Liv Lisa Fries: „Ich denke mich immer von Berlin aus“

Liv Lisa Fries: „Ich denke mich immer von Berlin aus“

Die „Babylon Berlin“-Schauspielerin über den modernen Mangel des Nonverbalen, Kräuterzigaretten und ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimatstadt.

Auch mit Pixie Cut unverkennbar: Die Schauspielerin Liv Lisa Fries.
Auch mit Pixie Cut unverkennbar: Die Schauspielerin Liv Lisa Fries.Louisa Stickelbrück

Wenn man Menschen heute nach Frauen der Weimarer Republik fragt, werden viele ihr Gesicht vor Augen haben: Seit 2017 spielt die reale Berlinerin Liv Lisa Fries die fiktive Berlinerin Charlotte Ritter, eine Frau, die sich in den zwanziger Jahren von einer Gelegenheitsprostituierten zur Mordkommissarin hocharbeitet, sich in größter Armut ihre Würde nicht nehmen lässt; die so leidenschaftlich feiert, wie sie Gangster jagt und ihre Familie verteidigt. Weil sie ihren persönlichen Moralkodex über den staatlichen stellt, geht es für Charlotte Ritter karrieretechnisch in der neuen Staffel von „Babylon Berlin“ erstmal wieder abwärts, dafür steht der Liebesbeziehung zu Gereon Rath, die in den Romanvorlagen von Volker Kutscher eine weitaus größere Rolle spielt als in den bisherigen drei Serienstaffeln, scheinbar nichts mehr im Wege.

Als wir Liv Lisa Fries zum Interview treffen, kommt sie gerade, noch spürbar aufgekratzt, von der Premiere im Delphi Filmpalast, bei der auch Franziska Giffey im Publikum saß. Ihre Freude über das fertige Werk ist der Schauspielerin anzumerken, Fragen über die Serie und ihr Leben in Berlin beantwortet sie sehr offen. Über die Debatte um die Verbindungen ihres Kollegen Volker Bruch ins Querdenker-Milieu, die auch die Rezeption der neuen Folgen beeinflussen dürfte, möchte sie gegenüber der Berliner Zeitung lieber schweigen.

Frau Fries, rauchen Sie?

Abends manchmal. Früher habe ich richtig geraucht, jetzt eigentlich nicht mehr, aber manchmal ist mir noch danach. Bei den Dreharbeiten zu „Babylon Berlin“ rauche ich aber immer Kräuterzigaretten. Alles andere wäre zu anstrengend. Da würde ich einen Nikotinschock bekommen. Generell finde ich, dass Rauchen einen Kontemplationsmoment hat. Man atmet diesen Rauch aus, innerlich und äußerlich passiert etwas. Es bringt einen zu sich, im besten Fall.

Wie schmecken Kräuterzigaretten?

Kräuterig, nicht besonders lecker. Sie riechen, als ob man Gras raucht, also furchtbar. Aber es ist schon verrückt, wenn man sich überlegt, dass früher einfach alles vollgequalmt war und sich niemand daran gestört hat.

Helfen dieser Rauch und auch die Kostüme, Ausstattung etc. dabei, sich in die Rolle von Charlotte Ritter einzufühlen?

Ja, extrem. Es macht unheimlich viel mit einem, besonders das Kostüm. Es formt einen buchstäblich, ich bin selbst immer wieder davon überrascht. Es kommt häufig vor, dass ich nach meiner eigenen Vorbereitung auf eine Rolle noch schwimme und nicht so richtig weiß, was noch fehlt. Und das sind dann eben manchmal externe Faktoren, die ich selbst gar nicht bestimmen kann, wie das Kostüm oder die Ausstattung. Eine Rolle ist ja eigentlich wie eine Skizze, die immer weitergezeichnet wird. Man startet nackt und dann wird das Bild von verschiedenen Einflüssen komplettiert.

Liv Lisa Fries, eingekleidet von Kostümbildner Pierre-Yves Gayraud
Liv Lisa Fries, eingekleidet von Kostümbildner Pierre-Yves GayraudFrédéric Batier/ARD/SKY

Ist Ihnen Mode auch privat wichtig?

Ja. Es gibt Momente, wo es mir vielleicht egal ist, aber generell finde ich faszinierend, was Mode gestalten kann. Sie kann entspannen, anspannen, einschnüren oder befreien, den gesamten Eindruck verändern.

Sie sind in Berlin geboren. Wie wohl fühlen Sie sich mit dem historischen Berliner Dialekt, den Charlotte Ritter spricht?  

Generell läuft bei historischen Stoffen beim Spiel ja alles weniger intuitiv ab, und da spielt auch die Sprache eine Rolle. Man kann nicht einfach frei Schnauze reden. Aber ich gewöhne mich immer relativ schnell wieder daran, wenn wir eine neue Staffel drehen.

Berlinern Sie privat?

Überhaupt nicht. Beziehungsweise überhaupt nicht mehr. Vor der ersten Staffel von „Babylon Berlin“ musste ich mir das deshalb noch mal richtig draufschaffen. Generell hat mich Berlinerisch natürlich immer umgeben, und ganz grundsätzlich habe ich wohl auch einen gewissen Berliner Singsang in der Stimme, der nie ganz weggeht.

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Louisa Stickelbrück
Zur Person
Liv Lisa Fries kam 1990 in Berlin zur Welt. Sie spielte schon als Jugendliche erste Rollen, etwa in „Schimanski“ und „Die Welle“.

2011 wurde sie für ihre Darstellung einer gewalttätigen Jugendlichen in dem ARD-Film „Sie hat es verdient“ mit der Goldenen Kamera als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. 2014 erhielt sie für „Und morgen Mittag bin ich tot“ den Bayerischen Filmpreis und den Max-Ophüls-Preis.

