Braune Familienbande: Was aus den Witwen der Top-Nazis wurde - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Braune Familienbande: Was aus den Witwen der Top-Nazis wurde

Geschichte Braune Familienbande

Was aus den Witwen der Top-Nazis wurde

Bis auf Hitler und Goebbels hinterließen die NS-Spitzenfunktionäre Ehefrauen. Sie schrieben Memoiren, empfingen SS-Männer und stritten für ihre verlorenen Privilegien – teilweise sogar mit Erfolg.
Leitender Redakteur Geschichte
Joseph and Magda Goebbels with Emmy and Hermann Goering at the Press Ball. As wives of the second and third most important German Nazis', they often appeared at official functions. Berlin, Germany, 1939. (BSLOC_2014_8_175) | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer. Joseph and Magda Goebbels with Emmy and Hermann Goering at the Press Ball. As wives of the second and third most important German Nazis', they often appeared at official functions. Berlin, Germany, 1939. (BSLOC_2014_8_175) | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Magda Goebbels (l.) und Emmy Göring konkurrierten um den informellen Titel "Erste Frau des Dritten Reiches"
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Offiziell war die NSDAP-Spitze eine praktisch rein männliche Angelegenheit. Nur eine einzige Frau schaffte es in die oberen Ränge der Partei, Gertrud Scholtz-Klink – und auch das nur, weil ein Mann als „Reichsfrauenführer“ ziemlich unglaubwürdig gewesen wäre.

Aber hatten Frauen deshalb keinen Einfluss auf die Politik des Dritten Reiches? Es gibt Gender-Historikerinnen, die genau das behaupten. Doch diese Interpretation ist fragwürdig. Natürlich hatten Frauen über ihre Männer Einfluss, wenn sie auch so gut wie nie in einem strafrechtlichen Sinne dafür zur Rechenschaft gezogen wurden.

Um den Rang der „ersten Frau im Dritten Reich“ balgten sich, da Hitler nicht verheiratet war und seine seltsame Beziehung zu Eva Braun strikt geheim hielt, Magda Goebbels und Emmy Göring. Doch auch andere Frauen spielten durchaus eine Rolle im NS-Staat.

Reich Minister for Public Enlightenment and Propaganda Joseph Goebbels, with his wife, Magda Goebbels, and their daughter, Helga Goebbels, on vacation by the Baltic Sea, summer 1935 | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Magda und Joseph Goebbels mit einer ihrer fünf Töchter
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Magda Goebbels, geborene Ritschel, geschiedene Quandt, hatte den klein gewachsenen, körperbehinderten Propagandisten nicht zuletzt geheiratet, um möglichst in der Nähe ihres eigentlichen Idols Hitler zu sein. Das gelang ihr bis zuletzt: Am 22. April 1945 zog sie mit Goebbels und den sechs Kindern in den Führerbunker.

Konsequenterweise entschied sie sich nach Hitlers Suizid acht Tage später, am 30. April, ebenfalls zum Selbstmord. Allerdings vergiftete sie kurz zuvor am 1. Mai 1945 ihre fünf Töchter und ihren jüngeren Sohn; sie schrieb, die Kinder seien „zu schade für das nach uns kommende Leben, und ein gnädiger Gott wird mich verstehen, wenn ich selbst ihnen die Erlösung geben werde“.

Emmy Göring, geborene Sonnemann, war anders. Die mäßig erfolgreiche Schauspielerin hatte den Witwer Hermann Göring 1932 kennengelernt, der ihr zu einer Anstellung an den ihm unterstehenden Preußischen Staatsbühnen verhalf. Am 10. April 1935 heirateten die beiden; Hitler war Trauzeuge, sogar bei der kirchlichen Zeremonie.

Führer Adolf Hitler, Hermann Göring, Edda Göring, Emmy Göring, Photo Hoffmann 1136 d | Verwendung weltweit
Vater, Mutter, Kind (v. r.): Familie Göring 1938
Quelle: picture alliance / arkivi

Nach Kriegsende wurde Emmy Göring zunächst wie die meisten Familienangehörigen führender NS-Funktionäre von den Alliierten interniert, um die Organisation von Widerstand zu unterbinden. Die Lebensbedingungen in den Internierungslagern waren besser als zur gleichen Zeit in Freiheit, wo die meisten Deutschen unter Hunger litten.

