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Das große Geheimnis des Meisterspions Markus Wolf

War der Stasi-Aufklärer ein Sicherheitsrisiko für die DDR? - Ex-Agentin Gast nennt neue Hintergründe seines Rücktritts

Von Armin Fuhrer


Berlin - Er galt im Westen lange als der geheimnisvolle "Mann ohne Gesicht". Heute ist sein Gesicht dafür in den Talk-Shows um so präsenter. Doch glaubt man einer seiner früheren "Kundschafterinnen", so nimmt es Markus Wolf, der frühere Chef der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Erich Mielkes Stasi-Ministerium mit der Wahrheit nicht gar so ernst - insbesondere dann, wenn es seiner eigenen Selbstdarstellung dient. Gabriele Gast, berühmt geworden, weil sie 17 Jahre inmitten des Bundesnachrichtendiensts (BND) in Pullach saß, ihn für Wolfs HVA ausspionierte und dafür 1991 zu einer mehrjährige Gefängnisstrafe verurteilt wurde, behauptet jedenfalls jetzt im Gespräch mit der WELT: "Wenn er über die Umstände und Gründe seines Rücktritts redet, lügt der Mann."Die 56jährige hat gerade ihre Erinnerungen veröffentlicht - über ihre Zeit als Stasi-Spionin beim BND, über ihr Verhältnis zu ihren damaligen HVA-Genossen, über die rund dreieinhalb Jahre, die sie im Gefängnis verbrachte, über ihren Frust darüber, daß Wolf und alle anderen HVA-Mitarbeiter sie nach der Verhaftung im Stich ließen, nachdem einer von ihnen sie sogar an den BND verraten hatte ("Kundschafterin des Friedens. 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND", Eichborn-Verlag).Die Geschichte über Markus Wolfs Rücktritt wird darin - leider - nur sehr kurz abgehandelt. Mit Mühe und Eifer bastelte der heute 76jährige nach der Wende an seiner Legende, nach der er schon lange vor dem Dahinsiechen und dann so plötzlichen Ende der DDR eine kritische Distanz zu den Herren in Ost-Berlin aufgebaut habe, denen er doch so treu diente. Außerdem, so stellt Wolf die Dinge gerne dar, habe er seinem Anfang der achtziger Jahre verstorbenen Bruder, dem Filmemacher Konrad Wolf, vor dessen Tod versprochen, ein Buch zu schreiben, das dieser sich selbst als großes Ziel gesetzt hatte. Deshalb habe er seit dieser Zeit sein vorzeitiges Ausscheiden aus der Stasi betrieben, gegen den Widerstand seines Chefs Erich Mielke, dessen Stellvertreter als Stasi-Minister er immerhin war.Mielke habe erst nach jahrelangen Vorstößen eingewilligt, und dann auch nur einem Rückzug auf Raten zugestimmt. Von 1984 bis 1986 sei er, Wolf, zwar offiziell noch HVA-Chef gewesen. Aber die Geschäfte führte bereits sein Stellvertreter Werner Großmann, während Wolf sich aufs Repräsentieren verlegte. So jedenfalls schreibt es Wolf in seinen eigenen Memoiren."Daran ist nur eins richtig", hält Gabriele Gast dem entgegen. "Tatsächlich hatte Wolf in der letzten Zeit seines Dienstes bei der HVA nur noch repräsentative Aufgabe zu verrichten", so die 56jährige. Diese Arbeitsteilung habe durchaus Wolfs Vorlieben entsprochen, was dieser selbst auch gar nicht verhehlte. "Aber er ist nicht freiwiliig gegangen, weil er mit dem System nicht mehr zurechtkam oder weil er das Buch für seinen Bruder schreiben wollte."Was aber war dann der Grund? Laut Gast, die nach eigenen Angaben vor der Wende außer mit ihren direkten Mitarbeitern auf DDR-Seite kaum mit HVA-Leuten in Kontakt kam, dafür aber nach der Wende bewußt in diesen Kreisen nach den Rücktrittsgründen Wolfs geforscht haben will, war es ein ganz banaler: "Wolf hatte mit seiner zweiten Frau Eheprobleme. Und er tat etwas, was für einen Geheimdienstchef katastrophal war: Er ließ sich ganz öffentlich scheiden." Längst hatte sich Wolf in eine andere Frau verguckt, die er zu seiner dritten Lebenspartnerin machen wollte, nachdem bereits seine erste Ehe in die Brüche gegangen war. Als sie von der Scheidung erfuhren, ließen sich die Kollegen vom BND nicht lange bitte. Flugs nahmen die Herren aus Pullach Kontakt zu der Geschaßten auf und versuchten, sie für ihren Dienst anzuwerben und in den Westen zu locken. Das Ansinnen blieb zwar erfolglos, die Dame blieb standhaft. "Gleichwohl galt ausgerechnet HVA-Chef Markus Wolf bei Erich Mielke als gefährliches Risiko", so Gast. Mielke, dessen Verhältnis zu Wolf ohnedies aus einer Mischung von Mißtrauen und Wissen um die Fähigkeiten seines Stellvertreters bestimmt war, habe damals gesagt: Schluß damit.So habe in Wahrheit Mielke nicht versucht, Wolf zu halten, sondern habe ihn loswerden wollen, so Gabriele Gast. Sie selbst habe mit Wolf bereits 1986, drei Tage vor dessen Rückzug, darüber gesprochen. "Wir saßen gerade zu einem unserer regelmäßig stattfindenden Treffen zusammen, bei denen sich im Laufe der Jahre ein freundschaftliches Verhältnis herausgebildet hatte. Er wirkte an diesem Tag sehr bedrückt. Daher fragte ich ihn, was los sei. Daraufhin hat er losgeheult", erinnert sich Gast. Und er habe gejammert: "Ich gebe mein Amt auf." Gast: "Es war eindeutig, daß Markus Wolf nicht freiwillig ausschied."Gast weiter: "Warum hätte er auch gehen sollen?" Gerade in den letzten zwei Jahren bei der HVA habe er genau den Job gemacht, den er sich gewünscht habe - repräsentieren einerseits, viel Freizeit für das Verfassen des Buches andererseits. "Anstatt das Buch zu schreiben, wandelte er allerdings auf Freiersfüßen." Auch von Wolfs Behauptung von der wachsenden Distanz zum DDR-System hält Gabriele Gast gar nichts. "Wir haben über Jahre mehrfach stundenlang zusammengesessen und intensive Gespräche über die politische Lage geführt. Nie kam ihm ein Wort der Kritik an der politischen Haltung Ost-Berlins oder Moskaus über die Lippen." Wolfs einstige Top-Spionin wundert sich heute besonders über einen Punkt: "Diese ganzen Vorgänge sind vielen einstigen HVA-Leuten bekannt. Daher ist es überraschend, daß sie bisher nie an die Öffentlichkeit gelangten."

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