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Kultur Little Richard †

„Ich glaube nicht, dass ich je bekommen habe, was ich verdiente“

Little Richard ist im Alter von 87 Jahren gestorben

Little Richard gilt als Wegbereiter des Rock 'n' Roll, erlangte in den 50ern mit Hits wie „Tutti Frutti“ weltweite Bekanntheit. Nun ist der amerikanische Musiker im Alter von 87 Jahren verstorben.

Quelle: WELT

Autoplay
Er war der Architekt des Rock ’n’ Roll. Ein homosexueller Schwarzer aus den Südstaaten Amerikas befreite die Jugend der Welt und fand am Ende zu Gott. Little Richards Leben ist die Geschichte einer Erlösung. Nun ist er gestorben.

Sprachlos sei er gewesen, bezeugte John Lennon, als er zum ersten Mal Little Richards „Long Tall Sally“ hörte; er verleugnete seinen König und färbte seinen Glauben schwarz: „Ich wollte Elvis nicht verlassen, aber das war so viel besser.“ Als der junge Jimi Hendrix, 1964/1965 knapp zehn Monate lang in des Meisters Begleitband, wegen „Unzuverlässigkeit“ – oder wegen unzumutbarer Unterforderung mit „Long Tall Sally“ – gefeuert wurde, wollte er fortan „mit der Gitarre machen, was Little Richard mit der Stimme macht“. Und machte es.

Ohne Little Richard hätten sich Mick Jagger, David Bowie, James Brown, Prince und Freddie Mercury nach einem anderen androgynen Showmaster empfinden, bewegen, schminken müssen. Die Beatles hätten die Falsett-Schreie („Whooo!“) und Michael Jackson nicht das synkopische Brunftkieksen kopieren können. Und niemand hat vor und nach ihm so schamlos schweißnassen Sex mit Nonsense-Texten wie „Tutti Frutti“ und „Good Golly Miss Molly“ bemäntelt.

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Dass ihn seine Zöglinge und Kopisten in den Sechzigerjahren an Ruhm und Reichtum weit übertrafen, hat Little Richard verbittert, nicht verwundert. „Ich glaube nicht, dass ich je bekommen habe, was ich verdiente“, notierte er 2010, als die Leser des „Rolling Stone“ den 78-Jährigen auf den achten Platz der „100 größten Künstler“ gewählt hatten. Die Beatles, die Stones, James Brown und Hendrix, sie alle hätten unter ihm und durch ihn angefangen: „Ich zog sie auf, ich sprach mit ihnen, und sie werden (in den Ranglisten) immer vor mir landen.“

Little Richard schloss seinen Kommentar im „Rolling Stone“ versöhnlich. Zwar gebühre ihm eigentlich der erste Platz, so deutete er an: „Aber es ist eine Freude, immer noch hier zu sein. Ich glaube, wenn die Leute Freude und Spaß und Glück wollen, wollen sie den alten Rock ’n’ Roll hören. Und ich bin froh, dass ich ein Teil davon war.“ Am 9. Mai ist Little Richard im Alter von 87 Jahren gestorben – laut seinem langjährigen Anwalt Bill Sobel sei Knochenkrebs die Todesursache gewesen.

Mindestens zwei Dutzend Alben auf mehr als einem Dutzend verschiedenen Labels hat Little Richard veröffentlicht, Kompilationen, Filmsongs und Livemitschnitte nicht eingerechnet. Zweimal, (1957 bis 1964 und 1977 bis 1985) zog er sich für Jahre weitgehend vom Showgeschäft zurück, um sich religiös auszubilden und als Priester und Gospelsänger die frohe Kunde zu verbreiten. Diese frommen Auszeiten, auf die jeweils mühselige Comebacks folgten, waren keine PR-Gags. Im Gegenteil, nichts schwächte Little Richards Karriere zumal in Europa mehr, als von Jesus zu singen.

