Seien Sie bitte vorgewarnt : Die folgende Rezi ist nicht besonders kurz. Ich lade Sie zu einer "magical, mystery" Lesereise ein, sofern Sie Zeit und Lust haben.
Es ist kaum zu glauben -- da bin ich seit 1979 (damals war ich zwölf) Beatles- Fan und habe erst vor kurzem "Magical mystery tour", einen ihrer nur fünf Filme, zum ersten Mal richtig gesehen. "Schuld" daran ist die sehr späte offizielle Veröffentlichung im Oktober 2012. Klar, ich weiß, zuvor gab es diverse halblegale Kopien oder Importe, im offiziellen Handel wie auch austauschweise unter Fans, die ich mir aber nicht antun wollte, weil den Film wenig Positives umwoben hatte. So ließ ich dann selbst diese 2012er DVD noch über ein Jahr lang ungesehen in der Sammlung stehen, weil ich ..... nun ja, weil ich mir den Film als etwas Besonderes aufheben wollte und gleichzeitig die "Angst" verspürt hatte, doch enttäuscht zu werden. Zuviel Negatives hatte ich in vielfältigen Medien gelesen, gleichzeitig jedoch etliche sehr positive Bewertungen hier bei Amazon. Oftmals wurden sogar fünf Sterne vergeben; nanu ?!
Dann war es nun so weit, ich sah zum ersten mal den Film. Über technische Dinge will ich mich nicht lange aufhalten, nur soviel : Bild und Ton sind (sehr) gut. Es gibt zahlreiche Untertitel, darunter in deutsch (übrigens auch bei dem 19 minütigen "Making Of", in der Paul und Ringo nunmehr 45 Jahre später ebenso mitwirken !). Ja, auch die recht vielen DVD- Extras sind wirklich interessant !
Der Film selbst beginnt sehr dynamisch mit dem gleichnamigen Song und greift schon im Intro einige der späteren Film- Momente auf. Schnell war ich verwundert. Was hatte ich schon oft gelesen : Der Film sei langweilig und konzeptlos, die Beatles seien einfach nur drauflos gefahren. Was mich aber u.a. erwartete, war ein "Magical Mystery- Marathon", ein Autorennen, aufgebaute Bühnen, aufwändige Kostüme, prächtige Show- Kulissen etc. Sehr seltsam ! Sah ich etwa gerade den falschen Film ?
Okay, ganz klar, "Magical mystery tour" ist kein "A hard days night" (1964) und auch kein "Help" (1965). Diese beiden rasanten Filme mag ich, übrigens auch unter der deutschen Synchronisation, sehr gerne. Gleichzeitig bin ich wohl der einzige Beatles- Fan auf dieser Welt, dem der sehr erfolgreiche Zeichentrickfilm "Yellow submarine" NICHT besonders gefällt (vermutlich vermisse ich einfach nur die echten Darsteller).
"Magical mystery tour" hat ANDERES zu bieten : Durchaus gelungene Situationskomik, eine Persiflage auf viele, viele (typisch britische) Verhaltensweisen, selbst einige Male erotische Reize von Frauen (dazu einmal sogar den eingeblendeten Hinweis "Censored" / "Zensiert"). Köstlich ist auch die Szene, in der ein Militär- Sergeant (etwa Sergeant Pepper ???!) undeutlich herumschreit und von Ringo durch die Frage "Warum (das Ganze) ?" irritiert wird. Schließlich bellt der Sergeant nur noch : "Lassen Sie sich Ihre verdammten Haare schneiden !"
Solche Szenen zeigen : Erstens wird der weltberühmte Humor der Komiker- Gruppe Monthy Python ("erst" 1969 gegründet) vorweggenommen. Die Beatles waren ihrer Zeit auch hier (mal wieder) etwas voraus. Nur in diesem Falle hatte es ihrem Erfolg leider geschadet. Das Publikum war hierauf nicht vorbereitet. Zweitens wirken die Beatles absolut authentisch : John ist der Erzähler dieses Films. Er zitiert den einen oder anderen geistreichen Spruch. Dies erinnert sehr an seine beiden literarischen Werke "In his own write" und "A spaniard in the works". Außerdem kümmert er sich um ein Kind; sie spielen zusammen und blasen einen Luftballon auf (auch im wirklichen Leben war John ja der erste Beatle, der Vater wurde). Paul darf selbstverständlich lässig neben der kühlen, aber schönen Dame sitzen. George muss sich etwas zurückhalten und Ringo hat sicherlich, wie auch in den zuvorigen Spielfilmen, den interessantesten Part, indem er u.a. heftig mit seiner Tante streiten darf.
Einige weitere Motive erinnern an die beiden ersten Filme, z.B. das gegenseitige Fotografieren. Auch Schauspielers Victor Spinetti ist wieder mal dabei. Er darf sich zum dritten (und letzten) Mal in einem Beatles- Film austoben.
Absolut neu war für mich : Es ist kein Film mit den Beatles als bestehende Gruppe ! Erst nach 25 Minuten sind alle vier im Clip "I am the walrus" zu sehen. Ihren zweiten und letzten Auftritt haben die Beatles nach 48 Minuten mit "Your mother should know". Beide Clips sind erfreulicherweise einzeln anwählbar. Dazwischen sind sie alle zusammen nur ganz kurz im zweiten Auftritt der Magier (mit dabei : Road- Manager Mal Evans) und im Clip von Georges "Blue jay way" zu sehen. Überwiegend ist es so, dass andere Schauspieler einen recht großen Spielraum erhalten. Die einzelnen Beatles sind eher Statisten. In den herkömmlichen Handlungs- Szenen treten sie nicht zusammen auf. Es sind gerade mal John und George, die im Bus nebeneinander sitzen oder auch später zusammen durch's Feld laufen.
Warum ist das so ? Zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, ob die Beatles nicht erst ab dem "Weißen Album", wie so oft berichtet wird, damit anfingen, ihre eigenen Wege zu gehen. Ist dieser Film etwa ein Indiz für eine schon sehr frühe Phase ihres Auseinanderlebens ? Einiges spricht dafür : "The fool on the hill" ist ein reiner Solo- Clip von Paul. Fast genauso "Blue jay way" mit George (seine eigenständige Kraft als späterer erfolgreicher Solist 1970 ff. ist hier bereits zu spüren). In dem Instrumental- Stück "Flying" ist sogar kein einziger der Beatles zu sehen.
Wobei die Musik selbst natürlich klasse ist (!), das brauche ich an dieser Stelle gar nicht weiter zu beschreiben ! Und auch die Clips sind (besonders nach damaligen Verhältnissen) mit aufwändigen psychedelischen Effekten ausgestattet. Toll !!! Außerdem gibt es die orchestralen Einspielungen "Spiritual regeneration", "Jessie`s dream", "She loves you" und "All my loving". Die beiden Letzteren erinnern wieder an die frühen Filme.
Und noch ein interessanter Gedanke zu dem Schluss- Highlight "Your mother should know" : Wenige Monate zuvor, im Juni 1967, war "Our world" die erste per Satellit weltweit ausgestrahlte Live- Fernsehsendung gewesen. Darin hatte sich John mit seinem "All you need is love" gegenüber Paul mit dessen "Your mother should know" durchsetzen können. Der nun hier im Film so prächtig umgesetzte finale Bühnen- Auftritt ("Your mother should know") könnte somit als Pauls ehrgeizige Einforderung auf Johns zuvorigen TV- Show- Beitrag ("All you need is love") anzusehen sein. Dies wäre ein hervorragendes Beispiel für das so enorm beflügelnde Konkurrenz- Spiel der beiden "Haupt- Beatles".
Tja, warum ist der Film letztlich gescheitert ? Ich glaube, es ist Augenwischerei, wenn man behauptet, es hätte (nur) an der "ungünstigen" (?) Sendezeit und an der erstmaligen Ausstrahlung in schwarz- weiß gelegen (wenig später wurde der Film ja auch noch einmal in Farbe ausgestrahlt !).
Ein Grund ist sicherlich, wie ebenso oft angeführt, die gewohnte (bzw. vermisste) Spielfilm- Handlung (... übrigens jammerschade, dass die für 1966 geplante Beatles- Western- Komödie "A talent for love" nie verwirklicht wurde !). In Zeiten von "Magical mystery tour" hatte das Publikum zwar sicherlich skurille, aber doch auch eine eher aktionsbetonte Handlung a la "Mit Schirm, Charme und Melone" oder "Nummer 6" ("The prisoner") erwartet. Gegen Film- Anfang wird zudem oft gesagt, "dass ein wunderbarer Zauber sich entwickeln werde". Nach nur 50 Minuten endet der Film -- beinahe abrupt ! Wo bleibt der "wunderbare Zauber" ? Die völlig unvorbereiteten Zuschauer hatten den Film und seinen psychedelischen, wenig aktionsbezogenen Zauber nicht "begreifen" können.
Weitere Gründe liegen sicherlich in der Historie der Beatles selbst :
Zu Drehzeiten, im Herbst 1967, waren sie absoluten Erfolg gewohnt. Anfang Juni hatten sie gerade das (besonders) legendäre Album "Sgt. Pepper's lonely hearts club band" veröffentlicht. Schon Ende Juni gab es, wie bereits gesagt, die Rekord- TV- Show "Our world".
