Ludwig Tieck zum 250. Geburtstag: Der König der Romantik - WELT
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Literatur Ludwig Tieck

Aus der Waldeinsamkeit in den Wahnsinn

Leitender Feuilletonredakteur
Ludwig Tieck auf einem Gemälde von 1838 Ludwig Tieck auf einem Gemälde von 1838
Diamenten der Geliebten unterm Bett: Ludwig Tieck 1838
Quelle: picture-alliance/akg-images
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Ludwig Tieck war der König der Romantik und der Kunstreligion. Klingt nach Vergangenheit? Nein, einige seiner literarischen Figuren, etwa „der blonde Eckbert“, sind psychisch ziemlich auffällig – und passen deswegen gut in unsere Zeit.

Es war kein Geringerer als Friedrich Hebbel, seinerzeit selbst ein Stern an Deutschlands Dichterhimmel, der dem berühmten Kollegen die feierlichen Worte nachrief: „Der König der Romantik hat das Szepter niedergelegt.“ Und leise raunend fügte er noch hinzu: „Er ist in jene geheimnisvolle Welt zurückgekehrt, die er ein Menschenleben hindurch zu entschleiern suchte.“

Die Rede ist von Ludwig Tieck, der 1773 geboren wurde und 1853 starb. Da waren fast alle anderen Romantiker längst tot. Doch der alte Tieck hatte achtzig Jahre lang ausgeharrt, ein Mann, der schon mit 27 die Gicht bekam und bis ans Ende seiner Tage starke Schmerzen litt. Er hatte ausgeharrt, ein Werk von unglaublicher Vielfalt und in einem staunenswerten Umfang hervorgebracht, aber er hatte sich auch längst überlebt.

Als Goethe starb, 1832 also, durfte Tieck sich noch schmeicheln, seine Nachfolge als deutscher Dichterfürst angetreten zu haben. Es kamen dann auch noch einige Texte, vor allem die beiden Romane „Der junge Tischlermeister“ (1834), Tiecks „theatralische Sendung“, sehr ambitioniert als Antwort auf Goethes „Wilhelm Meister“ angelegt; sowie 1840 „Vittoria Accorombona“, der damals als Meisterwerk des Historienromans gefeiert wurde.

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Aber romantisch war das längst nicht mehr, vielmehr erzähltechnisch dem Realismus zuzuordnen. Kein Wunder! Tieck hatte sich von früh an allen ästhetischen Sätteln gerecht erwiesen. Er hatte mit witzigen Satiren im Stil der Aufklärung begonnen. Er hatte sodann den ausufernden Briefroman „William Lovell“ geschrieben, der noch den Geist der Empfindsamkeit atmete. Es folgten die Entdeckung Shakespeares und von Cervantes, die Tieck mit bis heute maßgeblichen Übersetzungen der deutschen Literatur zuführte, ihre dichterischen Verfahrensweisen aber auch in eigenen Arbeiten übernahm.

Aber wirkliche Unsterblichkeit erlangte er mit jenen erzromantischen Hervorbringungen, die für viele nachfolgende Generationen zum Kanon gehörten. Wer in seiner Gymnasialzeit mit romantischer Prosa konfrontiert wurde, las Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und die Kunstmärchen von Tieck. „Der blonde Eckbert“ oder „Der Runenberg“: Das waren Geschichten, die alles gaben, was zur romantischen Empfindungswelt gehörte: „Waldeinsamkeit“ und jede Menge „mondbeglänzte Zaubernächte“ (Tiecks eigene Wortschöpfungen), aber eben auch die „Nachtseiten“ der menschlichen Psyche. Tieck entwarf melancholische, sehnsüchtige Charaktere, hin- und hergerissen zwischen Weltangst und Fernweh, Skepsis auf der einen Seite sowie dem Drang, die Dinge zu verzaubern, zu verklären, auf der anderen.

David d‘Angers modelliert die Büste Tiecks. Seine Frau Dorothea Tieck, Graf Baudissin, Baron Stackelberg und Carl Gustav Carus schauen zu. Gemälde von Carl Christian Vogel von Vogelstein (1788-1868)
David d'Angers modelliert die Büste Tiecks. Seine Frau Dorothea Tieck und andere schauen zu. Gemälde von Carl Christian Vogel von Vogelstein (1788-1868)
Quelle: picture-alliance/akg-images

Hauptobjekt dieser Verklärung ist, wie sich versteht, die Kunst. Keiner hat wie Tieck den Ton jener Kunstfrömmigkeit getroffen, der im 19. Jahrhundert hierzulande geradezu endemisch wurde, vor allem bei Komponisten und Malern. Regelrecht zur Bibel wurde insbesondere für die sogenannten Nazarener, die im Stil der Frührenaissance ihre Andachtsbilder vor einer meist italienischen Kulisse schufen, Tiecks Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“. Dieser Franz („Ich will immer ein Kind bleiben“) ist der Prototyp jener Galerie von jungen Männern, die Tieck bis ins Alter immer wieder gestaltet hat. Ruhelos, nervös, zweiflerisch, vom Übermaß der Empfindung und Einbildungskraft oft in ihrem Tun gelähmt, suchen sie das Heil in der Einfachheit, ja in der Einfalt.

Und sie suchen ihren Meister. Für Franz Sternbald ist das zunächst Albrecht Dürer, so „ernst und deutsch“, dann wird es, in Italien, wo sonst, der „göttliche Raffael“. Die Darstellung Italiens bleibt bei Tieck ein wenig kursorisch, das Werk ist unvollendet. Tieck verlor immer die Lust, wenn sich beim schnellen Schreiben große Schwierigkeiten einstellten. Umso plastischer sind seine Beschreibungen eines imaginären Nürnberg, der Dürer-Stadt, mit ihrem Gewerbefleiß, der sich so glanzvoll mit Kunstsinn paart. Hier, in Tiecks „Sternbald“ von 1798 und nirgends sonst, schlägt die Geburtststunde von Nürnberg als deutschem Gedächtnisort par excellence, dem später auch E. T.A. Hoffmann und dann vor allem Richard Wagner mit seinen „Meistersingern von Nürnberg“ huldigen werden.

Aber Tieck selbst war für diese deutsch-vaterländisch-kunstfromme Illusionsbildung auf die Dauer nicht gemacht. Er war zu sehr ein Zerissener, anfällig für Depressionen und psychische Störungen. Wohl auch zu intellektuell. Dieses Junggenie, das noch vom alten Friedrich Nicolai, Berlins Parade-Aufklärer, von der Schulbank weg seiner Schreibwerkstatt einverleibt worden war, hatte als Jenaer Student zum Kreis von August Wilhelm und Friedrich Schlegel gehört. Tieck hatte ihre Theorien von einer „romantischen Unversalpoesie“ aufgesogen, sich in ihre Debatten und Intrigen verwickeln lassen, dieses Biotop allerdings auch wieder bald verlassen, weil es ihm zu anstrengend war – und blieb doch zeit seines Lebens in neurotische Beziehungsmuster verstrickt.

Weil er so unglaublich produktiv war, fühlte er sich berufen, als erster deutscher Schriftsteller überhaupt, die Laufbahn des freien Autors einzuschlagen. Aber dafür brauchte auch er natürlich Gönner. Diese fand der gebürtige Berliner überwiegend auf märkischen Adelssitzen, nicht zuletzt bei seiner langjährigen Geliebten Henriette von Finckenstein. Das musste sogar Tiecks Frau Amalie einsehen, die aus finanziellen Gründen wohl oder übel in die ménage à trois einwilligte. Henriette war allerdings nicht das Ende der Fahnenstange.

Tieck war immer in Geldnöten

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Tieck galt bei den Zeitgenossen generell als Pumpgenie. Kein Mensch jedoch sah sein Geld wieder. Darum nannte Caroline Schelling Tieck einen „anmutigen Lump“. Und niemand wunderte sich, als man in seinem Bett Diamantgeschmeide der Gräfin Finckenstein unter der Matratze fand. Wenig vorstellbar, dass Madame den Schmuck dort vergessen hatte. Plausibler dürfte die These sein, dass hier ein kleines Depot gewesen war, aus dem Tieck bei Bedarf etwas zu Geld machte.

Das blieb in einer so briefseligen Epoche wie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstredend nicht unbemerkt und wurde eifrig weitergetratscht. Tieck mochte zum „König der Romantik“ emporwachsen; er mochte, vor allem in seiner Dresdner Zeit, dank seiner legendären öffentlichen Dichterlesungen als Tourismusattraktion vermarktet und dann von Friedrich Wilhelm IV., dem „Romantiker auf dem Thron“ im Alter noch nach Berlin mit einer großzügigen Pension gelockt werden: Dem Mann haftete ein „Geschmäckle“ an, er hatte keinen guten Ruf.

Vielleicht erklärt das auch die Tatsache, dass vor allem die Germanistik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nur wenig mit Tieck anzufangen wusste. Man stieß sich an seiner „unmoralischen Lebensführung“. Und dann kam von dem George-Schüler Friedrich Gundolf auch noch der Vorwurf allzu leichter Lesbarkeit. Folgenden Bannstrahl schleuderte der Hochmögende 1929 gegen den Dichter: „Er fing an als Unterhaltungsschriftsteller niedrigen Niveaus. Er hörte auf als Literaturgreis und Unterhaltungsschriftsteller hohen Niveaus.“

Ja, unterhalten konnte Tieck. Aber vor allem konnte er verstören. Niemand hat wie er den Einbruch des Unheimlichen in die Alltagsexistenz gestaltet wie diese gefährdete Natur. Bei Tieck ging es oft aus der Waldeinsamkeit direkt in den Wahnsinn. Nicht nur dem „blonden Eckbert“ und seiner Frau „Bertha“ (waren sie nicht sogar ein und dieselbe Person, wie schon die Namensgleichheit andeutet?) drohen der Ichverlust, aggresssive Schübe, aber dann auch wieder die dunkle Ahnung, aus einer Art Ichgefängnis nicht herauszukönnen: „In welcher entsetzlichen Einsamkeit hab’ ich dann mein Leben hingebracht“, entfährt es Eckbert kurz vor seinem Tod. Und Tiecks William Lovell dichtet verzweifelt: „Ich komme mir nur selbst entgegen / in einer leeren Wüstenei.“

Diese Entfremdungsgefühle weisen voraus in die Moderne. Tieck ist unser Zeitgenosse – weit mehr als Novalis, Brentano, Uhland, Eichendorff und all die anderen. Wir sollten ihn nun auch endlich lesen. Denn vieles, nicht alles, lohnt sich.

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