Seit 2017 spielt sie die Hauptfigur Charlotte Ritter in der Serie „Babylon Berlin“. 2018 gewann sie dafür den Grimme-Preis. 2021 bekam sie den Verdienstorden des Landes Berlin.

In der Serie, auch in den neuen Folgen, geht es wieder in erster Linie um die Schattenseiten der Weimarer Republik. Den Aufstieg des Nationalsozialismus, die extreme Armut der Bevölkerung, die brutale Berliner Unterwelt. Andererseits gibt es die Partyszenen im Moka Efti, die wunderbare Mode, Ausstattung etc. Werden Sie da beim Dreh manchmal nostalgisch?

Ich fühle mich in dieser Zeit tatsächlich ästhetisch sehr gut aufgehoben. Die Gegenwart kommt mir dagegen oft sehr leer vor, mit all den qualitativ minderwertigen Gegenständen, die uns ständig umgeben. Es ist kein tolles Gefühl, auf Plastikstühlen zu sitzen, das macht nichts mit mir, es erzählt mir nichts. Die historische Architektur, die Mode, das Design, alles strahlt für mich eine viel größere Hingabe und Beständigkeit aus. Das stimmt mich zuweilen nostalgisch, weil ich manchmal unter der Schnelllebigkeit unserer Zeit leide.

Fühlen Sie sich generell zum Analogen hingezogen? Sie hatten lange kein Smartphone.

Stimmt, das hat sich aber jetzt geändert. Ich habe aber zum Beispiel noch einen Wasserkessel zu Hause. Wenn ich aber bei Freunden moderne Wasserkocher sehe, die alles in wenigen Sekunden machen, kann ich dem natürlich auch was abgewinnen. Also ich verschließe mich nicht gegenüber den Vorteilen unserer Zeit. Aber dass man hin und wieder zwischendurch für etwas anhalten muss, weil Dinge Zeit brauchen, finde ich gut.

Trauern Sie der Feierkultur der zwanziger Jahre nach? Zum Beispiel den Paartänzen?

Ich fände es interessant, wenn Paartänze wieder populärer werden würden. Aber das liegt ja in der Verantwortung der Menschen. Ich habe zum Beispiel im vergangenen Jahr ein Tanzstudium angefangen und tanze gerne mit anderen, wenn ich ausgehe. Es stimmt natürlich, dass das kein gesellschaftlicher Standard mehr ist. Finde ich aber auch okay. Denn es war ja damals vielleicht auch ein Art Zwang,  und das muss man nicht vermissen. Man könnte natürlich fragen, ob es heute ein Zwang ist, alleine zu tanzen.

Charlotte Ritter und Kneipenwirt Jacky (Max Mauff) beim Tanzmarathon im Moka Efti
Charlotte Ritter und Kneipenwirt Jacky (Max Mauff) beim Tanzmarathon im Moka EftiFrédéric Batier/ARD/SKY

Gehen Sie viel feiern in Berlin?

Ich bin früher viel tanzen gegangen und tue das auch heute noch. Tanzen ist für mich wichtig, wie so vieles Nonverbale, weil dabei der Körper, der Geist und die Seele angesprochen werden. Ich finde, in unserer Zeit wird sehr viel geredet, vieles funktioniert über den Intellekt. Der Körper kommt dabei oft zu kurz. Ich glaube, deshalb sind zum Beispiel auch Yoga und Mediation wieder so beliebt, weil viele Menschen dieses Gefühl haben.

Machen Sie Yoga?

Ja. Sonst hätte ich zum Beispiel auch die Tanzszenen in der neuen Staffel körperlich niemals durchhalten können. Ich glaube, Körper, Geist und Seele müssen immer in Balance sein. Wenn ich das eine zu sehr bediene, muss ich das irgendwann ausgleichen, um mich wohlfühlen zu können.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Berlin? Die Stadt hat sich in den Jahren, seit Sie hier geboren wurden, extrem verändert. Wie nehmen Sie das wahr?

Veränderungen finde ich eigentlich generell gut. Ich habe meine Jugend in Prenzlauer Berg und Mitte verbracht, und da habe ich live miterlebt, wie viel Subkultur verlorengegangen ist. Das finde ich wahnsinnig traurig. Auch was den Wohnungsmarkt angeht, ist die Entwicklung natürlich überhaupt nicht gut. Ich habe gerade selbst lange eine Wohnung gesucht. Das ist ein absolut großer Missstand und ein Markt, der für alle Mieter ungesund ist. Aber Berlin ist für mich meine Heimat. Und dazu gehört auch, dass ich zu der Stadt von Geburt an ein ambivalentes Verhältnis habe. Für mich funktioniert Berlin auch immer durch das Nicht-da-Sein. Aber seit ein paar Jahren bin ich wieder sehr gerne hier und habe auch viel in der Stadt gearbeitet.

Könnten Sie sich vorstellen, mal länger fernab von Berlin zu leben?

Schon, aber ich glaube, ich werde hier immer zu Hause sein. Und das heißt für mich, dass ich bei mir bin, dass ich mich spüre und dass ich mich immer von hier aus denke. Das habe ich besonders gemerkt, als ich mal ein paar Monate in Nepal und Vietnam war. Wie stark meine Identität mit dieser Stadt verknüpft ist. Und natürlich bringt das Konflikte mit sich, wenn sich eine Stadt so stark verändert. Aber ich finde nach wie vor, dass wahnsinnig viele tolle Menschen hier sind und immer mehr neue dazukommen. Es bleibt halt immer die Frage, welche Veränderungen wir als Gesellschaft unterstützen wollen und welche wir bremsen wollen. Wie kann man etwas bewahren und gleichzeitig anderes wachsen lassen? Dafür muss man Werte definieren.