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Zwei Terroristen erfanden die Reichsbürger

Zum ersten Mal ist eine Reichsbürger-Gruppe offiziell verboten worden. Geprägt wurde diese Bewegung von zwei vielfach verurteilten Straftätern: Manfred Roeder und Horst Mahler.
Leitender Redakteur Geschichte
Reichsbürger-Gruppierung erstmals verboten

Sogenannte „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an. Eine Reichsbürger-Gruppierung wurde nun verboten. Es ist nach „Combat 18“ einen weiterer Schritt im Kampf gegen Rassismus.

Quelle: WELT

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Zum ersten Mal hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Gruppierung von Reichsbürgern verboten. Es handelt sich um den Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ und seine Untergruppe „Osnabrücker Landmark“. In mehreren Bundesländern gab es Razzien.

Lange wurde die Szene der Reichsbürger für spinnert, aber nicht wirklich gefährlich gehalten. Diese Einschätzung änderte sich auf breiter Front, nachdem im Oktober 2016 der Reichsbürger und Waffenfanatiker Wolfgang P. einen bayerischen SEK-Beamten getötet und einen weiteren schwer verletzt hatte. Er bekam „lebenslänglich“, könnte also frühestens Ende 2031 wieder freikommen.

ARCHIV - Der sogenannte Reichsbürger von Georgensgmünd, Wolfgang P., trifft am 29.08.2017 zu Prozessbeginn am Landgericht in Nürnberg (Bayern) ein und steht hinter seinem Anwalt Michael Haizmann (r). Der 50 Jahre alte Mann soll im Oktober 2016 bei einer Durchsuchung seines Wohnhauses einen Beamten eines Spezialeinsatzkommandos erschossen haben. Mit der Befragung weiterer Zeugen wird der Prozess am 21.09.2017 fortgesetzt. (ACHTUNG: Unkenntlichmachung aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen.) Foto: Daniel Karmann/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Der Polizistenmörder und Reichsbürger Wolfgang P. 2017 in seinem Prozess
Quelle: picture alliance / Daniel Karman

Die Reichsbürgerbewegung geht einerseits auf nationalsozialistische Propaganda zurück, andererseits auf verurteilte Rechtsterroristen und Antisemiten. Organisierte Strukturen entstanden Mitte der 1970er-Jahren, seit etwa einem Jahrzehnt radikalisiert sich die Szene, die Berührungspunkte mit der Prepper-Bewegung und anderen politischen Apokalyptikern hat.

Die erste nennenswerte Gruppierung von Reichsbürgern sammelte sich um 1975 um den Rechtsanwalt Manfred Roeder (1929–2014). Er hatte im Zweiten Weltkrieg die NS-Kaderschmiede Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Plön besucht und kämpfte im April 1945 bei der Verteidigung Berlins. Später studierte er Jura. Aus der CDU trat er nach kurzer Mitgliedschaft 1970 aus, weil sie ihm zu links war. Ungefähr zur gleichen Zeit übte er erstmals nachweislich Gewalt gegen Sachen aus; aktenkundig sind Anschläge auf die damals boomenden Sexkinos und auf Kioske, die Pornomagazine anboten.

Auf einem Archivbild vom 28.6.1982 wird der ehemalige Rechtsanwalt Manfred Roeder (links im Vordergrund) in Stuttgart-Stammheim zur Urteilsverkündung geführt: Er wurde als Rädelsführer der rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppen" zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der führende Neonazi hat vor zwei Jahren an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr einen Vortrag gehalten, bestätigte das Verteidigungsministerium am Samstag (6.12.97) in Bonn einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel». dpa (Nur s/w) |
Manfred Roeder 1982 in Stuttgart-Stammheim auf dem Weg zur Urteilsverkündung
Quelle: picture-alliance / dpa

Als Holocaustleugner trat Roeder seit 1973 in Erscheinung. Ab dem folgenden Jahr forderte er öffentlich die Freilassung des inhaftierten Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß; er organisierte auch Demonstrationen und Aufrufe zu seinen Gunsten.

Spätestens Anfang 1975 entwickelte Roeder die Vorstellung, das Deutsche Reich sei 1945 überhaupt nicht zugrunde gegangen, sondern existiere weiter. Um sich diese völkerrechtlich völlig unsinnige Wahnidee bestätigen zu lassen, wandte er sich an den hochbetagten früheren Großadmiral Karl Dönitz.

Der ehemalige deutsche Großadmiral Karl Dönitz in seinem Haus in Aumühle
Der ehemalige deutsche Großadmiral Karl Dönitz in seinem Haus in Aumühle
Quelle: picture alliance / IMAGNO/Votava

Der letzte Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war von Hitler Ende April 1945 testamentarisch zum Reichspräsidenten berufen worden – was allerdings rechtlich keine Folgen hatte. In Dönitz’ Antwort an Roeder hieß es deshalb: „Ich erkläre Ihnen daher ausdrücklich, dass ich mich nicht als Reichspräsident des Deutschen Reiches betrachte.“

Daraus folgerte Roeder, den Dönitz’ früherer Verteidiger Otto Kranzbühler kurz und bündig als „Spinner“ bezeichnete, allerdings, dass die Funktion des Reichspräsidenten vakant sei, und ernannte sich selbst zum „Reichsverweser“. Umgehend berief er einen „Reichstag“ nach Flensburg ein, den letzten Dienstsitz von Dönitz, und ließ sich zum „Sprecher der Reichsvertretung“ wählen. Die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, das Grundgesetz keine gültige Verfassung.

Der Hausmeister steht am 22.08.1980 in einer ausgebrannten Wohnung in einem Wohnheim für vietnamesische Flüchtlinge in Hamburg. In der Nacht zuvor wurde ein Brandanschlag mit drei Molotowcocktails begangen bei dem zwei Vietnamesen starben. Der Anschlag wurde von Sibylle Vorderbrügge und Raimund Hörnle verübt die zur rechtsextremen terroristischen Vereinigung "Deutsche Aktionsgruppen" gehörten. Beide erhielten lebenslange Haftstrafen. Es war der erste Mordanschlag rechtsextremistischer Terroristen auf das Leben von Menschen, die politisches Asyl in der Bundesrepublik gesucht hatten. | Verwendung weltweit
Die ausgebrannte Wohnung in einem Wohnheim für vietnamesische Flüchtlinge in Hamburg 1980; zwei Menschen starben
Quelle: picture alliance / Lothar Heidtm

Seinerzeit nahm das niemand ernst, obwohl Roeder sich radikalisierte. Nach mehreren Urteilen wegen Volksverhetzung und ähnlicher Delikte tauchte er 1978 ab und gründete die rechtsterroristischen Deutschen Aktionsgruppen. Zusammen mit drei Gesinnungsgenossen verübte er 1980 insgesamt fünf Brand- und zwei Sprengstoffanschläge überwiegend auf Asylbewerberunterkünfte und Ausländerlager. Zwei Menschen starben, weitere wurden teilweise schwer verletzt.

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Nach sieben Monaten Fahndung wurde die Terrorzelle zerschlagen. Roeder erhielt 13 Jahre Haft wegen Rädelsführerschaft; eine direkte Beteiligung vor allem an dem Brandschlag mit zwei Toten konnte ihm nicht nachgewiesen werden.

Vor einer NPD-Fahne sitzt am Freitag (10.07.1998) in Stralsund auf einer Pressekonferenz Manfred Roeder. Er hat eine Hand ans Ohr gelegt, um eine Frage eines Journalisten besser hören zu können. Der wegen nationalsozialistischer Propaganda und Sprengstoffanschlägen verurteilte Neonazi stellt sich in der Hansestadt als Direktkandidat für den Deutschen Bundestag vor. dpa |
Manfred Roeder 1998 in Stralsund
Quelle: picture-alliance / dpa

Nach zwei Dritteln seiner Strafe wurde er mit einer „günstigen Sozialprognose“ auf Bewährung entlassen. In Wirklichkeit machte er nahtlos weiter, wo er Ende 1980 hatte aufhören müssen: mit rechtsextremer Propaganda, Holocaust-Leugnung und erneuten Angriffen auf Sachen. An seiner Überzeugung, Reichsbürger zu sein, hielt er fest, ebenso an seinem Antisemitismus, für den er noch 2010 vor Gericht stand. Im Jahr zuvor hatte er allen Ernstes eine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung bekommen.

