Impressionismus: Die Wiederentdeckung des Glücksmalers Max Slevogt - WELT
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Die Wiederentdeckung des Glücksmalers Max Slevogt

Leitender Feuilletonredakteur
Spezialität: Weinberge. Wie Max Slevogt die Landschaft und ihr Licht einfing, machte ihm keiner nach. Wie hier auf dem Ölgemälde „Kleine Weinernte“ (1913) Spezialität: Weinberge. Wie Max Slevogt die Landschaft und ihr Licht einfing, machte ihm keiner nach. Wie hier auf dem Ölgemälde „Kleine Weinernte“ (1913)
Spezialität: Weinberge. Wie Max Slevogt die Landschaft und ihr Licht einfing, machte ihm keiner nach. Wie hier auf dem Ölgemälde „Kleine Weinernte“ (1913)
Quelle: © Max Slevogt-Galerie,Schloss Villa Ludwigshöhe,Edenkoben – GDKE Rheinland-Pfalz (Foto: Axel Brachat)
Max Slevogt kennen nur noch wenige. Dabei war er einer der wichtigsten deutschen Impressionisten. Er malte das mondäne Berlin und erhob die Pfalz zur Weltlandschaft. Nun erinnern drei Schauen an ihn.

Kleines Land, ganz groß. Eben noch hat die Pfalz mit dem „Traum von Rom“ in Trier die Republik in Staunen versetzt, da stemmt es schon das nächste Schwergewicht. Max Slevogt, im Dreigestirn des deutschen Impressionismus nach Max Liebermann und Lovis Corinth gewöhnlich als die Nummer drei gehandelt, gilt in diesen Breiten ohne Wenn und Aber als die Nummer eins.

Wer sich in Mainz, auf Schloss Ludwigshöhe bei Edenkoben oder auch in Leinsweiler, wo sich der sogenannte Slevogt-Hof befindet, aus Anlass des Pakets, das jetzt die Generaldirektion von „Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz“ geschnürt hat, mit Sachverständigen unterhält, der bekommt gern zu hören, dass Slevogt allein schon deshalb der Größte sei, weil er die Pfalz „zur Weltlandschaft erhoben“ habe.

Und in der Tat: Wenn dieser Mann, der so ganz dem landestypischen Bild vom genussfreudigen Gemütsmenschen entspricht und ein wohlbeleibter Esser, Trinker, Zigarrenraucher war, in seinem „entlegensten Gehöft Deutschland“, wie er selbst es hübsch selbstironisch nannte, den Pinsel schwang, dann explodierte etwas.

Weiches, welliges, weites Land

Dann loderten die Farben, dann flirrte das Licht, dann läutete tatsächlich Pan den großen Mittag ein. Außerdem: Das Fleckchen Erde, auf dem das geschah, gehört wirklich zu den schönsten dieser Erde. Auch wer heute auf der Terrasse des Slevogt-Hofes Neukastel den Blick schweifen lässt, der kann sich einfach nicht sattsehen an dem weichen, welligen, weiten Land, auf das er schaut.

Von den Pfälzer Vorbergen, über das Rheintal hinweg, bis ins Elsass, nach Baden, hin zum Schwarzwald liefern sich Sonnenschein und Wolkenschatten ein spielerisches Duell. Zu jeder Tageszeit, ja fast stündlich erfasst das Auge neue Licht- und Farbeffekte. Der Erfindungsreichtum der Natur, was Stimmungen angeht, scheint schier grenzenlos.

Und Slevogt war ganz der Mann, um Weinberge und Waldstücke, Kastanienhaine und Sandsteinfelsen, vor allem aber das Flirren, Tanzen, Strudeln der Sonnenstrahlen einzufangen. Das machte ihm tatsächlich keiner nach.

Berühmt wurde Slevogt mit Porträts

Mit seiner aufgehellten, durchglühten Farbpalette wirkt er freier als der immer ein wenig steifleinerne Liebermann; heiterer als der radikaler ins Abstrakte vorstoßende Lovis Corinth. Selbst Harry Graf Kessler, der große Förderer der Künste im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, der Slevogt nicht sonderlich schätzte, musste das gelten lassen.

Berühmt wurde der Mann, der eigentlich aus Bayern stammte und seine größten Erfolge in Berlin feierte, allerdings mit anderem. Er war ein gefragter Porträtist, galt als ein Maler des mondänen Lebens mit einem Hang zur Welt der Bühne und illustrierte darüber hinaus auch noch die halbe Weltliteratur.

