So wird der Kieler „Tatort“ mit Lars Eidinger: Das Grauen ist zurück - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. So wird der Kieler „Tatort“ mit Lars Eidinger: Das Grauen ist zurück

Kultur So wird der Kieler „Tatort“

Das Grauen ist zurück im deutschen Wohnzimmer

Redakteur Feuilleton
Das Gute und das Böse an einem Tisch: Kai Korthals (Lars Eidinger, r.) und Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) Das Gute und das Böse an einem Tisch: Kai Korthals (Lars Eidinger, r.) und Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg)
Das Gute und das Böse an einem Tisch: Kai Korthals (Lars Eidinger, r.) und Klaus Borowski (Axel Milberg)
Quelle: NDR/Thorsten Jander
Lars Eidinger ist der erste Mörder der „Tatort“-Geschichte, der dreimal morden durfte. Er ist Kai Korthals, der Serienkiller, der sich in fremder Leute Leben schleicht, es aushöhlt, sie umbringt. Jetzt ist er wieder da. Bericht einer beängstigenden Begegnung.

„Ich bin ein guter Mensch“, sagt der Kai. Er muss es sagen, weil er es so sehr will, der Kai. Ein guter Mensch sein. Wir wissen natürlich, dass das Quatsch ist.

Und dass der Kai, den wir Kai nennen dürfen, weil wir ihn seit gut zehn Jahren aus dem „Tatort“ kennen, weil er uns seit zehn Jahren nicht mehr aus dem Kopf geht, vielleicht noch nicht mal ein schlechter Mensch ist, aber ganz sicher einer, der stets das Böse tut, auch wenn er das Gute will. Zum Beispiel: Lieben.

Kai, den wir also Kai nennen dürfen, wie ihn Kommissar Borowski, den wir eigentlich Klaus nennen dürften, weil wir ihn noch viel länger kennen, ist der einzige Mörder in der „Tatort“-Geschichte, der dreimal zurückkehren durfte. Kai Korthals.

Der war am Anfang, bevor er dann zwischendurch endgültig als schuldunfähig in der Klapse landete, Paketbote (was unsere Furcht vor uniformierten Sprinter-Fahrern zwischenzeitlich ins Abstruse steigerte). Und er brachte natürlich nicht nur Päckchen. Er brachte sich selbst.

„Er ist hier“, sagte eins seiner Opfer in „Borowski und der stille Gast“, dem ersten „Tatort“ mit Kai und Klaus, mit Lars Eidinger und Axel Milberg. 2012 war das. Und: „Er kann durch die Wand gehen.“

Kai zog wie ein mörderischer Seelenmietnomade in Wohnungen ein, zog sich fremder Leute, vor allem fremder Frauen Leben an. Benutzte deren Zahnbürsten. Hinterließ, bevor er wieder durch die Wand verschwand, Spuren. Kai machte sich breit. Kai wollte ein normales Leben leben. Für Mephisto gibt es aber kein normales Leben.

Jetzt also ist Kai wieder da. Er hat in der Schauspieltruppe der Klapse den Franz Mohr gegeben, eine Schlinge um den Hals. Und mit seiner Hässlichkeit gehadert, seiner Unnormalität. Dann hat er „Herr will ich sein“ skandiert und einen Aufstand ausgelöst, eine Revolution. Und war geflohen.

Eigentlich hatte Sascha Arango, der Drehbuchgott, der so lange als Erfinder von Kai Korthals gelten konnte, bis Lars Eidinger sich dessen Leben anzog und damit machte, was er wollte, eigentlich also hatte Arango den Kai den dritten Richard spielen lassen wollen, auch so eine versehrte Erscheinung. Eidinger hatte den Richard aber über.

Also ist er jetzt erst der Franz, dann ist er frei. Und der Klaus hat ein Problem. Er würde nämlich zu gern das Böse tun, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Kai aus der Welt schaffen. „Ich will, dass er aus der Welt verschwindet.“

.Gespenst oder Realität: Kai Korthals (Lars Eidinger) lässt Borowski (Axel Milberg) nicht los
Gespenst oder Realität: Kai Korthals (Lars Eidinger) lässt Borowski (Axel Milberg) nicht los
Quelle: NDR/Thorsten Jander
Anzeige

Man muss dazu sagen, dass der Kai, den eine unfassliche Liebe mit Klaus verbindet, dafür verantwortlich ist, dass Borowskis große Liebe zu Frieda Jung (Maren Eggert) vernichtet wurde, jener Psychologin, mit der Klaus, der angehende Hagestolz, Heiratspläne geschmiedet hatte.

