Lena Kreck: „Ich will die Zahl der Zwangsräumungen aus Wohnungen verringern“

Lena Kreck: „Ich will die Zahl der Zwangsräumungen aus Wohnungen verringern“

Erstmals stellt die Linke eine Justizsenatorin in Berlin. Ein Gespräch über Enteignungen, Schwarzfahren, den Begriff Clankriminalität und „schöne Knäste“.

Berlins erste Justizsenatorin: Lena Kreck.
Berlins erste Justizsenatorin: Lena Kreck.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Lena Kreck ist Berlins erste Justizsenatorin, die von der Linkspartei gestellt wird. Das Amt und auch das Büro an der Salzburger Straße in Schöneberg übernahm sie von ihrem Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne). Das Mobiliar und auch den Konferenztisch, an dem wir uns mit ihr zum Gespräch treffen, hat sie unverändert gelassen – jedenfalls fast. Ein Bild, das ihr Vorgänger ausgesucht hatte, hat sie von der Wand abgenommen. Es zeigte einen Mann mit dunkler Sonnenbrille in einem U-Bahnhof. Das Bild war ihr unheimlich.

Frau Kreck, sind Sie selbst schon einmal Opfer einer Straftat geworden?

Ja, durchaus.

Was ist passiert?

Mir ist mein Auto mal komplett leergeräumt worden, dummerweise nach dem Urlaub und eine Tasche mit meinen sämtlichen Schuhen befand sich im Gepäck.

Haben Sie Ihr Gut wiederbekommen?

Nein. Zum Glück hatte ich eine gute Hausratsversicherung.

Wie hat sich die Polizei Ihnen gegenüber verhalten?

Ich habe Strafanzeige erstattet und es wurde ermittelt. So stelle ich mir das bei der Polizei vor, und so ist es in meinem Fall natürlich auch passiert.

2019 sind Sie bei der Wahl zur Verfassungsrichterin durchgefallen. War Ihre Nominierung als Justizsenatorin eine späte Genugtuung für damals?

Nein, meine Nicht-Wahl 2019 hatte nichts mit meiner Person zu tun und ich konnte da auch ganz gut drüberstehen. Deshalb habe ich auch nicht das Gefühl, triumphieren zu müssen.

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dpa
Lena Kreck
ist Berlins neue Justizsenatorin. Die 41-jährige promovierte Volljuristin war zuvor Professorin für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin. Die Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus hatte sie für das Amt nominiert. 2019 sollte sie auf Vorschlag der Linken zur Richterin am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gewählt werden. In der geheimen Wahl erhielt sie jedoch nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Dies sorgte für einen Eklat, weil mutmaßlich CDU-Abgeordnete ihr die Zustimmung verweigert hatten, obwohl diese angeblich zuvor ihr Ja zugesagt hatten.

Überrascht Sie die Reaktion der Opposition von heute, die ja ähnlich ist wie die von damals?

Überhaupt nicht. Die Opposition damals hat natürlich eine Erklärung parat haben müssen, weshalb sie mich entgegen der Absprache nicht gewählt hat. Die Erzählung, dass ich nicht qualifiziert sei, ist bei einer Person weiblichen Geschlechts um die 40 vielleicht leichter zu bedienen als bei anderen. Dass sie zwei Jahre später ihre Position da maßgeblich ändern, ist nicht zu erwarten. Von daher kann ich das auch weiterhin sehr gelassen sehen.

Als Professorin sind Sie in die Politik gewechselt, was für Sie ein komplett neues Arbeitsgebiet bedeutet. Wie fühlt sich das an?

Ich habe seit meiner Jugend sehr viel Politik gemacht, und mich treiben auch nach wie vor politische Fragen sehr um. Ich hatte, und das kann man meiner Biografie entnehmen, wenig Ambitionen mich als Person zu exponieren, was aber nicht bedeutet, dass ich politische Sachfragen in meiner Arbeit nicht ständig mitgedacht habe. Ich habe mich auch weiterhin an politischen Debatten beteiligt. Insofern ist das für mich jetzt eine logische Schlussfolgerung, dass ich mich hier einbringe, nachdem ich gefragt worden bin.

Welche neuen Akzente wollen Sie gegenüber Ihrem Vorgänger setzen?