Als er, von den großen Netzwerkern des Kunstbetriebs ihrer Zeit, Bruno und Paul Cassirer, um 1900 in der Reichshauptstadt lanciert wurde, sollte eine Bilderbuchkarriere beginnen, wie sie für das damalige Berlin typisch war, das so oft aus der deutschen Provinz schöpfte.

Er verdiente gut, er malte schnell

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Dem liebenswürdigen, geselligen Slevogt lag das Leben inmitten der gehobenen Boheme. Er bekam schnell Zugang zu den entscheidenden Sammlern und Wegbereitern der Moderne. Er verdiente gut, er malte schnell, er konnte praktisch alles – und dann saß er auch noch oft genug im „Romanischen Café“, um eine öffentliche Figur zu werden.

Ehren und Auszeichnungen blieben nicht aus. Vom Glück verwöhnt, fürs Glück gemacht schien dieser Mann zu sein, der sich gern in jovialer Pose wie einen erfolgreichen Unternehmer darstellte. Am Ende seines Lebens sah er sich gar als Löwen, als König der Tiere also, die Mähnen von Haupthaar und Bart übergehend in eine Art Leopardenmantel.

Doch das ist nur die eine Seite. Es gab bei Slevogt auch die „Nachtgesichte“. Und das Bedürfnis nach Rückzug, Entspannung, Auftanken in der Natur.

Sein Reich hat sich fast komplett erhalten

Sein Dasein wurde ein anderes, als er 1914 von Verwandten seiner Frau besagten Hof Neukastel bei Leinsweiler erwarb, wo er von nun an immer mehr Zeit verbrachte und wo er auch schließlich am 20. September 1932, knapp 64-jährig, starb. Darum sollte auch, wer jetzt die große Slevogt-Retrospektive im Mainzer Landesmuseum sowie die Schau seiner Druckgrafik auf Schloss Ludwigshöhe besichtigen will, unbedingt einen Ausflug nach Leinsweiler einplanen.

Da das Anwesen bis 2010 in Familiensitz blieb, hat sich hier fast komplett, wenn auch in etwas verblichenem Zustand, das Reich erhalten, das Slevogt sich selber schuf und in dem sich seine originelle, um nicht zu sagen kauzige Persönlichkeit umfassender ausdrückt als irgendwo sonst.

Das Bodenständige neben dem Musischen – hier geht es eine unverwechselbare Symbiose ein. In Neukastel vereinen sich Elemente einer Malerfürsten-Residenz mit rustikaler Naturbelassenheit, dann aber auch wieder mit dem Kreativraum kultureller Anregungen, die Slevogt vor allem in der Musik fand.

Opernszenen an den Wänden

Gern, so wird berichtet, schmetterte er zu nachtschlafener Zeit Opernarien, die der Wind mitunter bis ins Dorf Leinsweiler hinuntertrug. Da wundert man sich nicht, wenn er das Musikzimmer mit Szenen aus der „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“, aber auch aus Webers „Freischütz“ und Wagners „Ring des Nibelungen“ ausmalte, Fantasiesequenzen innerer Aufführungen, die auf aparte Weise ineinander übergehen und in ihrer farbenfrohen Leichtigkeit mit der sonst eher altväterlichen Einrichtung kontrastieren.

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Das Ganze atmet einen Übermut, eine beschwingte Ungezwungenheit, die jedenfalls meilenweit entfernt ist von dem behäbigen Lebensumfeld, das sich ein Max Liebermann am Wannsee oder ein Franz von Lenbach in München schufen, um nur zwei deutsche „Künstlerheime“ zum Vergleich heranzuziehen.

Eher denkt man an Gustave Moreau, der sich in Paris sein Atelierhaus als begehbare Traumwelt anlegte, nur dass die funktionaler ausfiel: Slevogt verzichtete nämlich auf eine Werkstatt, weil er ohnedies am liebsten im Freien malte.

Der Ruhm verblasste allmählich

Der Neukasteler Hof wurde aber auch insofern zum Schicksalsort für Slevogt, als er bis zu einem gewissen Grade für den Niedergang seines Ruhm verantwortlich gemacht werden muss. Der früh an Gicht Erkrankte konnte sich in den Zwanzigerjahren immer seltener aufraffen, seine südpfälzische Eremitage mit Berlin zu vertauschen.

