Matthias Brandt über TV-Tradition: "Damit bin ich nicht einverstanden"

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Matthias Brandt über TV-Tradition: "Damit bin ich nicht einverstanden"


Schauspieler Matthias Brandt
Kanzlersohn verrät: "Auf keinen Fall spiele ich Willy Brandt"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 10.07.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Matthias Brandt: Der Schauspieler ist mit einem Bundeskanzler als Vater aufgewachsen.Vergrößern des Bildes
Matthias Brandt: Der Schauspieler ist mit einem Bundeskanzler als Vater aufgewachsen. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Aktien findet er doof, deutschen Humor hält er für unterbewertet und Willy Brandt? Würde er niemals spielen. Im t-online-Interview gerät Matthias Brandt ins Plaudern.

Er dreht am Rad, aber so richtig. Matthias Brandt hat schon vieles gemacht: Einen Grimme-Preis gewonnen, Bücher geschrieben, zwei Stunden lang atemlos "Mein Name sei Gantenbein" auf der Theaterbühne performt oder als Münchner Kommissar Hanns von Meuffels in "Polizeiruf 110" Mörder überführt. Aber so hat man ihn noch nie gesehen.

Ekstatisch, wild, überdreht und völlig durchgeknallt spielt er in der neuen Netflix-Serie "King of Stonks" den Chef einer Finanztech-Firma namens CableCash. Es ist eine Satire auf den Wirecard-Skandal – und Brandt das Gesicht einer heillos aus den Fugen geratenen Branche, die im Drogenrausch Anleger abzockt und krumme Deals an Land zieht. Zeit, mit dem Sohn von Willy Brandt über Aktien, Chefs, seinen Vater, aber auch deutschen Humor zu sprechen.

t-online: Trügt der Schein, oder haben Sie sich seit Ihrem Ende beim "Polizeiruf 110" 2018 so richtig freigespielt?

Matthias Brandt: Soweit ich mich selbst beurteilen kann, hatte ich nicht das Gefühl, vorher unfreier gewesen zu sein. Aber es war die richtige Entscheidung, nach sieben Jahren und 15 Fällen mit meiner Reihenfigur aufzuhören.

Also reiner Zufall, dass Sie danach den Gantenbein am Berliner Ensemble übernommen haben oder nun solch eine Satire wie "King of Stonks" für Netflix?

Ihnen stellt sich das vielleicht viel eher als Kausalkette dar, als das bei mir der Fall ist. Diese Befreiung, die Sie suggerieren, würde einen Plan voraussetzen und meistens habe ich keinen. Als Schauspieler ist man darauf angewiesen, dass die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt fragen.

Sie haben keinen Plan?

Also bei mir ist das so. Es gibt sicher auch Kollegen, die das ganz anders handhaben. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Karriereplanung betrieben und wüsste auch gar nicht, wie das ginge.

Ist das der Grund, weswegen man Sie so selten in komödiantischen Rollen sieht?

Ich bin lange Theaterschauspieler gewesen und habe sehr viele Komödien gespielt. Dieser Eindruck hat vielleicht mit den Kategorisierungen zu tun, die in Film und Fernsehen greifen und bei denen man sich ein Bild vom Schauspieler macht und denkt, dass der nur das Eine kann. Ich bin der Falsche, um Ihnen diese Frage zu beantworten. Das müssten Sie die Leute fragen, die mir die Rollen geben.

Aber Sie könnten mir sagen, ob Sie Lust darauf haben, vermehrt in humoristischen Produktionen aufzutreten.

Mal sehen. Manchmal brauchen Leute so einen Anstoß wie durch "King of Stonks" und vielleicht ändert sich das jetzt. Aber ich habe auch schon beim "Tatortreiniger" mitgemacht, das ging in eine ähnliche Richtung – und viel geändert hat sich dadurch offenbar nicht.

Sind Sie denn gerne lustig?

Ja klar, ich mache gerne Quatsch. Das habe ich auch schon immer.

In Ihrer neuesten Rolle spielen Sie einen überheblichen, heillos überdrehten Chef namens Dr. Magnus Cramer und sagen über die Figur: "Ich finde Leute interessant, die Macht wollen, die Macht haben und die Macht verlieren." Warum eigentlich?

Ich glaube, dass das viel dramatisches Potential hat. Vor allem letzterer Punkt, den Sie eben genannt haben: Leute, die in der Gefahr sind, Macht zu verlieren. Das ist einfach ideales Spielmaterial. Das ist im Film, aber vor allem auch im Leben ständig zu beobachten …

Chefs, die im Begriff sind, ihre Macht zu verlieren?

Nahezu jeder, den ich kenne, hat auch Erfahrungen mit Chefs. Es gibt Gute und weniger Gute. Und ich habe in den nicht ganz wenigen Jahren, in denen ich auf der Welt bin, einige dieser Spezies erlebt, die das sehr genossen haben, über andere bestimmen zu können. Das ist eine Eigenschaft, die mir grundsätzlich widerstrebt, aber sie ist natürlich schönes Spielmaterial. Deshalb spiele ich gerne Chefs.

Was für Vorgesetzte haben Sie in Ihrer Karriere genau kennengelernt?

Ich habe auch gute Chefs gehabt. Das ist in erster Linie eine Charakterfrage und hat mit Empathiefähigkeit zu tun. Ich habe das Gefühl, dass das in letzter Zeit besser wird. Was auch damit zusammenhängt, dass man auf flache Hierarchien achtet und darauf, dass Leute nicht mehr so viel Alleinentscheidungsbefugnis haben. Das bessert das alles nach meinem Befinden.

Sie meinen: Früher war das nicht so?

Ich bin theatersozialisiert, das war eine sehr hierarchisch geordnete Geschichte – zumindest damals noch, als ich jung in diesen Beruf reingekommen bin. Und da gab es natürlich trotzdem auch Leute, die Kraft ihrer Persönlichkeit und ihres Charakters sehr geeignet waren, um so eine Institution zu leiten. Aber es gab andere – und die waren in der Mehrzahl –, die haben sich davon verführen lassen, über andere bestimmen zu können, und das hat mir noch nie gefallen.

Ist es dem sogenannten Zeitgeist geschuldet, dass diese Spezies vom Aussterben bedroht ist?

So ist es. Ich habe das Gefühl, es ändert sich etwas. Ich glaube, die Veränderung ist der Zeitgeist.

Um auf die Kunst zurückzukommen: Darf diese überhaupt Rücksicht auf den Zeitgeist nehmen?

Da könnten wir jetzt lange diskutieren. Man wird immer an einen Punkt kommen, an dem man feststellt, dass nicht alles durchgängig demokratisch zu organisieren ist. Kunst hat etwas mit einer Vision und Entscheidungen von Einzelnen zu tun, der sich andere anschließen müssen. Insofern ist das ein kompliziertes Gebilde. Aber ich glaube, dass das allein durch größere Aufmerksamkeit und sowas, was man Supervision nennen könnte, besser wird.

Eine dieser Visionen trägt den Titel "King of Stonks" und ist eine Satire über den Wirecard-Skandal. Dieser zeige Ihrer Meinung nach "prototypisch ein bestimmtes Gebaren und bestimmte kapitalistische Mechanismen, die uns alle als Bürger etwas angehen". Wollen Sie damit andeuten, auch Wirecard-Aktien besessen zu haben?

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Nein, ich habe nie Wirecard-Aktien besessen. Ich bin ja nicht verrückt geworden. Aktien spielen in meinem Leben eine sehr, sehr untergeordnete Rolle. Kapitalismus beschränkt sich nicht auf Aktiengeschäfte. Das ist eine grundsätzliche Mentalität, die sich damit verbindet, und darauf wollte ich hinaus.

Wieso geht es Sie etwas an?

Ich bin davon insofern betroffen, als dass ich das Gefühl habe, dieser Finanzmarkt – oder überhaupt die Wichtigkeit von wirtschaftlichen Entscheidungen – wird nahezu über alles gestellt. Es wird wichtiger genommen als alles andere. Und damit bin ich nicht einverstanden. Ich verstehe diesen Markt auch nicht, ich verstehe diese ganze Mentalität nicht und mir wird seit über zwei Jahrzehnten suggeriert, dass ich mich ständig vor der "Tagesschau" damit beschäftigen müsste und dass das so wichtig ist wie das Wetter.

Sie meinen die "Börse vor acht", die unmittelbar vor der "Tagesschau" ausgestrahlt wird.

Sendungen wie "Börse vor acht" gab es ja vorher nicht. Das war eine politische Entscheidung, das zu installieren und Leuten zu suggerieren, wie wichtig das ist. Das kann man mal in Frage stellen.

Aber Sie werden sich doch auch mit Wirtschaftsthemen beschäftigen.

Ja, ich beschäftige mich insofern damit, dass das ein fließender Übergang zu politischen Fragen ist. Aber ich käme nicht auf die Idee, den Wirtschaftsteil der Zeitung zu lesen, weil ich 95 Prozent davon überhaupt nicht verstehe.

Wie war das beim Wirecard-Skandal?

Natürlich habe ich den Wirecard-Fall zur Kenntnis genommen, weil das ja ein politischer Fall war. Man fragt sich schon, wie Aufsichtsmechanismen so versagen können.

