der Gedanke sich zu verständigen und über die beiderseitigen Ansprüche zu verhandeln: der Charakter des Tausches ist der anfängliche Charakter der Gerechtigkeit“.Footnote 54 Doch anders als bei Jhering fußt bei Nietzsche das Recht nicht ausschließlich auf Gewalt als bloßer Aktionsmacht, „sondern seine Geburtsstunde ist die Erkenntnis des Machtgleichgewichts verständiger Partner“.Footnote 55 Allerdings ist daran zu erinnern, dass bei dem erforderlichen ersten Schritt hin zu einer Verständigung eher mit der Unwahrscheinlichkeit des Naheliegenden zu rechnen ist, wie dies nicht nur der tatsächliche Ausgang des Melier-Dialogs gezeigt hat, sondern mithilfe spieltheoretischer Überlegungen – angesprochen sind hier nicht-kooperative Spiele – einsichtig gemacht werden kann.Footnote 56 Selbst wenn (bei grundsätzlich fehlendem Vertrauen) von beiden Parteien Kooperation als erwünscht angesehen wird, bringt die einseitige Ankündigung von Verhandlungsbereitschaft durch eine der beiden Konfliktparteien diese in eine Konstellation, die mit dem ‚Gefangenen-Dilemma‘ vergleichbar ist:
„Zwar mag Kooperation für alle Parteien eine – jeweils aus individueller Sicht – positiv bewertete Lösung darstellen, weil in Verhandlungen befriedigende Kompromißlösungen erwartbar sind und kostenintensive Auseinandersetzungen verhindert werden können. Dennoch ist diese Strategie wenig attraktiv, da sie die Gefahr beinhaltet, gegenüber macht- und konfliktorientierten Akteuren als nachgiebig zu erscheinen und damit die eigene Position […] zu schwächen“.Footnote 57
Kooperatives Verhalten, das zum Eintritt in Verhandlungen führen soll, beinhaltet demnach für beide Seiten das Risiko, dass sich die jeweils andere Seite nicht für Kooperation, sondern für Machtanwendung (mit dem dann schlechtesten Ergebnis für die jeweilige Gegenseite) entscheidet, sodass Nicht-Kooperation für jede der beiden Seiten aus individueller Sicht eine rationale Strategie darstellt.Footnote 58 Da sich durch Nicht-Kooperation ein individuelles Nutzenoptimum erzielen lässt, spricht alles für Nicht-Kooperation. Auch die Melier setzten auf die Erfolg versprechende Anwendung von Gewalt.Footnote 59 Sind freilich Verhandlungen einmal aufgenommen worden, ist zu bedenken, dass die grundsätzliche Bereitschaft zu Konzessionen wie zu ihrer Höhe mit der Bereitschaft korreliert, einen Verhandlungsabbruch zu riskieren. Wer einen solchen glaubhaft androhen oder gar herbeiführen kann, verfügt über Verhandlungsmacht. D. h., „der Verlauf und das Ergebnis von Kooperation [werden] vorrangig durch die Machtverteilung in Verhandlungen bestimmt“.Footnote 60 Eine solche Nietzsches Betrachtungsweise einer Schrittweisen Einigung wohl am ehesten entsprechende „verhaltenswissenschaftliche Theorie von Verhandlungsspielen“Footnote 61 wird jedoch mit einem Problem konfrontiert, das sich erneut als Gefangenen-Dilemma darstellen lässt. Infolge der wechselseitigen Abhängigkeit der jeweils einzuschlagenden Verhandlungstaktiken, über die man ja nicht kommunizieren kann, ist in den „Kooperationsprozeß ein Koordinationsproblem eingelagert, das als ‚nicht-kooperatives Spiel“ aufzufassen ist, und somit wiederum in die „Falle des Gefangenen-Dilemmas“ führt,Footnote 62 aus dem am ehesten ein Vermittler herauszuführen vermag. Wenn Nietzsche im Charakter des Tausches den „anfängliche[n] Charakter der Gerechtigkeit“ erblickt, dann ist damit die solidaritäts- und vertrauensstiftende WirkungFootnote 63 des Güter- und Gabentausches angesprochen, durch den Reziprozitätsbeziehungen gestiftet und/oder stabilisiert werden. Diese erleichtern die Streitbeilegung durch Verhandlungen insofern, als sie zu einem „Geflecht wechselseitiger Rechte und Pflichten“Footnote 64 führen können, also das ausmachen, was einer „Naturgeschichte von Pflicht und Recht“ zuzurechnen wäre.Footnote 65
Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als ob sich Weber und Popitz darin grundlegend unterscheiden, dass der eine dem Willen als dem „inneren Bestimmungsgrund“ den Vorrang gibt und sich infolge der Vielzahl möglicher Äußerungsformen von Macht einen amorphen Machtbegriff einhandelt, wobei Macht und Gewalt von vornherein nicht identisch sind; wohingegen der andere Gewalt und Macht in einen Zusammenhang bringt, der mithilfe anthropologischer Prämissen abgesichert wird, wobei bereits die Eingangsprämisse „Macht ist Machen-Können“ (im Sinne der Machbarkeit von Macht-Ordnungen) ausdrücklich auf Handlung(sbezogenheit) hinweist. Doch sind beide Ansätze, das Webersche „Willens“- und das Popitzsche Handlungskonzept, nicht nur intentional angelegt, sondern grundsätzlich auch handlungskategorial ausgerichtet. Bei Popitz ist dies evident, doch auch auf Weber trifft dies zu, allein schon deshalb, weil machtbewusste Willensakte in soziale Beziehungen eingebettet sind, die einerseits in Handlungsorientierungen fundiert sind, andererseits auf Handlungskoordinierungen verweisen, die zu Handlungsstrukturen (Beziehung, Ordnung, Verband) führen (können).Footnote 66 Insofern Menschen die Fähigkeit zu Regelbefolgung aufweisen, sind die regelgeleiteten und daher rationalisierungsfähigen (zweck- und werthaften) Handlungsorientierungen besonders aufschlussreich, da sie als Zweck- oder Norm-MaximenFootnote 67 in Sinnzusammenhängen verankert und insofern kulturwertbezogen sind.Footnote 68 Hierauf stellt auch Tyrell ab, wenn er darauf aufmerksam macht, dass „die ‚willentliche‘ Gewalttat und ‚Tätlichkeit‘ […] unserer kulturellen Auslegung nach in einem exponierten Sinne ‚Handlung‘ [ist]“.Footnote 69 Insofern kann auch der Gewalt als bloßer Aktionsmacht, worauf erst jüngst Tyrell hingewiesen hat,Footnote 70 die Sozialität nicht abgesprochen werden.Footnote 71
Im Gefüge der von Weber konzipierten „Soziologischen Grundbegriffe“ kann der Machtbegriff den ihm zugewiesenen Stellenwert weiterhin behaupten:Footnote 72 Er gibt darüber Auskunft, dass innerhalb sozialer Beziehungen Machtphänomene vielfältig sind und vielfältige Äußerungsformen besitzen. Dass sein Machtbegriff nur bedingt analysetauglich ist,Footnote 73 hat Weber dadurch selbst demonstriert, dass er ihn sparsam anwendet. Als „Phänomene der Machtverteilung innerhalb einer Gemeinschaft“Footnote 74 gelten ihm Klassen, Stände und Parteien jeweils als Ausprägungen ökonomischer, ehrgebietender und sozialer Macht, deren Verteilungschancen der „Kampf“ bestimmt.Footnote 75 Will man jedoch Machtphänomene analysieren, liegt es nahe, den soziologisch amorphen Machtbegriff Webers durch die von Popitz zur Verfügung gestellten präzisierten Begriffe (Aktionsmacht – Instrumentelle Macht – Autoritative Macht – Datensetzende Macht) zu ersetzen, zumal sich diese mit Webers obiger Dreiteilung parallelisieren lassen, auch wenn nicht immer DeckungsgleichheitFootnote 76 gegeben ist: ökonomische mit datensetzender bzw. instrumenteller Macht, ehrgebietende mit autoritativer Macht und schließlich soziale mit instrumenteller Macht. Es spricht vieles dafür, in der Machtbeziehung auf jeden Fall eine kategoriale Besonderheit soziologischen Denkens zu sehen, gewissermaßen eine elementare Kategorie, nicht nur, weil Gewalt eine Jedermanns-Ressource darstellt, sondern vor allem, weil „Verletzungsmächtigkeit, Verletzungsoffenheit […] wesentlich mit bestimmen, was wir in einem fundamentalen Sinne ‚Vergesellschaftung‘ nennen“.Footnote 77
Notes
- 1.
