Matthias Brandt in der Netflix-Serie „King of Stonks“ - WELT
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Kultur Netflix-Serie „King of Stonks“

Wirecard? Dann lach doch!

Redakteur Feuilleton
Thomas Schubert ist Felix Armand, das Hirn von CableCash Thomas Schubert ist Felix Armand, das Hirn von CableCash
Thomas Schubert ist Felix Armand, das Hirn von CableCash
Quelle: Netflix
„Deutschland kann mehr als Datenschutz“: Die sensationelle deutsche Netflix-Serie „King of Stonks“ hebt die Finanzmarktsatire auf ein neues Niveau. Mit Matthias Brandt als grellem Startup-CEO wird der Wirecard-Skandal auf die Spitze getrieben. Eine wahrhaft bissige Geschichte.

Wir müssen über Zähne reden. Gewaltige Zähne. Zähne wie Flutlichter. Teuer vermutlich wie ein Tiny House. Und Matthias Brandt trägt sie im Gesicht.

Das gibt ihm etwas Wölfisches, etwas von Jack Nicholson, der allerdings kein falsches Implantat braucht, um das Gehege seiner Zähne so zu fletschen, dass man es mit der Angst zu tun bekommt.

Die Beißer, die gewaltigsten seit Peter Simonischeks Prothese in „Toni Erdmann“, waren das Einfallstor, durch das Brandt, sonst ein manischer Mienenspiel-Minimalist, ein genialer Großmacher kleiner Gesten, unter die Haut von Magnus A. Cramer kam. Der ist er nämlich in der neuen Netflix-Serie „King of Stonks“.

Der King, der legendäre CEO der CableCash, eines deutschen Pioniers für bargeldlose Finanzabrechnung, ist sozusagen ein cineastischer Wirecard-Ähnlichkeitsgewinner. Ein Mann, dessen schrilles Ego jeden Raum mit Testosteron flutet. Keine Aufzugkabine ist groß genug für sein Ich und die Flatulenzen, die er ständig von sich gibt.

Das komplette Gegenteil aller Schmerzensmänner ist dieses grunzende Monster, die Brandt sonst so mimte. Der King pöbelt, grölt, grimmassiert derart, dass Brandt am Ende eines Drehtags Muskelkater in den Wangen gehabt haben muss. Könnte eine Karikatur sein. Ist es aber nicht.

An Filmen, die sich spätestens seit der Lehman-Pleite mit einem mehr oder weniger moralischen, aufklärerischen Impetus daran machten, noch dem letzten Kleinanleger die Verkommenheit des globalen Finanzwesens vor Augen zu führen, hat kein Mangel geherrscht in den letzten Jahren.

Eine glückliche Familie: CableCash in „King of Stonks“
Eine glückliche Familie: CableCash in „King of Stonks“
Quelle: Netflix

Dem Kleinanleger haben Filme wie „Big Short“, „The Wolf of Wall Street“ und Serien wie „Bad Banks“ für den Schutz seines Ersparten nicht wesentlich geholfen, weil er vermutlich eher kein Kunde von Finanzmarkt-Anklage-Filmen und -Serien ist und allergisch schon auf homöopathische Dosen von Moral und Aufklärung im Kino reagiert.

„King of Stonks“ scheißt – um im Ton von Magnus A. Cramer zu bleiben – auf Moral und Aufklärung. Das macht den Sechsteiler aus der von Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann in Köln gegründeten neuen deutschen Unterhaltungs-Serientraummanufaktur Bildundtonfabrik, von deren Band schon Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ und die herrliche Provinz-Jugend-dealt-Pillen-im-Internet-Serie „How to sell drugs online (fast)“ lief, zu einer verblüffend ungermanischen, schwerelosen Parodie aufs Startup-System.

Auf der Oberfläche fährt „King of Stonks“, der Titel verdankt sich einer Fehllesung von „Stocks“ und schafft gleichzeitig die Querverbindung zu Helmut Dietls „Schtonck“, dessen satirisches Niveau „King of Stonks“ mühelos hält – sechs Stunden lang mit der Achterbahn von CableCash in den „größten Finanzskandal der deutschen Geschichte“. Ähnlich faktengrundiert wie „How to sell drugs online (fast)“ werden der atemberaubende Aufstieg, Fall und Aufstieg und Fall dieses aberwitzigen Start-ups verhandelt. Aus dem Nichts zum Hoffnungsträger der deutschen Digitalwirtschaft, von null auf Bezos.

Familie und Werte. Aber was ist das?

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Haupthelden sind Magnus A. Cramer, ein ehemals sehr schmieriger Unternehmensberater, der sehr genau weiß, wie man aus einem nichtigen Nichts eine Börsensensation zusammenlügt, und Felix Armand, der Programmierer, das eigentliche Brain von CableCash.

Thomas Schubert ist Felix. Ein etwas teigiger Typ, an dem sein Anzug immer irgendwie fremd herunterhängt. Felix ist das Hirn, Magnus der Lautsprecher. Gemeinsam sind sie eigentlich so unerträglich wie unbesiegbar.

Sie reden ständig von Familie und von Werten, wie das inzwischen jedes von oben nach unten durchgeduzte Wirtschaftsunternehmen tut. Und genau wie die wissen sie gar nicht mehr, was Familie und Werte eigentlich sind. Wobei CableCash – wie Wirecard – halt aus einer mit vielen Zahlen aufgepumpten Null besteht. Eigentlich also komplett wertlos ist.

CEO miit Huhn: Matthias Brandt in „King of Stonks“
CEO mit Huhn: Matthias Brandt in „King of Stonks“
Quelle: Netflix

Alle Figuren haben eine Agenda: Der aufklärerische Journalist, die ultrafaste Brokerin, die auf den Untergang des Hauses Cramer wettet, die Digitalministerin („Deutschland kann mehr als Datenschutz“), die „Pornozwerge“, die mal CableCashs erste Kunden waren und aufgrund eines Sexfilms die Digitalministerin in der Hand haben. Die digital ahnungslose Mafia.

Alle Rollen sind fantastisch besetzt. Alle hängen mit allen zusammen. Alle wollen ihren Deal machen. Alle sind getrieben. Von Gier, von Skrupellosigkeit, Einsamkeit. Es geht um Väter und Traumata.

Eine wahrhaft Wilde Maus ist die Geschichte – so heißt der Rollercoaster im Prater von Wien, das auch keine geringe Rolle spielt in diesem Spektakel, weil Felix aus Österreich stammt und irgendwann der österreichische Geheimdienst um die Ecke kommt –, in dem man vor keiner ästhetischen und dramaturgischen Beinahe-Entgleisung sicher ist. Und sich irgendwann nur noch juchzend in die nächste Kurve wirft.

In ihrem Unterbau spielen sich ein halbes Dutzend antiker Tragödien ab. Und mittendrin krabbeln Brandt und Schubert herum. Eigentlich auch schon ein Vater-Sohn-Gespann. Arschlöcher zweierlei Ausprägung, die ohneeinander nicht können, miteinander auch eher schwer.

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Jan Bonny hat die meisten Folgen von „King of Stonks“ gedreht. Er ist der deutsche Meister in entfesseltem Fernsehen, ein introvertierter Chronist der entgrenzten Gegenwart. Matthias Brandts finsterste „Polizeirufe“ verdanken sich ihm. Und die grässlich-herrliche Neo-Nazi-Moritat „Wintermärchen“.

„King of Stonks“ ist ganz anders und doch genauso. Entgrenzt, entfesselt. Und am Ende tut einem alles weh. Woran die Zähne des Matthias Brandt nicht ganz unschuldig sind.

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