Borowski, der Mann mit dem eher ungefähren Verhältnis zu Welt, wollte sein Verhältnis zur Welt im Allgemeinen und zu Frauen im Besonderen – wie der James Bond des Daniel Craig – konkretisieren. Kai – als andere Art von Bond-Bösewicht – musste das aus einem diffusen kriminologisch-erotischen Gefühl heraus kaputt machen.

Und so sitzen die beiden jetzt beim Bier in Borowskis prosaischer Wohnung. Die Küche ist karg. Kai trägt einen Anzug von Klaus (die Idee kam von Eidinger). Die dunkle und die helle Seite der Moral des „Tatort“ an einem Tisch.

Kai will immer noch ein guter Mensch sein. Eine Frau ist in fulminanter Hybristophilie für ihn entflammt – das ist der Fachbegriff für das Phänomen, dass Frauen sich in gewaltbereite Männer verlieben, von denen ihnen klar sein müsste, dass sie irgendwann zuschlagen.

Der Kai, von dem jede Frau weiß, dass er Frauen zum Teil bestialisch zu Tode bringt, der Kai kriegt Liebesbriefe hinter Gittern. „Borowski und der gute Mensch“, erzählt mindestens zwei Liebesgeschichten.

Aber schön sind sie alle nicht. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass auch diese Kai-Geschichte wieder mindestens eine Woche lang umgeht in unserm Kopf, in unserm Herz. Das liegt nicht an den Splatter-Szenen, in denen Kai, der Böse Kai, der Mr.-Hyde-Kai unschuldige Menschen quälend lang zu Tode würgt oder angetan mit dem skalpierten Haupthaar und dem blutbesudelten Kleid einer seiner Verehrerinnen als Mördertranse an einer Polizeisperre vorbeiradelt.

Ein Mann in zwei Aggregatzuständen

Man sieht nicht, wie der böse sich in den guten Kai verwandelt. Lars Eidinger, von dem man sich die Korthals-Serie schon gewünscht hätte, zu der es nie kam, spielt stets in zwei Aggregatzuständen. Man hört es allerdings, wenn die Verwandlung vollzogen ist in „Borowski und der gute Mensch“.

Anzeige

Man hört die Bosheit des Kai Korthals, die nicht von ungefähr kommt, wie sie beim Joker der Joaquin Phoenix nicht von ungefähr kommt, sondern tief aus seiner Geschichte. Marvin Millers Soundtrack von İlker Çataks Arango-Verfilmung zitiert bis an die Plagiatsgrenze den Tanz des gequälten Cellos, den Joaquin Phoenix in Todd Phillips‘ „Joker“ tanzt. Hildur Guðnadóttir hatte für die Filmmusik den Oscar gewonnen.

Bisse, Küsse: Die blinde Teresa (Sabine Timoteo) und der irre Kai (Lars Eidinger) hängen verzweifelt aneinander
Bisse, Küsse: Die blinde Teresa (Sabine Timoteo) und der irre Kai (Lars Eidinger) hängen verzweifelt aneinander
Quelle: NDR/Thorsten Jander

Es wimmelt übrigens in „Borowski und der gute Mensch“ vor Anspielungen an die postmoderne Kriminal-Filmgeschichte. Selten ging Quentin Tarantino zum Beispiel so leichtfüßig derart durch die Wände in die deutschen Wohnzimmer wie im Film seines von gar nicht mal so fern grüßenden Kollegen Çatak.

Das ist lustig. Das ist fies. Das ist die Geschichte nicht nur des Kampfs zwischen dem absolut Bösen und dem verzagenden Guten. Das ist die Geschichte von Axel Milberg und Lars Eidinger, deren dauerndes Duell so derart unter die Haut geht, dass man unbedingt wünscht, es ginge weiter. Und immer weiter.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema