Das berühmteste Zitat von ihm ist wahrscheinlich nie ausgesprochen worden. „Auch du, mein Sohn Brutus“ soll der verwundete Diktator Gaius Iulius Caesar am 15. März 44 v. Chr., den Iden des März, gestammelt haben, als er ihn unter den Attentätern erblickte, die im Sitzungssaal des Senats mit ihren Dolchen auf ihn einstachen. Dann gab er seine Verteidigungsanstrengungen auf und ergab sich in sein Schicksal.
So zumindest berichtet es 150 Jahre nach dem Attentat der griechische Autor Plutarch in seiner Biografie des Marcus Iunius Brutus (85–42). Obwohl die meisten Fachleute Caesars letzte Worte der Rhetorik und nicht der Wirklichkeit geschuldet sehen, wurden darüber ganze Deutungs-Gebirge errichtet. Darin wurde Brutus zum Sohn des Diktators, zum engen Vertrauten wenn nicht gar Geliebten, zum Verräter oder Freiheitskämpfer, zum Rächer Roms oder Vollstrecker einer Vendetta. Dante steckte ihn in den tiefsten Kreis der Hölle, Shakespeare rühmte ihn als „noblest Roman“.
Wie wenige eignete sich Brutus für seine Zeitgenossen tatsächlich als Symbolfigur. Seine hochadlige Familie führte sich auf einen gewissen Lucius Iunius Brutus zurück, der sich fast 500 Jahre zuvor den Nachstellungen des letzten Königs von Rom entzogen hatte, indem er den Deppen (Brutus) gab. Anschließend war er maßgeblich an der Ermordung des Herrschers beteiligt und stieg zum Helden auf. Dass Caesar an den Iden des März feststellen musste, dass ein ferner Nachkomme jenes Tyrannenmörders sein Ende besiegelte, könnte Plutarch und andere Autoren durchaus dazu verleitet haben, dem sterbenden Diktator diese Erkenntnis in den Mund zu legen.
Wie dem auch sei. Ohne seine Beteiligung an der Ermordung Caesars wäre Brutus wahrscheinlich als einer der vielen römischen Aristokraten in die Geschichte eingegangen, von denen wir bestenfalls einige Sprossen ihrer Karriereleiter kennen. Sein gleichnamiger Vater hatte nach dem Tod des Diktators Sulla 77 v. Chr. die Stadt Mutina gegen den jungen Pompeius verteidigt und war dort trotz Zusicherung von freiem Geleit getötet worden. Seine Mutter war eine Halbschwester von Cato dem Jüngeren und zeitweise Caesars Geliebte gewesen. Zu den beiden Männern, die 60 v. Chr. zusammen mit Crassus das sogenannte erste Triumvirat bildeten, hatte Brutus also gänzlich unterschiedliche Beziehungen.
Besonderen politischen Ehrgeiz entwickelte er dadurch nicht. Er widmete sich vielmehr der Philosophie und trat auch als Schriftsteller hervor. Einen ersten öffentlichen Posten bekleidete er als Quästor im Gefolge Catos während dessen Statthalterschaft auf Zypern. Dieser leidenschaftliche Parteigänger der Optimaten, wie die Politiker genannt wurden, die auf der Prärogative des vom Adel dominierten Senats in allen Staatsangelegenheiten setzten, dürfte schließlich auch für Brutus wegweisend gewirkt haben.
Als Caesar 49 v. Chr. den Rubikon überschritt und auf Rom marschierte, machte Brutus seinen Frieden mit Pompeius und kämpfte im Bürgerkrieg auf dessen Seite. Allzu innig wird die Parteinahme aber nicht gewesen sein. Denn nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos verzichtete er auf ein Weiterkämpfen und bat den Sieger um Gnade, die ihm gern gewährt wurde. Caesar ging sogar so weit, den Nachfahren des berühmten Tyrannenmörders in seiner Entourage aufzunehmen und damit seine clementia (Milde) zu beweisen. Zum Lohn erhielt Brutus die Ernennung zum Prätor und zum designierten Konsul für das Jahr 41 v. Chr.
Denn Caesar, der sich nach der Vernichtung seiner letzten Gegner inzwischen zum Diktator auf Lebenszeit hatte proklamieren lassen, war sich nicht sicher, ob er vor den Wahlen aus dem Orient zurück sein werde. Denn er steckte seit seiner Rückkehr nach Rom 45 mitten in den Planungen für einen Feldzug gegen die Parther, die 53 v. Chr. seinen damaligen Partner Crassus geschlagen und dabei drei Legionsadler erbeutet hatten.
Inzwischen formierte sich im Senat eine Opposition. Ihr ging es darum, die Republik gegen die Herrschaft eines Einzelnen zu verteidigen. Denn dass sich Caesar kaum mit der Rolle eines Diktators – die ja immerhin noch ein Amt war – begnügen würde, war allen Beteiligten klar. Wenn er als Sieger aus dem Osten zurückkäme, würde er ein neuer König, Großkönig oder Ähnliches sein. Rund 60 Senatoren kamen überein, dass nur der Tod Caesars die Republik retten würde. Zu ihnen stieß nach einigem Zögern auch Brutus
Da Caesar seine Abreise zum Heer für den 18. März angesetzt hatte, musste der Anschlag in der Senatssitzung am 15. März erfolgen. Fast hätte das Opfer den Verschwörern noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn Caesar fühlte sich unwohl, unheilvolle Vorzeichen in der Nacht sollen ein Übriges getan haben. Nur mit Mühe konnte man ihn bewegen, sich doch noch auf den Weg zur Curia Pompei zu machen, die Caesars Partner und späterer Gegner einst gestiftet hatte. Eine Warnung vor einem Anschlag las Caesar nicht.
Vor der Curia gelang es, den Diktator von seinem Gefolge, vor allem vom amtierenden Konsul Marcus Antonius, einem hohen General Caesars, zu trennen. Dann trafen ihn 23 Dolchstiche. An der Statue des Pompeius soll Caesar sein Leben ausgehaucht haben. Doch dann ging alles schief.
Brutus hatte eine pathetische Rede vorbereitet, in der er den Tyrannenmord rechtfertigen wollte. Aber die Senatoren wollten sie nicht hören, sondern flohen in Panik aus dem Haus. Damit konnte der Senat auch nicht mehr die Wiederherstellung der republikanischen Freiheit feststellen und damit das Attentat legitimieren. Damit entfiel auch der symbolische Akt, die Leiche Caesars in den Tiber zu werfen. Sie wurde stattdessen von Sklaven geborgen, während sich die Verschwörer auf dem Kapitol verschanzten.
Als größter Fehler erwies sich jedoch, dass diese geglaubt hatten, mit dem Diktator würde auch seine Gefolgschaft ausgeschaltet. Daher unterließen sie es, die wichtigsten Anhänger Caesars, alle voran Antonius, zu beseitigen. Der Konsul aber drehte den Spieß um. Um die Frage zu klären, was mit den zahlreichen Anordnungen des Ermordeten geschehen sollte, erzwang Antonius einen Kompromiss. Danach beschloss der Senat, dass Caesar kein Tyrann und die Verschwörer keine Mörder seien. Damit aber löste sich die Begründung für den Tyrannenmord in Luft auf.
Als Antonius dann auch noch das Leichenbegräbnis als ein demagogisches Ehrenfest auf den Verstorbenen inszenierte und durchsickerte, dass Caesar jedem Stadtrömer 300 Sesterzen vermacht hatte, errichteten die Zuschauer spontan Scheiterhaufen, auf denen sie den Leichnam des Diktators verbrannten. Ein Senator wurde mit einem Verschwörer verwechselt und in Stücke gerissen. Mit Fackeln stürmte die Menge dann zu den Häusern der Attentäter, um sie anzuzünden. Diese flohen.
Zusammen mit Gaius Cassius Longinus mobilisierte Brutus die Mittel der östlichen Reichshälfte für den Bürgerkrieg, während Marcus Antonius in Caesars Neffen Octavian und dem Reitergeneral Lepidus einen Partner fand, mit denen er sich zum (zweiten) Triumvirat verband. In der ersten Schlacht bei Philippi in Makedonien konnte Brutus Anfang Oktober 42 Octavian besiegen. Aber Cassius verlor gegen Antonius und beging Selbstmord. Einige Wochen später kam es am gleichen Ort zur zweiten Schlacht, in der Brutus der versammelten Macht der Triumvirn erlag. Ein Freund soll ihm das Schwert gehalten haben, in das er sich stürzte. Sein Ahnherr hatte die Republik einst begründet, der Tod seines Nachfahren markierte ihr Ende.
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