Wir sind uns nicht restlos einig, aber Sie können keine riesigen Brüche erwarten. In der Justizpolitik gibt es große Parallelen zwischen grüner und linker Ausgestaltung. Aber natürlich ist es mir wichtig, meine Handschrift als erste linke Justizsenatorin Berlins deutlich werden zu lassen, und Sie wissen ja, dass ich aus der Sozialen Arbeit komme und von daher ist für mich die Frage, wie soziale Probleme der Stadt jenseits der Repression gelöst werden können, eine der zentralen Fragen.

Ihre Landeschefin Katina Schubert verspricht ein Ressort mit „linker Handschrift“ und „fortschrittliche Rechtspolitik“. Was verstehen Sie konkret darunter?

Justizpolitik auf Landesebene kann gesellschaftliche Ausschlüsse, die über das Recht stattfinden, stärker in den Fokus nehmen. Zum Beispiel ist niemandem geholfen, wenn jemand aus der Wohnung geräumt wird. Vermieter:innen haben kein Interesse daran, dass sich Mietschulden anhäufen. Und Mieter:innen wollen nicht aus ihrer Wohnung fliegen. Im Grunde decken sich hier die Interessen. Trotzdem werden Personen geräumt. Mein Ansinnen ist es, zum Beispiel die Zahl der Räumungstitel zu verringern. Ich finde einen Vorschlag im Koalitionsvertrag sehr sinnvoll: Zu vermeiden, dass einer Person die Räumungsklage zugestellt wird, weil sie bei der Gerichtsverhandlung nicht erschien und deshalb ein Versäumnisurteil kassierte.

An diesem Punkt möchte ich ein Stück vorher ansetzen. Dass bei Personen, die in finanzielle Schwierigkeiten kommen oder nicht in der Lage sind, ihre Mieten regelmäßig zu zahlen, entsprechend unterstützend gearbeitet wird. Das ist jetzt nur ein Beispiel, aber es macht deutlich, wie linke Justizpolitik gedacht werden kann. Ich bin hier auf Landesebene und werde das BGB nicht ohne Weiteres ändern können. Aber ich kann natürlich Maßnahmen ergreifen, um die Wucht etwas herunterzufahren, das ist dann nicht nur im Sinne der Mieter:innen, sondern auch im Sinne der Vermieter:innen.

Die Enteignung großer Wohnungsunternehmen war das Thema Ihrer Partei im Wahlkampf. Nun soll eine Expertenkommission die rechtlichen Möglichkeiten des Volksentscheids ausleuchten. Was erwarten Sie von dieser Kommission?

Natürlich wird es jetzt spannend, wie sie besetzt wird und wie sie arbeitet. Ich glaube, dass wir sehr gut beraten sind, uns Zeit zu nehmen, um gründlich zu diskutieren, wie wir am Ende ein Gesetz im Sinne des Volksentscheides vorlegen können, das eben nicht nur politisch getragen wird, sondern auch in Karlsruhe Bestand haben kann.

Als Justizsenatorin haben Sie auch Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Staatsanwaltschaft. Ist Berlin bei der Strafverfolgung gut aufgestellt?

Natürlich ist Berlin bei der Strafverfolgung erst mal gut aufgestellt. Dass es immer Luft nach oben gibt, darüber müssen wir gar nicht reden, und es ist das Ansinnen jeder Justizsenatorin, jedes Justizsenators, da noch eine Schippe obendrauf zu legen. Zu sagen, „alles ist super“ würde der Realität nicht entsprechen.

Unter Ihrem Vorgänger gab es viele Neueinstellungen. Trotzdem gibt es eine Pensionierungswelle. Staatsanwälte reden offen darüber, dass die Justiz am Boden liege. Verfahren dauern ewig oder finden gar nicht statt. Wie können Sie das ändern?

Im Koalitionsvertrag ist ja schon ein entsprechender Personalaufwuchs vereinbart worden. Das ist für mich richtungsgebend und dafür stehe ich politisch ein. Dafür muss die entsprechende finanzielle Ausstattung da sein, für die ich mein Bestes geben werde und entsprechend in die Haushaltsverhandlung eintrete.

Jeden zweiten Mittwoch werden um 17 Uhr für Wartungszwecke in der Staatsanwaltschaft und bei Gericht die Computer bis zum nächsten Morgen runtergefahren, die Arbeit muss abgebrochen werden. Wird in Ihrer Legislatur die Digitalisierung vorankommen und damit auch die E-Akte, von der alle reden?

