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Zweiter Weltkrieg Frauen bei der SS

„Walküre“ und „Revolver-Anna“ quälten die Frauen im KZ

Im KZ Ravensbrück wurden rund 3500 Frauen für die „Bewachungstätigkeit“ in den NS-Konzentrationslagern geschult. Als „SS-Gefolge“ trugen sie den Terror mit. Nur wenige verweigerten sich, wie eine neue Ausstellung zeigt.
„Es lässt einen nicht los, die Erinnerungen an diese fürchterliche Geschichte “

Am 8. Mai 1945 kapitulierte Nazi-Deutschland. Damit endete in Europa der Zweite Weltkrieg, der wie kein anderes Ereignis deutsche Geschichte formte. Zeitzeugen lassen nicht vergessen, wie bedeutsam dieser Tag war.

Quelle: WELT

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In den vergangenen Jahren haben die letzten Prozesse gegen KZ-Aufseher das Grauen der NS-Lager wiederholt in die Öffentlichkeit getragen. Die Angeklagten waren ausnahmslos Männer, was dem bekannten Muster der juristischen Aufarbeitung folgte. Frauen dagegen wurde kein Prozess gemacht, sieht man einmal von Bernhard Schlinks Weltbestseller „Der Vorleser“ ab, in dessen Verfilmung Kate Winslet als Wärterin in Auschwitz auf der Anklagebank sitzt.

Das ist einigermaßen erstaunlich. Denn von den rund 40.000 Personen, die in den Konzentrationslagern der Nazis Aufseherfunktionen übernahmen, waren rund 3500 Frauen. Nur 77 von ihnen mussten sich nach Kriegsende vor einem Richter verantworten. Inzwischen werden Verfahren gegen die wenigen noch lebenden Frauen wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Die meisten Aufseherinnen wurden im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück im Norden Brandenburgs ausgebildet. Ihren Anteil am NS-Terrorsystem ist Thema der Dauerausstellung „SS-Aufseherinnen“ in der dortigen Gedenkstätte, die mit Fotos, Dokumenten und Filmen neu konzipiert und jetzt in einem der ehemaligen Wohnhäuser wiedereröffnet wurde, das einst direkt neben dem Lager entstand.

Um was für einen Job es ging, war den Zeitungsanzeigen nicht zu entnehmen, mit denen die SS „gesunde weibliche Arbeitskräfte im Alter von 20-40 J.“ rekrutierte. Die Arbeit sei „körperlich nur bedingt anstrengend“ und wurde als „leichte Bewachungstätigkeit“ beschrieben. Dafür wurden eine Entlohnung als „Reichsangestellte“ sowie kostenlose Dienstbekleidung in Aussicht gestellt, was spätestens unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft durchaus lukrativer sein konnte als ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie oder Landwirtschaft, zumal „für diese Arbeit keine beruflichen Kenntnisse“ verlangt wurden.

07.08.2020, Brandenburg, Fürstenberg/Havel: In der Gedenkstätte Ravensbrück ist in einer ehemaligen Unterkunft von KZ-Aufseherinnen eine Ausstellung «Im Gefolge der SS» zu sehen. In der Ausstellung geht es um die Aufseherinnen des Frauen-Konzentrationslagers. Foto: Christophe Gateau/dpa-Zentralbild/dpa - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes ZB-Funkregio Ost +++ ZB-FUNKREGIO OST +++
In der ehemaligen Unterkunft der KZ-Aufseherinnen ist die Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück zu sehen
Quelle: dpa

Die wenigen Kenntnisse, über die Aufseherinnen im KZ-Betrieb verfügen mussten, wurden ihnen in wenigen Wochen im KZ Ravensbrück vermittelt. Diese Einrichtung war 1939 100 Kilometer nördlich von Berlin entstanden und wurde zum größten Frauenlager des Dritten Reiches ausgebaut. 1941 wurde ein Männerlager angegliedert, rund ein Jahr später ein Jugendlager für junge Frauen und Mädchen. Während des Zweiten Weltkriegs waren 120.000 Frauen und Kinder sowie 20.000 Männer aus mehr als 30 Nationen laut Gedenkstätte als Gefangene in Ravensbrück eingepfercht.

Die Geschichtswissenschaft brauchte lange, um zu verstehen, dass sich hinter der „Dienstverpflichtung“, mit der weibliche Aufseherinnen ihr Tun später verteidigten, in der Regel Freiwilligkeit verbarg. Viele lockte die Aussicht auf verhältnismäßig gute Bezahlung und komfortable Unterbringung, selbst für eventuelle Kinder wurde gesorgt. Die meisten hatten die Volksschule absolviert und konnten das polizeiliche Führungszeugnis vorlegen, das von der SS erwartet wurde. Nur Mitglieder im „Helferinnenkorps“ des schwarzen Ordens konnten sie in der Regel nicht werden. Deren Zivilangestellte wurden lediglich als „SS-Gefolge“ geführt.

Die Analyse zahlreicher Biografien, die Gedenkstättenleiterin Simone Erpel vorgelegt hat, zeigt auch, wie schnell sich die Frauen an die Lagerrealität gewöhnten, diese mittrugen und zum Teil durch selbst ausgeübte Gewalt noch verschärften. Kaum eine bat um Entlassung, obwohl dies keine persönlichen Konsequenzen gehabt hätte.

In einem Video berichtet eine polnische KZ-Insassin von einer typischen Episode: Eine ältere Frau wurde auf der Lagerstraße schickaniert. Eine Frau, die ihr beisprang, wurde für Monate in einer besonderen Strafabteilung, dem „Bunker“, eingesperrt und täglich geschlagen. „Du bist eine Dame, aber ich kann Dich schlagen“, habe die Wärterin ihr Opfer verhöhnt.

Foto von Maria Mandl nach ihrer Verhaftung durch US-Truppen (August 1945)
Machte in Auschwitz Karriere: Maria Mandl (1912–1948) nach ihrer Verhaftung durch US-Truppen im August 1945
Quelle: Wikipedia/US Army/Public Domain

Die Schlägerin war Maria Mandl, die in Ravensbrück ihre Karriere begann. Sie hatte bereits ab 1938 als Aufseherin im KZ Lichtenburg Erfahrungen im Lagerbetrieb gemacht. In Ravensbrück stieg sie zur Oberaufseherin auf. Ende 1942 übernahm sie die Leitung des Frauenlagers in Auschwitz, wo sie das bekannte „Mädchenorchester“ gründete und sich durch Brutalität und Teilnahme an Selektionen den Schimpfnamen „die Bestie“ verdiente. In ihrem Prozess in Krakau, der 1947 mit dem Todesurteil endete, erklärte sie: „Man konnte an dem Lager (Ravensbrück) absolut nichts Schlechtes finden.“

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Allein schon die Zahlen sprechen dagegen. Rund 28.000 Häftlinge überlebten die Unterernährung, Seuchen und Misshandlungen nicht. Da sogar der SS klar war, dass es wenig sinnvoll war, Frauen durch schwerste körperliche Arbeit umzubringen, gab es in Ravensbrück große Nähereien, in denen die berüchtigte blau-weiß gestreifte Häftlingskleidung aus grobem Drillich hergestellt wurde, aber auch Uniformen für die Waffen-SS. Hinzu kamen Fertigungsanlagen etwa von Siemens, in denen Präzisionsteile und Feldsprecher hergestellt wurden.

Die sicherlich düsterste Facette der Zwangsarbeit von weiblichen KZ-Häftlingen war die Prostitution. Ab 1942 wurden in zehn Männer-KZs Lagerbordelle eingerichtet, in die Frauen aus Ravensbrück versetzt wurden. Gedacht war das als Belohnungssystem für gefügige Funktionshäftlinge, mit deren Hilfe die SS die Männer-KZs kontrollierte. Mehrere Hundert Frauen wurden zu dieser Form sexueller Gefügigkeit gezwungen.

Beinamen wie „Walküre“, „Revolver-Anna“ oder „Blutige Brygyda“, die die Opfer ihren Aufseherinnen gaben, sprechen für die Brutalität, mit der jene ihre Macht ausübten. Diese verteilten Ohrfeigen, schlugen Häftlinge mit der Faust, Riemen oder Peitschen oder drohten mit der Schusswaffe. „Nur ganz wenige Frauen verweigerten den Einsatz als KZ-Aufseherin“, sagt Simone Erpel.

„Im Gefolge der SS“, Gedenkstätte Ravensbrück, Dienstag bis Sonntag 11 bis 14 Uhr

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mit dpa

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