Auch sein Ruf als Pionier der bekennenden Schwulen im Rockbusiness litt, als er in einer Talkshow in den Achtzigerjahren inbrünstig jubelte, mit der Hilfe des Allmächtigen habe er sein Schwulsein besiegt. „Gott hat mich gereinigt, er erinnerte mich daran, dass er Adam und Eva, nicht Steve geschaffen hat. Ich bin ein (ganzer) Mann, zum ersten Mal in meinem Leben.“

Seine frühen, wenig frommen Fans beruhigte, dass bei Little Richard keine Wandlung ewig haltbar schien. Sex, Drogen, Gott, Rock ’n’ Roll und ein Doppelleben in den Geschlechtern haben ihn inspiriert und ein paar Mal beinahe ruiniert. Aber so wenig der frühe Elvis von dem fetten Vegas-Elvis auf Dauer beleidigt werden konnte, so wenig konnte der kleinmütige Little Richard, der hauptberuflich sein Denkmal pflegte, dem großen Little Richard der Fünfziger- und Sechzigerjahre etwas anhaben.

Das Wunder war da längst vollbracht. Richard Wayne Penniman, geboren 1932 als drittes von zwölf Kindern in einer bettelarmen Familie in Macon, Georgia, hatte eigentlich keine Chance, mehr aus sich zu machen, als seinem Vater nachzueifern, der davon lebte, Gott als Prediger zu loben und Schnaps zu brennen. In der Kirche lernte Richard zu singen und Klavier zu spielen. Der Vater schlug und quälte den Jungen, als der seine homosexuellen Neigungen zu erkennen gab. „Ich wollte sieben Söhne, und du hast das kaputt gemacht, ich wünschte, du wärst nicht mein Sohn!“ So verflucht ihn der Alte in einer Szene eines biografischen Films im Jahr 2000. Little Richard kamen die Tränen, als er in der Talkshow von Donny und Marie Osmond davon erzählte. Mit 14 Jahren verließ er das Elternhaus, in dem er nicht willkommen war.

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In Roadshows und Vaudeville-Theatern lernte er sein Handwerk, 1951 nahm er seine ersten Songs auf. Aber erst „Tutti Frutti“, 1956 für das Specialty Label eingespielt, brachte ihm den Durchbruch und einen Welthit. Noch herrschte Rassentrennung, auch in der Musik. Der schwarze Rhythm ’n’ Blues hatte in den Popcharts, wo weiße Crooner wie Pat Boone herrschten und Kasse machten, noch nichts verloren. Mit „Tutti Frutti“ gelang der Durchbruch ins Poplager. „AWopBopALooBopALopBamBoom“, sein Scat-Einstieg in den Song, war so unerhört und befreiend wie die Liebeskunst seiner Sue, „die weiß, was sie tun muss“, etwa wenn sie „nach Osten rockt“ und dann nach Westen.

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Little Richards Shows stellten alles in den Schatten, was Elvis und Buddy Holly auf die Bühne brachten. Sein rau entfesselter Gesang, der einen begeisterten Kritiker an das „Brüllen eines wütenden Stiers erinnerte“, und sein hämmerndes, oft im Stehen gespieltes Boogie-Woogie-Klavier hätte keine Band gebraucht, um die Jugend zu verderben. Der Schweiß floss in Strömen, er machte selbst junge Männer wild, wenn er das durchnässte Hemd auszog und über dem Kopf kreisen ließ, als werfe er es in die Menge.

Zugleich pflegte er eine konservative Marotte. Über Jahre behielt er Tenorsaxofonisten als Solisten, die alle Freiheiten hatten und seiner Stimmgewalt eher gewachsen waren als die damals noch braven, dem Jazzklang verpflichteten Gitarristen. Little Richard trat mit dünnem Oberlippenbart, stark geschminkt und mit künstlichen Wimpern auf und trug eine aufgetürmte Pompadourfrisur, so hoch wie sein Gesicht. Später ersetzte er sie durch eine Langhaarperücke. Kein Musiker hatte ihm dieses Spiel mit der Travestie vorgemacht. Lange vor Liberace trug er goldglitzernde Umhänge und Stiefel.

Weiße Kids schockierter Eltern kauften seine Platten, bald machten Schwarze kaum zehn Prozent seines Publikums aus. Little Richard glaubte, dass ihm das weiße Amerika nur erlaubte, seine Mädchen so wild zum Tanzen zu bringen, weil er sich als Schwuler inszenierte. „Sie ließen mich singen, weil sie sagten, er ist ein guter Junge, kein Mann. Einem straighten Kerl hätten sie das nicht erlaubt.“ Wenn dem so war, erklärt es Little Richards relativ schwache Gefolgschaft in der Black Community, die traditionell auf kirchentreue Homophobie hält. Die Mädchen ließen sich davon nicht abschrecken. In einer Filmszene fliegen ihm im Konzert Slips im Dutzend zu. „Ich nahm sie, um mir den Schweiß abzuwischen.“

Little Richard hatte längst die Cadillacs, von denen er als Junge geträumt hatte, als er 1957 nach einem Erweckungserlebnis dem Rock ’n’ Roll abschwor und sich für Jahre zu religiösen Studien zurückzog. Die ersten Jahre seiner Einkehr, die er immer wieder durch Tourneen unterbrach, nutzten englische Jungen wie John Lennon und Keith Richards, um von seinen Platten zu lernen. Als er zurückkehren wollte, war die „britische Invasion“ der USA angelaufen. Little Richard tourte mit Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Bo Diddley und anderen gealterten Pionieren im Paket durch die Welt; neben den noch namenlosen Beatles spielte er 1962 Gigs in Nordengland und in Hamburg, bald durfte sich eine Rhythm-’n’-Blues-Bands namens Rolling Stones glücklich schätzen, für Little Richard englische Provinzsäle anzuheizen. Sie schauten auf ihn, lernten von ihm, kopierten ihn schamlos. Blackfacing, ungeschminkt, angeschwärzte Stimmen mit Londoner und Liverpooler Akzent.

Es muss ihren amerikanischen Lehrmeister, den manche den „Architekten des Rock ’n’ Roll“ nannten, gewurmt haben. Immerhin profitierten die Pioniere mit regelmäßigen Rock-’n’-Roll-Revivals von ihren Epigonen; und die wurden fairerweise als Superstars nicht müde, ihre schwarzen Vorbilder zu nennen und gelegentlich, wie etwa Eric Clapton, als gut entlohnte Support-Acts zu beschäftigen. Little Richard blieb einer der Helden, auch als er mangels musikalischer Ideen seine Selbstbeweihräucherung auf der Bühne ins Peinliche steigerte. Man heuerte ihn in als Schauspieler in Filmen an, er war ein gern geladener Talkshowgast.

Little Richard war smart, er konnte zum Business etwas sagen, auch zu Rassismus, Homophobie, Drogen und zur Suche nach Gott. Er konnte glaubwürdig die Zeiten beschwören, als er auf Tour im Auto schlafen und essen musste, weil Hotels und Restaurants „whites only“ bedienten. Auf der Bühne war die Diskriminierung ausgesetzt. Aber nur, solange die Show währte.

Der Entertainer Little Richard enttäuschte niemals. Zu seinen Markenzeichen zählte das schwuchtelhaft-beleidigte „Shut up!“ in Richtung Publikum, wenn es zu lange klatschte. Wie einst, als die weißen Eltern ihm, dem schwarzen Schwulen, gestatteten, ihre Töchter in Ekstase zu singen, durfte er in der Narrenmaske Little Richards auch auf der Talkshowbühne alles. So ging das lange. Über die Zeit wurde der Mann seine eigene Lebensausstellung. Und man wusste, was man ihm schuldig war. So wie David Letterman, der ihn 1982 in seiner Late-Night-Show ankündigte: „Es ist unmöglich, sich vorzustellen, wie Rock ’n’ Roll klingen würde, wenn unser nächster Gast nie geboren worden wäre.“

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In den letzten Jahren trat Little Richard als Evangelist auf, der Zeugnis in religiösen Kabelkanälen ablegte. 2013 verkündete er seinen endgültigen Rückzug aus dem Entertainmentgeschäft. Im Herbst 2017 sah man ihn bei einem Gottesdienst im Three Angels Broadcasting Network im Rollstuhl – zwei Monate vor seinem 85. Geburtstag, kahlköpfig, die Zähne nur noch vorn vollständig. In der Linken hielt er eine zusammengefaltete Brille, die Rechte umkrampfte ein Taschentuch.

Seine Gastgeber nannten ihn „Brother Richard“ und schmeichelten ihm. Was er hier bezeuge, sei wichtiger, als was er je gesungen habe. Ein vergiftetes Lob. Er aber ließ sich nichts anmerken und schwärmte, dass Jesus bald zu ihnen kommen werde. Bruder „Little“ Richard sprach bald eine Stunde lang, und die Gemeinde murmelte ungezählte „Amen!“. Gemeinsam erhoben sie ihre Hände zum Gebet. Und Bruder Richard besann sich auf den Sünder Little Richard und sprach zu Gottes Sohn: „Auch wenn Du ein Problem mit dem Rock’n’Roll hast – kommst Du herunter?“

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