Emmy Göring stellte im Lager immer wieder ein Foto ihres Mannes auf, was streng verboten war. Doch Sanktionsmöglichkeiten hatte die Lagerleitung nicht. Sie wurde als aktive Nationalsozialistin eingestuft, zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt und musste ein Drittel ihres Vermögens abgeben.

In den 50er-Jahren versuchte sie, Ansprüche auf das Erbe ihres Mannes geltend zu machen, der sich 1946 kurz vor seiner Hinrichtung selbst das Leben genommen hatte. Es ging um 750.000 DM, damals rund 150 durchschnittliche Jahresgehälter, also auf heutige Kaufkraft umgerechnet knapp sechs Millionen Euro. Die Klage wurde abgewiesen.

Funeral of Emmy Göring, Munich, West Germany, 1973. A German actress, Emmy Sonnemann (1893-1973) became the second wife of Luftwaffe Commander-in-Chief Hermann Göring in 1935. She served as Adolf Hitler's hostess at many state functions, which led to her claiming the title of First Lady of the Third Reich. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Die Beisetzung von Emmy Göring in München 1973. Jede Menge "alte Kameraden" geleiten sie zur letzten Ruhe
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag
Anzeige

Ende 1967 versuchte sie, ihren Namen zu Geld zu machen, und ließ ihre Memoiren erscheinen: „An der Seite meines Mannes“. Diese verharmlosende Kolportage war kein großer Erfolg, wurde aber seither mindestens viermal in rechtsradikalen Verlagen nachgedruckt. 1973 starb Emmy Göring, die mit ihrer unverheirateten Tochter Edda in einer kleinen Wohnung in München lebte.

Anders als sie hatte Lina Heydrich Erfolg mit dem Versuch, sich vom Staat aushalten zu lassen. Die Witwe des 1942 von tschechischen Widerstandskämpfern in Prag ermordeten Gestapo-Chefs und zweiten Mannes der SS bezog schon bis 1945 monatlich die ausgesprochen üppige Witwenpension eines Generals der Polizei in Höhe des Zwölffachen des Durchschnittseinkommens; außerdem lebte sie mietfrei in einem Schloss bei Prag. 1945 kehrte sie mit ihren drei Kindern (ein Sohn war 1943 bei einem Autounfall gestorben) zurück auf die Ostseeinsel Fehmarn, woher sie stammte.

Schon seit 1930 war Lina Heydrich Mitglied der NSDAP gewesen. Die damalige tschechoslowakische Regierung stellte 1947/48 Auslieferungsersuchen, die aber zurückgewiesen wurden, weil keine hinreichenden Verdachtsmomente für Kriegsverbrechen bestanden.

GERMANY - MAY 26: Heydrich In The Wallenstein Palace For A Concert At Prague In Germany, Czechoslovakia On May 26Th 1942 (Photo by Keystone-France/Gamma-Keystone via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Reinhard Heydrich und seine Frau einen Schritt hinter ihm in Prag im Mai 1942
Quelle: Gamma-Keystone via Getty Images

Auf Fehmarn betrieb Lina Heydrich ein kleines Hotel, das sich zur Anlaufstelle von SS-Mitgliedern entwickelte; die Witwe des ehemaligen Vorzeigenazis Heydrich wurde zur Symbolfigur. Erfolgreich klagte sie über mehrere Instanzen ein, eine Hinterbliebenenversorgung zu erhalten. Der Grund: Im entsprechenden Gesetz war eine Regelung zur Aberkennung wegen Unwürdigkeit vergessen worden. 1976 betrug ihre Witwenpension immerhin 700 DM netto – das lag deutlich über der damaligen Durchschnittsrente.

Im selben Jahr veröffentlichte Lina Heydrich ein verharmlosendes Buch über ihr „Leben mit einem Kriegsverbrecher“; es ist seither wiederholt bei rechtsextremen Verlagen aufgelegt worden, zuletzt 2012. Bis zuletzt unbelehrbar, starb die Witwe des Holocaust-Gesamtverantwortlichen Reinhard Heydrich 1985.