Es gibt da eine sehr große Dringlichkeit. Wenn man eine zeitgemäße Justiz installieren möchte, dann muss man an das Thema ran. Und tatsächlich ist es so, dass ich hier im Haus schon mit den Abteilungen im Gespräch bin, wie wir hier eine entsprechende Umgestaltung und Aufwertung hinbekommen. Dass solche Prozesse nicht immer einfach sind, ist auch klar.

Ihre Parteichefin hat unter anderem gesagt, dass die Knäste schöner werden sollen. Bekommen die Gefangenen jetzt neue Gardinen oder wie muss man sich das vorstellen?

Die dringendste Frage ist: Wie können wir verhindern, dass Leute, wenn sie aus der Haft entlassen werden, wieder Straftaten begehen? Ein zentrales Moment ist die Frage der Resozialisierung, und linke Justizpolitik stellt natürlich dies ganz an allererste Stelle. Wenn es schon so weit gekommen ist, dass jemand eine Freiheitsstrafe verbüßen muss, dann muss es Ziel sein, dass es das letzte Mal war. Wenn man jetzt sagt, die Knäste sollen schöner werden, dann geht es nicht darum, Personen, die sich in einer Art und Weise verhalten haben, wie unsere Gesellschaft das nicht akzeptiert, einen Bonus dafür kriegen. Es geht aber darum, Personen dabei zu unterstützen, dass sie nach der Haftentlassung nicht mehr straffällig werden.

Im Koalitionsvertrag steht auch, dass der Anteil der Inhaftierten, die nach zwei Dritteln Haftzeit entlassen werden, erhöht werden soll. Wir dachten, es gebe eine Gewaltenteilung und so etwas entscheiden Richter?

Das Verfahren ist komplexer, weil die Haftanstalten auch mitsprechen. Das sind diejenigen, die die Gefangenen tagtäglich mitbekommen. Hier gibt es sicherlich noch Spiel nach oben, dass wir sauberer, klarer und schneller den Gerichten zuarbeiten. Im Vergleich mit anderen Bundesländern liegt Berlin bei der früheren Haftentlassung sehr weit hinten. Im Koalitionsvertrag hat das Land Berlin jetzt also erst mal den Anspruch formuliert, den Anschluss zu finden, um dem bundesweiten Standard auch zu entsprechen.

Zur neuen Politik gehört auch, das Schwarzfahren entkriminalisieren zu wollen. Kommt das nicht einer Legalisierung gleich?

Nein. Wenn Sie falsch parken oder in zweiter Reihe und damit möglicherweise Menschen in Gefahr bringen, kassieren Sie keine Anzeige dafür, sondern es wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Die Frage ist, weshalb Verkehrsmittel wie das Auto privilegiert sind, wenn man sich unredlich im Straßenverkehr bewegt, wogegen bei der fahrscheinlosen Nutzung des ÖPNV ein Straftatbestand erfüllt sein kann. Das ist ein Straftatbestand von klassischen Armutsdelikten, wo Personen, die nicht so zahlungskräftig sind, kriminalisiert werden. Ich finde es richtig, dass der Bundesjustizminister beziehungsweise die Ampel-Koalition einen entsprechenden Vorstoß gestartet haben. Es wird im Übrigen auch eine Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, der Gerichte und der Justizvollzugsanstalt bringen.

Die Linke forderte im Wahlkampf, die Ersatzfreiheitsstrafen, die für nicht gezahlte Geldstrafen verhängt werden, abzuschaffen. In dieser Deutlichkeit findet sich das so nicht im Koalitionsvertrag wieder. Hat es Ihnen da in der Koalition an Durchsetzungsvermögen gefehlt?

Das Problem bei der Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen ist, dass wir in Berlin das nicht allein tun können. Wir brauchen die Bundesratsinitiative und müssen uns da ja nicht in die Tasche lügen, wenn wir schauen, wie die Mehrheiten dort derzeit sind. Wenn sie sich ändern, wird es ganz sicher aus Berlin einen entsprechenden Vorstoß geben. Umso spannender ist die Frage, wie wir die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen auf der Vollstreckungsebene runter bekommen. Wer die Ersatzfreiheitsstrafe antritt, ist ja nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, sondern zu einer milderen Geldstrafe. Hier sind wir wieder bei der sozialen Arbeit: dass die sozialen Dienste der Justiz gefragt sind, Maßnahmen zu ergreifen, Personen anders und intensiver anzusprechen, um das abzuwenden.

Reden wir über die Kriminalität „ethnisch abgeschotteter Subkulturen“, wie es das BKA formuliert. Die Neuköllner Ordnungsstadträtin von der Linken hat die wiederholten Gewerbekontrollen gegen Clankriminalität als rassistisch und diskriminierend bezeichnet. Wie sehen Sie das?

Es so zu beschreiben, wie Sie das getan haben, indem Sie zum Beispiel das Wort Clan verwendet haben, geht auch an der Sache vorbei. Wenn wir es mit schweren Straftätern und Straftäterinnen zu tun haben, mit der Organisierten Kriminalität, dann müssen die Behörden handeln, da gibt es überhaupt keine Diskussion. Der Begriff Clankriminalität ist aber eine ethnische Zuschreibung der dann recht wahllos Vergehen zugeordnet werden. Organisierte Kriminalität muss natürlich angegangen werden. Aber man macht es sich zu einfach und bedient rassistische Stereotype, wenn man das mit solchen Begrifflichkeiten darstellt.

Der frühere SPD-Innensenator hat Clankriminalität immerhin als Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bezeichnet. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Parallelgesellschaften.

Ich finde das mit der Parallelgesellschaft schwierig. Wir haben ganz viele Formen der Parallelgesellschaft, viele Formen der Communitys. Und es gibt Communitys, in die ich keinen Fuß reinbekomme. Wenn ich versuche, in die Kunst-Community Berlins reinzukommen, werde ich müde belächelt. In einer Großstadt ist es selbstverständlich, dass sich Gruppen bilden. Entscheidend ist doch die Frage: Was ist schädlich für unsere Stadt? Und da muss man konkret gucken, was Sache ist.

Wenn wir gerade über Communitys sprechen. Die Regierende Bürgermeisterin hat vor einigen Tagen über die scheinbare Impfunwilligkeit der migrantischen Community gesprochen. Haben Sie als Antidiskriminierungssenatorin anschließend mit ihr über Alltagsrassismus gesprochen und wie sich der äußern kann?

Ich hatte noch keine Gelegenheit mit ihr zu sprechen, aber tatsächlich hat mir der Zungenschlag nicht gefallen. Es gibt keine Studien, die die Aussagen belegen.

Ihre Forderung nach einem Verbot von Racial Profiling, etwa Polizeikontrollen besonders von Menschen mit dunkler Hautfarbe, wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Allerdings verbietet schon das Grundgesetz Racial Profiling. Ist linke Rechtspolitik also vor allem Symbolpolitik?

In der Tat verbietet Artikel 3 Ungleichbehandlung. In der Realität findet aber Racial Profiling statt. Inzwischen gibt es Urteile von Verwaltungsgerichten, die die Frage, inwiefern Polizisten und Polizistinnen Personen kontrollieren dürfen, nach ihren Ausweisen prüfen können, eingrenzen. Personen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, erleben das nicht erst seit gestern. Ganz offenkundig ist es so, dass die Mittel, die wir haben, nicht ausreichen, um das Racial Profiling zurückzudrängen. Von daher stehe ich sehr sicher für die Stärkung der Rechte von Personen, die von Rassismen betroffen sind, die sie eben nicht nur im Privaten erleben, sondern auch staatlicherseits.

Stellen Sie sich vor, Sie wären Drogenfahnderin im Görlitzer Park. Wie würden Sie nach dieser Maßgabe dann bei Kontrollen vorgehen?

Sobald man eine Person dabei beobachtet, dass sie dealt, kann man sie natürlich kontrollieren. Aber anhand der Hautfarbe im Umfeld des Görlitzer Parks oder des Kottbusser Tors Personen zu kontrollieren, das bedient Rassismen und ist durch Rassismen motiviert. Das ist dann auch ein schwerer Einschritt in das Leben nicht-weißer Personen, die im Görlitzer Park nicht mit Freunden und Freundinnen auf einer Decke auf der Wiese liegen können, ohne von der Polizei kontrolliert zu werden.