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Kultur So wird der „Polizeiruf“

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Schweinen nicht

Redakteur Feuilleton
Gisa Flake (l.) und Frank Leo Schröder ermitteln Gisa Flake (l.) und Frank Leo Schröder ermitteln
Gisa Flake (l.) und Frank Leo Schröder ermitteln
Quelle: rbb/Christoph Assmann
Juristen und mittlere Unternehmer kommen nicht gut weg im Sonntagabendkrimi. Der neue Brandenburger „Polizeiruf“ von der deutsch-polnischen Grenze ist ein prima Beweis dafür. „Schweine“ heißt der Fall. Er ist der erste Sonntagabendkrimi, der im Writer’s Room entstand.

An dieser Stelle haben wir schon einmal die Einführung einer Reichensteuer auf Fernsehkrimis gefordert. Also einer Abgabe, die Fernsehsender dazu zwingt, eine Gebühr zu entrichten, wenn in einer ihrer Mord- und Totschlaggeschichten wieder einmal ein Angehöriger der Oberschicht (Industrielle, Juristen, Erben) als ganz besonders fieser Möpp erscheint. Was nach einer jüngeren statistischen Erhebung der Normalfall im Sonntagabendkrimi zu sein scheint.

Nun dürfte der Anteil von moralischen Verkommenen an den Großkopfeten, den Vermögenden ungefähr so hoch sein, wie er es am Gesamtaufkommen der so genannten kleinen Leute ist. Den Sonntagabendkrimi interessiert das eher weniger. Was auch dann der Fall ist, wenn statt bloß eines Nachdenkenden übers Drehbuch gleich fünf im Schreiberraum waren wie bei „Schweine“, dem ersten Sonntagabendkrimi, der im Writer’s Room entstanden ist. „Schweine“ ist der neue Fall fürs deutsch-polnische „Polizeiruf“-Team. Und der Name ist tatsächlich Programm. An Schweinen herrscht kein Mangel.

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Was der Fall ist: Eine Bande dekadenter Juristen-Jüngelchen aus dem Lehrbuch der Reichendiskriminierung haben einen Jagdausflug gebucht. Sie haben getrunken, sie können sich nicht leiden, sie neiden einander alles. Dann ist einer tot. Angespült von der Oder mit einer Schusswunde. Sie kommen aus Berlin, machen Jagd als Druckabbau (so sind sie, die reichen Juristen; Golfspielen reicht ihnen längst nicht mehr).

Einen polnischen Jagdaufseher haben sie. Der hat alles abgebrochen. Weil die Jungs wie die Löcher gesoffen haben. Eine Grenze haben sie überschritten. Überhaupt geht es in „Schweine“ sehr um Grenzen. Zwischen den Armen (Polen) und den Reichen (Deutschen). Vor allem um den Demarkationszaun für Borstenvieh, der sich über hunderte von Kilometern hinzieht – eine Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest.

Der Patriarch (Bernhard Schütz, M.) samt Sohn (Nicolas Handwerker, l.) und Ziehsohn (Marius Ahrendt)
Der Patriarch (Bernhard Schütz, M.) samt Sohn (Nicolas Handwerker, l.) und Ziehsohn (Marius Ahrendt)
Quelle: rbb/Christoph Assmann

Und jetzt kommt die dunkle Seite des Gesellschaftsmondes ins Spiel, die „Schweine“ fahl erhellt. In einem polnischen Rüsseltierhof, der sich gerade aufs Ökologische umgestellt hat und als Ausgangspunkt von Berliner Jagdgesellschaften dient, wird prophylaktisch der komplette Tierbestand gekeult. Wird nur noch ein einziges erkranktes Borstenvieh gefunden, war es das mit dem Hof.

Bei den polnischen Bauern geht es um die Existenz. Bei den deutschen Jüngelchen um Spaß. Dass es zu einer Vertiefung des Drehbuchbreis kommt, wenn mehr Menschen an seinem Rühren teilhaben, lässt sich schon nach der Lektüre des „Schweine“-Pressematerials nur noch bedingt behaupten.

Dass es an der deutsch-polnischen Nicht-Grenze nur zu einer Beinahekatastrophe des Sonntagabendkrimis kommt, hängt mit dem Wald zusammen. Der sieht toll aus. Er ist groß in seiner Magie, seiner Majestät und seiner mythischen Kraft. Er – und der Fluss, der sich in seiner ganzen Wurschtigkeit durch diesen Film zieht, tut es ihm gleich – spielt mit, hält seine Größe gegen die Niedertracht der Menschen. So grandios und gar nicht deutsch hat schon lange kein Wald mehr ausgesehen am Sonntagabend. Man will sofort hinfahren.

Vielleich auch um Alexandra Luschke (Gisa Flake) und ihren Kollegen Rogov (Frank Leo Schröder) zu treffen. Die sind das Brandenburger „Polizeiruf“-Team in diesem Fall. Ein Rumpfteam. Der genderfluide Kollege Vincent Ross (André Kaczmarczyk), der gerade erst Świecko zum aufregendsten deutschen Sonntagabendkrimiort gemacht hat, ist – heißt es – auf Weiterbildung.

Kommissar Ross – das ist für einen Luftgeist, der noch gar nicht lange dabei ist, schon eine starke Leistung – fehlt derart, dass man auf jeden 16-Ender im Wald gern verzichtet hätte oder den ein oder anderen Tatverdächtigen. Dass man derlei Rochaden vielleicht doch erst dann veranstalten sollte, wenn sich ein Kommissariat wirklich gefunden hat (das Brandenburger Trio gibt es erst seit einem Fall), interessierte beim RBB niemand.

Ein Vater aus der Hölle

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Sie wollten Luschke und Rogov sich zusammenraufen lassen. Was auch funktioniert. Halbwegs. Unter Heulen und Zähneknirschen. Der knurrige alte Ermittler und die umfangreiche Kommissarin mit dem Hang zum Tanz im karnevalesken Silberkostüm finden am jeweils anderen, was ihnen an sich selbst fehlt, gestehen sich das aber nicht ein.

Das ist schon mal sehr fein im Ganzen. Den Rest allerdings retten nicht mal Differenzierungsdrahtseilkünstler wie Bernhard Schütz vor dem Absturz in den mississippibreiten Klischeetümpel. Schütz ist der Oberanwalt, der Patriarch, die Zentralsonne über dem möglicherweise mörderischen Juragewürm.

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Und natürlich mag er seinen Sohn nicht („Einen Vater muss man sich verdienen“, brüllt er ihn einmal an), natürlich findet er dessen Jagdkumpel toller. Was antike Tragödie wohl hätte werden wollen, endet als Schlammcatchen im flachen moralischen Morast.

Viel tiefenschärfer wird allerdings auch die Betrachtung der Gegenwelt nicht, die der aufrechtne polnischen Bauern, die an der wirklichen Pest zu scheitern drohen und an der Pest namens EU-Agrarpolitik. Dass sich daraus, was im Writers Room versucht wurde – die beiden Welt nämlich sich aneinander reiben zu lassen auf Spannung und gesellschaftliche Erkenntnis komm raus – irgendetwas ergeben würde, lässt sich leider nicht behaupten. Irgendwann kommt man sich den Menschen gegenüber leider so vor wie der Wald – sie sind einem wurscht.

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