Volker Gerhardt (1981/1982), „Macht und Metaphysik. Nietzsches Machtbegriff im Wandel der Interpretation“, in: Nietzsche-Studien 10/11, S. 193–209 (Diskussion: S. 210–221), hier S. 218.
- 2.
Max Weber (1976), Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr, S. 28.
- 3.
Als solche kommen in Betracht: Handeln/soziales Handeln; sozialen Beziehung, (legitime) Ordnung; Verband. Vgl. hierzu Wolfgang Schluchter (1998), „Replik“, in: Agathe Bienfait und Gerhard Wagner (Hg.), Verantwortliches Handeln in gesellschaftlichen Ordnungen. Beiträge zu Wolfgang Schluchters ‚Religion und Lebensführung‘. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 320–365, hier S. 354 f. (Schaubild 2 und 3); Wolfgang Schluchter (2000), „Handlungs- und Strukturtheorie nach Max Weber“, in: Berliner Journal für Soziologie 10, S. 125–136, hier insbesondere S. 129 ff.
- 4.
Volker Gerhardt (1996), a. a. O., S. 18. Vgl. auch Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 217: „[es] würde sehr schwerfallen, den Sinnzusammenhang außer acht zu lassen, denn alle Macht ist so organisiert, als ob in ihr ein Wille wirksam sei. Der Machtbegriff fordert von sich aus die Einbettung in eine derartige Verbindung mit dem Willen“.
- 5.
Hartmann Tyrell (1980), „Gewalt, Zwang und Institutionalisierung von Herrschaft. Versuch einer Neuinterpretation von Max Webers Herrschaftsbegriff“, in: Rosemarie Pohlmann (Hg.), Person und Institution. Helmut Schelsky gewidmet. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 59–92, hier S. 61.
- 6.
Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 206.
- 7.
Volker Gerhardt (1996), a. a. O., S. 146 f.
- 8.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 29.
- 9.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 60.
- 10.
Max Weber (1976), S. 544. Gegenüber der Herrschaftsdefinition im § 16 der Soziologischen Grundbegriffe (Max Weber (1976), a. a. O., S. 28) wird diejenige aus der Herrschaftssoziologie von Wirtschaft und Gesellschaft vorgezogen, weil Weber hier ausdrücklich den „bekundeten Willen“ mit „Befehl“ gleichsetzt. Bei dieser Herrschaftsdefinition stellt Weber beim „Gehorsam“ auch ausdrücklich auf die „innere Einstellung“ der Herrschaftsunterworfenen ab: „als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht hätten“ („kleine Legitimität“). Vgl. hierzu auch die folgende Fußnote.
- 11.
Auffällig ist, folgt man Gerhardt (1996), a. a. O., S. 44, die Wahlverwandtschaft mit Augustin: „Eigentliche Macht, so kann man Augustin verstehen, ist Herrschaftsmacht (dominandi potestas). Sie geht von einem Willen aus und ist auf einen anderen Willen gerichtet, dabei auf nichts anderes setzend als auf die Einsicht des Unterworfenen“. – Man vergleiche hinsichtlich der von Webers Herrschaftsdefinition (Max Weber (1976), a. a. O. S. 544) geforderten „inneren Einstellung“ auch den von Hans von Balthasar gegebenen Kommentar zum Gehorsamsideal der Benediktinerregel: „Der Gehorsam wird der Ausführung nach dann geleistet, wenn die befohlene Sache ausgeführt wird; dem Willen nach, wenn der Gehorchende das gleiche begehrt wie der Befehlende; der Einsicht nach, wenn er dasselbe fühlt wie dieser, so daß er das Befohlene für durchaus gut hält. Und der Gehorsam ist unvollkommen, wenn neben der Ausführung nicht auch die Gleichförmigkeit des Begehrens und Fühlens zwischen Befehlenden und Gehorchenden besteht“ (Hans von Balthasar (1961), Die großen Ordensregeln. Einsiedeln Zürich Köln: Benzinger, S. 376). Es sei daran erinnert, dass auch Weber für die „Kausalkette vom Befehl bis zum Befolgtwerden“ sowohl „Einfühlung“ als auch „Eingebung“ oder gar „rationale Einredung“ verantwortlich macht (Max Weber (1976), a. a. O., S. 544 f.).
- 12.
Andreas Anter (2000), „Max Weber und Georg Jellinek. Wissenschaftliche Beziehung, Affinitäten und Divergenzen“, in: Stanley L. Paulson und Martin Schulte (Hg.), Georg Jelinek – Beiträge zu Leben und Werk. Tübingen: Mohr, S. 67–86, hier: S. 84. Vgl. Georg Jellinek (1922), Allgemeine Staatslehre. Berlin: Springer, S. 180: „Herrschen heißt aber die Fähigkeit haben, seinen Willen anderen Willen unbedingt zur Erfüllung auferlegen, gegen andern Willen unbedingt durchsetzen zu können“.
- 13.
Befehl und Gehorsam spiegeln aber auch das Selbstverständnis der Wilhelminischen Ära wider. Als unverdächtiger Zeitzeuge mag hier der von Max Weber geschätzte Christoph Sigwart zitiert werden: „Das grösste Interesse pflegen für die geschichtliche Forschung die Formen der Herrschaft zu haben, durch die das Wollen des Einzelnen innerhalb bestimmter Grenzen gebunden, und die Zwecke, die er sich selbst zu setzen hat, von einem gebietenden Willen dictiert werden. Wiederum liegt die fundamentale Tatsache vor, dass überall sich losere oder festere Formen gesellschaftlicher Ordnung gebildet haben, deren eigentlich constitutives Element die Macht ist, durch welche die individuellen Willen zu gemeinsamen Zwecken vereinigt, ihre divergenten Richtungen gehemmt werden können […]. Das was am sichersten uniformiert und alle Tätigkeiten nach einer Richtung lenkt, ist ja nicht die spontane Übereinstimmung, sondern der Zwang der Macht“ (Christoph Sigwart (1911), Logik, Bd. 2: Die Methodenlehre. Tübingen: Mohr, S. 649 f.).
- 14.
Volker Gerhardt (1996), a. a. O., 222 f.
- 15.
„Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein“ (Immanuel Kant (1956), „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in: ders., Werke in sechs Bänden, 4. Darmstadt: WBG, S. 7–102, hier S. 59).
- 16.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 544.
- 17.
Niklas Luhmann (1969), „Klassische Theorie der Macht. Kritik ihrer Prämissen“, in: Zeitschrift für Politik 16, S. 149–170, hier S. 150 f.
- 18.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 62.
- 19.
Max Weber (1988), Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr, S. 456.
- 20.
Vgl. hierzu auch Heinrich Popitz (2000), „Zur Ontogenese des Selbststbewußtseins. Die Erfahrung der ersten sozialen Negation“, in: ders., Wege der Kreativität. Tübingen: Mohr, S. 11–35, hier S. 11: „Ebenso ist die Autonomie des Subjekts ohne den Horizont der Negativität nicht vorstellbar. Wenn man nichts mehr tun oder sagen kann, kann man immer noch Nein denken“.
- 21.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 64; Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 81 ff.
- 22.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 63 f.
- 23.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 58 ff.
- 24.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 78 f.
- 25.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 28.
- 26.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 29.
- 27.
Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 79. Tyrell verweist bei diesem Begriff auf Niklas Luhmann (1971): „Zweck – Herrschaft – System. Grundbegriffe und Probleme Max Webers“, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 90–112, hier: S. 92 und 96.
- 28.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 682.
- 29.
Max Weber (1972), Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1. Tübingen: Mohr, S. 241.
- 30.
Friedrich Nietzsche (1980), „Zur Genealogie der Moral“, in: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 5. München: DTV, S. 245–412, hier S. 382.
- 31.
Zu den Details, Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Weber und Nietzsche betreffend, vgl. Hubert Treiber (1999a), „Zur Genese des Askesekonzepts bei Max Weber“, in: Saeculum 50, S. 247–297, hier S. 275 ff.
- 32.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 29.
- 33.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 233 ff.
- 34.
Das Merkmal der „Entpersonalisierung“: „Macht steht und fällt nicht mehr mit dieser einen Person, die augenblicklich das Sagen hat“ (Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 233), könnte – vor allem bei Formen traditionaler Herrschaft (Weber) – zu Missverständnissen Anlass geben. Insofern macht Stefan Breuer geltend, dass Macht „auch im institutionalisierten Zustand zunächst nur in persönlicher Form auftritt, wohl aber eine Ablösung von Interaktionen, von Beziehungen zwischen physisch Anwesenden [erlebt]“ (Stefan Breuer (1998), Der Staat. Entstehung, Typen, Organisationsstadien. Reinbek: Rowohlt, S. 17.
- 35.
Vgl. Hubert Treiber (1998), „Im ‚Schatten‘ des Neukantianismus. Norm und Geltung bei Max Weber“, in: Jürgen Brandt und Dieter Strempel (Hg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag. Baden-Baden: Nomos, S. 245–254, hier S. 249, mit weiterführenden Literaturangaben.
- 36.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 544.
- 37.
Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 207.
- 38.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 28 f.
- 39.
So Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 218.
- 40.
Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 218.
- 41.
Vgl. Wolfgang Sofsky (1996), Traktat über die Gewalt. Frankfurt am Main: S. Fischer.
- 42.
Programmatische Ausführungen hierzu haben vorgelegt: Trutz von Trotha (1997), „Zur Soziologie der Gewalt“, in: ders, (Hg.), Soziologie der Gewalt. Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 9–56; Brigitta Nedelmann (1997), „Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung“, in: Trutz von Trotha (Hg.), Soziologie der Gewalt. Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 59–85.
- 43.
Volker Gerhardt (1981/1982), a. a. O., S. 221.
- 44.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 21.
- 45.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 23.
- 46.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 33 f. Es ist darauf hinzuweisen, dass der von Popitz konzipierte Machtbegriff einerseits weiter gefasst ist als der von Max Weber vorgelegte, da Popitz unter seinen Machtbegriff auch die Fähigkeit zur Veränderung der Natur subsumiert, andererseits Macht in der Form der bloβen wie bindenden Aktionsmacht enger fasst, indem die angewandte oder angedrohte Gewalt auf „absichtliche() körperliche() Verletzung anderer“ ausgerichtet ist (Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 48).
- 47.
Für Hannah Arendt sind „Macht und Gewalt […] Gegensätze: wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden […] Gewalt kann Macht vernichten; sie ist gänzlich außerstande, Macht zu erzeugen“. Zu diesem Verständnis von Macht gelangt Arendt dadurch, dass sie diese der menschlichen Fähigkeit zuschreibt, „sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“. Macht ist für Arendt ein Gruppenphänomen: Sie „bleibt solange existent, als die Gruppe zusammenhält“. Insofern kann ein Einzelner niemals Macht besitzen, es sei denn als eine von der Gruppe „verliehene Macht“. Aus diesem Grunde legitimiert sich für Arendt der Machtanspruch „durch Berufung auf die Vergangenheit“, d. h. auf den mit der Konstituierung einer Gruppe zusammenfallenden Machtursprung (Hannah Arendt (2000), Macht und Gewalt. München: Piper, S. 57, S. 5 und S. 53).
- 48.
Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 61 ff.
- 49.
Trutz von Trotha (2000), „Gewaltforschung auf Popitzschen Wegen. Antireduktionismus, Zweckhaftigkeit und Körperlichkeit der Gewalt, Gewalt und Herrschaft“, in: Mittelweg 36 (6), S. 26–36, hier S. 35.
- 50.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 518 f.
- 51.
Vgl. Rudolph von Jhering (1955), Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Darmstadt: WBG, insbesondere S. 107 ff., S. 118 ff. sowie S. 114: „Die Tatkraft, die Gewalt also ist die Mutter des Rechts, das ist das Resultat der bisherigen Ausführung“.
- 52.
Rudolph von Jhering (1970), Der Zweck im Recht 1. Hildesheim New York: Olms, S. 196 f.
- 53.
Vgl. auch den Aphorismus 22, „Princip des Gleichgewichts“ (Friedrich Nietzsche (1980), „Menschliches, Allzumenschliches II“, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 2, S. 367–704, hier S. 555 f.): „Der Räuber und der Mächtige, welcher einer Gemeinde verspricht, sie gegen den Räuber zu schützen, sind wahrscheinlich im Grunde ganz ähnliche Wesen, nur dass der zweite seinen Vortheil anders, als der erste erreicht: nämlich durch regelmässige Abgaben, welche die Gemeinde an ihn entrichtet, und nicht mehr durch Brandschatzungen „. – Die „Geburt der Ordnungs(idee) aus der Erfahrung der Gewalt“ (Popitz) unterstreicht auch Charles Tillys provozierende These, die den frühmodernen westeuropäischen Staat als „protection racket“ betrachtet und ihn deshalb zu den „largest examples of organized crime“ zählt (Charles Tilly (1989), „War Making and State Making as Organized Crime“, in: Dietrich Rueschemeyer und Theda Skocpol (Hg.), Bringing the State Back in. Cambridge/Mass.: Cambridge University Press, S. 169–191), eine Sehweise, die Nietzsche mit dem obigen Aphorismus bereits vorweggenommen hat. Vgl. auch Henner Hess (1993), Mafia. Ursprung, Macht und Mythos. Freiburg, Basel, Wien: Herder, S. 200 ff. Grundlegend zum „Princip des Gleichgewichts“: Volker Gerhardt (1983), „Das ‚Princip des Gleichgewichts‘. Zum Verhältnis von Recht und Macht bei Nietzsche“, in: Nietzsche-Studien 12, S. 111–133.
- 54.
Friedrich Nietzsche (1980), „Menschliches, Allzumenschliches I“, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 2, S. 9–366, hier S. 89: Das Ergebnis von Verhandlungen ist üblicherweise allerdings kein Rechtsspruch, sondern ein Schiedsspruch.
- 55.
Volker Gerhardt (1983), a. a. O., S. 115. Im Allgemeinen wird für die Gleichgewichts-These auf Albert Hermann Post verwiesen, die Originalquelle ist jedoch George Phillips (1828), Englische Reichs- und Rechtsgeschichte seit der Ankunft der Normannen im Jahre 1066 nach Christi Geburt 2. Berlin: Dümmler, S. 313), der von Post zitiert wird: Albert Hermann Post (1875), Die Geschlechtsgenossenschaft der Urzeit und die Entstehung der Ehe. Ein Beitrag zu einer allgemeinen vergleichenden Staats- und Rechtswissenschaft. Oldenburg: Schulz, S. 156.
- 56.
Dieser Abschnitt lehnt sich an die Ausführungen bei Hubert Treiber (2001), „Ausgewählte Aspekte zu Paul Rees Straftheorie“, in: Kurt Seelmann (Hg.), Nietzsche und das Recht. Stuttgart: Steiner, S. 51–167, hier S. 160 f., an.
- 57.
Arthur Benz (1995), „Der Beitrag der Spieltheorie zur Analyse des kooperativen Verwaltungshandelns“, in: Nicolai Dose und Rüdiger Voigt (Hg.), Kooperatives Recht. Baden-Baden: Nomos, S. 297–328, hier S. 304 f.
- 58.
Im Falle des Gefangenen-Dilemmas führt nicht-kooperatives Verhalten auf jeden Fall zu einem Nutzenminimum, so dass sich für beide Kontrahenten eine Minimax-Strategie als rationale Verhaltensweise anbietet.
- 59.
Vgl. Thukydides (1960), Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Zürich, Stuttgart: Artemis, 5. Buch, Nr. 102 sowie Nr. 116.
- 60.
Arthur Benz (1995), a. a. O., S. 310.
- 61.
Arthur Benz (1995), a. a. O., S. 309.
- 62.
Arthur Benz (1995), a. a. O., S. 310 f.
- 63.
Die Dauer von Beziehungen wird dann selbst zu einem Wert, der einen Vertrauensvorschuss gewährt. Vgl. hierzu die schöne Studie von Sally F. Moore (1973), „Law and Social Change. The Semi-Autonomous Social Field as an Appropriate Subject of Study“, in: Law and Society Review 1, S. 719–746, die zeigt, dass der einkalkulierte Bruch formell geschlossener Verträge durch außerkontraktuelle Elemente: also über wechselseitige Gefälligkeiten („Gabentausch‘) hergestelltes Vertrauen sowie durch Exklusion von Teilhabechancen (am zu erzielenden Gewinn), aufgefangen wird.
- 64.
Gerd Spittler (1980), „Streitregelung im Schatten des Leviathan. Eine Darstellung und Kritik rechtsethnologischer Untersuchungen“, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1, S. 4–32, hier S. 18.
- 65.
Vgl. den Aphorismus 112 bei Friedrich Nietzsche (1980), „Morgenröthe“, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. 3, S. 9–331, hier S. l00 ff.
- 66.
Bei diesen Handlungsstrukturen handelt es sich um organisatorische Verfestigungen, die ein „Eigenleben“ führen können, was ihnen „die Macht [gibt], die Menschen in ihren Dienst zu zwingen“, so wie die „lebende Maschine“ der bürokratischen Organisation (Max Weber (1984), Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918. Tübingen: Mohr (Siebeck), S. 464).
- 67.
Wolfgang Schluchter weist darauf hin, dass dieser Unterscheidung eine solche „zwischen einer Ordnung kraft Interessenkonstellation und einer Ordnung kraft Autorität“ entspricht (Wolfgang Schluchter (1998), a. a. O., S. 357). Siehe Max Weber (1976), a. a. O., S. 542. Vgl. auch Hartmann Tyrell (1980), a. a. O., S. 68 ff.; ferner Wilhelm Windelband (1923), Einleitung in die Philosophie. Tübingen: Mohr, S. 288: „Worin besteht das Recht dafür, daß von mir etwas verlangt wird, was ich nicht selbst will? Der Ursprung einer solchen Forderung an meinen Willen kann nur in einem andern Willen zu suchen sein. Diesen fremden Willen, der die Pflicht auferlegt, bezeichnet man als Autorität“. Auch Sigwart stellt entschieden auf zweckhafte [„bewußt erfolgte“] Handlungsorientierungen ab: „Noch deutlicher lassen sich auf analytischem Wege einzelne Zusammenhänge erkennen, wo es sich nicht, wie bei der Sprache, um Vorgänge handelt, bei denen bewusste Absicht nur in untergeordnetem Masse wirksam ist, sondern um die bewusste Verfolgung von Zwecken. Das Leben des erwachsenen Menschen ist ja in seinen Hauptrichtungen durch die Zwecke bestimmt, die er zu verwirklichen strebt; sie lassen sich als constante Ursachen betrachten, aus denen die in der Zeit sich folgenden einzelnen Tätigkeiten hervorgehen“ (Christoph Sigwart (1911), a. a. O., S. 653 f.).
- 68.
Wolfgang Schluchter (2000), a. a. O., S. 130; Wolfgang Schluchter (1998), a. a. O., S. 356 f.
- 69.
Hartmann Tyrell (1999), „Physische Gewalt, gewaltsamer Konflikt und ‚der Staat‘. Überlegungen zu neuerer Literatur“, in: Berliner Journal für Soziologie 9, S. 269–288, hier S. 271.
- 70.
Hartmann Tyrell (1999), a. a. O., S. 270 ff.
- 71.
Die von Tyrell im Falle der Körperbeschädigung hierbei angesprochenen Konstellationen (Naturgeschehen; Zufall; Absicht etc.) haben nicht von ungefähr ihre Entsprechung in der Geschichte/ Entwicklung der Strafrechtsdogmatik (Hartmann Tyrell (1999), a. a. O., S. 271).
- 72.
Wolfgang Schluchter (1998), a. a. O., S. 354.
- 73.
Hinzu kommt, dass der Machtbegriff bisweilen eine Bedeutungserweiterung erfährt, so z. B. in Webers Wiener Sozialismus-Vortrag (Max Weber (1984), a. a. O., S. 599 ff.), wo dieser „die Intellektuellen als Virtuosen des Heils und als Virtuosen der Macht in einen unmittelbaren Zusammenhang bringt“ (Gangolf Hübinger (2001), „Intellektuelle, Intellektualismus“, in: Hans G. Kippenberg und Martin Riesebrodt (Hg.), Max Webers ‚Religionssystematik‘. Tübingen: Mohr (Siebeck), S. 297–313, hier S. 300.
- 74.
Max Weber (1976), a. a. O., S. 531 ff.
- 75.
Vgl. § 8 der „Soziologischen Grundbegriffe“ (Max Weber (1976), a. a. O., S. 20). Einschlägig hierzu auch Webers Abhandlung über „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ (Max Weber (1984), a. a. O., S. 432–596) mit zahlreichen Hinweisen. Wie Weber immer wieder hervorhebt, ist „das Wesen aller Politik“: „Kampf, Werbung von Bundesgenossen und von freiwilliger Gefolgschaft“ (Max Weber (1984), a. a. O., S. 482).
- 76.
So ist für Popitz Prestige-Anerkennung nicht deckungsgleich mit autoritativer Macht (Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 264, Fn. 26). Siehe insbesondere Heinrich Popitz (1992), a. a. O., S. 139 ff. und S. 143 f.
- 77.
Heinrich Popitz (1992) a. a. O., S. 44.
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Treiber, H. (2021). Macht – ein soziologischer Grundbegriff*. In: Gostmann, P., Merz-Benz, PU. (eds) Macht und Herrschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31608-2_5
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