Roland Freisler am Schreibtisch, Foto. Freisler, Roland Politiker (NSDAP) und Jurist; 1942-45 Praesident des Volksgerichtshofes; Celle 30.10.1893 - Berlin 3.2.1945. - Freisler als Praesident des Volks- gerichtshofes, am Schreibtisch.- Foto, um 1944. |
Roland Freisler als Präsident des Volksgerichtshofes
Quelle: picture-alliance/akg-images

Ihren ehelichen Namen legte Marion Freisler, geborene Russegger, nach dem Tod ihres Mannes, des Blutrichters und Präsidenten des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs, Roland Freisler, ab. Ansonsten aber zeigte sie wenig Einsicht in die Untaten ihres Mannes.

Im Gegenteil: Sie setzte durch, dass sie die Pension bekam, die rein formal der Witwe eines ehemaligen Staatssekretärs zustand – Freisler war vor dem Wechsel an die Spitze des Volksgerichtshofs der zweite Mann des Reichsjustizministeriums gewesen und hatte in dieser Funktion an der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 teilgenommen. Erst nach ihrem Tod Anfang 1997 trat eine Neuregelung in Kraft, mit der Versorgungsansprüche künftig, aber nicht rückwirkend aberkannt werden konnten, sofern ihnen menschenrechtswidriges Handeln zugrunde lag.

Anzeige

Die sicher ausdauerndste Witwe eines Obernazis war Ilse Heß, geborene Pröhl. Geboren 1900, wurde sie 95 Jahre alt. Seit 1921 war sie mit Rudolf Heß bekannt, Ende 1927 heirateten die beiden – es war keine Liebeshochzeit, Hitler hatte seinen engsten Mitarbeiter zur Eheschließung gedrängt.

Ilse Hess (1900 - 1995), the wife of Rudolf Hess, drives a Messerschmidt Cabin Scooter with their son Wolf Rüdiger Hess, Hindelang, Germany, 25th November 1954. The scooter was a present from Messerschmidt, who have been forbidden to manufacture aircraft since the Allied occupation of Germany. (Photo by Fox Photos/Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Wolf Rüdiger Heß und seine Mutter Ilse 1954 in einem Messerschmidt-Kabinenroller
Quelle: Getty Images

Ilse Pröhl lektorierte 1924/25 den ersten Band von Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ und gab dem an sich unlesbaren Konvolut aus Hass und Wut wenigstens etwas innere Struktur und Logik. Nach 1933, als ihr Mann faktisch der Leiter des NSDAP-Apparats geworden warm, genoss sie die Privilegien, hielt sich aber ansonsten zurück.

Nach dem Flug ihres Mannes nach Großbritannien am 10. Mai 1941 musste Ilse Heß mit ihrem einzigen Sohn Wolf-Rüdiger den Obersalzberg verlassen und zog nach Hindelang im Oberallgäu. Obwohl Hitler vor Wut über Rudolf Heß schäumte, gewährte er Ilse eine üppige Pension.

Nach 1945, Rudolf Heß war zu „lebenslänglich“ verurteilt worden, bezog sie keine Rente, da ihr Mann ja noch lebte. Jahrzehntelang besuchte sie ihn nicht, weil er das so wollte, und hielt ihm immer die Treue. In einem in rechtsextremen Verlagen wiederholt nachgedruckten Buch und in gelegentlichen Interviews versuchte sie, die Freilassung von Rudolf Heß zu erreichen.

+honorarpflichtig+++26 Euro+ Ilse Hess, wife of Hitler Dep. Rudolf Hess, having tea in her home. (Photo by Marie Anne Jansson/Pix Inc./The LIFE Images Collection/Getty Images)
Ilse Hess nach 1945 in ihrer Hindelanger Pension beim Tee
Quelle: The LIFE Images Collection/Getty Images

Im Übrigen betrieb sie eine Pension in Hindelang und wurde offenbar von alten Parteigängern finanziell unterstützt. Ihrerseits unterstützte sie die Neonazi-Organisation Stille Hilfe.

Drei Monate nach ihrem 95. Geburtstag starb Ilse Heß 1995. Die Trauerrede am Grab hielt ihr Patensohn Martin Bormann junior. Der an sich gegenüber seinem gleichnamigen Vater, Heß’ Nachfolger als Leiter der NS-Parteiorganisation, sehr kritisch eingestellte ehemalige katholische Priester fügte sich dem Wunsch der Verstorbenen, kein deutliches Wort über Hitler oder Rudolf Heß zu sagen. Das war für ihn ein Gebot der Mitmenschlichkeit – auch wenn Ilse Heß bis zuletzt überzeugte Nationalsozialistin geblieben war.

Lesen Sie auch

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2018 veröffentlicht.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema