Martina Gedeck: „Brigitte Reimann und Christa Wolf sollen durch uns sprechen“

Martina Gedeck: „Brigitte Reimann und Christa Wolf sollen durch uns sprechen“

Die Schauspielerin Martina Gedeck spielte Brigitte Reimann, bald verkörpert sie Christa Wolf. Und im Juni liest sie mit Johanna Wokalek aus dem Briefwechsel.

Bei einem Leseabend in Berlin wird Martina Gedeck zusammen mit Johanna Wokalek den Briefwechsel der beiden Schriftstellerinnen aus der DDR interpretieren.
Bei einem Leseabend in Berlin wird Martina Gedeck zusammen mit Johanna Wokalek den Briefwechsel der beiden Schriftstellerinnen aus der DDR interpretieren.Karel Kuehne

Beim Blick in die Filmografie von Martina Gedeck fallen zahlreiche Literaturverfilmungen ins Auge. Nun wird sie bei einem Leseabend in Berlin in die Rolle einer Schriftstellerin schlüpfen. Zusammen mit Johanna Wokalek trägt sie aus dem Briefwechsel von Brigitte Reimann und Christa Wolf vor: „Sei gegrüßt und lebe“. Als Verkörperung von Brigitte Reimann hat sie vor knapp zwanzig Jahren den Deutschen Fernsehpreis erhalten. Aber auch zu Christa Wolf hat sie eine enge Beziehung, wie sie im Laufe unseres Gesprächs erzählen wird.

Frau Gedeck, Sie haben Brigitte Reimann in dem biografischen Film „Hunger auf Leben“ verkörpert. Wie ist jetzt die Wiederbegegnung mit ihr?

Durch die Arbeit an dem Film damals, vor allem durch die lange Beschäftigung mit ihrem Werk ist mir Brigitte Reimann sehr nahe gekommen. Ich habe sie ins Herz geschlossen. Damals hatte ich viele Begegnungen mit Menschen in ihrem Umfeld, habe ihren Bruder kennengelernt, ihren Lektor und Verleger aus DDR-Zeiten. Das gehörte alles zur Recherche. Und wenn ich sie jetzt wieder lese, ist mir völlig klar, warum ich ihre Art zu schreiben so mag: diese Unmittelbarkeit, der direkte Ton, diese Nonchalance und die Frechheit manchmal. Sie war nie autoritätshörig. Ich dachte immer, sie sei jünger als Christa Wolf, aber sie waren nicht weit auseinander. Brigitte Reimann ist 1931 geboren, Christa Wolf 1929. Mit ihr beschäftige ich mich ja jetzt auch schon lange, nicht nur wegen der Briefe. Ich werde sie bald spielen.

Sie spielen Christa Wolf? Darüber müssen wir unbedingt sprechen. Vorher noch einmal zur Reimann: Können Sie erklären, warum sie auf Sie jünger wirkte?

Das mag daran liegen, dass man von Brigitte Reimann einfach nur jüngere Bilder kennt, weil sie mit 39 Jahren gestorben ist, während Christa Wolf vor unseren Augen älter wurde. Bei der Lesung kommen wir schon nach wenigen Minuten bei der Krankheit an, Christa Wolf hat sie in der Zeit des Leidens eng begleitet. Das ist sehr anrührend. Dabei ist es überhaupt nicht so, dass sie immer darüber schreiben würden, wie ein Puls klingt und schwingt diese Bedrohung unterschwellig mit. Dem Krebs zum Trotz hat Brigitte Reimann diese Lebensfreude, diesen Lebensmut. Sie schaut immer nach vorne.

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Zur Person und zur Lesung
Martina Gedeck studierte Schauspiel in Berlin und debütierte im Theater am Turm in Frankfurt/Main. Sie stand in Hamburg und Basel auf der Bühne, bevor sie durch das Kino einem größeren Publikum bekannt wurde. Sie spielte u. a. in „Bella Martha“, „Das Leben der Anderen“, „Der Baader Meinhof Komplex“, „Die Wand“, „Nachtzug nach Lissabon“, „Anne Frank“ und zuletzt „Die stillen Trabanten“ (Foto mit Nastassja Kinski). 

Lesung mit Martina Gedeck und Johanna Wokalek 9. Juni, 20 Uhr, Admiralspalast. Weitere Termine der Reihe „Erlesene Literatur“: 1.9. Ulrich Noethen und Jens Harzer, 29.9. Bjarne Mädel und Sven Stricker

Doch war ihr Leben voller Konflikte. Sie wollte an den sozialistischen Staat glauben und sah seine Defizite, sie verlor ihren Bruder an den Westen, verschiedene Lektoren und schlechte Ratgeber nörgelten an ihren Manuskripten herum. Haben Sie versucht, in der Textauswahl alle Konflikte vorkommen zu lassen?

Wir mussten nach dem gehen, was da ist. Über den Bruder gibt es gar nichts in den Briefen. Dafür tauschten sie sich oft über die Schwierigkeiten bei der Arbeit aus und die Frage, wie sie die gesellschaftliche Situation einschätzen. Sie wussten ja beide, was Sache ist. Und es gab das Thema Liebe, was Sie jetzt nicht erwähnt haben. Brigitte Reimann schreibt ganz euphorisch über jede neue Liebe. Mit ein paar kleinen Auszügen aus den Tagebüchern ordnen wir das zwischendurch ein.

Die Briefe sind aus den Jahren 1964 bis 1973, wie kamen Sie mit dem zeitlichen Abstand klar?

Die Briefe haben einen offenen, auch witzigen, leichten Ton, sehr gegenwärtig eigentlich. Manchmal wirken die Autorinnen schlagfertig – was man sonst vom Mündlichen kennt. Die Unterschiede im Auftreten und in der Wahrnehmung sind spürbar. Brigitte Reimann hat anfangs eine gewisse Skepsis und zugleich großen Respekt der Wolf gegenüber. Das hat sich aufgelöst. Es wurde eine großartige, intensive Freundschaft daraus. Andererseits hat Christa Wolf zunächst auch leicht amüsiert beobachtet, wie Brigitte Reimann sich in der Welt bewegt hat, wie sie immer wieder auf Jungs oder Männer hereingefallen ist, die ihr nicht guttaten. Sie hatte eine sehr anziehende Persönlichkeit. Was Johanna Wokalek und mich besonders interessiert hat: Es sind zwei große Schriftstellerinnen, die sich gegenseitig viel über ihr Schreiben berichtet haben.

Haben Sie beide das alles allein so ausgesucht?

Nein, das hat vor allem Gerhard Ahrens ausgewählt, der auch die Lesungen in Neuhardenberg zusammenstellt. Wir besprechen das, Ahrens und ich proben auch zusammen, wenn mein Lesepartner nicht da ist. Weil aber Johanna Wokalek jetzt am Berliner Ensemble in der neuen Inszenierung von Andrea Breth spielt, können wir gemeinsam proben. Sie lebt ja normalerweise in Paris. Man muss das intensiv erarbeiten, es ist ja wie ein Gespräch auf der Bühne.

Ganz schön viel Aufwand für nur eine Lesung.

Na ja. Man kann das auch irgendwann wiederholen. Und glauben Sie mir: So eine Lesung ist ein Juwel, etwas ganz Besonderes. Für mich als Schauspielerin ist es, als würde ich dem Publikum gegenüber einen langen Monolog halten. Natürlich muss ich es nicht auswendig sprechen, aber es muss genau gearbeitet sein, damit man sich mit dem Text verbunden fühlt. Die beiden, Brigitte Reimann und Christa Wolf, sollen durch uns so sprechen, als würden sie miteinander reden. Für mich ist das eine große Bereicherung zusätzlich zu Dreharbeiten oder Theaterauftritten, weil ich mich sehr gern mit Literatur beschäftige.

Zur Berlinale startete Gesine Cukrowski eine Initiative für mehr Sichtbarkeit von Frauen über 47. Sie bekommen aber genug Rollen, oder?

Das stimmt, ich habe viel zu tun. Es wird heute mehr produziert als früher und nach meinem Eindruck hat sich am Frauenbild etwas geändert. Man zeigt Frauen über 50 inzwischen auch in Führungspositionen. Ich sehe ein anderes Problem: Dass die älteren Regisseure ausgegrenzt werden. Im Moment gibt es den Trend zur jungen Regisseurin. Ohne Frage bin ich dafür, dass Frauen wahrgenommen werden und paritätisch auf wichtigen Stellen arbeiten, aber wenn dadurch verdiente Regisseure ausgegrenzt werden, finde ich das problematisch. Im Wollen, alles perfekt für die Frauen zu machen, passiert nun das Altersmobbing an anderer Stelle. Das ist auch auf den Sets spürbar, dass junge Leute die erfahrenen Kollegen in den Gewerken mehr und mehr ersetzen. Ältere Menschen in Deutschland werden nicht wirklich mit Respekt behandelt, das fällt leider auf. Wie gesagt, ich selbst bin nicht unmittelbar betroffen, aber ich beobachte das. Umso mehr freue ich mich auf die Arbeit mit Dominik Graf, wenn ich Christa Wolf spielen kann. Ihr ungeheuer vielschichtiges, faszinierendes Werk beeindruckt mich sehr.

Fast zwanzig Jahre nach dem biografischen Film über die eine Autorin aus der DDR, die so vielen Menschen so wichtig war, verkörpern Sie nun die andere. Dominik Graf erzählt das Leben von Christa Wolf?

Nein, nicht das ganze Leben. Es geht um ihre Zeit in Los Angeles Anfang der Neunzigerjahre. Es gibt dieses faszinierende Buch von ihr darüber, „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“, darauf basiert das. Dem Buch kann man nicht gerecht werden, doch meiner Erfahrung nach kann man Literatur nie gerecht werden. Es ist immer nur eine Annäherung. Dennoch kann ein Film auch schön und gelungen sein, als etwas Neues, etwas drittes. Viele Menschen kommen überhaupt erst durch einen Film auf ein bestimmtes Buch. Übrigens habe ich meinen allerersten Film mit Dominik Graf gedreht.

Ach nein, welchen?

„Die Beute“, ein Krimi. Das war 1987/88, ich war gerade mit der Schauspielausbildung an der Hochschule der Künste, so hieß die heutige UdK damals, fertig. Wir haben dann noch öfter zusammengearbeitet, inzwischen schon eine ganze Weile nicht mehr. Das ist doch ein schöner Bogen.

Was bedeutet es für Sie als Schauspielerin, die sich ja zwangsläufig mit Texten beschäftigt, wenn Sie sowohl Brigitte Reimann als auch Christa Wolf verkörpern? Fühlen Sie sich einer von beiden näher? Macht das etwas Bestimmtes mit Ihnen?

Das ist schwer vergleichbar. Also, ich kenne dieses In-die Tiefe-Gehen, dieses Forschen gut, das wäre eine Verbindung zu Christa Wolf. Dieses Bohren: Worum geht es eigentlich, was will ich wirklich erzählen, dieser unbedingte Anspruch gegenüber dem, was man am Schluss in die Öffentlichkeit bringt – die Fragen, die sie sich immer wieder stellt, erinnern mich sehr an meine eigene Arbeit. Bei Brigitte Reimann ist es eher der liebevolle Blick auf die Welt. Sie ist nicht so sehr im Dunkel zu Hause wie Christa Wolf. Sie ist sehr bezogen auf das, was zwischen den Menschen passiert, und mehr im Hier und Jetzt, während Christa Wolf auch in anderen Schichten unterwegs war, mindestens in der Vergangenheit. Es sind im Prinzip zwei verschiedene Pole, die mir beide vertraut sind. In meiner Arbeit stelle ich mir Fragen, muss aber auch ganz konkret werden. Ich muss Lust darauf haben, dass Menschen verstehen, was ich mache. Als Schauspielerin bin ich natürlich nicht ganz so frei in meiner Kreativität, ich muss mich an den Figuren orientieren.

Ich finde es schon auffällig, dass Sie oft in Literaturverfilmungen spielen. „Die Wand“ nach dem Buch von Marlen Haushofer sorgte mit dafür, dass diese Autorin wiederentdeckt wurde. Zuletzt sah man sie in „Die stillen Trabanten“ nach Clemens Meyers Erzählband.

Dazu muss ich Ihnen noch etwas erzählen.

Bitte!

Clemens Meyer hat gerade erst, im April, ein Buch veröffentlicht über Christa Wolf.

Ja, in der Reihe „Bücher meines Lebens“.

Er schreibt darin nicht nur über Christa Wolf, sondern auch über andere in der DDR entstandene Literatur, gar nicht so viel über seine Bücher. Aber er erzählt dann, dass er in einer Kurzgeschichte zwei Frauenfiguren entwickelt hat, eine Christa und eine Birgitt. Das sind diese beiden, die Nastassja Kinski und ich gespielt haben. Er sagt dann, dass er den Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann mehrmals gelesen habe, weil ihn der Ton und die Art, wie die beiden miteinander geschrieben haben, für diese Geschichte inspiriert hat. Meine Figur war die Christa. Das hat mich total umgehauen, als ich das Buch gelesen habe, ich hatte das gar nicht gewusst. Ich dachte dann: Ich habe ja schon in „Stille Trabanten“ Christa Wolf gespielt. Diese Verbindung, verrückt eigentlich.


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