Wie viel Verachtung haben Sie für Menschen übrig, die sich mit solch dubiosen Geschäften bereichern?

Ich bin mit dem Wort Verachtung sehr vorsichtig, weil es für mich bis auf ganz, ganz wenige historische Figuren keine Kategorie ist, in der ich denke. Ich glaube auch nicht, dass Verachtung eine gute Grundlage ist, um eine Rolle zu spielen. Das wäre eine zu starke Einschränkung. Nein, ich würde das anders nennen.

Wie denn?

Ich finde Menschen wie diesen Magnus Cramer, den ich spiele, eher zu einem großen Anteil sehr lächerlich. Und so eine Lächerlichkeit sichtbar zu machen, macht natürlich Freude.

Dennoch steckt in diesen Figuren auch eine menschliche Seite. So sagen Sie in Ihrer Rolle, Ihnen habe nie jemand etwas zugetraut – nicht mal der eigene Vater. War das bei Ihnen persönlich eigentlich anders?

Ich habe das anders erlebt, ja. Mir ist immer etwas zugetraut worden.

Wie hat Ihr Vater Willy Brandt eigentlich reagiert, als Sie sich für den Schauspielberuf entschieden haben? Fand er das gut?

Das war gar nicht so sehr die Frage, ob er das gut fand oder nicht, weil ich zwar sehr jung, aber schon erwachsen war. Die Frage war eher: Lässt man jemanden etwas machen, was er machen will? Mir wurden da keine Steine in den Weg gelegt und das war die größte Unterstützung, die ich in dem Fall erfahren konnte.

Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Ihnen Rollenangebote vorgelegt werden und dahinter keine Karriereplanung steckt. Würden Sie denn zusagen, wenn Sie für eine Rolle als Altkanzler Brandt angefragt werden?

Nein, auf keinen Fall.

Wieso nicht?

Ich wäre nicht richtig besetzt. Außerdem würde das in den Bereich der Befangenheit fallen. Ich würde das Angebot aus rein professionellen Gründen ablehnen – einfach, weil ich die falsche Besetzung wäre.

In der Wirecard-Satire hingegen wirken Sie wie die Idealbesetzung für den egozentrischen, irren Chef mit den Allmachtsfantasien.

Mir hat das total gefallen, als man mir das angeboten hat. So einen komödienhaften Blick auf diesen Skandal mit all den grotesken Elementen, diesem Aberwitz – dem wollte ich tatsächlich Raum geben, weil das auch eine Empfindung ist, die ich habe, wenn ich mir das in der Realität angucke. In der Geschichte steckt so viel Irrsinn, dass ich diese Art der Inszenierung als sehr passend empfinde.

Ist "King of Stonks" insofern auch das perfekte Gegenbeispiel für das Klischee, wonach Deutsche keinen Humor haben?

Das ist immer so eine Sache mit Pauschalisierungen. Sie kennen doch den Witz mit den drei kürzesten Büchern der Welt …

Helfen Sie mir auf die Sprünge.

Das erste Buch trägt den Titel "Die Geheimnisse der britischen Küche", das zweite heißt "Tausend Jahre deutscher Humor" und das dritte "Italienische Heldensagen". Was ich damit sagen will: Natürlich kenne ich das Klischee, dass Deutsche nicht komisch sein können, und es gibt dafür auch genug Theorien, woran das liegen könnte, aber mir ist das zu pauschal. Ich finde, es gibt unheimlich lustige Leute bei uns. Vielleicht muss man denen mehr Raum geben, denn der würde ihnen zustehen. Das heißt allerdings explizit nicht, dass dieser Raum um 00:34 Uhr im Nachtprogramm eines Spartensenders liegt.

Aber Sie treffen damit einen Punkt. Tatsächlich hat es guter Humor in Deutschland schwer.

Das hat etwas damit zu tun, ob man das auch als Teil der Kultur begreift – oder ob man, so wie leider hierzulande oft der Fall, darüber eher ein bisschen die Nase rümpft. Wenn man sich die Filme anguckt, die bei uns gemacht werden, vor allem im Fernsehen, wird das von Leuten in Auftrag gegeben, die sehr oft aus dem journalistischen Bereich kommen. Wenn man ein Drehbuch vorschlägt, werden verfilmte Fachartikel eher zur Kenntnis genommen als komödiantische Ansätze. Das sollte sich ändern. Aber das hat nichts damit zu tun, dass Deutsche grundsätzlich keinen Humor hätten. Das ist völliger Quatsch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Matthias Brandt
  • Netflix: "King of Stonks", ab 6. Juli verfügbar
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