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Kopf des Tages Louis de Saint-Just

„Ihr müsst die Anzahl der Beamten verringern“ (und sei es mit der Guillotine)

Während der Terror-Phase der Französischen Revolution 1793/94 war Saint-Just der wichtigste Verbündete Robespierres. Mit seinem radikalen Programm wurde er für manche eine Lichtgestalt. Andere sehen ihn als Wegbereiter des Totalitarismus.
Freier Autor Geschichte
Jacques-Louis David (1748-1825), French school, Portrait of Saint Just, Oil on canvas (71 x 58 cm). (Photo by: Photo12/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images Jacques-Louis David (1748-1825), French school, Portrait of Saint Just, Oil on canvas (71 x 58 cm). (Photo by: Photo12/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
25. August 1767: Der Revolutionär Louis de Saint-Just (1767–1794) wird geboren – Porträt von Jacques-Louis David
Quelle: Universal Images Group via Getty
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Als sein Kopf am 10. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) in den Korb unter der Guillotine fiel, war Louis Antoine de Saint-Just nicht einmal 27 Jahre alt. Aber die Zeit hatte ausgereicht, um ihn für die einen zur hellen Hoffnung auf einen gerechten Gesellschaftsvertrag zu machen (so der große Historiker Jules Michelet, 1798–1874). Die anderen sehen ihn dagegen als Wegbereiter des modernen Totalitarismus.

Dass Saint-Just für eineinhalb Jahre eine Hauptrolle in der Französischen Revolution spielen konnte, verdankte er seinem ungestümen Wesen, seiner kompromisslosen Rhetorik und – nicht zuletzt – seiner jugendlichen Schönheit, die ihn aus dem Kreis der älteren Anwälte und Publizisten heraushob, die den französischen Nationalkonvent prägten. Jacques-Louis David, Jean-Baptiste Greuze und Pierre Paul Prud’hon haben mit ihren Porträts daran mitgewirkt. Das boshafte Bonmot des Schriftstellers André Malraux, dass „die Legende nicht aus der Schönheit des Saint-Just entstanden sei, sondern seine Schönheit aus der Legende“, hat nur einen Fehler. Die Künstler kannten den Mann, den sie malten, und wussten, wie ihre Zeitgenossen ihn sahen.

Louis Antoine de Saint-Just (1767-1794), 1793. Found in the Collection of Musée des Beaux-Arts, Lyon. (Photo by Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Louis Antoine de Saint-Just (1767–1794) – von Pierre Paul Prud’hon
Quelle: Getty Images

Am 25. August 1767 als Sohn eines Hauptmanns unweit von Nevers geboren, wurde Saint-Just eine bürgerliche Bildung zuteil. Bereits 1788 schloss er das Studium der Rechtswissenschaften in Reims ab. Mit diesem Rüstzeug, das auch die Kenntnis römischer und griechischer Klassiker einschloss, machte er sich auf die Suche nach eine Aufgabe. Davon legen literarische Versuche wie das Gedicht „Organt“ Zeugnis ab, das ihn prompt mit der Zensur in Konflikt brachte.

Im Juli 1789 erlebte Saint-Just in Paris den Sturm auf die Bastille mit – und beschloss, Politiker zu werden. Seine Heimatstadt Blérancourt machte ihn zum Vizekommandeur ihrer Nationalgarde. Die Wahl in die Gesetzgebende Nationalversammlung 1791 wurde wegen einer Formalie annulliert. Ein Jahr später zog er als Abgeordneter des Departments Aisne in den Nationalkonvent ein. Dort schloss er sich zunächst keiner Partei an, stimmte aber wiederholt mit den Jakobinern.

Deren Radikalismus prägte ihn nachhaltig. Das zeigte Saint-Justs erster großer Auftritt im Prozess gegen Ludwig XVI.: „Ich sage, dass der König als Feind behandelt werden muss; wir haben ihn weniger zu verurteilen als zu bekämpfen ... Welche Gerechtigkeitsbeziehung könnte es denn zwischen der Menschheit und einem König geben?“ Daraus folgerte er: „Caesar wurde mitten im Senat geopfert, und die ganze Formalität bestand lediglich in 23 Dolchstößen. Es geschah nach keinem anderen Gesetz als im Namen der Freiheit Roms.“

Das Plädoyer für den Königsmord im Namen der Freiheit schlug die Brücke zu dem anderen radikalen Akteur, der Saint-Just schon zuvor „wie ein Gott“ erschienen war: Maximilien de Robespierre. Beiden gelang es, den zaudernden Konvent vom Todesurteil über den gestürzten König zu überzeugen. Damit besiegelten sie ihren Pakt. Bis zum 10. Thermidor II war Robespierre der bestimmende Politiker der Revolution, Saint-Just sein furchtbarer Todesbote und Vollstrecker.

Das Fundament ihres Pakts wurde die Utopie von einer tugendhaften Gesellschaft, deren schillerndes Bild aus Bruchstücken antiker Klassiker, den Werken von Jean-Jacques Rousseau und revolutionären Debatten der Gegenwart zusammengesetzt wurde. Als tugendhaft galten alle guten Bürger, die wie Caesars Mörder bereit waren, für das Wohl des Gemeinwesens ihr Leben zu geben.

Wer sich jedoch von eigenen, etwa wirtschaftlichen Interessen leiten ließ, wurde zum Verräter. „Ich betrachte den Reichtum nicht nur als den Lohn des Verbrechens, sondern geradezu als die Strafe für das Verbrechen und will arm bleiben, um nicht unglücklich zu werden“, erklärte Saint-Just seinen bürgerlichen Standesgenossen. Um ihrem Egoismus nicht Staat und Gesellschaft zu überlassen, brauche es eine starke Regierung. Sie würde für die Gleichheit aller Bürger sorgen, indem sie selbst die sozialen Kontakte ihrer Kontrolle unterwerfe.

Die Schlacht bei Fleurus am 26. Juni 1794; das Bild der Sieger: Auf dem Schimmel der französische Oberbefehlshaber Jean-Baptiste Jourdan und links daneben auf dem braunen Pferd Saint-Just
Sieg bei Fleurus im Juni 1794. Hinter General Jourdan auf dem braunen Pferd Saint-Just
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Die Konsequenz dieser Gedanken prägte noch nicht der Verfassungsentwurf, der unter maßgeblicher Mitwirkung von Saint-Just 1793 zustande kam und auch vom Konvent angenommen wurde, wegen der dramatischen Staatskrise durch Invasionen, Aufstände, Wirtschaftskollaps jedoch nie in Kraft trat. Stattdessen wandelte sich mit Saint-Just der Mann, auf den der vorangestellte Katalog der Menschenrechte zurückging, zum fanatischen Anhänger einer tugendhaften Diktatur. Mit Robespierre und Georges Couthon bildete er den radikalen Kern des Wohlfahrtsausschusses, der es 1793 übernahm, die Revolution zu retten.

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Saint-Just fiel dabei die Aufgabe zu, die zurückweichenden Armeen im Elsass und im Norden zu reorganisieren und ihre Generäle zum Sieg zu treiben. Dafür ließ er eine Reihe von Offizieren erschießen, verbesserte mit Sondersteuern für Wohlhabende den Nachschub und mit markigen Worten die Moral („Die Republik nimmt von ihren Gegnern und liefert ihren Gegnern nur Blei“). Dabei scheute er sich nicht, selbst in den Kampf zu ziehen und den Soldaten der „Levée en masse“ Beispiele seines persönlichen Muts zu liefern.

In Paris unterstützte Saint-Just mit allen Mitteln Robespierre, der den Wohlfahrtsausschuss im September 1793 zum Terrorinstrument machte. Von da an ernannte das Gremium die Richter und Geschworenen des Revolutionstribunals. Prozesse konnten nach drei Tagen abgeschlossen werden, wenn die Geschworenen befanden, „dass ihr Gewissen genügend erleuchtet“ sei. Das reichte aus, um die innenpolitischen Gegner, sowohl die Radikalen um Jacques-René Hébert als auch die Gemäßigten um Georges Danton, unter die Guillotine zu schicken.

Aber da offenbar auch das nicht ausreichte, um alle Bürger mit ausreichender Tugend aufzuladen, wurde der Terror im Juni 1794 noch einmal verschärft. Nun konnte jedermann davon ausgehen, Passagier auf dem Todeskarren zu werden. „Ihr müsst überall die Anzahl der Beamten verringern, damit auch die höchsten Beamten arbeiten“, erklärte Saint-Just und machte den Vorschlag, die Güter der „Verschwörer“ einzuziehen und an die Armen zu verteilen, denn „sie sind die eigentlichen Mächtigen in der Welt“.

Le matin du 10 thermidor an II; Maximilen de Robespierre, la machoire fracturée, est étendu sur une table - chromo d'après un tableau de Melingue
Vor ihrer Hinrichtung: Auf dem Tisch liegt der verwundete Robespierre, rechts neben ihm Saint-Just
Quelle: picture-alliance / Leemage

Dieses radikale Programm aber provozierte Widerstand, nicht nur im Konvent, sondern sogar im Wohlfahrtsausschuss. Als Saint-Just vorschlug, die auf Prozess und Hinrichtung wartenden Insassen der Gefängnisse zu Arbeitssklaven zu machen, schlug ihm eisiges Schweigen entgegen. Da hatte einer die längst brüchig gewordene Basis der bürgerlichen Revolution endgültig verlassen. Die totale Unterwerfung des Individuums unter die Macht des Staates sollte ein Charakteristikum von Regimen des 20. Jahrhunderts werden. In der irrlichternden Ideenwelt eines Saint-Just konnte ein solcher Gedanke aber schon Gestalt annehmen. (Das eingangs zitierte Urteil Michelets erklärt sich den auch aus dem Glück seiner frühen Geburt).

Als sich auch Robespierre am 8. Thermidor (26. Juli 1794) nach einem Monat des Schweigens im Konvent in dunklen Andeutungen über weitere Bestrafungen der Pflichtvergessenen erging, formierte sich umgehend eine Verschwörung. Am folgenden Tag wurden Saint-Just und Robespierre am Reden gehindert und verhaftet. Zwar wurden sie am Abend noch einmal befreit, hatten aber keinen Plan, wie sie sich ihren Gegnern entgegenstellen sollten. Bei der neuerlichen Verhaftung wurde Robespierre verletzt, Saint-Just soll ihn aufgefangen haben. Beide endeten wenige Stunden später mit 20 Anhängern unter dem Fallbeil.

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