Die Beatles bzw. Paul, dachten demzufolge wohl, sie könnten einfach alles tun und umsetzen, was ihnen gerade einfiel. Auf der anderen Seite erwartete das Publikum von ihnen nach wie vor das ganz Besondere ! Das "ganz Besondere", der "Zauber", lag jedoch dieses Mal in einer simplen Alltagssituation, einer Busreise -- natürlich sehr stark aufbereitet durch viele kreative, fantasievolle Elemente und einer guten Handvoll neuer, wunderbarer Songs.
Und parallel betrachtet : Längst nicht alles, was dem (insgesamt doch kurzlebigen) psychedelischen Trend entsprungen war, war wirklich von Erfolg gekrönt : So waren auch die bis dahin immer erfolgreichen Rolling Stones mit ihrem Musik- Album "Their satanic majesties request" (Dezember 1967) heftig kritisiert worden. Auch die sehr beliebten Monkees waren mit ihrem Experimental- Film "Head" (1968) plötzlich deutlich unter den Erwartungen geblieben.
Was außerdem hinzukommt : Zwei absolute Macher fehlten diesmal :
Richard Lester, der bei den beiden ersten Beatles- Filmen und auch dem 1966er "Wie ich den Krieg gewann" (übrigens auch mit John Lennon !) Regie geführt und bis dahin für einige ganz hervorragende Musik- Clips gesorgt hatte.
Brian Epstein, der bisherige Manager, der kurz vor den Dreharbeiten überraschend verstorben war. In der 1964er (u.a. 2004 veröffentlichten) Dokumentation "The first US visit" kann man sehr schön sehen, wie er rund um die agierenden Beatles alle Fäden strikt. Epstein hätte ganz gewiss für ein weitaus besseres Marketing zur TV- Premiere gesorgt ! So aber hatte die totale Unbeschwertheit ihren Lauf genommen, die sich Anfang 1968 mit Gründung von "Apple Corps" allzu leichtfertig fortsetzen sollte.
Ich selbst hätte noch im Vorfeld gedacht, aus meinen Brillengläsern würde mehr als ein einziges Bewertungs- Sternlein für das Filmchen nicht herausspringen. Nun aber habe ich den Streifen zweimal gesehen. Beim ersten Mal noch ohne deutsche Untertitel. Da war vieles an mir vorbeigelaufen (daher : drei Sterne). Heute morgen habe ich ihn mit deutschen Untertiteln gesehen und .... bin vom Humor des Films und seinem ganzen Wesen sehr begeistert !
Nie hätte ich gedacht, dass dieser Film mich so beschäftigen würde. Und dass er den Zeitgeist der Beatles noch einmal in mir erwachen ließe. Es ist kein (gewohnter) Film MIT den Beatles, sondern VON den Beatles. Und wiederum DOCH MIT (!) UND VON (!) den Beatles, deren spätere Einzel- Wege sich evt. schon an dieser Stelle etwas abzeichnen ließen.
Auch das "Making Of" ist aufschlussreich : Es zeigt (sicherlich ebenso authentisch), wie Paul das Ruder übernommen hat. John hingegen hält sich sehr zurück. Andere "Extras" zeigen einige der Musik- Clips aus einem völlig neuen Blickwinkel. Das kannte ich noch nicht. Sehr schön !
Ja, es gibt auf einmal so viele Assoziationen, so viele plötzliche Verbindungen. Auch zu "Give my regards to Broad Street", dem Film, den Paul gut 15 Jahre später (Drehbeginn 1982) entwickelte. In beiden Filmen kann man die gesamte Handlung grob in einem Satz zusammenfassen :
In "Magical mystery tour" erleben einige Leute eine verrückte Busreise. In "Broad Street" sucht Paul McCartney verlorengegangene Aufnahme- Tapes. Beide Filme sind bei weitem nicht so schlecht, wie sie behandelt werden. Beide Filme ähneln sich in ihren Grundzügen : Es gibt eingestreute Traumsequenzen etc. etc. Und Ringo Starr ist beide Male mit an Bord !
Nur schade -- in kommerzieller Hinsicht hatte Paul, anstatt Genugtuung zu erreichen, den "alten Fehler" wiederholt, auf einen aktionsbetonten Inhalt zu verzichten. Im direkten Vergleich ist "Broad Street", noch dazu als Kino- Film (!), ca. doppelt so lang wie "Magical mystery tour" ..... und damit insgesamt leider doch (zu) lang(weilig !).
Doch zurück zu "Magical mystery tour" : Dieser Film hat mich spätestens beim zweiten Ansehen sehr, sehr positiv ÜBERRASCHT !!!
In diesem Sinne und zu guter Letzt :
Wann, bitte, bitte, bitte, erscheint endlich, endlich, endlich der Film "Let it be" ???
Auf Youtube etc. habe ich ihn mir bis jetzt NOCH immer NICHT angeschaut.
Aber bis zum "St. Nimmerleinstag" oder zum 60. oder 70. Jubiläum will ich nicht mehr warten..... !