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Wie Markus Wolf in der Dritten Welt Fäden zog

Der DDR-Geheimdienst mischte in vielen Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas mit. Obwohl die meisten Akten 1990 vernichtet wurden, lässt sich der Umfang der internationalen Arbeit schätzen.
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Der einstige DDR-Spionagechef Markus Wolf (1923 bis 2006), von dem im Westen jahrzehntelang nur ein Foto bekannt war, wurde nach 1990 zum Medienstar und häufigem Gast in Talkshows Der einstige DDR-Spionagechef Markus Wolf (1923 bis 2006), von dem im Westen jahrzehntelang nur ein Foto bekannt war, wurde nach 1990 zum Medienstar und häufigem Gast in Talkshows
Der einstige DDR-Spionagechef Markus Wolf (1923 bis 2006), von dem im Westen jahrzehntelang nur ein Foto bekannt war, wurde nach 1990 zum Medienstar und häufigem Gast in Talkshows
Quelle: picture-alliance / ZB

Sansibar vor der Küste Ostafrikas ist ein schönes Archipel. Touristen besuchen gern die „Gewürzinseln“. Die sechs Deutschen allerdings, die 1964 hierher reisten, kamen nicht, um sich zu erholen. Sie waren beruflich in Sansibar, denn sie gehörten zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS).

Die MfS-Offiziere dienten als Berater für die nur wenige Monate existierende sozialistische Republik Sansibar. Nach der Entlassung der einstigen britischen Kolonie in die Unabhängigkeit im Dezember 1963 hatte der gerade 26-jährige Ex-Polizist John Okello am 12. Januar 1964 geputscht und sich zum „Feldmarschall“ ernannt.

Innerhalb nur eines Tages erkannte DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl die neue „revolutionäre“ Regierung an; das neue Regime revanchierte sich, indem es am 29. Januar 1964 ein Telegramm an Walter Ulbricht schickte und die DDR seinerseits offiziell anerkannte. Derlei diplomatische Bestätigungen waren für die SED von höchstem Wert, untergruben sie doch den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik.

Neuland Dritte Welt

Für die DDR-Staatssicherheit bedeutete der Putsch auf den Gewürzinseln eine Zeitenwende, wie Markus Wolf 1997 rückblickend schrieb. Operativ gesehen sei Sansibar „der erste Schritt in das Neuland der Dritten Welt“ gewesen, betonte der langjährige Leiter des DDR-Auslandsnachrichtendienstes Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in seinen Memoiren „Spionagechef im geheimen Krieg“.

Zwar wurde dieses Zwischenspiel mit der Vereinigung Sansibars mit dem ostafrikanischen Festlandsstaat Tanganjika zum neuen Staat Tansania nach nur vier Monaten Unabhängigkeit erst einmal unterbrochen. Doch behielt die Stasi ihr Ziel im Blick. Das angebotene Geschäft war in den 1960er-Jahren stets ähnlich: Gegen diplomatische Anerkennung der SED-Diktatur wurde Wirtschafts- und Militärhilfe gewährt – auch wenn die Ressourcen der DDR nicht reichten, die Bedürfnisse der eigenen Bürger annähernd zu befriedigen.

Die meisten Akten der HVA sind 1990 mit Einverständnis der irregeführten Bürgerrechtler am „Runden Tisch“ zerstört worden. So lässt sich anhand der zufällig erhaltenen MfS-Datenbank „Sira“, einer Art elektronischen Posteingangsbuches der HVA, lediglich rekonstruieren, wo ab 1969 die Schwerpunkte der Informationen aus Entwicklungsländern lagen. Genaue Inhalte jedoch sind nur ausnahmsweise zu erschließen, oft aus Parallelüberlieferungen in anderen MfS-Abteilungen oder dem SED-Apparat.

Interessen der UdSSR

Grundsätzlich ging es der Stasi bei allen ihren Auslandsaktivitäten darum, die Machtinteressen der UdSSR und des Ostblocks zu unterstützen. Bezogen auf die Dritte Welt, also im Wesentlichen die ehemaligen Kolonialreiche Westeuropas und der USA in Asien, Lateinamerika und Afrika, bedeutet das: die offenen und verdeckten militärischen Auseinandersetzungen mit dem Westen auf weniger explosive Schlachtfelder zu verlagern.

Allerdings verfolgten die vermeintlichen Partner der DDR vor allem in Afrika ebenfalls eigene Interessen jenseits der regelmäßig beschworenen „Solidarität der Werktätigen“ und der „weltweiten Auseinandersetzung mit dem imperialistischen Klassengegner“. Markus Wolf erkannte das durchaus. Er schrieb in seinen Erinnerungen: „Einige spielten recht virtuos mit den Interessengegensätzen der Großmächte und zogen ihren Nutzen daraus.“

1965 hatte die DDR-Regierung über die „Unterstützung des Befreiungskampfes der afrikanischen und arabischen Völker in Form nichtziviler Materialien“ beraten. Eine formelle Beschlussvorlage dazu wurde ausgearbeitet.

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Die Begründung darin war schlicht: „Jeder im Befreiungskampf dieser Völker erzielte Erfolg wird positive Auswirkungen auf die antiimperialistische Haltung anderer afrikanischer und arabischer Staaten haben. Eine Unterstützung der Befreiungsbewegungen festigt die Positionen der DDR bei den progressiven Kräften in Afrika und im arabischen Raum und fördert die Zurückdrängung des Einflusses der westdeutschen Imperialisten.“

Zeit der Erfolge

Als in den folgenden Jahren vermeintliche „Befreiungsbewegungen“ in verschiedenen Ländern der Dritten Welt an die Macht kamen, schien das Prinzip beiden Seiten Nutzen zu bringen. Zeitweise wurde knapp die Hälfte Afrikas von sozialistischen Regimes beherrscht oder war in Bürgerkriegen unter Beteiligung marxistisch-leninistischer Guerillas verstrickt. Viele von ihnen erhielten verdeckt oder offen finanzielle und militärische Hilfe der DDR, organisiert entweder von der NVA oder dem MfS.

Auch Terrorgruppen fanden Hilfestellung bei der Stasi. Die westdeutsche RAF sowieso, deren Entstehung und zwei Jahrzehnte langer Amoklauf gegen den demokratischen Rechtsstaat ohne Unterstützung der DDR unmöglich gewesen wäre.

Ebenso bekam die PLO Hilfe in Ost-Berlin. So verpflichtete sich die DDR insgeheim, den Palästinensern 2000 Maschinenpistolen, 500 Sprengsätze, zehn Scharfschützengewehre und 1000 Rucksäcke zu liefern.

Auch die „Zapu“ in Simbabwe, die „Frelimo“ in Mosambique, die „PAIGC“ in Portugiesisch-Guinea und die MPLA in Angola bekamen ab Ende 1966 Waffen geliefert. Organisiert und „abgesichert“ wurde diese Unterstützung durch das MfS.

Normale Militärkontakte

Neben diese Stasi-Kontakte in Entwicklungsländer traten die „normalen“ Militärbeziehungen zwischen der Nationalen Volksarmee und mit dem Ostblock sympathisierenden Staaten der Dritten Welt, wie sie ähnlich auch der Westen unterhielt. Der Bundeswehroffizier und Militärhistoriker Klaus Storkmann hat sie in seinem Standardwerk „Geheime Solidarität“ über die Militärhilfen der DDR für die Dritte Welt beschrieben.

Da in der DDR nichts ohne die SED und fast nichts ohne die Stasi lief, waren beide Einrichtungen auch in zahlreiche schmutzige Deals in aller Welt verstrickt. Der vielleicht hässlichste war die gleichzeitige Unterstützung beider Kriegsparteien im ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran 1980 bis 1989.

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Gerade bei diesem Konflikt agierte zwar auch der Westen sehr unglücklich: Die USA rüsteten indirekt Saddam Husseins Diktatur auf, unterstützte aber gleichzeitig und unter höchster Geheimhaltung mit Waffenverkäufen das Mullah-Regime in Teheran. Doch soweit wie die DDR ging auch der dafür verantwortliche Oberstleutnant der US-Marines Oliver North nicht.

Schalcks Anteil

Denn Alexander Schalck-Golodkowski, MfS-„Offizier im besonderen Einsatz“ und DDR-Außenhandels-Staatssekretär, machte mit dem Iran mitunter so günstige Geschäfte, dass die DDR Devisen bis zum dreifachen Wert des gelieferten Kriegsgeräts einnehmen konnte. Schurken nehmen einander eben auch gegenseitig aus.

In Tansania, zu dem inzwischen Sansibar gehörte, gab es noch in den 1980er-Jahren mindestens drei verschiedene HVA-Residenturen. Ihre eigentlichen Berichte sind nicht erhalten. Ohnehin waren es zwischen 1981 und 1989 eher wenige: nur 107 einzelne Informationen.

Doch Staatschef Julius Kambarage Nyerere hatte sich längst schrittweise vom Staatssozialismus sowjetischer Prägung entfernt. Wohl deshalb musste das ostafrikanische Land stets ein Viertel der Ausbildungskosten von Offizieren in der DDR selbst bezahlen – in US-Dollar, selbstverständlich. „Solidarität“, wie noch 1964 von der Stasi dem Archipel Sansibar gewährt, hatte auch im geheimen Krieg der Stasi enge Grenzen.

Dieser Artikel wurde erstmals im September 2013 veröffentlicht.

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