Dabei hatte Slevogt spätestens seit dem Selbstmord Paul Cassirers, der sich in der Hauptstadt wie ein persönlicher Agent für Slevogt eingesetzt hatte, diesen Mittelpunkt des kulturellen Lebens nötiger denn je. Zwar sorgte ausgerechnet der Rivale Liebermann dafür, dass die Akademie der Künste zum 60. Geburtstag ihres prominenten Mitglieds noch eine umfassende Werkschau organisierte, aber danach lockerten sich die Beziehungen zusehends.

Als noch schlimmer erwies sich freilich die Familie, die nicht nur auf Neukastel sitzen blieb, sondern auch auf Slevogts umfänglichen Hinterlassenschaften dort. Grafik, Zeichnungen, aber auch Gemälde dämmerten in der südwestdeutschen Provinz über Jahrzehnte hinweg vor sich hin.

Der sympathischste deutsche Impressionist

Mangelnder künstlerischer Sachverstand verband sich mit einem etwas tumben Besitzerstolz, der den Kunstmarkt, der nun mal die Wertigkeit eines Künstlers reguliert, komplett ignorierte. So geriet der einst so strahlende Name mehr und mehr ins Abseits. Mit dem Verkauf des Hofes und der Sicherstellung des umfangreichen Archivs vor einigen Jahren ist es nun endlich so weit, dass Rheinland-Pfalz das Comeback des wohl sympathischsten deutschen Impressionisten groß inszenieren kann.

Wer sich jetzt im Landesmuseum von Mainz umschaut, wird allerdings schnell feststellen, dass die Arbeiten Slevogts ungleichwertig sind. Sein unbedenkliches Temperament verleitete den Maler oft zu einer gewissen Wurschtigkeit.

Wenn Slevogt Menschen in seine herrlich lichtdurchfluteten Landschaften versetzt, liegen sie dort oft wie Ufos herum. Tänzerinnen, für die er ein Faible besaß, wirken wie Turnerinnen – mehr Marika Rökk als Loie Fuller. Porträts, gleichfalls stürmisch hingehauen, lassen es an Feinsinn fehlen, wie überhaupt, in der Vielzahl gesehen, ein Zug ins Plumpe auffällt.

Die Druckgrafik verarbeitet Kriegserlebnisse

Manches kommt einem wie französischen Vorbildern nachbuchstabiert vor – Slevogt, 20 Jahre jünger als Liebermann, fast 30 Jahre jünger als Manet, Monet, Renoir war eben auch ein Spätling, der beim Impressionismus verharrte, als die Entwicklung längst über den hinweggegangen war.

Umso erstaunlicher, wie frisch die Druckgrafik sich darbietet, für die Schloss Ludwigshöhe eine eigene Schau eingerichtet hat, mit dem Schwerpunkt auf Blättern aus der Zeit zwischen 1914 und 1918.

Noch im Herbst war Slevogt als „Kriegsmaler“ an die Westfront gezogen, festen Willens, der deutschen Sache an der Staffelei zu dienen. Nur allzu bald jedoch verflogen alle patriotischen Verstiegenheiten: Einen „Hohn auf alles Große“ vermochte der Desillusionierte angesichts des elenden Massensterbens nur noch zu erblicken und kehrte an Allerseelen 1914 erschüttert nach Hause zurück.

Er blieb oft unter seinen Möglichkeiten

Wie er seine Ernüchterung nun verarbeitete, gehört zu den großen Momenten der Kunstgeschichte. Hier zeigt sich ein so gar nicht mehr gefälliger Slevogt, vielmehr ein Mann, der, einem Goya vergleichbar, in den Abgrund der Kriegsgrauen geblickt hatte.

Nimmt man die drei Ausstellungen zusammen, ergibt sich ein vielschichtiges, faszinierendes Bild von einem Künstler, der zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Wie viele Menschen, denen alles leichtfällt, blieb er bisweilen unter seinen Möglichkeiten. Doch da, wo er mit Leib und Seele bei der Sache war, gelang ihm Hochbeachtliches, im Heiteren wie im Düsteren.

Und einzelne Glanzleistungen wie der populäre „weiße Andrade“, der Don Giovannis Champagnerarie schmettert, oder die „Kleine Weinlese“ mit ihrem virtuosen Geflimmer aus Sommerglast und -glut zeugen von einer Lebensfreude, die in der deutschen Kunst ganz einzigartig ist.

Bis 12. Oktober

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