Ein zweiter Vordenker der Reichsbürgerbewegung ist Horst Mahler (geboren 1936). Ebenfalls Rechtsanwalt, wurde er in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zum intellektuellen Kopf der deutschen Linksextremisten und Mitbegründer der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Schon nach wenigen Monaten festgenommen, erhielt er nur wegen mehrerer Banküberfälle 14 Jahre Haft – an Morden war er nicht beteiligt.

Jan. 09, 1972 - Fritz Teufel with his attorney Horst Mahler (r) during a short statement after Teufel's release from jail. Keystone Berlin |
Der linksradikale Aktivist Fritz Teufel und sein Anwalt Horst Mahler (r.)
Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Mitte der 1970er-Jahre distanzierte er sich von der RAF, blieb aber Antisemit. 1980 entlassen, konnte er mithilfe des späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder 1988 seine Zulassung als Rechtsanwalt zurückerlangen. Ende der 1990er-Jahre bekannte er sich offen zum Rechtsextremismus. Seither ist er in zahlreichen Vefahren wegen Volksverhetzung und anderer Delikte verurteilt worden.

Im August 2000 nannte Mahler das Grundgesetz der Bundesrepublik ein „Provisorium für die Übergangszeit bis zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“. Das war sein erstes deutliches Bekenntnis zur Reichsbürgerbewegung.

ARCHIV - Der Angeklagte, Rechtsanwalt Horst Mahler (M), mit seinen Verteidigern Otto Schily (r) und Hans-Christian Ströbele (l) am Kammergericht in Berlin-Moabit (Archivbild vom 23.10.1973). Am Freitag 20.07.2012 wird Schily 80 Jahre alt.Foto: dpa/lbn (zu dpa-KORR: «Ein komplizierter politischer Weg - Otto Schily wird 80») +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Der Angeklagte Horst Mahler mit seinen Verteidigern Otto Schily (r.) und Hans-Christian Ströbele (l.) 1973
Quelle: picture alliance / dpa

Von Mahler stammen nachweislich mehrere zentrale „Argumente“ der Reichsbürger. So der Hinweis auf eine Rede des SPD-Politikers Carlo Schmid, der 1948 im Parlamentarischen Rat die Zeit der Besetzung Deutschlands die „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“ genannt hat. Daraus aber kann man keinesfalls schließen, dass Schmid, der selbst einer der wichtigsten Verfassungsväter war, die Legitimität des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutschland bestritten hätte.

Auch die pseudojuristisch mit allerlei fehlinterpretierten Verfassungsartikeln „begründete“ Vorstellung, die Bundesrepublik sei gar kein Staat, sondern eine GmbH, die als „Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich“ tätig sei, stammt von Mahler: aus seinem „Appell an die Bürger des Deutschen Reiches“ aus dem Jahr 2000.

DEUTSCHLAND, BERLIN, 01.05.2001, Horst MAHLER (NPD), bei Rede auf NPD - Demo in Berlin. | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Horst Mahler 2001 bei einer NPD-Demonstration in Berlin
Quelle: picture alliance / Ulrich Baumga
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Das Gleiche gilt für die Behauptung, die Bundesregierung betreibe im „jüdisch-amerikanischen Auftrag“ einen „Umvolkungsfeldzug gegen unser Volk“, gegen den sich „völkische Reichsbürger“ wehren müssten. Genau diese „Argumente“ tauchen in Wortmeldungen von Reichsbürgern ständig auf.

Diese disparate, in verschiedenen Ausprägungen bis zu 20.000 Menschen starke Bewegung geht also wesentlich auf die verurteilten Holocaust-Leugner und Terroristen Roeder und Mahler. Erstaunlich ist eigentlich nur, dass jetzt zum ersten Mal eine derartige Gruppe wegen ihrer Gegnerschaft zum Grundgesetz und der Bundesrepublik verboten worden ist.

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